BFH: Steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten im Falle des sog. Bondstripping (teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 30.11.2022 VIII R 30/20)

  1. Nach der Rechtslage bis zur Einfügung des § 20 Abs. 2 Sätze 4 und 5, Abs. 4 Sätze 8 und 9 EStG durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 sind im Fall des sog. Bondstripping von im Privatvermögen gehal­tenen Bundesanleihen deren Anschaffungskosten nicht auf den durch die Trennung entstandenen Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen.
  2. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 gelten­den Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm kei­ne Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.

EStG 2013 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b

BFH-Urteil vom 30.11.2022, VIII R 15/19 (veröffentlicht am 2.3.2023)

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 29.3.2019, 1 K 2163/16 E,F = SIS 19 12 94

A. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden für das Streitjahr 2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger erwarb am xx.xx.2013 über ein bei der X-Bank geführtes Wertpapierdepot eine Bundesanleihe zu ei­nem Kaufpreis von 999.999,20 € (einschließlich gezahlter Stückzinsen in Höhe von 24.561,29 €). Die Anleihe hatte eine Laufzeit bis zum xx.xx.2040. Nach dem Erwerb erteilte der Kläger seiner depotführenden Bank die Weisung, die Bundesanleihe in den Anleihemantel und die Zinsscheine zu trennen. Am 07.05.2013 veräußerte der Kläger die Zinsscheine zu einem Kaufpreis von ins­gesamt 624.833,91 €. Am 13.05.2013 veräußerte er den Anleihemantel zu ei­nem Kaufpreis von 328.836,30 € an die A‑GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war. Die A‑GmbH veräu­ßerte den Anleihemantel am 15.05.2013 zu einem Kaufpreis von 327.108,06 €.

Am xx.xx.2013 erwarb der Kläger eine weitere Bundesanleihe mit einer Lauf­zeit bis zum xx.xx.2039 zu einem Kaufpreis von 979.999,54 € (einschließlich gezahlter Stückzinsen in Höhe von 25.323,02 €). Nach dem Erwerb veranlass­te der Kläger ebenfalls die Trennung der Bundesanleihe in den Anleihemantel und die Zinsscheine. Am 23.05.2013 veräußerte er die Zinsscheine zu einem Kaufpreis von 589.159,72 €. Am 29.05.2013 veräußerte er den Anleihemantel zu einem Kaufpreis von 356.165,96 € an die A‑GmbH. Diese veräußerte den Anleihemantel am 31.05.2013 zu einem Kaufpreis von 358.988,45 €.

Die Mittel zum Erwerb der Anleihemäntel stellte der Kläger der A‑GmbH je­weils darlehensweise zur Verfügung.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger in der Anlage KAP bei den Kapitalerträgen, die nicht dem inländischen Steuerab­zug unterlegen haben, einen Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine in Höhe von insgesamt 1.213.993,63 € als dem gesonderten Tarif unterliegende Kapitaleinkünfte des Klägers nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b des Ein­kommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Dar­über hinaus erklärten sie einen Verlust aus der Veräußerung der Anleihemän­tel in Höhe von insgesamt 1.245.112,17 €, den sie gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG als der tariflichen Einkommensteuer unterliegende und gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG von der Verlustverrechnungsbeschrän­kung des § 20 Abs. 6 EStG ausgenommene negative Kapitaleinkünfte des Klä­gers i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG geltend machten. Bei der Ermitt­lung der Veräußerungsgewinne bzw. ‑verluste ordneten sie die Anschaffungs­kosten der Bundesanleihen (mit Ausnahme der auf die Stückzinsen entfallen­den Beträge) vollständig den jeweiligen Anleihemänteln zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) veranlagte die Kläger zunächst erklärungsgemäß mit Einkommensteuerbescheid und mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Ein­kommensteuer auf den 31.12.2013, zuletzt vom 05.04.2016.

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, die vom Kläger gewählte Gestaltung, insbesondere die Veräußerung der Anleihe­mäntel an die A‑GmbH, stelle einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO) dar. Der Steueranspruch entstehe da­her gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 AO so, wie dies bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung der Fall sei. Demzufolge seien die Ver­luste aus der Veräußerung der Anleihemäntel nach § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG le­diglich mit den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine und den sons­tigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, verrechenbar.

