BFH: Energiesteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten

1. § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 09.12.2010 (BGBl I 2010, 1885, 1893) erfasste auch Energiesteuerverbind­lichkeiten.

2. Verbindlichkeiten werden nach § 55 Abs. 4 InsO nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet (Fortführung BFH-Urteil vom 24.09.2014 ‑ V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506).

3. Energiesteuerverbindlichkeiten können nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO darstellen, wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, weshalb durch bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzver­walters bestehende Lieferverträge ("Altgeschäfte") keine Masseverbindlichkei­ten begründet werden können.

EnergieStG § 38
AO § 251 Abs. 3
InsO § 21, § 22, § 38, § 55 Abs. 4

BFH-Urteil vom 13.12.2022, VII R 49/20 (veröffentlicht am 25.5.2023)

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 05.08.2020, 4 K 2524/19 VE = SIS 21 16 15

I. Streitig ist, ob die während des Insolvenzeröffnungsverfahrens entstandene Energiesteuer eine Masseverbindlichkeit darstellt.

Gegenstand des Unternehmens der … GmbH (Schuldnerin) war die Versorgung von Kunden mit Energieerzeugnissen. Die Schuldnerin hatte sich durch lang­fristige Lieferverträge an ihre Kunden gebunden, ohne sich durch entsprechen­de Deckungsgeschäfte gegen einen Anstieg der Einkaufspreise abzusichern. Als die Einkaufspreise nennenswert anstiegen, konnte sie nicht mehr kosten­deckend arbeiten; sie erwirtschaftete Verluste und geriet in Zahlungsrück­stand.

Das zuständige Amtsgericht (AG) bestellte den Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit Beschluss vom 09.07.2018 zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des Klägers wirksam sein würden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑). Es traf die folgenden weiteren Anordnungen:

- Den Drittschuldnern wurde verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser An­ordnung zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO).

- Maßnahmen der Zwangsvollstreckung einschließlich der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung gegen die Schuldnerin wurden untersagt, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen waren; bereits begonnene Maßnahmen wurden einstweilen eingestellt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO).

Der Kläger bemühte sich zunächst und letztlich erfolglos, eine Auffanglösung zu finden. Die Schuldnerin stellte die Belieferung ihrer Kunden am 18.07.2018 ein.

Das AG eröffnete am 01.10.2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) schätzte die im Zeitraum vom 09.07.2018 (12:00 Uhr) bis zum Zeitpunkt der Einstellung der Lieferungen am 18.07.2018 gelieferte Menge an Energieerzeugnissen und setzte mit Bescheid vom 10.10.2018 Energiesteuer in Höhe von 113.561,63 € gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuld­nerin fest. Zur Begründung führte es aus, es handele sich um sonstige Masse­verbindlichkeiten.

Im Einspruchsverfahren reduzierte das HZA mit Bescheid vom 10.07.2019 die Energiesteuer auf der Grundlage einer genaueren Berechnung der in dem frag­lichen Zeitraum gelieferten Menge an Energieerzeugnissen auf 32.690,81 € und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Energie­steuerverbindlichkeit stelle eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 09.12.2010 ‑‑InsO a.F.‑‑ (BGBl I 2010, 1885) dar. Die Vorschrift betreffe nicht nur die Umsatzsteuer, sondern alle Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhält­nis. Der nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. erforderliche Zusammenhang zwischen der Entstehung der Steuerverbindlichkeit und den Befugnissen des vorläufigen In­solvenzverwalters werde bei der Energiesteuer schon durch den vom Insol­venzgericht angeordneten allgemeinen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) begründet. Die Lieferungen an die Kunden seien mit Zustimmung des Klägers erfolgt; denn dieser habe sich aktiv um ei­ne Übergangs- bzw. Nachfolgelösung für die Schuldnerin bemüht. Dass die Lieferungen in Erfüllung von Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen erfolgten, die bereits vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden waren ("Altgeschäfte"), stehe dem nicht entgegen. Eine solche Einschränkung des § 55 Abs. 4 InsO a.F. ergebe sich weder aus dem Wortsinn und der Entstehungsgeschichte noch aus dem Sinn und Zweck der Norm. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 2078 abgedruckt.

