Der Einwendungsausschluss nach § 166 AO kann auch zu Lasten eines vom Steuerpflichtigen beauftragten - und für die Steuerschuld haftenden - Rechtsanwalts wirken, wenn er mangels entgegenstehender Weisung in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Bevollmächtigter anzufechten.
AO § 166
UStG § 14c
MwStSystRL Art. 203
Vorinstanz: Hessisches FG vom 10.5.2017, 1 K 21/17 = SIS 18 01 04
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) nimmt den Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Haftungsschuldner für Steuerschulden der A-GmbH (GmbH), die Rechtsnachfolgerin der B-KG (KG) ist, gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 171 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) in Anspruch.
Der Kläger war seit Gründung der KG bis zu seinem Austritt im Jahr 2013 Kommanditist der KG. Persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die GmbH, die nach Austritt des Klägers auch Rechtsnachfolgerin der KG wurde. Nach der Steuerbilanz der KG zum 31.12.2008 hatte der Kläger eine Kommanditeinlage in Höhe von 10.000 € nicht einbezahlt.
Mangels Umsatzsteuererklärung der KG für das Jahr 2009 schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO und erließ am 18.3.2014 einen Umsatzsteuerbescheid, durch den die Umsatzsteuer auf 17.461,38 € festgesetzt wurde. Grundlage der Schätzung war eine Rechnung vom 29.12.2009, die die KG als Rechnungsaussteller ausweist und in der Umsatzsteuer in Höhe von 17.461,38 € ausgewiesen ist. Aufgrund der Feststellungen einer bei der KG durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung ging das FA davon aus, dass die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldet werde, da über die Lieferung und die Montage einer Photovoltaikanlage Umsatzsteuer ausgewiesen worden sei, obwohl keine Leistung erbracht worden sei.
Der Umsatzsteuerbescheid war Gegenstand eines erfolglosen Klageverfahrens beim Finanzgericht (FG). Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde von der KG als Beschwerdeführerin zurückgenommen. Bevollmächtigter der Steuerschuldnerin im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) war der Kläger.
Den am 10.7.2014 gegen den Kläger erlassenen Haftungsbescheid beschränkte das FA auf die Höhe der nicht eingezahlten Kommanditeinlage von 10.000 €. Einspruch und Klage zum FG gegen den Haftungsbescheid hatten keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG erstreckt sich die Drittwirkung der unanfechtbar gewordenen Umsatzsteuerfestsetzung gegen die KG gemäß § 166 AO auch auf den Kommanditisten, der als Prozessbevollmächtigter der KG in den gegen den Steuerbescheid geführten Rechtsmittelverfahren aufgetreten ist. Eine gegenteilige Weisung habe der Kläger nicht nachgewiesen. Unabhängig hiervon sei auch von einer Steuerschuld der KG nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG auszugehen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Weisungsgebundene Prozessbevollmächtigte seien keine Bevollmächtigten i.S. von § 166 AO. Der Geschäftsführer der KG habe ihn zur Rücknahme der Beschwerde angewiesen. § 14c UStG sei nicht auf unvollständige Rechnungen anzuwenden. Bei Bösgläubigkeit bestehe zudem die Haftung nach § 71 AO, so dass im Fall der Gutgläubigkeit keine Steuerschuld nach § 14c UStG anzunehmen sei. Ein Zeuge hätte belegen können, dass ein Leistungswille der KG bestanden habe und § 14c UStG auch deshalb nicht anzuwenden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und den Haftungsbescheid vom 10.7.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.4.2015 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Im Verfahren vor dem FG sei das Vorliegen einer Weisung zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Der BFH lege § 14c UStG zutreffend aus.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat materiell- und verfahrensrechtlich zutreffend entschieden.
1. Das FG hat zutreffend eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG bejaht, die dem Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 171 Abs. 1 HGB zugrunde liegt.
a) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt.
Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Die Mehrwertsteuer wird danach von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.
b) Der erkennende Senat hat hierzu bereits entschieden, dass der unberechtigte Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 UStG nicht voraussetzt, dass die Rechnung alle in § 14 Abs. 4 UStG aufgezählten Pflichtangaben aufweist (BFH-Urteil vom 17.2.2011 V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, Leitsatz 1).