Am 27.04.2016 erließ das FA einen entsprechend geänderten Einkommensteu­erbescheid. Ebenfalls am 27.04.2016 erließ es einen geänderten Verlustfest­stellungsbescheid, in dem es gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 10d EStG für die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen einen verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2013 in Höhe von 101.341 € feststellte.

Der gegen diese Bescheide eingelegte Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 21.06.2016). Die nachfolgend erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit in Entscheidungen der Finanzge­richte (EFG) 2019, 1389 veröffentlichtem Urteil vom 29.03.2019 ab.

Mit der hiergegen erhobenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materi­ellen Rechts sowie das Vorliegen eines Verfahrensfehlers.

Sie machen geltend, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die An­schaffungskosten auf den Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen seien. Die Aufspaltung der Bundesanleihe führe nicht zu einer Substanzabspaltung, sondern lediglich zu einer Abspaltung von Erträgen. Es liege auch kein Miss­brauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. § 42 AO werde im Streitfall durch die spezialgesetzliche Missbrauchsregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG verdrängt. Abgesehen davon habe der Kläger keinen vom Ge­setz nicht vorgesehenen Steuervorteil in Anspruch genommen. Der Steuervor­teil des Klägers bestehe darin, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Zins­scheine nur dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG, der Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel hingegen dem allgemeinen Einkommensteuer­tarif unterliege. Hierfür ursächlich sei die Entscheidung des Gesetzgebers, zwei unterschiedliche Steuertarife für die Einkünfte aus Kapitalvermögen vorzuse­hen. Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuertarife seien der Schedulenbe­steuerung des § 32d EStG immanent und damit vom Gesetz vorgesehen.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 29.03.2019 ‑ 1 K 2163/16 E, F aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 27.04.2016 und den Be­scheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2013 vom 27.04.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentschei­dung vom 21.06.2016, dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermö­gen, die der tariflichen Steuer unterliegen, um 1.245.113 € auf ./. 1.234.613 € herabgesetzt und die Verluste aus Kapitalvermögen (ohne Veräußerung von Aktien), die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, um 1.245.113 € auf 45.438 € verringert werden und ein verbleibender voll verre­chenbarer Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 4 EStG in Höhe von 8.244 € für den Kläger und in Höhe von 1.756 € für die Klägerin festgestellt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

B. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur­teils. Der Senat kann nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsord­nung (FGO) in der Sache selbst entscheiden und gibt der Klage statt. Danach sind der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 27.04.2016 (unter B.I.) und der Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2013 (unter B.II.), jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.06.2016, antragsgemäß zu ändern (unter B.III.).

I. Das FG hat die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid vom 27.04.2016 zwar zu Recht als zulässig angesehen, jedoch in der Sache zu Unrecht ent­schieden, dass die negativen Kapitaleinkünfte des Klägers aus der Veräuße­rung der Anleihemäntel dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterlie­gen und daher nach § 2 Abs. 5b EStG bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht zu berücksichtigen sind.

1. Das FG hat die Zulässigkeit der Klage, die als Sachentscheidungsvorausset­zung für das FG-Urteil vom Bundesfinanzhof (BFH) in jeder Lage des Verfah­rens von Amts wegen zu überprüfen ist (BFH-Urteil vom 03.04.2008 ‑ IV R 54/04, BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742), zu Recht be­jaht. Zwar begehren die Kläger eine höhere Festsetzung der Einkommensteuer für das Streitjahr. Dies steht ihrer Beschwer nach § 40 Abs. 2 FGO aber nicht entgegen.

