BFH: Kein Aufrechnungsverbot nach Beendigung des Insolvenzverfahrens

Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Das FA kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären.

BFH-Urteil vom 13.12.2016, VII R 1/15 (veröffentlicht am 12.4.2017)

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 406

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 2.12.2014, 6 K 6119/12 (EFG 2015 S. 319 = SIS 15 02 20)

I. Mit Beschluss vom 27.3.2006 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) meldete - nach zwischenzeitlicher Änderung der Anmeldung - zuletzt unter dem 16.8.2008 Umsatzsteuerforderungen in Höhe von 4.892,50 € für März 2006 zur Insolvenztabelle an. Zugunsten der GmbH setzte das FA mit Bescheid vom 26.9.2008 gemäß § 37 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ein Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 5.061 € fest. Das Guthaben sollte in zehn Raten zu je 506,10 € jeweils zum 30. September bis zum Jahr 2017 ausgezahlt werden.

Zur Fälligkeit des Guthabens für das Kalenderjahr 2008 am 30.9.2008 zahlte das FA aus dem Guthaben den anteiligen Betrag von 506,10 € dem Insolvenzverwalter der GmbH. Das restliche Körperschaftsteuerguthaben trat der Insolvenzverwalter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) ab. Diese übermittelte dem FA am 31.8.2009 eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck. Das Guthaben für 2009 in Höhe von 506,10 € wurde der Klägerin überwiesen.

Mit Beschluss vom 19.2.2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt.

Mit Schreiben vom 11.7.2011 und 11.10.2011 teilte das FA der Klägerin mit, es habe gegen das anteilige Körperschaftsteuerguthaben für 2010 und 2011 mit seiner Forderung aus Umsatzsteuer 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Im Abrechnungsbescheid vom 8.11.2011 bestätigte das FA die Aufrechnung. Den Einspruch wies das FA zurück.

Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Auszahlungsbeträge zur Körperschaftsteuer 2010 und 2011 seien wegen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) nicht durch Aufrechnung erloschen. Die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsregeln modifizierten die allgemeinen Vorschriften der §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und insbesondere § 406 BGB mit der Folge eines Ausschlusses der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (RG) vom 18.2.1933 V 380/32 (RGZ 140, 43) und Stimmen in der Literatur urteilte das FG, dies gelte auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, wenn der Insolvenzverwalter eine Forderung des Insolvenzschuldners durch Abtretung verwertet habe. Anderenfalls sei eine - nach § 159 InsO gebotene - Verwertung von Forderungen faktisch ausgeschlossen und eine nicht hinnehmbare Verfahrensverlängerung die Folge.

Mit seiner Revision macht das FA geltend, ein Aufrechnungsverbot bestehe vorliegend nicht, weil das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden sei. Eine Nachtragsverteilung sei nicht angeordnet worden.

II. 1. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Klägerin niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist ordnungsgemäß und darauf hingewiesen worden, bei seinem Ausbleiben in der mündlichen Verhandlung könne auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

2. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat den Abrechnungsbescheid zu Unrecht geändert.

Nach Einstellung des Insolvenzverfahrens hat das FA wirksam gegenüber der Klägerin mit seiner Umsatzsteuerforderung aus 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Dadurch sind die der Klägerin abgetretenen Forderungen aus Körperschaftsteuerguthaben 2010 und 2011 erloschen.

a) Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gilt nur während des Insolvenzverfahrens; nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ihre Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen (Senatsbeschluss vom 4.9.2008 VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6). Hiernach kann ein Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen Forderungen des Schuldners erklären, die zwar während des Insolvenzverfahrens begründet, jedoch nicht ermittelt bzw. nicht beigetrieben wurden und über die der Schuldner nunmehr wieder frei verfügen kann, da sie nicht mehr der Insolvenzbeschlagnahme (§ 80 Abs. 1 InsO) unterliegen. Gleiches gilt nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 215 InsO.

b) Der Anspruch auf Erstattung des Körperschaftsteuerguthabens ist mit der Änderung des KStG durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) gemäß § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG mit Ablauf des 31.12.2006 und damit nach Insolvenzeröffnung durch Beschluss vom 27.3.2006 entstanden. Im Verhältnis des FA zur GmbH galt zunächst während des Insolvenzverfahrens das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die in diesem Zeitraum fällig werdenden Auszahlungsbeträge des Körperschaftsteuererstattungsanspruchs gemäß § 37 Abs. 5 KStG. Diese Beschränkung besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr.

