BFH: Wechselseitige Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen (Anteilsrotation) unter Wert

Ein "Verlust" i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG, der im Zuge ei­ner Anteilsrotation lediglich wegen der Vereinbarung eines den Wert des ver­äußerten Anteils krass verfehlenden Kaufpreises entsteht, führt zu einem ge­setzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil und stellt einen Missbrauch von Ge­staltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AO) dar (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 07.12.2010 – IX R 40/09, BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427 = SIS 11 05 91).

EStG § 17 Abs. 1 Satz 1
AO § 42 Abs. 1 Satz 1, § 42 Abs. 2

BFH-Urteil vom 20.9.2022, IX R 18/21 (veröffentlicht am 26.1.2023)

Vorinstanz: Sächsisches FG vom 6.5.2021, 8 K 1102/20 = SIS 21 14 91

I. Streitig ist, ob ein vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) erlittener Verlust aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft bei seinen Ein­künften aus Gewerbebetrieb (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 des Ein­kommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑) zu berücksichtigen ist oder ob der Verlust wegen eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden kann.

Der Kläger ist Gründungsgesellschafter der mit einem Stammkapital von 260.000 € ausgestatteten X‑GmbH und zur Hälfte am Kapital der Gesellschaft beteiligt. Neben dem Kläger war im Streitjahr (2017) auch A zur Hälfte am Stammkapital der X‑GmbH beteiligt. Sowohl der Kläger als auch A waren zu Geschäftsführern der X‑GmbH bestellt.

In einem an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gerich­teten, vom 19.04.2017 datierenden Antrag auf verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO bekundeten die Gesellschafter ihre Absicht, "die im Privatver­mögen gehaltenen Geschäftsanteile wechselseitig im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu veräußern". Das FA wurde um Auskunft ersucht, ob durch die wechselseitige Anteilsveräußerung bei jedem Gesellschafter ‑‑ohne Be­rücksichtigung der noch nicht bekannten Veräußerungskosten‑‑ ein (steuerlich berücksichtigungsfähiger) Verlust i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG in Höhe von 292.500 € entstehe. Dabei gingen die Antragsteller von folgenden Berechnungsgrundlagen aus:

Veräußerungspreis 12.500 € x 60 % 7.500 €
./. Veräußerungskosten ??? € x 60 % ??? €
./. Anschaffungskosten 500.000 € x 60 % 300.000 €
= Verlust (ohne Veräußerungskosten) mindestens 292.500 €

In einer Unterredung mit Vertretern des FA trugen die Gesellschafter vor, dass sie Privatdarlehen (Valuta jeweils 500.000 €) aufgenommen hätten, um den Erwerb ihrer Geschäftsanteile zu finanzieren, und dass diese noch in Höhe von jeweils 187.500 € valutierten. Die in den vor 2017 liegenden Geschäftsjahren von der X‑GmbH vorgenommenen Ausschüttungen hätten die Gesellschafter u.a. zur anteiligen Tilgung der Anschaffungsdarlehen verwendet. Da nach einer ursprünglich guten Entwicklung der Gesellschaft der Veränderungsdruck in der maßgeblichen Branche inzwischen deutlicher spürbar sei, beab­sichtigten sie, ihre Geschäftsanteile (Stammkapital jeweils 130.000 €) wech­selseitig zu einem geringen Preis (12.500 €) an den jeweils anderen Gesell­schafter zu veräußern (sog. Anteilsrotation); der daraus erzielte Verlust solle es ihnen ermöglichen, entstehende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (Steuererstattungen) sodann für die weitere Tilgung der zur Finanzierung der Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile aufgenommenen Darlehen zu verwenden. Das FA lehnte unter dem 27.11.2017 die Erteilung einer verbindli­chen Auskunft ab.