a) Eine Beschwer nach § 40 Abs. 2 FGO ergibt sich, wie das FG zu Recht an­nimmt, daraus, dass die Kläger den Einkommensteuerbescheid für das Streit­jahr vom 27.04.2016 anfechten müssen, um das Ziel der Feststellung eines verbleibenden voll verrechenbaren Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2013 zu erreichen. Denn für die der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommen­steuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundla­genbescheid ist. Im Streitfall entfaltet der angefochtene Einkommensteuerbe­scheid insofern eine negative Bindungswirkung, als in diesem keine vortragsfä­higen negativen Einkünfte, die unbeschränkt verrechenbar sind, berücksichtigt werden, sondern ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 92.625 € zugrunde gelegt wird. Da das Begehren der Kläger jeweils auch auf die Feststellung voll verrechenbarer Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31.12.2013 gemäß § 10d EStG gerichtet ist, müssen sie die negative Bin­dungswirkung des Einkommensteuerbescheids beseitigen, damit die Verlust­vorträge in der von ihnen begehrten Höhe festgestellt werden können (vgl. BFH-Urteile vom 30.06.2020 ‑ IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 18; vom 23.11.2021 ‑ VIII R 22/18, BFHE 275, 99, Rz 23).

b) Der danach bestehenden Beschwer steht nicht entgegen, dass das Begeh­ren der Kläger auch auf einen Verlustrücktrag in das Jahr 2012 gerichtet ist. Denn da die Kläger nach § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG zulässigerweise beantragt haben, den Verlustrücktrag für den Kläger auf einen Betrag in Höhe von 1.142.488 € zu begrenzen und für die Klägerin von einem Verlustrücktrag ab­zusehen, kann sich, wenn die gegen den Einkommensteuerbescheid vom 27.04.2016 gerichtete Klage Erfolg hat, ein verbleibender Verlustvortrag auf den 31.12. des Streitjahres als des Verlustentstehungsjahres für jeden der Ehegatten ergeben (vgl. BFH-Urteile vom 27.10.2020 ‑ IX R 5/20, BFHE 271, 359, BStBl II 2021, 600, Rz 44; vom 10.03.2020 ‑ IX R 24/19, BFH/NV 2020, 873, Rz 32, und vom 17.09.2008 ‑ IX R 72/06, BFHE 222, 571, BStBl II 2009, 639, unter II.2.a).

2. Das Urteil ist jedoch aufzuheben, da das FG rechtsfehlerhaft die Klage als unbegründet abgewiesen hat. Es hat verkannt, dass der Verlust aus der Ver­äußerung der Anleihemäntel in der erklärten Höhe als tariflicher Verlust der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr zugrunde zu legen ist.

a) Die Veräußerung der Anleihemäntel und die Veräußerung der Zinsscheine führen, wie das FG dem Grunde nach zu Recht erkannt hat, zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG und nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG.

aa) Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuld­verschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mitver­äußert werden. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Ka­pitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sonstige Kapitalfor­derungen in diesem Sinne sind Geldforderungen, bei denen die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermö­gens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.

bb) Danach führen die isolierte Veräußerung der Zinsscheine zu Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG und die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel zu Einkünften aus Kapi­talvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Kläger aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hat, führt zu kei­nem anderen Ergebnis. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsver­lust, erfasst (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2018 ‑ VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 12).

b) Das FG hat jedoch den aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verlust der Höhe nach unzutreffend gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ermittelt.

aa) Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 EStG der Un­terschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Auf­wendungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Veräußerungsge­schäft stehen, und den Anschaffungskosten. Anschaffungskosten sind gemäß § 255 des Handelsgesetzbuchs (HGB) die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsberei­ten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zuge­ordnet werden können.

bb) Im Streitfall belaufen sich die maßgeblichen Anschaffungskosten der Anlei­hemäntel im Veräußerungszeitpunkt ‑‑wie von den Klägern erklärt‑‑ auf insge­samt 1.930.114,43 €. Entgegen der Auffassung des FG sind die Anschaffungs­kosten der erworbenen Bundesanleihen nicht jeweils auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen.

