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BFH zur Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen und Duldungsinanspruchnahme des Kontoinhabers im Fall einer Kontoleihe

  1. Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO beste­hen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrecht­lichen Bedenken.
  2. Erteilt der Kontoinhaber einem Dritten, z.B. seinem Ehepartner, Kontovoll­macht und lässt er es ohne Kontrollmaßnahmen zu, dass der Dritte das Konto für die Abwicklung eigener Geldgeschäfte nutzt, finden bei einer Duldungsin­anspruchnahme des Kontoinhabers nach § 3 AnfG die Grundsätze für eine Wissenszurechnung nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB entsprechende Anwendung.

GG Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3
AO §§ 191 Abs. 1, 227, 233, 233a, 238, 240
AnfG §§ 3, 11
BGB § 166

BFH-Urteil vom 23.8.2022, VII R 21/21 (veröffentlicht am 9.2.2023)

Vorinstanz: FG Münster vom 19.5.2021, 7 K 2714/18 AO = SIS 21 12 99

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich gegen die Inan­spruchnahme für bestandskräftig festgesetzte Steuerschulden ihres Eheman­nes, des Steuerschuldners, gemäß § 191 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Abgaben­ordnung (AO) i.V.m. § 3 des Gesetzes betreffend die Anfechtung von Rechts­handlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens in der damals geltenden Fassung (Anfechtungsgesetz ‑‑AnfG‑‑).

Die Klägerin ist nichtselbständig tätig. Der Steuerschuldner ist gelernter X-Mechaniker und ging in der Vergangenheit verschiedenen selbständigen und nichtselbständigen Tätigkeiten nach. Aus seinen selbständigen Tätigkeiten resultierten Steuerschulden, die seit dem Jahr 1999 zu Vollstreckungsmaßnahmen führten.

Die Klägerin führte ihr Gehaltskonto zunächst bei der T‑Bank. