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BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung medizinischer Telefonberatung

(Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil X-GmbH vom 5.3.2020, C-48/19 = SIS 20 02 75)

  1. Auch telefonische Beratungen im Rahmen eines sog. Gesundheitstelefons können einen therapeutischen Zweck verfolgen und unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" fallen.
  2. Telefonische Beratungen im Rahmen von Patientenbegleitprogrammen können Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sein, wenn diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen.
  3. Für die nicht unter einen der Katalogberufe des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation entweder aus einer berufsrechtlichen Regelung oder daraus ergeben, dass die betreffenden heilberuflichen Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

UStG a.F. § 4 Nr. 14 Buchst. a
MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. c

BFH-Urteil vom 23.9.2020, XI R 6/20 (XI R 19/15) (veröffentlicht am 7.1.2020)

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 14.8.2015, 1 K 1570/14 U = SIS 15 27 20

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, verfolgt den Gesellschaftszweck, im Auftrag von Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen (insbesondere Krankenkassen und -versicherungen) Versorgungsleistungen aktiv zu unterstützen und somit einen qualitativ hochwertigen Beitrag zur Gesunderhaltung der Bevölkerung zu leisten, was auch den Handel mit elektronischen Endgeräten, Literatur sowie EDV-Systemen einschließt.

Sie betrieb im Besteuerungszeitraum 2014 (Streitjahr) im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein sog. Gesundheitstelefon, bei dem Versicherte in medizinischer Hinsicht beraten wurden, und führte im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen --und auch von Pharmaunternehmen, was die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr weiterverfolgt-- Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten durch.

Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte (Arzthelfer) erbracht, die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren. In mehr als einem Drittel der Fälle wurde zudem ein Arzt, regelmäßig ein Facharzt, hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine "zweite Meinung" erteilte.

Im Rahmen des Gesundheitstelefons richtete die Klägerin Informations-Hotlines ein, unter denen Mitarbeiter für die Versicherten regelmäßig rund um die Uhr an jedem Tag erreichbar waren. Die Mitarbeiter der Klägerin meldeten sich unter dem Namen der jeweiligen Krankenkasse. Soweit eine medizinische Beratung gewünscht wurde, erfolgte eine softwaregestützte Befunderhebung, d.h. eine Kontexteinstufung mit gezielten Fragen zur Thematik, und darauf folgend eine Beratung zu der vom Anrufer angegebenen therapeutischen Versorgungssituation. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt. Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt und insbesondere auf die medizinisch-fachliche Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Angaben überprüft.

Die Teilnehmer der Patientenbegleitprogramme wurden auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern von den Krankenkassen ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm eingeschrieben. Die Teilnehmer, die von Mitarbeitern der Klägerin über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten angerufen wurden, konnten bei Fragen jederzeit die medizinische Hotline erreichen und rund um die Uhr situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankheitsbild erhalten. Schwerpunkt der Begleitprogramme war, das Verständnis der Teilnehmer und ihrer Angehörigen für ihre Krankheit und die regel- und vorschriftsmäßige Einnahme der Medikamente oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern, Fehlmedikationen zu vermeiden und eine adäquate Reaktion auf Symptomzunahme und soziale Isolation herbeizuführen. Ziel dessen war es, die Kosten bei Versicherten mit chronischen oder psychischen Erkrankungen besser zu managen und insbesondere die Zahl erneuter stationärer Aufnahmen der Teilnehmer deutlich zu verringern bzw. bei ambulanter Verdachtsdiagnose in Zusammenhang mit dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung die Eltern zu unterstützen und zur Verringerung von Sekundärerkrankungen zu entlasten.

Die Klägerin stufte ihre Umsätze aus dem Betrieb des Gesundheitstelefons --soweit der Anruf von ihren Mitarbeitern als therapeutischer Anruf erfasst wurde-- und der Patientenbegleitprogramme als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ein und meldete für den --vormals allein streitgegenständlichen-- Voranmeldungszeitraum Februar 2014 insoweit steuerfreie Umsätze an.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig und setzte mit Bescheid vom 08.05.2014 die Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2014 abweichend von der Voranmeldung fest.

Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies mit Urteil vom 14.08.2015 - 1 K 1570/14 U (Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 2232) die Klage ab. Es führte aus, die telefonischen Beratungsleistungen der Klägerin seien nicht als ärztliche Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit. Die im Rahmen des Gesundheitstelefons erteilten Informationen beruhten nicht auf medizinischen Feststellungen, die von entsprechendem Fachpersonal getroffen worden seien, sondern allein auf den Angaben des Anrufers zu dem Krankheitsbild, zu dem dieser sich habe weiter informieren wollen, sei es zur Art der Diagnose, der Behandlungsmöglichkeiten oder der Präventionsmaßnahmen. Dementsprechend hätten auch die Krankenkassen in ihren Internet-Auftritten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein medizinisches Informationsgespräch den Besuch beim Arzt nicht ersetzen könne bzw. dass diese Informationen nicht den Haus- oder Facharzt und auch nicht den Apotheker ersetzten; es würden keine Ferndiagnosen gestellt, sondern lediglich weitergehende Informationen über eine Erkrankung oder Auskünfte zu Diagnosen erteilt. Auch den Beratungsleistungen des Patientenbegleitprogrammes fehle es am erforderlichen therapeutischen Zweck. Die Leistungen seien weder ärztlich verordnet noch seien sie im Rahmen einer individuellen Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt worden.

Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, ihre vorbeugenden Beratungsleistungen unterfielen der Steuerbefreiung, da sie einen unmittelbaren Krankheitsbezug hätten und dazu dienten, spätere höhere Kosten durch ärztliche Heilbehandlungen zu vermeiden. Ebenso wie bei Erst- oder Notfallberatung sei eine vorherige von medizinischem Fachpersonal gestellte Diagnose nicht Voraussetzung. Auch ein (erstmaliger) telefonischer Arzt-Patienten-Kontakt sei Teil einer steuerbefreiten ärztlichen Leistung. Im Übrigen käme telemedizinischen Leistungen zunehmende Bedeutung zu.

Das FA verteidigt die Vorentscheidung und führt aus, dass --selbst wenn der individuelle Gesundheitsfall des Anrufers Anlass des Telefonats gewesen sei-- aufgrund der fehlenden Krankenunterlagen nur die Bandbreite der allgemein denkbaren medizinischen Möglichkeiten habe dargestellt werden können. Das Telefonat habe neben einer allgemeinen medizinischen Information nur eine Entscheidungshilfe geben können, ob der Anrufer z.B. einen (weiteren) Arzt aufsucht oder die von seinem Arzt vorgeschlagene Therapie bzw. Behandlung fortführt.

Mit Beschluss vom 18.09.2018 - XI R 19/15 (BFHE 262, 561, BStBl II 2019, 178) hat der erkennende Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [MwStSystRL] unterfällt?

2. Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von 'Patientenbegleitprogrammen' für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die telefonischen Beratungen von 'Gesundheitscoaches' (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird?"

Der EuGH hat mit seinem Urteil X-GmbH vom 05.03.2020 - C-48/19 (EU:C:2020:169) wie folgt geantwortet:

"1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c [MwStSystRL] ist dahin auszulegen, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

2. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c [MwStSystRL] ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts."

Die Klägerin sieht sich durch das EuGH-Urteil in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

Das FA leitet hingegen aus dem EuGH-Urteil ab, dass im Gegensatz zu den Patientenbegleitprogrammen, die sich jeweils auf ein bestimmtes Krankheitsbild eines bestimmten Patienten beschränkten, beim Gesundheitstelefon nicht in gleicher Weise naheliegend sei, dass auch hier durchgehend ein im weiteren Sinne therapeutischer Zweck erfüllt werde. Jedenfalls fehle es insgesamt an den notwendigen gesetzlichen Regelungen, die die an die Mitarbeiter/innen zu stellenden Qualifikationsanforderungen festlegen. Insbesondere sei ungeklärt, in welchem Umfang auch Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen können.

Nach Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens hat das FA am 09.06.2020 für das Streitjahr einen Umsatzsteuerbescheid erlassen und diesen mit Bescheid vom 16.09.2020 gemäß § 129 der Abgabenordnung berichtigt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils und Änderung des Umsatzsteuerbescheides für 2014 vom 16.09.2020 die Umsatzsteuer auf … € festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zu Unrecht hat das FG den von der Klägerin mit dem Betrieb des Gesundheitstelefons und der Durchführung von Patientenbegleitprogrammen erbrachten Leistungen die Qualität von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin (§ 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008, BGBl I 2008, 2794 --UStG--, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) bereits dem Grunde nach abgesprochen. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um den Streitfall abschließend zu entscheiden.

1. Das Urteil des FG ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Da dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.04.2013 - XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 25; vom 03.07.2014 - V R 32/13, BFHE 246, 264, BStBl II 2017, 666, Rz 10; BFH-Beschluss vom 12.09.2018 - I R 77/16, BFH/NV 2019, 296, Rz 9).