Unter dem 27.12.2017 schloss der Kläger mit A einen privatschriftlichen Kauf- und Abtretungsvertrag über Geschäftsanteile, mit dem er seinen Geschäfts­anteil an der X‑GmbH in Höhe von 130.000 € an A zum Kaufpreis von 12.500 € veräußerte und "mit allen Rechten und Pflichten" an A abtrat. A nahm die Abtretung "zum 23.12.2017" an. Der auf den vom Kläger veräußer­ten Geschäftsanteil entfallende Gewinn des laufenden Geschäftsjahres sowie auf den verkauften Geschäftsanteil entfallende noch nicht verteilte Gewinne früherer Geschäftsjahre sollten dem Käufer (A) zustehen. Am selben Tag übertrug auch A seinen Geschäftsanteil durch privatschriftliche Einigung und Abtretung zu gleichen Konditionen auf den Kläger; dieser hatte den Kaufpreis für die von A erworbenen Geschäftsanteile bereits am 22.12.2017 überwiesen.

Unter dem 30.01.2018 schlossen der Kläger und A (erneut) einen ‑‑nunmehr notariell beurkundeten‑‑ "Vertrag über den Verkauf und die Abtretung eines Geschäftsanteils einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung", mit dem der Kläger ‑‑unter identischen vertraglichen Bedingungen‑‑ seinen Geschäftsanteil an der X‑GmbH an A veräußerte und abtrat.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger ei­nen Verlust aus der Veräußerung seines Geschäftsanteils an der X‑GmbH i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG in Höhe von (Veräußerungspreis 12.500 € ./. Anschaffungskosten 500.000 € = 487.500 € x 60 % =) 292.500 € geltend. Das FA erkannte den Verlust im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 28.12.2018 schon deshalb nicht an, weil der notariell beurkun­dete Vertrag über die Veräußerung und Abtretung der Geschäftsanteile nicht im Streitjahr, sondern erst im Jahr 2018 geschlossen worden sei.

Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. In seiner Einspruchsentschei­dung vom 16.09.2020 führte das FA aus, die Entwicklung des Eigenkapitals der X‑GmbH, des steuerlichen Jahresüberschusses sowie der Gewinnausschüt­tungen und der Gesellschafter-Geschäftsführer-Gehälter ließen nicht den Schluss zu, dass der vom Käufer (A) gezahlte Kaufpreis in Höhe von 12.500 € angemessen gewesen sei. Vielmehr habe eine Ermittlung des gemeinen Werts der X‑GmbH nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§ 199 ff. des Be­wertungsgesetzes) auf den 30.01.2018 einen Ertragswert in Höhe von 1.494.845 € und einen Substanzwert in Höhe von 282.551 € ergeben. Als ge­meiner Wert sei der höhere Wert in Höhe von 1.494.845 € anzusetzen. Die Anerkennung des Veräußerungsverlusts scheitere mithin jedenfalls wegen ei­nes vorliegenden Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO.

Mit der hiergegen gerichteten Klage verwies der Kläger zum einen darauf, dass das wirtschaftliche Eigentum an den von ihm veräußerten Kapitalgesellschafts­anteilen bereits im Streitjahr auf A übergegangen sei. Zum anderen machte der Kläger unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 07.12.2010 ‑ IX R 40/09 (BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427) geltend, eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO liege nicht vor.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die vom Kläger gewählte Gestaltung der Anteilsrotation zwar nicht schon deshalb als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, weil beide Gesellschafter am selben Tag einen gleichen Anteil vom Mitgesellschafter zum selben Preis erworben haben. Im Streitfall hätten die Gesellschafter indes ihren Kapitalgesellschaftsanteil offensichtlich weit unter Wert veräußert, sodass die Veräußerungen zu Verlus­ten führten, die im Streitjahr den Beteiligungen an der X‑GmbH nicht imma­nent gewesen seien. Eine Berücksichtigung der Verluste entspräche daher ge­rade nicht der Besteuerung nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren nach Berücksichtigung des Veräußerungsverlusts weiter. Er vertritt die Auffassung, er habe sein wirt­schaftliches Verhalten im Rahmen der Rechtsordnung frei wählen und gestal­ten können. Er habe im Vergleich zu einer Liquidation, zu einem Verkauf, zu einer Insolvenz oder Umwandlung zu keinem Zeitpunkt einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil erlangt, da er die Anteile an der X‑GmbH nicht unter ihrem Wert veräußert habe. Vielmehr habe der Veräußerungspreis dem ‑‑nach den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zur Durchführung von Unter­nehmensbewertungen (IDW S1 i.d.F. 2008) ermittelten‑‑ Liquidationswert des Unternehmens, der die Wertuntergrenze für den Unternehmenswert bestim­me, entsprochen; dieser Wert sei im finanzgerichtlichen Verfahren "nicht hin­terfragt" worden. Durch die negative Branchenentwicklung sowie aufgrund der sich veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen hätten positive Ertragserwartungen der X‑GmbH nicht abgebildet werden können. Stille Reserven in den Wirtschaftsgütern seien nicht vorhanden. In dem sich konzentrierenden Marktumfeld fehle es an Kaufinteressenten. Das Eigenkapital der X‑GmbH habe zum 31.12.2020 nur noch ca. 80.000 € be­tragen; ein weiterer Jahresfehlbetrag habe im Folgejahr das Eigenkapital auf­gezehrt. Da die von den Gesellschaftern zur Finanzierung der Anschaffungs­kosten ihrer Geschäftsanteile aufgenommenen Privatdarlehen zum 31.12.2017 noch valutierten, sei eine Rückführung aus künftigen Überschüssen (Ausschüt­tungen) prognostisch durch die Ertragsentwicklung nicht zu realisieren gewe­sen.