Der Kläger begründet seine Revision mit einer Verletzung von § 55 Abs. 4 InsO a.F. Die Regelung in § 55 Abs. 4 InsO a.F. sei auf die Umsatzsteuer be­schränkt. Dies ergebe sich auch aus der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vom 22.12.2020 ‑‑InsO n.F.‑‑ (BGBl I 2020, 3256), die Umsatzsteuerverbind­lichkeiten explizit erwähne und Verbrauchsteuern den Umsatzsteuerverbind­lichkeiten erstmals gleichstelle.

Aus der Tatsache, dass er sich aktiv um eine Auffanglösung bemüht habe, könne keine Zustimmung i.S. des § 55 Abs. 4 InsO a.F. geschlussfolgert wer­den. Er habe lediglich seine ‑‑sich aus § 1 InsO ergebende‑‑ Aufgabe als In­solvenzverwalter wahrgenommen. Er hätte die Lieferverträge auch nicht kün­digen können, anders als der Geschäftsführer der Schuldnerin. Er habe mithin keinen Einfluss auf die Einstellung der Belieferung nehmen können. Sein Han­deln stelle deshalb keine Zustimmung dar. Im Übrigen sei § 55 Abs. 4 InsO a.F. nur auf nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters abgeschlos­sene Neugeschäfte anzuwenden.

Der Kläger beantragt,
das auf die mündliche Verhandlung vom 05.08.2020 ergangene Urteil des FG Düsseldorf vom 05.08.2020 ‑ 4 K 2524/19 sowie den Energiesteuerbescheid vom 10.10.2018 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 10.07.2019 und der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 aufzuheben.

Das HZA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Begriff der Zustimmung sei als tatsächliches Einverständnis mit der Fort­führung der Geschäftsführung des Schuldners zu verstehen und weit auszule­gen, sodass jede Art von aktiver oder konkludenter Billigung umfasst sei.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Vorent­scheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Energiesteu­erbescheid vom 10.10.2018 sowie der Änderungsbescheid vom 10.07.2019 und die Einspruchsentscheidung vom 12.08.2019 werden ebenfalls aufgeho­ben.

Das HZA durfte für die im Zeitraum vom 09.07.2018 (12:00 Uhr) bis zum 18.07.2018 gelieferten Energieerzeugnisse keine Energiesteuer gegen den Kläger festsetzen, weil es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt.

1. Die Energiesteuer ist durch die Entnahme des Erdgases zum Verbrauch durch die Kunden der Schuldnerin entstanden (§ 38 Abs. 1 Satz 1 des Ener­giesteuergesetzes ‑‑EnergieStG‑‑). Die Schuldnerin schuldet als Lieferer die Energiesteuer (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 EnergieStG).

2. Die Energiesteuer kann jedoch nicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, wenn es sich nicht um eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 InsO a.F., sondern um eine In­solvenzforderung i.S. von § 38 InsO handelt.

a) Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die In­solvenzforderungen betreffen, nicht mehr ergehen. Das folgt aus dem in § 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) normierten Grundsatz, nach dem An­sprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der InsO geltend gemacht wer­den dürfen. Derartige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind zur In­solvenztabelle anzumelden und ‑‑im Falle des Bestreitens‑‑ durch Feststel­lungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO gegenüber dem Insolvenzverwalter gel­tend zu machen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 19.01.2021 ‑ VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057, Rz 24, m.w.N.).

b) Nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuld­ners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenz­verwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenz­verwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.

aa) Von der Norm waren im Streitjahr 2018 grundsätzlich auch Verbindlichkei­ten aus Energiesteuer erfasst.

