EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 41c Abs. 3 Satz 1, § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 41c Abs. 3 Satz 4
AO § 155, § 164 Abs. 2 Satz 1, § 167 Abs. 1 Satz 1, § 168 Satz 1, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 173 Abs. 2
FGO § 101 Satz 1, § 101 Satz 2, § 102 Satz 1, § 136 Abs. 1 Satz 1
Vorinstanz: FG Münster vom 8.6.2018, 1 K 1085/17 L = SIS 18 12 76
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gemeinschaftspraxis, bestehend aus den Gesellschaftern Dr. 1, Dr. 2 (S) und Dr. 3. Seit dem Jahr 2006 war M auf Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses für die Klägerin tätig und überwiegend mit Buchhaltungsaufgaben betraut. Das nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsentgelt, das die Klägerin bis einschließlich Juni 2010 mit 2 % pauschal versteuerte, belief sich auf 400 € monatlich. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug zehn Stunden, die an zwei Tagen zu erbringen waren.
Im Juni 2010 legte M dem Gesellschafter S den Text für einen weiteren Arbeitsvertrag zwischen ihr als Arbeitnehmerin und der Klägerin als Arbeitgeberin vor. Nach diesem Vertragstext sollten die regelmäßige Arbeitszeit von M nunmehr 38,5 Stunden wöchentlich und das Bruttomonatsgehalt 1.700 € zzgl. einer der Höhe nach nicht bezifferten jährlichen Weihnachtsgratifikation betragen. Der Arbeitsvertrag wurde von S sowie M unterzeichnet. Das Arbeitsverhältnis sollte am 01.07.2010 beginnen.
Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass S den Arbeitsvertrag in Unkenntnis seines Inhalts und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch M unterzeichnet hat.
In der Folgezeit veranlasste M die Überweisung der nachfolgend dargestellten Jahresbruttoarbeitslöhne und die Abführung der hierauf entfallenden Lohn- und Annexsteuern an den Beklagten und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--):
Zeitraum | Bruttoarbeitslohn | Lohnsteuer | Solidaritätszuschlag | Kirchensteuer |
01.07. bis 31.12.2010 |
10.162,60 € |
2.093,47 € |
115,09 € |
188,37 € |
01.01. bis 31.12.2011 |
21.933,68 € |
4.668,31 € |
256,72 € |
420,11 € |
01.01. bis 31.12.2012 |
22.140,00 € |
4.722,00 € |
259,68 € |
424,92 € |
01.01. bis 31.12.2013 |
23.940,00 € |
5.277,96 € |
290,28 € |
474,96 € |
01.01. bis 31.12.2014 |
29.340,00 € |
6.961,92 € |
382,80 € |
626,52 € |
01.01. bis 31.12.2015 |
30.540,00 € |
7.341,43 € |
403,72 € |
660,63 € |
Summen | 138.056,28 € | 31.065,09 € | 1.708,29 € | 2.795,51 € |
Die Beteiligten sind sich einig, dass M auf die vorstehenden Beträge keinen Anspruch hatte. Die Auszahlung der überhöhten Arbeitsentgelte und die hiermit im Zusammenhang stehenden Lohnsteuer-Anmeldungen erfolgten ohne den Willen der Klägerin und wurden von dieser zunächst auch nicht bemerkt.
M wurde in den Jahren 2010 bis 2015 mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Dabei legte das FA bei M u.a. die vorstehend dargestellten Bruttoarbeitslöhne der Besteuerung zugrunde und rechnete die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohn- und Annexsteuern an.
Im April 2014 führte das FA eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin durch, die im Wesentlichen von M begleitet wurde. Die Prüfung führte zu keinen Beanstandungen. Infolgedessen hob das FA Ende Juli 2014 den Vorbehalt der Nachprüfung für die von der Klägerin abgegebenen Lohnsteuer-Anmeldungen für den Zeitraum Januar 2012 bis Juni 2014 auf.
Im Dezember 2015 bemerkte die Klägerin die von M veranlassten überhöhten Lohnzahlungen. Ferner wurde festgestellt, dass M weitere erhebliche finanzielle Mittel durch diverse Überweisungen veruntreut hatte.
Ende Januar 2016 vereinbarte die Klägerin mit dem Ehemann der im Dezember 2015 verstorbenen M, dass der Ehemann als Erbe der M zur Schadenskompensation einen Betrag in Höhe von … € aus dem Nachlass der Verstorbenen und seinem Privatvermögen zahlte.