aaa) Eine Aufteilung von Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 HGB kommt entsprechend dem dieser Norm zugrunde liegenden Surrogationsge­danken zwar auch dann in Betracht, wenn ein ursprünglich vom Steuerpflichti­gen angeschaffter Vermögensgegenstand durch mehrere andere Vermögens­gegenstände ersetzt wird und sich die auf den ursprünglich angeschafften Ver­mögensgegenstand entfallenden Anschaffungskosten anteilig in mehreren Er­satzvermögensgegenständen fortsetzen. Eine derartige Fortsetzung der ur­sprünglichen Anschaffungskosten in mehreren Vermögensgegenständen mit der Folge einer Aufteilung der ursprünglichen Anschaffungskosten auf die ver­schiedenen Vermögensgegenstände hat der BFH beispielsweise im Fall einer Grundstücksteilung (BFH-Urteil vom 19.07.1983 ‑ VIII R 161/82, BFHE 139, 251, BStBl II 1984, 26) und im Fall der Ausgabe von Bezugsrechten oder von neuen Gesellschaftsrechten aufgrund einer Kapitalerhöhung, die wirtschaftlich zu einer Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz und des­halb zu einer Abspaltung eines Teils der ursprünglichen Anschaffungskosten führt, angenommen (BFH-Urteile vom 21.01.1999 ‑ IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, und vom 22.05.2003 ‑ IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712).

Im Unterschied zu den vorgenannten Fällen kommt es bei der Aufspaltung der Bundesanleihen jedoch nicht zu einer Substanzabspaltung. Obwohl nach der Trennung der Anleihen in die Anleihemäntel und die Zinsscheine jeweils nur noch sonstige Kapitalforderungen in Form von Nullkuponanleihen vorliegen, aus denen der jeweilige Inhaber den Zins oder das Kapital einziehen kann, ergibt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, dass die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine als entgeltliche Vorausabtretung von Zinser­trägen zu behandeln ist (s.a. unter B.2.b bb bbb; gleicher Ansicht Becker-Pennrich, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2017, 7, 11; Haisch/Bindl, Corporate Finance Law 2010, 319, 322; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 20 EStG Rz 542; vgl. auch HHR/Klein, Anh. zu § 20, § 38 InvStG Rz 30; Cornelius/Loleit, Neue Wirtschafts-Briefe Erben und Vermögen ‑‑NWB‑EV-- 2015, 389, 392; Kußmaul/Kloster, Der Steuerberater 2017, 22, 27; andere Auffassung Ronig, Neue Wirtschafts-Briefe 2015, 2223, 2227). Die in den Zinsscheinen verkörperten Zinsen sind Früchte der Anleihe, nicht Teil ihrer Substanz. Die für die Zinserträge maßgeblichen Grundlagen wie die Höhe der Kapitalüberlassung, die Höhe des Zinssatzes und die Fälligkeitstermine erge­ben sich auch nach der Trennung ausschließlich aus den Bedingungen des An­leihemantels. Dementsprechend liegt in der Abtrennung der Zinsscheine keine Aufspaltung der Anleihen in ihrer Substanz.

bbb) Eine Abspaltung eines Teils der auf die ungetrennte Anleihe entfallenden Anschaffungskosten auf die nach der Trennung entstandenen Zinsscheine folgt entgegen der Auffassung des FA auch nicht daraus, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG der "Gewinn" aus der Veräußerung der Zinsschei­ne der Besteuerung unterliegt und § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG den Gewinn als den Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen und den Anschaffungskosten definiert. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, der darin besteht, die Besteuerung der Zinserträge auf den Zeitpunkt der Veräußerung der Zinsscheine vorzuverlagern, da der Veräußerer mit dem Entgelt aus der Veräußerung wirtschaftlich betrachtet den Ertrag sei­nes Kapitals realisiert. Ohne die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG könnte der Veräußerer der Zinsscheine das Veräußerungsent­gelt zunächst steuerfrei vereinnahmen und müsste die Zinserträge erst zum Zeitpunkt der späteren Zinszahlung versteuern. Mit der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass nach der Abtrennung in der Veräußerung der Zinsscheine keine Teilveräuße­rungen der ursprünglichen Anleihe gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu sehen sind, sondern er den vollen "Zinsertrag" noch beim Veräußerer versteu­ern will. Diesem vorgezogenen Kapitalertrag sind beim (Erst-)Veräußerer der Zinsscheine keine Anschaffungskosten gegenüberzustellen. Erst der (Zweit-)Er­werber trägt Anschaffungskosten durch den Erwerb der Zinsscheine und erzielt im Falle einer Weiterveräußerung einen Gewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG (vgl. Becker-Pennrich, FR 2017, 7, 11; Cornelius/Loleit, NWB‑EV 2015, 389, 392; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 458; Urteil des FG Düsseldorf vom 17.12.2018 ‑ 2 K 3874/15 F, EFG 2019, 505; vgl. auch BTDrucks 16/4841, S. 55, wonach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG der bisherigen Regelung entspricht).