(1) Durch die Verwendung des Wortes "Steuerschuldverhältnis" verweist die Norm auf § 37 Abs. 1 AO und gilt deshalb für sämtliche Steuerarten (Graf-Schlicker/Bremen, InsO, 6. Aufl., § 55 Rz 70; Pape/Schaltke in: Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, KPB ‑ Kommentar zur Insolvenzordnung, § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten, Rz 233a; MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rz 240; Karsten Schmidt/Thole, InsO, 20. Aufl., § 55 Rz 46; gl.A. Schrei­ben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 20.05.2015, BStBl I 2015, 476; a.A. Nawroth, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanie­rungsrecht ‑‑ZInsO‑‑ 2011, 107, 108). Denn § 37 Abs. 1 AO, nach dem An­sprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Steueranspruch, der Steuerver­gütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche sind, ist keine Einschränkung auf bestimmte Steuerarten zu entnehmen.

(2) Auch vor dem Hintergrund der Änderung des § 55 Abs. 4 InsO durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (BGBl I 2020, 3256) ist keine andere Sichtweise geboten (a.A. Eisolt, ZInsO 2021, 1521, 1524).

Der § 55 Abs. 4 InsO n.F. erwähnt zwar ausdrücklich Umsatzsteuerverbind­lichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenz­verwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenz­verwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, und stellt diesen Umsatzsteuerverbindlichkeiten son­stige Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern, die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und die Lohnsteuer gleich. Dies lässt jedoch dennoch nicht den Schluss zu, dass bis zu dieser Gesetzesände­rung allein die Umsatzsteuer von dieser Vorschrift erfasst gewesen sein sollte. Hintergrund dieser Änderung war die Auffassung des Gesetzgebers, dass es sich bei der Umsatzsteuer um die praktisch bedeutsamste Steuer handele. Dementsprechend war ursprünglich im Referentenentwurf eine Beschränkung auf die Umsatzsteuer vorgesehen, wobei man davon ausging, dass auch nach der bisherigen Gesetzesfassung alle Steuerarten erfasst worden waren (S. 213 des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau­cherschutz "Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts", https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_SanInsFoG.html). Hieraus ergibt sich gerade nicht, dass bis zu dieser Geset­zesänderung allein die Umsatzsteuer erfasst gewesen sein sollte.

Im Übrigen wird aus den Gesetzgebungsmaterialien zum Haushaltsbegleitge­setz 2011 (BRDrucks 532/10, S. 53) deutlich, dass der Gesetzgeber zwar "ins­besondere" die Umsatzsteuer im Blick hatte, der nach seiner Ansicht praktisch die größte Bedeutung zukam. Die Materialien belegen jedoch nicht, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge des § 55 Abs. 4 InsO auf die Umsatzsteuer be­schränken wollte. Im Gegenteil kam es dem Gesetzgeber im Hinblick auf das Ziel der Haushaltskonsolidierung darauf an, mit den Änderungen die Position der öffentlichen Hand als "Zwangsgläubiger" im Insolvenzverfahren gegenüber abgesicherten Insolvenzgläubigern zu verbessern (BRDrucks 532/10, S. 51).

(3) Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.09.2014 ‑ V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 19) lässt sich nichts anderes herleiten (so aber Eisolt, ZInsO 2021, 1521, 1523). Denn der V. Senat des BFH hat zwar ausgeführt, dass die Umsatzsteuer von § 55 Abs. 4 InsO a.F. erfasst werde, er hat jedoch keine Aussage dazu getroffen und auch nicht treffen müssen, ob der Anwendungsbereich der Norm auf diese Steuer beschränkt gewesen ist.

bb) Die Steuerverbindlichkeit muss nach Bestellung des vorläufigen Verwalters "begründet" worden sein. In diesem Zusammenhang ist es geboten, für die Abgrenzung die gleichen Maßstäbe wie bei § 38 InsO anzuwenden, weil beide Vorschriften dieselbe Formulierung, nämlich "begründet", verwenden. Nach § 38 InsO sind Insolvenzgläubiger diejenigen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Entscheidend ist, wann der Rechtsgrund für den An­spruch gelegt worden ist (BFH-Urteil vom 16.05.2013 ‑ IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759; BFH-Beschluss vom 01.04.2008 ‑ X B 201/07, BFH/NV 2008, 925). Der Rechtsgrund für einen Steueranspruch ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs‑)Tatbestand verwirklicht wird (BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, und Senatsurteil vom 12.06.2018 ‑ VII R 2/17, BFH/NV 2019, 6, Rz 19).