Zu Unrecht habe das FG die Bewertung der X‑GmbH ‑‑den Ermittlungen des FA folgend‑‑ im vereinfachten Ertragswertverfahren vorgenommen. Dieses Verfahren stelle eine vereinfachte (typisierte) Wertermittlung von nichtnotier­ten Anteilen an Kapitalgesellschaften für die Erbschaftsteuer ab 01.01.2009 dar. Vorliegend seien die Gesellschaftsanteile indes unter fremden Dritten ver­äußert bzw. erworben worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des FG vom 06.05.2021 ‑ 8 K 1102/20 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 28.12.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2020 dahin zu ändern, dass ein Veräuße­rungsverlust i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe von 292.500 € festge­setzt wird.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA verweist im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils des FG.

II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichts­ordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat den vom Kläger geltend gemach­ten Veräußerungsverlust im Ergebnis zutreffend nicht der Besteuerung unter­worfen.

1. Die vom Kläger sinngemäß erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Nicht von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler sind nur zu berücksich­tigen, wenn sie innerhalb der Revisionsbegründungsfrist in einer den Anforde­rungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO entsprechenden Weise begrün­det worden sind (z. B. BFH-Urteil vom 29.05.2008 ‑ VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Der Kläger hat im Zuge des finanzgerichtlichen Verfahrens seine Behaup­tung, dass der Veräußerungspreis der von ihm abgetretenen Geschäftsanteile (12.500 €) dem Wert des Unternehmens zum Zeitpunkt der Abtretung ent­sprochen habe, nicht durch einen entsprechenden Nachweis unterlegt. Im Re­visionsverfahren hat der Kläger im Rahmen einer vom 09.11.2022 datierenden Erwiderung zur Stellungnahme des FA ‑‑außerhalb der mit 20.08.2022 abge­laufenen (verlängerten) Revisionsbegründungsfrist‑‑ erstmals gerügt, dass im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens eine von ihm vorgenommene Er­mittlung des "Liquidationswerts" der X‑GmbH "weder angefordert noch hin­terfragt" worden sei; er, der Kläger, habe daher davon ausgehen dürfen, dass der von ihm ermittelte Wert nicht streitig gewesen sei. Im Rahmen seiner Er­mittlungspflicht hätte das Gericht die Wertermittlung anfordern können und jederzeit erhalten.

b) Die darin liegende sinngemäße Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), die nicht zu den von Amts wegen zu beachtenden Mängeln zählt, genügt schon nicht den gesetzlichen Begründungsanforderun­gen. Wird der Verstoß gegen Vorschriften des Prozessrechts gerügt, auf deren Be­achtung die Beteiligten verzichten können, muss u.a. vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt worden ist oder weshalb dem Betei­ligten eine derartige Rüge nicht möglich war. Der Schriftsatz des Klägers vom 09.11.2022 enthält hierzu keine Ausführungen. Dessen ungeachtet kann der Kläger mit seiner erstmals mit Schriftsatz vom 09.11.2022 und damit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorgebrachten Rüge nicht mehr gehört werden. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

2. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesell­schaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Ver­äußerungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräu­ßerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) Der Veräußerungsgewinn ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Veräußerung, die mit der entgeltlichen Übertragung des (zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen) Eigentums an den Kapitalgesellschaftsanteilen durch den Veräußerer auf den Erwerber verwirklicht wird.

b) Wirtschaftliches Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil erlangt, wer nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Ge­winnbezugs- und Stimmrecht) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann. Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ist die Rechtsstellung des wirtschaftli­chen Eigentümers dadurch gekennzeichnet, dass er den zivilrechtlichen Eigen­tümer im Regelfall von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Ihm muss etwa auch der wirtschaftliche Erfolg aus einer (Weiter‑)Veräußerung gebühren (vgl. BFH-Urteile vom 25.05.2011 ‑ IX R 23/10, BFHE 234, 55, BStBl II 2012, 3; vom 24.01.2012 ‑ IX R 69/10, BFH/NV 2012, 1099).

Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf ei­nen Erwerber über, wenn der Käufer des Anteils

(1) aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine recht­lich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und

(2) die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermö­gens‑)Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie

(3) Risiko und Chance von Wertveränderungen auf ihn übergegangen sind.

Danach erlangt wirtschaftliches Eigentum, wer nach dem Inhalt der getroffe­nen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Ver­mögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Gewinnbezugs- und Stimm­recht) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 234, 55, BStBl II 2012, 3, und in BFH/NV 2012, 1099, m.w.N.).

c) Die Feststellungen des FG reichen schon nicht aus, um von einer Übertra­gung des zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums am Anteil des Klä­gers an der X‑GmbH auf A im Streitjahr auszugehen.

Die Übertragung (Veräußerung und Abtretung) der Anteile an der X‑GmbH vom Kläger auf A vom 27.12.2017 ist nicht notariell beurkundet worden; sie ist daher formnichtig (§ 15 Abs. 3 und 4 des Gesetzes betreffend die Gesell­schaften mit beschränkter Haftung ‑‑GmbHG‑‑, § 125 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Der Formmangel des Verpflichtungsvertrags wurde gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG erst durch die formgerechte Abtretung der Geschäftsan­teile mit notariell beurkundetem Verkaufs- und Abtretungsvertrag vom 30.01.2018 geheilt. Die Heilung hat nur Wirkung für die Zukunft (vgl. BFH-Ur­teil vom 22.07.2008 ‑ IX R 61/05, BFH/NV 2008, 2004, m.w.N.); vor diesem Hintergrund wäre ein Veräußerungsgewinn des Klägers grundsätzlich für den genannten Zeitpunkt (und mithin erst im Veranlagungszeitraum 2018) zu er­mitteln; dies schlösse die Berücksichtigung eines etwaigen Verlusts im Streit­jahr aus.

Das FG hat keinerlei Feststellungen getroffen, die den Schluss zulassen, dass das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Kapitalgesellschaftsanteilen bereits zu einem früheren Zeitpunkt (d.h. im Streitjahr) ‑‑auf der Grundlage der formnichtigen Vereinbarungen im privatschriftlichen Vertrag vom 27.12.2017 oder aufgrund anderweitiger (zusätzlicher) Vereinbarungen‑‑ auf A übergegangen ist. Zwar kann wirtschaftliches Eigentum an Kapitalgesell­schaftsanteilen auch dann erworben werden, wenn einander nicht naheste­hende Vertragsparteien die in einem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen tatsächlich durchführen (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 2004, m.w.N.). Indes fehlt es im Streitfall an Anhaltspunkten, weshalb A trotz der Nichtigkeit des mit dem Kläger geschlossenen privatschriftlichen Vertrags vom 27.12.2017 eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position (Anwartschaftsrecht) erworben haben sollte und die mit den Anteilen verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko und die Chance von Wert­veränderungen auf ihn übergegangen sein sollten. Vor diesem Hintergrund scheidet eine Berücksichtigung des vom Kläger geltend gemachten Verlusts aus der Veräußerung im Streitjahr schon dem Grunde nach aus.

d) Einer Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhand­lung und Entscheidung, insbesondere zur Nachholung von Feststellungen zu einem eventuellen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den veräußer­ten Kapitalgesellschaftsanteilen im Streitjahr, bedarf es nicht. Denn das FG hat den vom Kläger geltend gemachten Veräußerungsverlust zu Recht auch des­halb nicht der Besteuerung unterworfen, weil die vom Kläger und seinem Mit­gesellschafter A vorgenommene (wechselseitige) Veräußerung der Geschäfts­anteile an der X‑GmbH einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO darstellt.

3. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch den Missbrauch von Gestaltungs­möglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinde­rung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S. des § 42 Abs. 2 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen ange­messenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Ein Missbrauch liegt nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn eine unange­messene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem ge­setzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nach­weist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO).

a) Einem Steuerpflichtigen steht es frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Denn die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht nicht nur im Einklang mit § 17 EStG, sondern entspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit; sie ist damit nicht von vornhe­rein rechtsmissbräuchlich (BFH-Urteil in BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427).

Etwas anderes kann dann gelten, wenn ein "Verlust" nur dadurch entsteht, dass die Beteiligten einen unzutreffenden, die Wertverhältnisse des zur Veräu­ßerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteils in krasser Weise verfehlenden Kaufpreis vereinbaren; denn in diesem Fall ist der "Verlust" nicht ‑‑wie im Fall des BFH-Urteils in BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427‑‑ durch eine den Kapital­gesellschaftsanteilen innewohnende Wertminderung, sondern durch einen Ver­kauf von Anteilen weit unter Wert zustande gekommen. Dies gilt für § 42 AO in der vorliegend anzuwendenden Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150) in gleicher Weise wie für § 42 AO i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3794); vgl. allgemein zum Verhältnis der gesetzlichen Umschreibung des Missbrauchstat­bestands in § 42 Abs. 2 Satz 1 AO zur höchstrichterlichen Rechtsprechung BFH-Urteil vom 29.09.2021 ‑ I R 40/17 (BFH/NV 2022, 528, Rz 56), Klein/Ratschow (AO, 16. Aufl., § 42 Rz 45), Drüen in Tipke/Kruse (Vorbe­merkungen zur Neufassung des § 42 AO durch das JStG 2008, Rz 36 ff.).

b) Im Streitfall war der gewählte Weg des wechselseitigen Anteilsverkaufs un­ter Wert zur Verlustnutzung rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO.

aa) Die X‑GmbH war nach den nicht mit zulässigen und begründeten Revisi­onsrügen angegriffenen und mithin den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden­den Feststellungen des FG im Zeitpunkt der Veräußerung wirtschaftlich erfolg­reich. So wies der Jahresabschluss der X‑GmbH zum 31.12.2017 ein Eigenka­pital in Höhe von mehr als 291.000 € aus, welches sich zum 31.12.2018 sogar noch auf über 317.000 € erhöhte. Sowohl im Streitjahr wie auch im Folgejahr und in den Vorjahren erzielte die X‑GmbH positive Jahresüberschüsse, die die Gesellschaft für Gewinnausschüttungen (im Streitjahr in Höhe von 134.745,55 €) nutzte. Überdies bezog der Kläger ein Geschäftsführergehalt im Streitjahr in Höhe von 93.955 €, sein Mitgesellschafter A ein Geschäftsführer­gehalt in Höhe von 97.314 €. Diese wirtschaftlichen Kennzahlen lassen nicht den Schluss zu, dass der von den Vertragsbeteiligten vereinbarte Kaufpreis in Höhe von (jeweils) 12.500 € auch nur annähernd dem Wert der veräußerten Geschäftsanteile im Veräußerungszeitpunkt entsprach. Zu Recht ist das FG in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass sich bei der dargestellten Ertragslage der X‑GmbH der Ansatz eines etwaigen "Liquidationserlöses" in Höhe des Mindeststammkapitals gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG als maßgeblicher Gesamtwert der veräußerten Kapitalgesellschaftsanteile verbiete. Substantielle Einwendungen hiergegen hat der Kläger im Revisionsverfahren nicht erhoben.