Mit Schreiben vom 11.03.2016 beantragte die Klägerin eine Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen für die Anmeldezeiträume Juli 2010 bis Dezember 2015, da es sich bei den von M an sich selbst veranlassten Zahlungen nicht um Arbeitslohn i.S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehandelt habe und die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohnsteuerbeträge daher zu erstatten seien.
Das FA lehnte diesen Antrag ab, da keine Änderungsmöglichkeit bestehe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Im Nachgang zu einer Besprechung an Amtsstelle erließ das FA am 22.06.2016 einen Teilabhilfebescheid und änderte die Lohnsteuer-Anmeldungen für die Anmeldezeiträume Dezember 2011 und Juli 2014 bis Dezember 2015 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) dahingehend, dass die für diese Zeiträume für M angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge aus den Anmeldungen herausgenommen wurden. Im Übrigen wies es den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin zuletzt noch eine Herabsetzung der für die Monate Januar 2012 bis Juni 2014 angemeldeten Lohn- und Annexsteuerbeträge um insgesamt 15.435,42 €.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 1482 veröffentlichten Gründen statt. Das FA sei jedenfalls nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO verpflichtet, die Lohnsteuer-Anmeldungen zu ändern. Die Regelung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schließe eine Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen nicht aus.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung sowie des Ablehnungsbescheids des FA vom 16.03.2016 --jeweils betreffend die Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Juni 2014-- und zur Verpflichtung des FA, über den Antrag der Klägerin vom 11.03.2016 betreffend die Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Juni 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu entscheiden (§§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 101 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Soweit die Klägerin beantragt, das FA (i.S. von § 101 Satz 1 FGO) zum Erlass entsprechender Änderungsbescheide zu verpflichten, ist die Klage abzuweisen.
1. Das FG ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass die streitigen Überzahlungen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn der M gehörten.
a) Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG alle Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht (Senatsurteil vom 05.07.1996 - VI R 10/96, BFHE 180, 441, BStBl II 1996, 545). Unerheblich ist auch, ob Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22.05.2002 - VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430). Zum Arbeitslohn gehören daher auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern kann. Die Rückzahlung ist in diesem Fall erst im Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 04.05.2006 - VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830). Nicht zum Arbeitslohn i.S. des § 19 EStG gehören dagegen dem Arbeitnehmer nicht zustehende Beträge, die er unter eigenmächtiger Überschreitung seiner Befugnisse auf sein Konto überweist (Senatsurteil vom 13.11.2012 - VI R 38/11, BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929).
b) Dementsprechend hat das FG zu Recht entschieden, dass die vorliegenden Überzahlungen keinen Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellen. Es fehlt bereits an dem Merkmal der "Gewährung" von Vorteilen (s. Senatsurteil in BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929, Rz 15). M wurden die streitigen Beträge nicht "gewährt"; vielmehr hat sie sich die entsprechenden Beträge eigenmächtig unter Überschreitung ihrer Befugnisse zugeteilt.
2. a) Ob nach Abgabe einer Lohnsteuer-Anmeldung durch den Arbeitgeber deren Änderung im Wege einer Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig ist, richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Korrekturvorschriften. Eine solche Änderung ist insbesondere zulässig, solange noch ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) besteht (Senatsurteile vom 30.10.2008 - VI R 10/05, BFHE 223, 202, BStBl II 2009, 354, und in BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929, Rz 17). Nach § 168 Satz 1 AO steht nämlich die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung unmittelbar an die Steuererklärung geknüpft.
b) § 41c Abs. 3 EStG stand einer Änderung der Steuerfestsetzung nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bislang nicht entgegen (Senatsurteile in BFHE 223, 202, BStBl II 2009, 354, und in BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929, Rz 16). Zwar ist nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG die Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen; denn diese ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat (s. Senatsurteile vom 13.12.2007 - VI R 57/04, BFHE 220, 124, BStBl II 2008, 434, und in BFHE 223, 202, BStBl II 2009, 354). Nach Ansicht des Senats ist der tatsächliche Lohnsteuerabzug im Zusammenhang mit der Änderung einer Lohnsteuer-Anmeldung oder eines an deren Stelle tretenden Festsetzungsbescheids indes nicht von Bedeutung, weil es sich bei der darin festgesetzten, mit der Zahlung des Arbeitslohns entstehenden Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers um einen gesetzlich bestimmten "Sollbetrag" und nicht um einen durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug bestimmten "Istbetrag" handelt (s. Senatsurteile in BFHE 223, 202, BStBl II 2009, 354, und in BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929, Rz 16).
c) Mit Art. 2 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 --KroatienAnpG-- (BGBl I 2014, 1266) hat der Gesetzgeber § 41c Abs. 3 EStG um einen Satz 4 ergänzt, wonach eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig ist, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG ist die Vorschrift erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das FG im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Juni 2014 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO im Streitfall nicht entgegensteht (unter a). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt jedoch nicht in Betracht (unter b). Eine Verpflichtung des FA zur Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO hat das FG zu Unrecht bejaht (unter c).
a) aa) Einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Dezember 2013 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO steht § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schon deshalb nicht entgegen, weil die Vorschrift erstmals auf laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.