Für den Energiesteueranspruch kommt es mithin nicht darauf an, wann der Energieliefervertrag abgeschlossen oder die Energiesteuer festgesetzt wurde, sondern allein darauf, wann der Versorger oder die Kunden die Energieerzeug­nisse zum Verbrauch aus dem Leitungsnetz entnommen haben. Durch den Re­alakt der Entnahme, der nach § 38 Abs. 1 EnergieStG zur Steuerentstehung führt, wird der Energiesteueranspruch insolvenzrechtlich begründet (Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 409).

cc) Die Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis müssen von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sein. Der Begriff der Zu­stimmung ist gesetzlich nicht definiert.

(1) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate des BFH werden Verbindlichkeiten vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur im Rah­men der für den vorläufigen Verwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse be­gründet (BFH-Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 15). Eine ledig­lich zeitliche Verbindlichkeitenbegründung nach der Bestellung eines schwa­chen vorläufigen Insolvenzverwalters reicht nicht aus (so noch BMF-Schreiben vom 17.01.2012, BStBl I 2012, 120 Rz 11). Auf die Leistungserbringung oder auf eine "tatsächliche" Zustimmung des vorläufigen Verwalters zu einer "fak­tischen" Unternehmensfortführung kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 28.05.2020 ‑ V R 2/20, BFHE 268, 519, Rz 16).

Der V. Senat des BFH hat für die insolvenzrechtliche Einordnung der Umsatz­steuerverbindlichkeiten maßgeblich darauf abgestellt, dass der Forderungsein­zug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse erfolgt und dazu führt, dass umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkei­ten aus dem Steuerschuldverhältnis, die mit dem Forderungseinzug im Zu­sammenhang stehen, gemäß § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten gel­ten (BFH-Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 14).

(2) Der Einzug offener Forderungen der Schuldnerin gegen ihre Kunden hat ‑‑worauf das FG zutreffend hinweist‑‑ jedoch keinen Bezug zur Entstehung der Energiesteuerverbindlichkeit nach § 38 Abs. 1 EnergieStG. Denn, wie bereits ausgeführt, entsteht die Energiesteuer bereits mit dem Realakt der Entnahme des Erdgases aus dem Leitungsnetz. Aus dem Forderungseinzug kann daher nicht auf eine Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Begrün­dung der Energiesteuer geschlossen werden.

(3) Das Anknüpfen an die rechtlichen Befugnisse der in § 55 Abs. 1 und Abs. 4 InsO genannten Verwalter führt nicht dazu, dass jegliche Handlungen nach deren Bestellung Masseverbindlichkeiten begründen. Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die allein vom Schuldner begründet werden und nicht im Zusammenhang mit einer Tätigkeit des vorläufigen Verwalters stehen, werden nicht erfasst (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 22.11.2018 ‑ IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243, Rz 22). Maßgeblich ist vielmehr, wie der vor­läufige Insolvenzverwalter seine Befugnisse ausübt (BFH-Urteil in BFHE 268, 519, Rz 18). Liegt keine ausdrückliche Zustimmung vor, kann auf einen feh­lenden Widerspruch nur in dem Umfang abgestellt werden, als ein Recht zum Widerspruch besteht (BFH-Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 17; so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2020 ‑ 14 K 303/18 E, EFG 2021, 306).

Der Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO) be­wirkt (nur), dass der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftli­che Verfügungen des Schuldners zu verhindern vermag. Dagegen ist der vor­läufige Insolvenzverwalter rechtlich nicht in der Lage, den Schuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten (vgl. BGH-Urteil vom 18.07.2002 ‑ IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb).