ccc) Für diese Auslegung spricht auch die Entwicklung der gesetzgeberischen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Bondstripping. Mit dem AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz vom 18.12.2013 (BGBl I 2013, 4318) wurde mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2014 in § 3 Abs. 1a des Investmentsteuergesetzes (InvStG) a.F. eine Regelung eingefügt, wonach in den Fällen, in denen ein Zinsschein oder eine Zinsforderung vom Stammrecht abgetrennt wird, dies als Veräußerung der Schuldverschreibung und als Anschaffung der durch die Tren­nung entstandenen Wirtschaftsgüter gilt (vgl. BTDrucks 18/68, S. 47 f.). Bei Schaffung der Norm ging der Gesetzgeber ersichtlich davon aus, dass nach der bis zum Inkrafttreten des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. geltenden Rechtslage eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht vorzunehmen sei (BTDrucks 18/68, S. 47; BRDrucks 740/13, S. 46) und mit der Einfügung des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. nicht lediglich eine Klarstellung der Rechtslage bewirkt werden sollte. Be­stätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 20 Abs. 2 EStG und der Sätze 8 und 9 in § 20 Abs. 4 EStG mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2017 durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 (BGBl I 2016, 1730). Mit diesen Normen wurde der Inhalt der Regelung des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. in das Einkommensteuergesetz für Zwe­cke der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung des Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Schuldverschreibungen übernommen. Dieser ge­setzgeberischen Maßnahme hätte es nicht bedurft, wenn schon die bis zum Veranlagungszeitraum 2016 geltende einkommensteuerrechtliche Rechtslage darin bestanden hätte, die Anschaffungskosten auf das Stammrecht und die Zinsscheine zu verteilen.

c) Dem sich aus der Veräußerung der Anleihemäntel danach ergebenden nega­tiven Unterschiedsbetrag i.S. des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von 1.245.113 € kann die steuerliche Anerkennung auch nicht unter Hinweis auf das Fehlen der Einkünfteerzielungsabsicht versagt werden.

aa) Die mit der Abgeltungsteuer eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen bedingen wegen der Nichtabzugsfähigkeit der tatsächli­chen Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) und der beschränkten Verrechenbar­keit der unter § 32d Abs. 1 EStG fallenden Kapitalerträge (§ 20 Abs. 6 EStG) eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht (vgl. BFH-Urteil vom 14.03.2017 ‑ VIII R 38/15, BFHE 258, 240, BStBl II 2017, 1040). Diese Vermutung gilt unabhängig davon, ob die sich ergebenden negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen (hier aus der Veräußerung der Anlei­hemäntel gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) in einem zweiten Schritt ge­mäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG aus dem gesonderten Tarif aus­geschlossen werden. Die Ausschlussregelung knüpft an die jeweiligen Einkünf­te an. Sie wirkt nicht in die Einkünfteermittlung selbst hinein.

