EuGH: Wohnsitzverlegung in die Schweiz, Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerungen i.Z.m. den wesentlichen Beteiligungen am Kapital von Gesellschaften mit Sitz im Herkunftsmitgliedstaat

Vorlage zur Vorabentscheidung – Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit – Direkte Besteuerung – Verlegung des Wohnsitzes von einem Mitgliedstaat in die Schweiz – Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerungen im Zusammenhang mit den wesentlichen Beteiligungen am Kapital von Gesellschaften mit Sitz im Herkunftsmitgliedstaat im Rahmen einer solchen Verlegung – Anwendungsbereich des Abkommens

EuGH-Urteil vom 15. März 2018, Rechtssache C-355/16

Da eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Begriffs „Selbständige“ im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999, fällt, sind die Bestimmungen dieses Abkommens dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Staates, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, die, wenn eine natürliche Person ihren Wohnsitz von diesem Staat in einen anderen Staat, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, verlegt und gleichzeitig ihre wirtschaftliche Tätigkeit im ersten dieser beiden Staaten beibehält, ohne täglich oder mindestens einmal in der Woche eine Fahrt vom Ort ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ihrem Wohnort zu absolvieren, die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerungen bei wesentlichen Beteiligungen, die diese Person am Kapital von Gesellschaften hält, die dem Recht des ersten dieser Staaten unterliegen, bei der Wohnsitzverlegung vorsehen und die die aufgeschobene Erhebung der geschuldeten Steuer nur unter der Bedingung zulassen, dass Sicherheiten geleistet werden, die geeignet sind, die Erhebung dieser Steuer sicherzustellen, während eine Person, die ebenfalls solche Beteiligungen hält, aber weiterhin ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ersten dieser beiden Staaten hat, erst zum Zeitpunkt der Veräußerung dieser Beteiligungen besteuert wird.

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999 (ABl. 2002, L 114, S. 6, im Folgenden: FZA).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Christian Picart und dem Ministre des Finances et des Comptes publics (Minister für Finanzen und Haushalt) über die Entscheidung der französischen Steuerverwaltung, zum einen die Höhe der nicht realisierten Wertsteigerung aus wesentlichen Beteiligungen am Kapital von Gesellschaften mit Sitz in Frankreich, die Herr Picart hielt und bei der Verlegung seines Wohnsitzes von seinem Herkunftsstaat in die Schweiz erklärt hatte, neu zu bewerten und zum anderen gegen Herrn Picart zusätzliche Einkommensteuer und Sozialabgaben sowie Strafzuschläge festzusetzen.

Rechtlicher Rahmen

FZA

3        Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten einerseits und die Schweizerische Eidgenossenschaft andererseits unterzeichneten am 21. Juni 1999 sieben Abkommen, darunter das FZA. Diese sieben Abkommen wurden mit dem Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und der Kommission vom 4. April 2002 (ABl. 2002, L 114, S. 1) im Namen der Gemeinschaft gebilligt und traten am 1. Juni 2002 in Kraft.

4        Art. 16 Abs. 2 des FZA sieht vor:

„Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest.“

5        Kapitel III des Anhangs I des FZA ist den Selbständigen gewidmet. In Art. 12 („Aufenthaltsregelung“) dieses Anhangs heißt es:

„1.      Ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will (im Folgenden ‚Selbständiger‘ genannt), erhält eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung, sofern er den zuständigen nationalen Behörden nachweist, dass er zu diesem Zweck niedergelassen ist oder sich niederlassen will.

2.      Die Aufenthaltserlaubnis wird automatisch um mindestens fünf Jahre verlängert, sofern der Selbständige den zuständigen nationalen Behörden nachweist, dass er eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt.

... “

6        Art. 13 („Selbständige Grenzgänger“) des genannten Anhangs bestimmt in seinem Abs. 1:

„1.      Ein selbständiger Grenzgänger ist ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine selbständige Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt.“
Französische Rechtsvorschriften

7        Art. 167bis des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) in seiner zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung (im Folgenden: CGI) sah vor:

„I – 1. Steuerpflichtige, die ihren steuerlichen Wohnsitz während der letzten zehn Jahre mindestens sechs Jahre in Frankreich hatten, werden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen, hinsichtlich der Wertsteigerungen besteuert, die für die in Art. 150-0 A genannten und unter den Voraussetzungen des Art. 164 B Buchst. f gehaltenen Gesellschaftsrechte festgestellt wurden.

...