c) Der Insolvenzverwalter hat die zukünftigen Körperschaftsteuererstattungsansprüche der Klägerin abgetreten, die infolgedessen Gläubigerin der Körperschaftsteuererstattungsansprüche geworden ist. Eine Aufrechnung gegen diese Ansprüche ist gemäß § 406 BGB zulässig, der über § 226 der Abgabenordnung auch im Abgabenrecht gilt (Senatsurteil vom 8.7.2004 VII R 55/03, BFHE 206, 309, BStBl II 2005, 7). Bei § 406 BGB handelt es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten des Schuldners, die sein Vertrauen in eine gegenüber dem bisherigen Gläubiger bestehende Aufrechnungslage sowie die Aussicht auf eine künftig möglicherweise entstehende Aufrechnungslage schützt; die Rechtsstellung des Schuldners darf sich durch die Abtretung nicht verschlechtern (Senatsurteil in BFHE 206, 309, BStBl II 2005, 7). Die Rechtsstellung des Schuldners (hier des FA) verschlechterte sich aber, wenn aus einem ohne die Abtretung bestehenden zeitlich (auf die Dauer des Insolvenzerfahrens) begrenzten Aufrechnungsverbot ein im Fall der Abtretung unbefristetes Aufrechnungsverbot würde. Eine Ausnahme gemäß § 406 Halbsatz 2 BGB liegt im Streitfall nicht vor.

d) Ein zeitlich unbeschränktes Aufrechnungsverbot im Fall einer Abtretung lässt sich weder mit den anzuwendenden Vorschriften noch mit dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens rechtfertigen. Will der Insolvenzverwalter das Verfahren beenden, aber gleichwohl künftig entstehende Forderungen zur Masse ziehen, kann er gemäß § 203 InsO bzw. § 211 Abs. 3 InsO die Anordnung der Nachtragsverteilung beantragen.

e) Macht er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sondern zieht er die Verwertung der künftigen Forderungen durch Abtretung vor, sind die dahinter stehenden praktischen Erwägungen bzw. Schwierigkeiten bei der Masseverwertung nicht geeignet, die Schuldnerschutzvorschrift des § 406 BGB zu suspendieren. Der Zessionar trägt nach § 406 BGB das Risiko einer "Belastung" der ihm abgetretenen Forderung insoweit, als gegen sie auch mit gegenüber dem Zedenten bestehenden Ansprüchen aufgerechnet werden kann. Mit dem Grundgedanken dieser Schuldnerschutzvorschrift ist es nicht vereinbar, ein Aufrechnungsverbot in der Insolvenz über die Insolvenzbeschlagnahme hinaus im Fall einer Abtretung zur vereinfachten Forderungsverwertung anzuerkennen.

f) Etwas anderes folgt auch nicht aus § 159 InsO. Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Verwertung der Masse führt nicht zur Privilegierung eines Zessionars gegenüber dem Zedenten bei der Forderungsverwertung, wenn dadurch eine grundlegende schuldnerschützende Vorschrift weiter eingeschränkt wird, als es das Gesetz in § 96 InsO vorsieht. Abgesehen davon kann die Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auch nach Anordnung einer Nachtragsverteilung erfolgen.

g) Die zur Begründung der gegenteiligen Ansicht von Teilen der Literatur (Windel in Jaeger, Insolvenzordnung 2007, § 96 Rz 10; Brandes/Lohmann in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013, § 96 Rz 2c; Gottwald/Adolphsen, Insolvenzrechtshandbuch, 5. Aufl. 2015, § 45 Rz 80f; Grashoff/ Kleinmanns, Vorsicht Falle: Die Abtretung von Körperschaftsteuerguthaben in der Insolvenz, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2008, 609, 612; von Craushaar/Holdt, Verwertung des Körperschaftsteuerguthabens im Insolvenzverfahren, Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht 2011, 350, 353) herangezogene Entscheidung des RG in RGZ 140, 43 führt zu keinem anderen Ergebnis. Das RG hatte Anlass zu prüfen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Forderung der Insolvenzmasse dem Gemeinschuldner (= Insolvenzschuldner) zur Einziehung überlassen worden wäre, und hat insoweit zutreffend ausgeführt, das Aufrechnungsverbot gälte dann nicht. Der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis über die Forderung auf den Insolvenzschuldner unterscheidet sich aber nicht von dem Fall, in dem der Insolvenzschuldner durch Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurückerhält (§ 201 Abs. 1, § 215 Abs. 2 InsO), weil in beiden Fällen der Insolvenzbeschlag endet und die Aufrechnung somit zulässig ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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