bb) Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Abgeltungsteuer die in § 20 Abs. 2 EStG genannten Kapitalanlagen einschließlich sämtlicher realisierter Wertveränderungen steuerlich erfassen, unabhängig davon, ob die jeweiligen positiven oder negativen Kapitalerträge aus § 20 Abs. 2 EStG dem gesonder­ten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen oder ‑‑wie hier von den Klägern geltend gemacht‑‑ nach Maßgabe des § 32d Abs. 2 EStG tariflich zu besteuern sind (s. hierzu unter B.II.4.). Zur Widerlegung der Einkünfteerzielungsabsicht für die Veräußerung der Anleihemäntel gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG genügt im Streitfall daher weder das bloße Erzielen eines Veräußerungsver­lusts aus der Veräußerung der Anleihemäntel noch kann wegen der beabsich­tigten Abtrennung der Zinsscheine auf eine fehlende Einkünfteerzielungsab­sicht beim Erwerb der Bundesanleihen durch den Kläger abgestellt werden. Vielmehr setzt sich die beim Erwerb der Bundesanleihen unzweifelhaft beste­hende Einkünfteerzielungsabsicht an den durch die Trennung entstandenen Kapitalanlagen (den Anleihemänteln und den Zinsscheinen) fort. Zwar stand im Zeitpunkt der Veräußerung der Anleihemäntel fest, dass der Kläger hieraus einen Verlust erzielen werde. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger zunächst die ungetrennten Anleihen erworben und im Streitjahr in en­gem zeitlichen Zusammenhang nicht nur die durch die Trennung entstandenen Anleihemäntel, sondern auch die Zinsscheine veräußert hat, hält der Senat je­doch eine Gesamtbetrachtung für geboten, bei der die Einkünfteerzielungsab­sicht unter Einbeziehung sowohl der durch die Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste als auch der durch die Veräußerung der Zinsscheine erziel­ten Gewinne nach der Auftrennung der Bundesanleihen zu beurteilen ist. Da­ran gemessen ist die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht vorliegend nicht widerlegt. Denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass unter den Umständen des Streitfalls von vornherein feststand oder von dem Kläger von Anfang an beabsichtigt war, dass er bei zusammenfassender Betrachtung bei­der Veräußerungsvorgänge jeweils per Saldo einen Verlust erzielen werde. Auch aus der Veräußerung der Anleihemäntel an die vom Kläger beherrschte A‑GmbH folgt nichts anderes. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger die Anleihemäntel wie unter fremden Dritten zum marktüblichen Preis an die A‑GmbH veräußert.

d) Entgegen der Auffassung des FG unterliegen die aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 1.245.113 € der tariflichen Einkommensteuer, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs im Streitfall gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG für diese Kapitalerträge ausgeschlossen ist.

aa) Nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG setzt der Ausschluss des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen voraus, dass die Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von der Kapital­gesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die A‑GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger ist, hat an diesen für den Erwerb der Anleihemäntel einen Veräußerungspreis gezahlt. Nach Abzug der Anschaffungskosten resultiert hieraus der von dem Kläger erzielte (negative) Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG.

bb) Eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend, dass die Vorschrift in den Fällen keine Anwendung findet, in de­nen ‑‑wie vorliegend‑‑ durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuer­pflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, kommt nicht in Betracht.

aaa) Eine teleologische Reduktion zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefass­ten Wortlaut einzuschränken. Sie ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft er­scheint. Ihre Aufgabe ist es daher nicht, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich ‑‑gemessen an seinem Zweck‑‑ noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen (vgl. BFH-Urteil vom 14.05.2019 ‑ VIII R 20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586, m.w.N.).

bbb) Danach scheidet eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der Weise aus, dass die Vorschrift im Streitfall nicht zur Anwendung kommt.

(1) Zwar weist das FA grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass die vorliegen­de Gestaltung erkennbar dem Zweck dient, einen Verlust aus Kapitalvermögen mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten, die der progressiven Einkommen­steuer unterliegen, auszugleichen, ohne im eigentlichen Sinne eine Steuer­satzspreizung zwischen der einkommensteuerlichen Belastung des Kapitaler­trags des Anteilseigners und der körperschaftsteuerlichen Entlastung aufgrund der Ausgabe bei "seiner" Kapitalgesellschaft ausnutzen zu wollen. Die Anwen­dung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist jedoch nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage nicht davon abhängig, dass die erforderliche Zahlung der Gesellschaft bei dieser zu einem Aufwand und einer körperschaft­steuerlichen Entlastung führt und der Gesellschafter durch eine Besteuerung des korrespondierenden Kapitalertrags im Rahmen des gesonderten Tarifs des § 32d Abs. 1 EStG von einer Steuersatzspreizung profitieren will. Denn der Gesetzgeber hat den Tat­bestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG so ausgestaltet, dass nicht nur laufende Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 4 und 7 EStG, sondern auch Veräuße­rungsgewinne i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 4 und 7 EStG von der Regelung erfasst werden. Aus dem Ausschluss sowohl dieser laufenden Kapitalerträge als auch dieser Veräußerungsgewinne aus dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG folgt, dass auch Zahlungen, die von der Kapitalgesellschaft als Veräußerungsentgelte an den Gesellschafter gezahlt werden und bei ihr er­folgsneutrale Anschaffungskosten sind, vom Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG erfasst sind. Der Ausschluss aus dem ge­sonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG gilt daher auch für den Fall, dass der Gesellschafter eine ihm gegen einen Dritten zustehende Forderung zu einem marktüblichen Preis an die Gesellschaft veräußert und es daher zu einer er­folgsneutralen Auszahlung durch die Gesellschaft an den Gesellschafter kommt.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG erst mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) dahin ergänzt, dass der Ausschluss vom gesonderten Ta­rif des § 32d Abs. 1 EStG nur noch gelten soll, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Wer­bungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Be­steuerung unterliegen, und § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG keine Anwen­dung findet. Mit dieser Einschränkung wollte der Gesetzgeber Gestaltungen entgegenwirken, bei denen Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG aus der Veräußerung von Kapitalforderungen an die Gesellschaft erzeugt werden, die in voller Höhe mit tariflich besteuerten Einkünften verrechnet werden kön­nen (BRDrucks 503/20 vom 03.09.2020, S. 88). Der Tatsache, dass die Neu­fassung der Regelung keine Rückwirkung entfaltet (vgl. § 52 Abs. 33b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2020), kann entnommen werden, dass § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in seiner Ursprungsfassung in Fällen wie dem Streitfall uneingeschränkt zur Anwendung kommen sollte (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2022 ‑ VIII R 27/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