II. – 1. Die Zahlung der auf die festgestellte Wertsteigerung anfallenden Steuer kann bis zum Zeitpunkt der Übertragung, des Rückkaufs, der Einlösung oder der Kraftloserklärung der betreffenden Gesellschaftsrechte aufgeschoben werden.
Der Zahlungsaufschub setzt voraus, dass der Steuerpflichtige den Betrag der nach Abschnitt I festgestellten Wertsteigerung erklärt, einen Antrag auf Zahlungsaufschub stellt, einen in Frankreich ansässigen Bevollmächtigten benennt, der zum Empfang von Mitteilungen in Bezug auf Besteuerungsgrundlage, Steuererhebung sowie steuerrechtliche Rechtsstreitigkeiten ermächtigt ist, und vor seinem Wegzug dem für die Steuererhebung zuständigen Finanzbeamten Sicherheiten leistet, die geeignet sind, die Einziehung der Steuerforderung der Staatskasse zu gewährleisten.

...

2.      Die Steuerpflichtigen, denen der Zahlungsaufschub nach diesem Artikel gewährt wird, sind zur Erklärung nach Art. 170 Abs. 1 verpflichtet. In dieser Erklärung ist der kumulierte Betrag der Steuern anzugeben, für die ein Zahlungsaufschub gewährt wurde. Ihr ist auf einem beim Finanzamt erhältlichen Formular eine Aufstellung beizufügen, aus der sich der Betrag der Steuern für die betreffenden Wertpapiere ergibt, für die der Zahlungsaufschub noch nicht abgelaufen ist, sowie gegebenenfalls die Art und der Zeitpunkt der den Zahlungsaufschub beendenden Ereignisse.

...

Die vom Steuerpflichtigen im Ausland auf die dort tatsächlich realisierte Wertsteigerung gezahlte Steuer ist auf die in Frankreich festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen, sofern sie mit dieser vergleichbar ist.

4.      Werden die Erklärung und die Aufstellung nach Absatz 2 nicht vorgelegt oder die Auskünfte, die in diesen enthalten sein müssen, ganz oder teilweise nicht erteilt, so wird die Steuer, für die Zahlungsaufschub gewährt wurde, sofort fällig.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8        Herr Picart verlegte im Jahr 2002 seinen Wohnsitz von Frankreich in die Schweiz. Zum Zeitpunkt der Wohnsitzverlegung hielt er wesentliche Beteiligungen am Gesellschaftskapital von mehreren französischen Gesellschaften.

9        Bei der Wohnsitzverlegung erklärte Herr Picart gemäß Art. 167bis CGI eine nicht realisierte Wertsteigerung der betreffenden Anteile, benannte, um einen Zahlungsaufschub zu erhalten, einen in Frankreich ansässigen Bevollmächtigten und stellte eine Bankbürgschaft, um die Beitreibung der Steuerforderung der französischen Staatskasse sicherzustellen.

10      Im Jahr 2005 veräußerte Herr Picart diese Anteile und beendete damit den Zahlungsaufschub für diese Besteuerung. Im Anschluss an eine Prüfung seiner persönlichen Steuerlage bewertete die französische Steuerverwaltung die Höhe der erklärten Wertsteigerung neu und setzte gegen Herrn Picart zusätzliche Einkommensteuer und Sozialabgaben sowie Strafzuschläge fest.

11      Herr Picart erhob Einspruch, um die Entlastung von diesen zusätzlichen Abgaben und Strafzuschlägen zu erlangen. Nachdem das Finanzamt diesen Einspruch zurückgewiesen hatte, erhob Herr Picart beim Tribunal administratif de Montreuil (Verwaltungsgericht Montreuil, Frankreich) Klage, wo er erfolglos geltend machte, dass Art. 167bis CGI mit dem FZA unvereinbar sei, weil die durch dieses Abkommen gewährleistete Niederlassungsfreiheit ihm erlaube, in der Schweiz ansässig zu sein und dort eine wirtschaftliche Tätigkeit als Selbständiger auszuüben, die darin bestehe, seine verschiedenen unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen an mehreren von ihm beherrschten Gesellschaften in Frankreich zu verwalten. Da diesem Vorbringen auch in der Berufung vor der Cour administrative d‘appel de Versailles (Verwaltungsberufungsgericht Versailles, Frankreich) kein Erfolg beschieden war, legte Herr Picart Kassationsbeschwerde beim Conseil d‘État (Staatsrat, Frankreich) ein.

12      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Recht auf Niederlassung als Selbständiger im Sinne des FZA dieselbe Tragweite hat wie die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union in Art. 49 AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit und, falls ja, ob für seine Anwendung die Rechtsprechung zu berücksichtigen ist, die auf das Urteil vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525), das nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens verkündet wurde, zurückgeht.