Verfügungen in diesem Sinne sind alle Rechtshandlungen, die auf das Vermö­gen des Schuldners unmittelbar einwirken, z.B. Zahlungen des Schuldners (BGH-Urteil vom 25.10.2007 ‑ IX ZR 217/06, BGHZ 174, 84, unter II.1.e bb) und die Abtretung von Forderungen (BGH-Urteil vom 10.12.2009 ‑ IX ZR 1/09, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ‑‑ZIP‑‑ 2010, 138, unter II.2.a). Es werden also solche Rechtsgeschäfte erfasst, durch die unmittelbar ein Recht begrün­det, übertragen, belastet, aufgehoben oder sonst wie in seinem Inhalt verän­dert wird (BGH-Urteil in ZIP 2010, 138, unter II.2.b).

Ein Unterlassen des vorläufigen Insolvenzverwalters kann vor diesem Hinter­grund somit nur dann zur Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO führen, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter die Entstehung der Verbindlichkeit durch seinen Widerspruch hätte verhindern können.

Soweit vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention vertreten wird, dass der Begriff der Zustimmung in einem weiten Sinne zu verstehen sei und dass die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters deshalb aktiv oder auch durch konkludentes Handeln (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen) erfolgen könne (vgl. Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 29.01.2014 ‑ 2 W 4/14, Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht 2014, 332, Rz 13), hält der erkennende Senat eine derart weite Auslegung des § 55 Abs. 4 InsO nicht für überzeugend. Denn dies führte zu einer zu weitgehenden Besserstellung des Fiskus gegenüber anderen Gläubigern und widerspräche daher dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (vgl. MüKoInsO/Ehricke/Behme, 4. Aufl., § 38 Rz 5).

dd) Energiesteuerverbindlichkeiten können nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO sein, wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, nicht jedoch aus bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwal­ters bestehenden Lieferverträgen. Das ergibt sich insbesondere aus § 103 InsO. Danach steht nur dem endgültig bestellten Insolvenzverwalter ein Erfül­lungswahlrecht zu (vgl. Uhlenbruck/Sinz, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 55 Rz 117; MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rz 245; Eisolt, ZInsO 2021, 1521, 1530; Harder/Dannemann, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2021, 311, 312). Soweit das FG hiergegen einwendet, es käme zu einer Verkompli­zierung der Rechtsanwendung und zu kaum verständlichen Unterschieden bei verschiedenen Steuerarten, so überzeugt dieser Einwand nicht.

Nach der Rechtsprechung des BGH vermag der schwache vorläufige Insol­venzverwalter den Abschluss rechtswirksamer Verpflichtungsverträge nicht zu verhindern (BGH-Urteile in BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb, und in ZIP 2010, 138, unter II.2.b). Der "schwache" vorläufige Insolvenzverwalter ist ferner nicht befugt, den Schuldner daran zu hindern, während des Eröffnungsverfah­rens die Gegenleistung aus Dauerschuldverhältnissen i.S. von § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO in Anspruch zu nehmen, soweit damit keine rechtsgeschäftliche Verfügung verbunden ist.

Dem steht nicht entgegen, dass der V. Senat des BFH in seinen Entscheidun­gen (vgl. in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, und in BFHE 268, 519) allein auf die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter abge­stellt hat, ohne eine Unterscheidung danach zu treffen, wann der zugrunde­liegende Vertrag abgeschlossen worden ist. Denn im Fall der Energiesteuer kommt es ‑‑wie auch das FG zutreffend ausgeführt hat‑‑ für die Steuerentste­hung nicht auf die Entgeltvereinnahmung an.

3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen.