Der im Revisionsverfahren zuletzt ergangene Umsatzsteuer-Jahresbescheid für 2014 vom 16.09.2020 hat den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Februar 2014, der Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 FGO ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 121 Satz 1 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid im Verhältnis zum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 26, m.w.N.). Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Jahresbescheides für 2014 vom 16.09.2020.

2. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden". Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Danach sind "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden", steuerfrei.

Die Vorschrift des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ist im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unionsrechtskonform auszulegen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 11.10.2017 - XI R 23/15, BFHE 259, 567, BStBl II 2018, 109, Rz 24 f., m.w.N.), wozu auch weiterhin die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern herangezogen werden kann (vgl. EuGH-Urteile Future Health Technologies vom 10.06.2010 - C-86/09, EU:C:2010:334, Rz 27; Peters vom 18.09.2019 - C-700/17, EU:C:2019:753, Rz 18).

a) Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL betrifft Leistungen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden (vgl. z.B. EuGH-Urteile Peters, EU:C:2019:753, Rz 21; X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 20). Auch telefonisch erbrachte Heilbehandlungen können unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung fallen, wenn sie alle Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung erfüllen (vgl. EuGH-Urteil X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 21, 23).

b) Der autonome unionsrechtliche Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" (vgl. EuGH-Urteile Unterpertinger vom 20.11.2003 - C-212/01, EU:C:2003:625, Rz 35; D'Ambrumenil und Dispute Resolution Services vom 20.11.2003 - C-307/01, EU:C:2003:627, Rz 53) erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Peters, EU:C:2019:753, Rz 20; X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 28). Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist; so fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung (vgl. z.B. EuGH-Urteile Future Health Technologies, EU:C:2010:334, Rz 41 f.; PFC Clinic vom 21.03.2013 - C-91/12, EU:C:2013:198, Rz 27; X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 29).

Das Fehlen einer ärztlichen Verschreibung vor der telefonischen Beratung oder einer konkreten ärztlichen Behandlung im Anschluss daran genügt nicht zur Klärung der Frage, ob eine solche Beratung unter den Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fällt (EuGH-Urteil X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 30).

c) Zum Streitfall hat der EuGH mit Urteil X-GmbH (EU:C:2020:169) entschieden:

"31 Im vorliegenden Fall ermöglichen Beratungen, die darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen, es der betroffenen Person, ihre medizinische Situation zu verstehen und gegebenenfalls entsprechend tätig zu werden, insbesondere indem sie ein bestimmtes Arzneimittel einnimmt oder nicht einnimmt; sie können daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff 'Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin' im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie fallen.

32 Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff.

33 Ebenso können Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle, bestehen, den unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung fallenden Leistungen nicht gleichgestellt werden."

d) Das FG hat seiner Entscheidung andere Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt. Sein Urteil kann auch deshalb keinen Bestand haben.

Dem FG obliegt es, Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) zu den von der Klägerin mit dem Betrieb des Gesundheitstelefons erbrachten Leistungen zu treffen und diese gemäß den Rechtsgrundsätzen des EuGH-Urteils X-GmbH (EU:C:2020:169, Rz 31 bis 33) rechtlich einzuordnen.

e) Für die Leistungen der Klägerin im Rahmen der Patientenbegleitprogramme ist der sachliche Anwendungsbereich der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL dem Grunde nach eröffnet. Es handelt sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch --SGB V--) nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden und damit nachgewiesen einen therapeutischen Zweck erfüllen (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 262, 561, BStBl II 2019, 178, Rz 28).

f) Eine Heilbehandlungsleistung ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL allerdings nur dann steuerfrei, wenn sie im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht wird (vgl. EuGH-Urteil X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 17). Nicht notwendig ist jedoch, dass jeder Aspekt einer therapeutischen Behandlung von medizinischem Personal durchgeführt wird (vgl. EuGH-Urteil Verigen Transplantation Service International vom 18.11.2010 - C-156/09, EU:C:2010:695, Rz 28).

aa) Die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe obliegt nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL den Mitgliedstaaten, die über ein Ermessen bei der Bestimmung der Berufe, in deren Rahmen die Erbringung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit ist, und insbesondere bei der Festlegung der Qualifikationen, die für die Ausübung dieser Berufe erforderlich sind, verfügen (vgl. EuGH-Urteile Solleveld u.a. vom 27.04.2006 - C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rz 29 f., 32; X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 40).