13      Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Kann das Recht auf Niederlassung als Selbständiger, wie es in den Art. 1 und 4 FZA und in Art. 12 von dessen Anhang I definiert ist, als gleichwertig mit der Niederlassungsfreiheit angesehen werden, die Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, mit Art. 49 AEUV gewährleistet wird?
  2. Wäre dann angesichts der Bestimmungen von Art. 16 des Abkommens die auf das Urteil vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525), zurückgehende und damit nach diesem Abkommen ergangene Rechtsprechung im Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats anzuwenden, der seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat und sich darauf beschränkt, die Beteiligungen zu behalten, die er an dem Recht dieses Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaften hielt und die ihm einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaften verleihen und es ihm ermöglichen, deren Tätigkeiten zu bestimmen, ohne indessen die Absicht zu äußern, in der Schweiz eine andere selbständige Erwerbstätigkeit als die auszuüben, die er in dem Mitgliedstaat ausgeübt hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und die in der Verwaltung dieser Beteiligungen besteht?
  3. Sollte dieses Recht nicht gleichwertig mit der Niederlassungsfreiheit sein, wäre es dann so auszulegen, wie es der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525), für die Niederlassungsfreiheit getan hat?

Zu den Vorlagefragen

14      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Bestimmungen des FZA dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Staates, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die, wenn eine natürliche Person ihren Wohnsitz von diesem Staat in einen anderen Staat, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, verlegt und gleichzeitig ihre wirtschaftliche Tätigkeit im ersten dieser beiden Staaten beibehält, die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerungen bei wesentlichen Beteiligungen, die diese Person am Kapital von Gesellschaften hält, die dem Recht des ersten dieser Staaten unterliegen, bei dieser Wohnsitzverlegung vorsehen und die die aufgeschobene Erhebung der geschuldeten Steuer nur unter der Bedingung zulassen, dass Sicherheiten geleistet werden, die geeignet sind, die Erhebung dieser Steuer sicherzustellen, während eine Person, die ebenfalls solche Beteiligungen hält, aber weiterhin ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ersten dieser beiden Staaten hat, erst zum Zeitpunkt der Veräußerung dieser Beteiligungen besteuert wird.

15      Herr Picart macht geltend, dass die von der Schweiz aus entfaltete Tätigkeit der Verwaltung seiner Beteiligungen an den Gesellschaften mit Sitz in Frankreich zum Recht auf Niederlassung als Selbständiger im Sinne des FZA gehöre. Dieses Recht müsse er auch gegenüber seinem Herkunftsstaat geltend machen können.

16      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass unter bestimmten Umständen und nach Maßgabe der anwendbaren Bestimmungen die Staatsangehörigen einer Vertragspartei aus dem FZA abgeleitete Rechte nicht nur gegenüber dem Land, wohin sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben, sondern auch gegenüber ihrem eigenen Land geltend machen können (Urteil vom 28. Februar 2013, Ettwein, C‑425/11, EU:C:2013:121, Rn. 33).

17      Daher ist zunächst zu prüfen, ob eine Situation wie die von Herrn Picart in den persönlichen Anwendungsbereich des Begriffs „Selbständige“ im Sinne des FZA fällt und, gegebenenfalls, ob dieses Abkommen Bestimmungen enthält, die Herr Picart gegenüber seinem Herkunftsstaat geltend machen könnte.

18      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Kapitel III des Anhangs I des FZA, das den Selbständigen gewidmet ist, die Art. 12 und 13 enthält, die diesen Anwendungsbereich definieren.

19      Nach Art. 12 Abs. 1 dieses Anhangs gilt als Selbständiger ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will.

20      Art. 13 Abs. 1 dieses Anhangs ist den selbständigen Grenzgängern gewidmet, d. h. den Staatsangehörigen einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, die eine selbständige Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausüben und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an ihren Wohnort zurückkehren.

21      Im Ausgangsverfahren ist, ohne dass es erforderlich wäre, im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens zu bestimmen, ob es sich bei einer Tätigkeit der Verwaltung von Beteiligungen wie der hier in Rede stehenden um eine selbständige Tätigkeit im Sinne von Art.12 Abs. 1 oder von Art. 13 Abs. 1 dieses Anhangs handelt, festzustellen, dass die Situation von Herrn Picart unter keine dieser beiden Bestimmungen fällt.

22      Erstens ergibt sich nämlich aus dem Wortlaut des Art.12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA, dass das Niederlassungsrecht im Sinne dieser Vorschrift Staatsangehörigen, also natürlichen Personen, einer Vertragspartei vorbehalten ist, die sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen wollen.

23      Damit also diese Bestimmung anwendbar ist, muss die betreffende Person ihre selbständige Tätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei als derjenigen, deren Staatsangehörigkeit sie besitzt, ausüben.

24      Im Ausgangsverfahren geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass Herr Picart, ein französischer Staatsangehöriger, nicht beabsichtigt, seine wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft auszuüben, sondern eine Tätigkeit im Hoheitsgebiet seines Herkunftslands beizubehalten. Daher fällt die Situation von Herrn Picart nicht in den Geltungsbereich von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA.

25      Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des FZA, dass unter diese Bestimmung die Situation eines Staatsangehörigen einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei fällt, der eine selbständige Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt.

26      In Bezug auf diese Bestimmung ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 28. Februar 2013, Ettwein (C‑425/11, EU:C:2013:121, Rn. 34 und 35), davon ausgegangen ist, dass die Situation eines Selbständigenehepaars, das seinen Wohnsitz von seinem Herkunftsstaat in die Schweiz verlegt hatte, gleichzeitig aber seine Tätigkeit in diesem Herkunftsstaat beibehielt und täglich von seinem beruflichen Tätigkeitsort an seinen Wohnort zurückkehrte, unter diese Bestimmung fiel.

27      Hier geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass Herr Picart im Unterschied zu diesem Selbständigenehepaar im Hoheitsgebiet seines Wohnsitzstaats, nämlich der Schweizerischen Eidgenossenschaft, bleibt, von wo aus er seine wirtschaftliche Tätigkeit in seinem Herkunftsstaat auszuüben beabsichtigt, und dass er entgegen den Bestimmungen des Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des FZA nicht täglich oder mindestens einmal in der Woche eine Fahrt vom Ort seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu seinem Wohnort absolviert. Folglich kann für eine Situation wie die des Herrn Picart nicht gelten, dass sie jener entspricht, die dem Urteil vom 28. Februar 2013, Ettwein (C‑425/11, EU:C:2013:121), zugrunde liegt. Folglich fällt eine Situation wie die des Herrn Picart nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.

28      Daher fällt eine Situation wie die des Herrn Picart nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Begriffs „Selbständige“ im Sinne des FZA, und somit kann er sich nicht auf dieses Abkommen berufen.

29      Was schließlich die auf das Urteil vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525), zurückgehende Auslegung von Art. 43 EG (jetzt 49 AEUV) anbelangt, genügt der Hinweis, dass die Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt nicht automatisch auf die Auslegung des FZA übertragen werden kann, sofern dies nicht in diesem Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen ist, da die Schweizerische Eidgenossenschaft nicht dem Binnenmarkt der Union beigetreten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 2009, Grimme, C‑351/08, EU:C:2009:697, Rn. 29, vom 11. Februar 2010, Fokus Invest, C‑541/08, EU:C:2010:74, Rn. 28, sowie vom 15. Juli 2010, Hengartner und Gasser, C‑70/09, EU:C:2010:430, Rn. 42).

30      Das FZA sieht aber keine solchen ausdrücklichen Bestimmungen vor.

31      Darüber hinaus hat die Auslegung von Art. 43 EG (jetzt 49 AEUV), die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525), vorgenommen hat, umso weniger Einfluss auf die vorstehenden Erwägungen, als dieser Artikel, wie aus den Nrn. 63 ff. der Schlussanträge des Generalanwalts hervorgeht, weder in Bezug auf seinen Wortlaut noch hinsichtlich seiner Tragweite den einschlägigen Bestimmungen des FZA gleichgestellt werden kann.

32      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass, da eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Begriffs „Selbständige“ im Sinne des FZA fällt, die Bestimmungen dieses Abkommens dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Staates, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, die, wenn eine natürliche Person ihren Wohnsitz von diesem Staat in einen anderen Staat, der Vertragspartei dieses Abkommens ist, verlegt und gleichzeitig ihre wirtschaftliche Tätigkeit im ersten dieser beiden Staaten beibehält, ohne täglich oder mindestens einmal in der Woche eine Fahrt vom Ort ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ihrem Wohnort zu absolvieren, die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerungen bei wesentlichen Beteiligungen, die diese Person am Kapital von Gesellschaften hält, die dem Recht des ersten dieser Staaten unterliegen, bei dieser Wohnsitzverlegung vorsehen und die die aufgeschobene Erhebung der geschuldeten Steuer nur unter der Bedingung zulassen, dass Sicherheiten geleistet werden, die geeignet sind, die Erhebung dieser Steuer sicherzustellen, während eine Person, die ebenfalls solche Beteiligungen hält, aber weiterhin ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ersten dieser beiden Staaten hat, erst zum Zeitpunkt der Veräußerung dieser Beteiligungen besteuert wird.

Quelle: curia.europa.eu
An dieser Fassung sind noch Änderungen möglich; verbindlich sind nur die in der "Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts" und im "Amtsblatt der Europäischen Union" veröffentlichten Fassungen.
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