Der Senat folgt insbesondere nicht einer in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG auf alle Änderungsanträge anzuwenden ist, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob sie Lohnsteuer-Anmeldungen für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen (so Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach, § 41c EStG Rz 18; a.A. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2016 - 2 K 2541/15 AO, EFG 2016, 1791, Rz 51; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2017 - 3 K 2347/14, Rz 48; Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 07.11.2013 - IV C 5-S 2378/0-07, BStBl I 2013, 1474; Seifert in Korn, § 41c EStG Rz 23). Denn nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG kommt es auf die Zahlung des Arbeitslohns an.
bb) Aber auch einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2014 bis Juni 2014 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO steht § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG --wie vom FG zutreffend entschieden-- nicht entgegen.
(1) § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG regelt seinem Wortlaut nach nur den Fall einer nachträglichen Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO. Diese ist nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Damit ist zwar eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO in allen anderen von § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht erfassten Fällen ausgeschlossen, nicht dagegen eine Änderung nach Maßgabe der übrigen Korrekturvorschriften. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit eindeutig. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut zulasten des Steuerpflichtigen kommt nicht in Betracht.
(2) Soweit der Gesetzgeber mit der Regelung --wie vom FA geltend gemacht-- eine darüber hinausgehende, allgemeine Änderungssperre bezweckt haben sollte --worauf die Entstehungsgeschichte hindeutet--, hat dieser Wille keinen Niederschlag in der Norm gefunden. Der Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann bei der Gesetzesauslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat (Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 16.02.1983 - 2 BvE 1/83 u.a., BVerfGE 62, 1, unter C.II.3.a, und Senatsurteil vom 04.04.2019 - VI R 18/17, BFHE 264, 6, BStBl II 2019, 449, Rz 25, m.w.N.). Die Gesetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 62, 1, unter C.II.3.a).
b) Das FG hat offengelassen, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt sind. Dies ist indes zu verneinen. Denn im Streitfall steht einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Juni 2014 die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO entgegen. Nach dieser Vorschrift kommt Steuerbescheiden, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, eine erhöhte Bestandskraft zu. Steuerbescheide in diesem Sinne sind auch Lohnsteuer-Anmeldungen, bei denen --wie im Streitfall-- im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die den Prüfungszeitraum betreffenden Anmeldungen aufgehoben worden ist (z.B. Senatsurteile vom 07.02.2008 - VI R 83/04, BFHE 220, 220, BStBl II 2009, 703, und vom 15.05.1992 - VI R 106/88, BFHE 168, 532, BStBl II 1993, 840).
Eine auf die Besonderheiten des Sachverhalts gestützte Ausnahme von § 173 Abs. 2 AO kommt aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift entgegen der Ansicht der Klägerin nicht in Betracht.
c) Das FG hat aber zu Recht eine Änderungsmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO bejaht. Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist.
aa) Unter einer arglistigen Täuschung in diesem Sinne ist eine bewusste und vorsätzliche Irreführung zu verstehen, durch die die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird. Es genügt bereits das Bewusstsein, wahrheitswidrige Angaben zu machen (BFH-Urteil vom 14.12.1994 - XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293, unter II.2.). Ob das FA die Unrichtigkeit hätte erkennen können, ist unbeachtlich (Senatsurteil vom 08.07.2015 - VI R 51/14, BFHE 250, 322, BStBl II 2017, 13, Rz 19).
bb) Das FG hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO dem Grunde nach zutreffend bejaht. Denn M hatte als Dritte (s. hierzu BFH-Urteil in BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293) die Lohnsteuer-Anmeldungen durch bewusst unrichtige Angaben und damit durch unlautere Mittel erwirkt. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.
Zwar setzt die Vorschrift im Regelfall eine Täuschung des FA voraus. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass es sich um Lohnsteuer-Anmeldungen eines Arbeitgebers handelt, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Festsetzung der Lohnsteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung durch das FA gleichstehen. Die Lohnsteuer-Anmeldungen hat M gegenüber der Klägerin durch arglistige Täuschung bewirkt.