Der "Verlust" des Klägers aus der Veräußerung war mithin im Veräußerungs­zeitpunkt nicht real eingetreten, sondern nur das rechnerische Ergebnis der vertraglichen Vereinbarung eines Unter-Wert-Verkaufs, bei dem der (jeweilige) Kaufpreis die Wertverhältnisse der (jeweils) zur Veräußerung bestimmten Ka­pitalgesellschaftsanteile in krasser Weise verfehlte; er spiegelt demnach auch nicht eine geminderte Leistungsfähigkeit des Klägers wider.

bb) Darüber hinaus wird aus dem Vortrag des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren sowie aus seinen Ausführungen im Antrag auf verbindliche Auskunft vom 19.04.2017 deutlich, dass der vom Kläger und seinem Mitgesellschafter A durchgeführten Anteilsrotation kein realer wirtschaftlicher Hintergrund beige­messen werden kann; denn diese diente lediglich dem Zweck, durch das Aus­lösen eines ‑‑mit der Vereinbarung eines gegenseitigen Verkaufs unter Wert verbundenen‑‑ Steuererstattungsanspruchs die Möglichkeit zur Tilgung priva­ter Aufwendungen zu schaffen. Dies stellt für sich keinen beachtlichen außer­steuerlichen Grund für die gewählte Vertragsgestaltung dar (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO).

Hinzu kommt, dass die (formnichtigen) Vereinbarungen zur Veräußerung und Abtretung des vom Kläger gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteils im Streitfall ersichtlich der Vorverlagerung des Veräußerungszeitpunkts vor den Zeitpunkt einer zivilrechtlich wirksamen (notariell beurkundeten) Veräußerung und Ab­tretung dienten; zu diesem Zweck hat der Kläger auch den Kaufpreis für den Erwerb der einzutauschenden Anteile des A zu einem Zeitpunkt entrichtet, zu dem noch nicht einmal der formnichtige Kauf- und Abtretungsvertrag ge­schlossen war.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die an der Anteilsrotation beteiligten Vertragsparteien ‑‑der Kläger und A‑‑ die jeweilige Übertragung ihres Anteils unter Wert nur deshalb vorgenommen haben, weil sie im Gegenzug hierfür (zivil‑)rechtlich zwar einen "anderen", wirtschaftlich gesehen jedoch einen wertidentischen Kapitalgesellschaftsanteil zu einem dem realen Wert nicht entsprechenden Kaufpreis zurückerhalten haben. Derartige gegenläufige (oder ringförmige) Rechtsgeschäfte werden von der höchstrichterlichen Rechtspre­chung (vgl. etwa BFH-Urteile vom 08.03.2017 ‑ IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930, m.w.N., und vom 31.07.1984 ‑ IX R 3/79, BFHE 142, 347, BStBl II 1985, 33) als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn sie keine ver­ständliche wirtschaftliche Veränderung bewirken (und auch nicht bewirken sol­len). Für derartige Fälle ist anerkannt, dass ein steuerrechtlich dem Grunde nach erheblicher (vgl. BFH-Urteil in BFHE 232, 1, BStBl II 2011, 427) Vorgang dann nicht berücksichtigt werden kann, wenn er nach dem Willen des Steuer­pflichtigen durch einen gegenläufigen Rechtsakt erst geschaffen oder wieder ausgeglichen wird und damit von vornherein eine wirtschaftliche Belastung vermieden werden soll (BFH-Urteil in BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930, m.w.N.).

cc) Vor diesem Hintergrund ist die Wertung des FG, dass die im Streitfall zu beurteilende Anteilsrotation unter Vereinbarung eines den Wert des veräußer­ten Wirtschaftsguts krass verfehlenden Kaufpreises zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt und mithin einen Missbrauch von Gestal­tungsmöglichkeiten des Rechts darstellt, von Rechts wegen nicht zu beanstan­den. Die Schwelle zur Unangemessenheit (§ 42 Abs. 2 Satz 1 AO) und damit zum Rechtsmissbrauch ist im Streitfall ohne jeden Zweifel überschritten.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

  • Konditionen
  • Online-Datenbank schon ab 32,00 € inkl. USt

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