(2) Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass der Kläger einen negativen Veräußerungsgewinn i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erzielt hat. Wenn Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalforderungen an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % be­teiligt ist, dem allgemeinen Steuersatz unterliegen, ist es folgerichtig, im Falle der Erzielung von Verlusten die Verrechnung mit positiven Einkünften aus den anderen Einkunftsarten entgegen § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ebenfalls zuzulas­sen (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG).

e) Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist entgegen der Auffassung des FG auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt.

Der Senat kann dabei offen lassen, ob die Anwendung des § 42 AO im Streit­fall bereits deshalb nach § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ausscheidet, weil § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, als spezieller Missbrauchstatbestand lex specialis und da­mit vorrangig und ausschließlich anwendbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 23.04.2021 ‑ IX R 8/20, BFHE 272, 328, BStBl II 2021, 743). Selbst wenn § 42 AO neben § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG anwendbar wäre, wä­ren dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn der Gesetzgeber hat in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG gerade den Fall geregelt, dass Substanzge­winne und ‑verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, die aus der Zah­lung von Veräußerungsentgelten einer Kapitalgesellschaft an einen Gesell­schafter in Form steuerneutraler Anschaffungskosten für den Erwerb von For­derungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG resultieren, aus dem Anwendungsbe­reich des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgenommen sind (s. unter B.I.2.d). Diese folgerichtige gesetzliche Wertung ist bei der Prü­fung, ob ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt, zur Ver­meidung von Wertungswidersprüchen zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 17.11.2020 ‑ I R 2/18, BFHE 271, 330, BStBl II 2021, 580, Rz 21). Dement­sprechend darf die gesetzgeberische Entscheidung, dass die Veräußerung ei­ner Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalge­sellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, zu ei­nem tariflichen Veräußerungsgewinn oder ‑verlust führt, nicht dadurch unter­laufen werden, dass bei der Verwirklichung eines solchen Veräußerungstatbe­stands auf der Grundlage des § 42 AO von einer Umgehungsgestaltung ausge­gangen wird. Der Kläger hat nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz einge­räumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden, wie ausgeführt (s. unter B.I.2.a bb), vom Anwendungsbereich des § 20 EStG folgerichtig erfasst.

Es ist auch unschädlich, dass die Kläger es ausgenutzt haben, dass die Gewin­ne aus der Veräußerung der Zinsscheine dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, während die Verluste aus der Veräußerung der Anlei­hemäntel tariflich besteuert werden. Denn aus der Ausnutzung des Steuer­satzgefälles kann nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO geschlossen werden, da Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze für die verschiedenen Kapitalerträge in § 20 EStG der Schedulenbesteuerung im­manent sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 07.05.2019 ‑ VIII R 29/15, zur amtli­chen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2019, 751, Rz 35, m.w.N.).