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO lässt dabei sowohl eine Änderung zugunsten wie zulasten des FA zu (s. auch FG Münster, Urteil vom 29.05.2000 - 9 K 7673/97 G, EFG 2000, 908; Loose in Tipke/Kruse, § 172 AO Rz 44; von Wedelstädt in Gosch, AO § 172 Rz 199). Auch steht § 173 Abs. 2 AO einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO nicht entgegen (z.B. BFH-Urteil vom 18.08.2009 - X R 8/09, BFH/NV 2010, 161, unter II.3.b; BFH-Beschluss vom 02.12.2013 - III B 71/13, Rz 28).
cc) Die Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO steht jedoch im Ermessen der Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 28.04.1998 - IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458, unter II.3. und m.w.N.). Eine solche Ermessensentscheidung ist vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO).
Die Gerichte sind gemäß § 102 FGO nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen. Da das FA vorliegend --aus seiner Sicht zu Recht-- keine Ermessensentscheidung getroffen hat, setzt die Stattgabe der Klage voraus, dass das Ermessen derart reduziert ist, dass nur die von der Klägerin begehrte Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen für Januar 2012 bis Juni 2014 das einzig mögliche Ergebnis der Ermessensausübung sein konnte. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann im vorliegenden Fall aber nicht angenommen werden. Entgegen der Ansicht des FG kann nicht allein aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen einer Änderungsnorm eine Verpflichtung des FA bejaht werden, einen Steuerbescheid zugunsten der materiellen Richtigkeit zu ändern.
Die Unterscheidung zwischen gebundenen Änderungsvorschriften (wie z.B. nach § 173 AO) und solchen aufgrund einer Ermessensentscheidung (wie z.B. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO) wäre dann letztlich überflüssig. Vielmehr ist auf die einzelne Änderungsnorm und ihre spezifischen Voraussetzungen abzustellen. Wie bei § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO kann deshalb insoweit durchaus ein sogenanntes intendiertes Ermessen vorliegen (z.B. BFH-Urteil vom 11.10.2017 - IX R 2/17, Rz 15). Dies ist aber keineswegs zwingend und im Streitfall nicht angebracht. Das FG hätte das FA deshalb nicht entsprechend dem Klageantrag der Klägerin zur Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Juni 2014 verpflichten dürfen, sondern gemäß § 101 Satz 2 i.V.m. § 102 FGO lediglich zu einer erneuten Bescheidung der Klägerin.
Die Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung ermöglicht dem FA insoweit die erneute Entscheidung über den Änderungsantrag der Klägerin. Bei seiner Ermessensentscheidung wird das FA insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben:
Wird ein Steuerbescheid, durch den die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu niedrig festgesetzt wurde, von einem Dritten erwirkt, ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten, ob der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit des Bescheids weder kannte noch erkennen konnte (s. BFH-Urteil in BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458).
Nichts anderes gilt für die Situation des Streitfalls, in der die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu hoch festgesetzt wurde. Bei der Ermessensentscheidung ist daher insbesondere zu berücksichtigen, ob die Klägerin die von der M über mehr als fünf Jahre falsch übermittelten Lohnsteuerdaten nicht von Anfang an oder jedenfalls im Laufe der Zeit hätte erkennen können oder sogar müssen. Ebenso ist in die Ermessensprüfung einzubeziehen, dass der Ehemann der M und die Klägerin sich im Vergleichswege auf eine Schadenskompensation durch Zahlung eines Betrags in Höhe von … € geeinigt haben. Ferner wird das FA zu berücksichtigen haben, ob und in welchem Umfang die Versteuerung der "Arbeitslöhne" und die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Eheleute rückgängig gemacht wurde.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Einerseits hat die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsbegehren i.S. des § 101 Satz 1 FGO keinen Erfolg, da nur ein Bescheidungsurteil gemäß § 101 Satz 2 FGO ergeht. Andererseits ist auch das FA mit seinem Begehren, die Ablehnung der Änderung der streitigen Lohnsteuer-Anmeldungen zu bestätigen, nicht durchgedrungen. Es ist daher angemessen, die gesamten Kosten des Verfahrens der Klägerin und dem FA jeweils zur Hälfte aufzuerlegen (s. BFH-Urteile vom 26.01.1988 - VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695, unter 6., und vom 31.03.1976 - I R 51/74, BFHE 118, 537, BStBl II 1976, 499, unter 3.).
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