bb) Dementsprechend regelt § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, dass Leistungen im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit erfasst werden.

cc) Für die nicht unter einen der genannten Katalogberufe fallenden Unternehmer kann sich die erforderliche Berufsqualifikation nach der nationalen Rechtsprechung aus einer berufsrechtlichen Regelung ergeben. Außerdem kann --entsprechend dem Zweck der Regelung, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten-- grundsätzlich vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ausgegangen werden, wenn die Leistungen des Unternehmers durch heilberufliche Tätigkeit in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (vgl. BFH-Urteile vom 12.08.2004 - V R 18/02, BFHE 207, 381, BStBl II 2005, 227, unter II.B.3.e bb, Rz 43; vom 11.11.2004 - V R 34/02, BFHE 208, 65, BStBl II 2005, 316, unter II.4.a, Rz 21). Eine Kostentragung durch gesetzliche Krankenkassen ist dabei dann von Bedeutung, wenn sie den Charakter eines Befähigungsnachweises hat. Dies kann sich im Einzelfall aus den Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nach den nationalen Regelungen im Vierten Kapitel des SGB V und damit aus den §§ 69 ff. SGB V ergeben. So ist z.B. die Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nach § 92 SGB V, der Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V oder die Zulassung nach § 124 SGB V als Indiz für das Vorliegen der erforderlichen Berufsqualifikation anzusehen (vgl. BFH-Beschluss vom 14.10.2010 - V B 152/09, BFH/NV 2011, 326, Rz 4, m.w.N.). Auch aus der Kostentragung nach § 43 SGB V i.V.m. einer Gesamtvereinbarung kann sich der erforderliche Qualifikationsnachweis ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 30.04.2009 - V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.3.b, Rz 24).

dd) Im vorliegenden Fall waren Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte (Arzthelfer), die größtenteils auch als Gesundheitscoach ausgebildet waren, tätig. Bei gegebener Relevanz wurden diese in mehr als einem Drittel der Fälle von Fachärzten unterstützt. Die betreffenden Kosten wurden vollständig von gesetzlichen Krankenkassen getragen, woraus --wie dargestellt-- grundsätzlich auf die für die erbrachten Leistungen erforderliche Qualifikation des von der Klägerin eingesetzten Personals geschlossen werden kann. Allerdings erfolgte dies möglicherweise auf einzelvertraglicher Grundlage außerhalb des Leistungskatalogs und nicht aufgrund eines unter II.2.f cc genannten Vertrags.

Hierzu weitere Feststellungen zu treffen, die Feststellungen tatsächlich zu würdigen und nach den Vorgaben des EuGH-Urteils X-GmbH (EU:C:2020:169) rechtlich einzuordnen, obliegt dem FG.

(1) Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL verlangt nicht, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen (vgl. EuGH-Urteil X-GmbH, EU:C:2020:169, Leitsatz 2, Rz 47).

(2) Zwar können die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Ermessens ggf. verlangen, dass die Anbieter berufliche Qualifikationen erwerben, die über diejenigen hinausgehen, die für die in anderer Weise als telefonisch erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erforderlich sind (EuGH-Urteil X-GmbH, EU:C:2020:169, Rz 44). Solche verbindlichen Festlegungen über die fachlichen Anforderungen an das Erbringen von telefonischen medizinischen Beratungsleistungen bestehen in der Bundesrepublik Deutschland indes nicht (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 262, 561, BStBl II 2019, 178, Rz 34).

Aus dem Einwand des FA, dass für die Patientenbegleitprogramme und die Gesundheits-Hotline der Klägerin gesetzliche Regelungen fehlen, die die Qualifikationsanforderungen der Mitarbeiter/innen festlegen, folgt damit nicht, dass in Fällen wie dem vorliegenden die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL ausgeschlossen wäre. Vielmehr gelten die unter II.2.f cc dieses Urteils dargestellten Rechtsgrundsätze.

g) Gründe, die Veranlassung gäben, die streitbefangenen Umsätze der Klägerin im Hinblick auf gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen Dritter aus Gründen der steuerrechtlichen Neutralität der Umsatzsteuer zu unterwerfen, hat das FG nicht festgestellt. Sie sind bisher auch nicht ersichtlich.

3. Durch die Zurückverweisung erhält das FG zugleich Gelegenheit, Feststellungen zu der Höhe der Vorsteuern und deren Aufteilung sowie ggf. zu § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG zu treffen.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

5. Der Senat erkennt gemäß § 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.

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