II. Auch in Bezug auf die Anfechtung des Bescheids über die gesonderte Fest­stellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2013 vom 27.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.06.2016 hat das FG die Klage zu Unrecht abgewiesen.

1. Die Kläger haben sich im FG-Verfahren mit ihrer Klage auch gegen den Ver­lustfeststellungsbescheid auf den 31.12.2013 vom 27.04.2016 gewandt, da das FA den Veräußerungsverlust des Klägers i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 1.245.113 € mit den Veräußerungsgewinnen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG verrechnet und daher lediglich gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 10d EStG einen verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus Kapital­vermögen (ohne Veräußerung von Aktien) zum 31.12.2013 in Höhe von 101.341 € festgestellt hat. Diese gegen den Verlustfeststellungsbescheid ge­richtete Klage ist zulässig, obgleich im Feststellungsverfahren des verbleiben­den Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind. Es fehlt nicht an der gemäß § 40 Abs. 2 FGO für die Erhe­bung der Anfechtungsklage erforderlichen Geltendmachung einer Rechtsverlet­zung durch den Erlass des angefochtenen Verlustfeststellungsbescheids (BFH-Urteile vom 27.06.2018 ‑ I R 13/16, BFHE 262, 340, BStBl II 2019, 632, und vom 12.10.2011 ‑ VIII R 2/10, BFH/NV 2012, 776).

2. Die Klage ist auch begründet. Zwar folgt aus der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grund­lagenbescheid ist (s. unter B.I.1.a). Im vorliegenden Fall werden mit dem Kla­geantrag jedoch dieselben Einwendungen wie gegen den dem Verlustfeststel­lungsbescheid zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid geltend ge­macht, der auch Gegenstand der Klage ist. Da diese durchgreifen und der Ver­äußerungsverlust des Klägers i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 1.245.113 € bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte zu be­rücksichtigen ist (§ 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5b EStG), ist die unterbliebene Fest­stellung eines verbleibenden voll verrechenbaren Verlustvortrags jeweils für den Kläger und für die Klägerin rechtswidrig.

III. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) und gibt der Klage statt. Der angefochtene Einkom­mensteuerbescheid für das Streitjahr ist dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen des Klägers, die der tariflichen Steuer unterliegen, in Höhe von 10.500 € um 1.245.113 € auf ./. 1.234.613 € herabgesetzt und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, die Verluste aus Kapitalvermögen (ohne Veräußerung von Aktien) in Höhe von 1.290.551 € um 1.245.113 € auf 45.438 € verringert werden. Hierdurch ergibt sich jeweils eine negative Summe der Einkünfte in Höhe von 1.150.732 € (Kläger) und in Höhe von 1.756 € (Klägerin), die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können. Da die Kläger nach § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG beantragt haben, den Verlustrücktrag in das Jahr 2012 für den Kläger auf 1.142.488 € und für die Klägerin auf 0 € zu beschränken, ist der angefochtene Bescheid über die ge­sonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2013 dahin zu ändern, dass für den Kläger ein verbleibender Verlustvortrag in Höhe von 8.244 € und für die Klägerin ein verbleibender Ver­lustvortrag in Höhe von 1.756 € festgestellt werden, die in den folgenden Ver­anlagungszeiträumen mit Einkünften aus allen Einkunftsarten, die der tarifli­chen Einkommensteuer unterliegen, verrechnet werden können. Über den vom FA gemäß § 10d Abs. 4 i.V.m. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG festgestellten verblei­benden Verlustvortrag auf den 31.12.2013 in Höhe von 101.341 € hat der Se­nat vorliegend nicht zu entscheiden, da die Kläger diese Feststellung nicht an­gefochten und auch keinen diesbezüglichen Antrag gestellt haben. Über die Folgerungen, die sich aus den nach § 32d Abs. 1 EStG zugrunde zu legenden Besteuerungsgrundlagen für die Höhe des verbleibenden Verlustvortrags ge­mäß § 10d Abs. 4 i.V.m. § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG ergeben, wird das FA von Amts wegen zu entscheiden haben.

IV. Da die Revision der Kläger bereits aus materiellen Gründen Erfolg hat, war auf die erhobene Verfahrensrüge nicht mehr einzugehen.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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