Es hat zur Begründung von sonstigen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO für die Annahme einer Zustimmung des vorläufigen Insolvenzver­walters lediglich auf das Vorliegen eines Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO abgestellt (FG-Urteil, Rz 30). In diesem Zusammenhang hat es die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenz­verwalters verkannt, indem es angenommen hat, die Weiterbelieferung der Kunden durch die Schuldnerin habe seiner Zustimmung bedurft. Schließlich hat das FG keine Unterscheidung zwischen Alt- und Neugeschäften vorge­nommen.

a) Nach den Feststellungen des FG ist die streitige Energiesteuer vor der Er­öffnung des Insolvenzverfahrens entstanden (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG), sodass kein Zweifel daran besteht, dass es sich grundsätzlich um Insolvenz­forderungen nach § 38 InsO handelt.

b) Die streitgegenständlichen Energiesteuerverbindlichkeiten gelten nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO, weil keine Zustimmung des Klägers vorliegt.

aa) Die Energiesteuer entsteht nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG durch den Realakt der Entnahme. Diese erfolgte im Streitfall durch die Kunden der Schuldnerin, ohne dass es hierzu der Zustimmung des vorläufigen Insolvenz­verwalters bedurft hätte.

Der Begriff der "Zustimmung" in § 55 Abs. 4 InsO kann sich im Streitfall des­halb nur auf die den Steuertatbestand auslösende Handlung des Schuldners beziehen. Auch die Lieferung des Energieerzeugnisses durch die Schuldnerin an ihre Kunden weist nicht auf eine Zustimmung des vorläufigen Insolvenz­verwalters hin. Abgesehen davon, dass der Begriff der Lieferung ("geliefertes") der Konkretisierung des Steuerschuldners dient (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 EnergieStG), hat das FG eine ausdrückliche Zustimmung des vorläufigen Insol­venzverwalters zur Lieferung nicht festgestellt.

bb) Soweit das FG eine Zustimmung zur Lieferung angenommen hat, weil der Kläger sich nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) um eine Über­gangs- bzw. Nachfolgelösung für die Schuldnerin bemüht hat, widerspricht dies den Grundsätzen, welche der V. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506 aufgestellt hat (s. oben).

Der V. Senat des BFH hat in dieser Entscheidung geurteilt, dass der InsO eine von der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach den §§ 21 ff. InsO abweichende "tatsächliche" Zustimmung oder eine "faktische" Unterneh­mensfortführung neben einer Unternehmensfortführung i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO fremd sei. Das entspricht auch der Rechtsprechung des BGH, wonach es unerheblich ist, dass der vorläufige Insolvenzverwalter den Schuld­ner zur Fortführung des Geschäftsbetriebs "veranlasst" hat, wenn eine derarti­ge Einflussnahme von Rechts wegen unverbindlich war (BGH-Urteil in BGHZ 151, 353, unter III.2.c bb).

Im Streitfall handelt es sich beim Kläger um einen sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, weil dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden ist (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1, 22 Abs. 1 InsO). Das bedeutet, dass der Kläger rechtlich gar nicht befugt war, die Weiterbelie­ferung zu unterbinden oder gar die bestehenden Lieferverträge (Dauerschuld­verhältnisse) zu kündigen. Denn allein in der Erfüllung eines bestehenden Energieliefervertrages liegt keine Verfügung des Schuldners, welche der Zu­stimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedarf.

cc) Im Übrigen handelt es sich bei den langfristigen Lieferverträgen um sog. Altverträge, welche bereits vor der Bestellung des Klägers als vorläufiger In­solvenzverwalter abgeschlossen worden waren. Auch deshalb konnten nach den dargestellten Grundsätzen keine sonstigen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründet werden.

4. Der Senat entscheidet gemäß §§ 121 Satz 1, 90 Abs. 2 FGO mit Zustim­mung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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    Karin Pede, IHR-ZIEL.DE GmbH, 91320 Ebermannstadt

  • "Mit Ihrer SIS-Datenbank bin ich seit Jahren sehr glücklich, hat mir schon sehr viel geholfen und der Preis ist nach wie vor sehr zivil für diese feine Geschichte."

    G. Grisebach, Steuerberaterin

  • "Auf vieles kann man verzichten - auf SIS niemals! Herzlichen Glückwunsch zur aktuellen SIS-Datenbank, vielen Dank für Ihren äußerst aktuellen Informations-Service"

    Friedrich Heidenberger, Steuerberater, 90530 Wendelstein

  • "Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."

    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

  • Konditionen
  • Online-Datenbank schon ab 32,00 € inkl. USt

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