c) Der erkennende Senat hält hieran entgegen den Einwendungen des Klägers weiter fest. Insbesondere bestehen entgegen Weymüller (BeckOK UStG, 19. Ed., § 14c Rz 206 ff.) keine unionsrechtlichen Bedenken. Denn Art. 203 MwStSystRL soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Rusedespred vom 11.4.2013 C-138/12, EU:C:2013:233, Rz 24). Dem trägt die Rechtsprechung des erkennenden Senats Rechnung. Ein Fall eines irrtümlichen Steuerausweises, der dem vom Kläger in Bezug genommenen EuGH-Urteil Karageorgou u.a. vom 6.11.2003 C-78/02 bis C-80/02 (EU:C:2003:604) entsprechen könnte, ist nicht ersichtlich. Auf die vom Kläger als wesentlich angesehene steuerstrafrechtliche Beurteilung kommt es nicht an. Auch im Fall eines unzutreffenden Steuerausweises in gutgläubig erteilten Rechnungen bedarf es bis zur Rechnungsberichtigung der Steuerschuld nach § 14c UStG, um die Gefährdung des Steueraufkommens auszuschließen. Dabei ergänzt § 14c UStG nicht bloß die Haftung nach § 71 AO, sondern hat eigenständigen Charakter im Besteuerungsverfahren des Unternehmers.
d) Auf die Frage des Leistungswillens bei einer Rechnung über eine erst noch zu erbringende Leistung, der einer Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG entgegenstehen könnte, kommt es nach den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht an, da der Kläger mit seinem Hinweis auf eine hierzu mögliche Zeugeneinvernahme nicht in der gebotenen Form einen Verfahrens- und Aufklärungsmangel gerügt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23.10.2014 V R 23/13, BFHE 247, 480, BStBl II 2015, 313, Leitsatz 2 zur erforderlichen Substantiierung von Beweisanträgen).
2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht auch entschieden, dass der Kläger mit seinen Einwendungen gegen die Steuerschuld präkludiert ist.
a) Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies nach § 166 AO neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.
b) § 166 AO soll das Haftungsverfahren von Fragen der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzungen befreien und verhindern, dass im Haftungsverfahren das Besteuerungsverfahren nochmals aufgerollt und dadurch das Haftungsverfahren unnötig verzögert wird, wenn der Haftungsschuldner als Vertreter des Steuerpflichtigen bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzung befugt war oder diese bereits erfolglos angefochten hat. § 166 AO verlangt von den dort genannten Personengruppen, dass sie von einer ihnen eingeräumten uneingeschränkten Rechtsmittelbefugnis Gebrauch machen (BFH-Urteil vom 27.9.2017 XI R 9/16, BFHE 259, 221, BStBl II 2018, 515, unter III.2.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).
c) § 166 AO setzt voraus, dass der Vertreter oder Bevollmächtigte zu einer Anfechtung "in der Lage gewesen wäre". Erforderlich ist daher, dass er aufgrund des Vertretungsverhältnisses zur Anfechtung rechtlich in der Lage war (Krumm in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 166 AO Rz 15). § 166 AO ist daher bei einer Gesamtvertretung in der Regel gegenüber keinem Gesellschafter anzuwenden (BFH-Urteil vom 16.12.1997 VII R 30/97, BFHE 185, 105, BStBl II 1998, 319). Dementsprechend ist § 166 AO unanwendbar, wenn Bindungen im Innenverhältnis den Vertreter an der Einlegung des Rechtsbehelfs hindern (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 166 AO Rz 11).
d) Im Streitfall war der Kläger in seiner Eigenschaft als Kommanditist für die KG nach § 164 HGB weder geschäftsführungs- noch vertretungsbefugt, so dass eine Anwendung von § 166 AO nur in Bezug auf die Stellung des Klägers als Rechtsanwalt und damit als Bevollmächtigter in Betracht kommt.
Dies hat das FG im Ergebnis zutreffend bejaht. Der Einwendungsausschluss nach § 166 AO kann auch zu Lasten eines vom Steuerpflichtigen beauftragten - und für die Steuerschuld haftenden - Rechtsanwalts wirken, wenn er mangels entgegenstehender Weisung in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Bevollmächtigter anzufechten.
Der erkennende Senat hat dabei nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht abschließend zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein weisungsgebundener Bevollmächtigter zur Anfechtung "in der Lage gewesen wäre". Insoweit erscheint die vom FG allgemein bejahte Anwendung von § 166 AO auch auf Rechtsanwälte zwar zweifelhaft. Doch auch eine Beurteilung entsprechend der vorstehend wiedergegebenen Kommentarliteratur unter Beachtung der im Innenverhältnis bestehenden Bindungen führt aufgrund der Besonderheiten im Streitfall zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn dann käme es auf den Nachweis einer Weisung an, die der Anfechtung entgegenstand, da ein weitergehender, von den Umständen des Einzelfalls unabhängiger Ausschluss von § 166 AO mit den mit dieser Regelung verfolgten Zielen (s. oben II.2.b) nicht vereinbar ist.
Im Streitfall ist daher maßgeblich, dass das FG den Kläger vor der mündlichen Verhandlung auf die Bedeutung der Drittwirkung der Steuerfestsetzung nach § 166 AO hingewiesen hatte, der fachkundig sich selbst vertretende Kläger seinen Vortrag zu einer ihm erteilten Weisung aber weder konkretisiert noch glaubhaft gemacht hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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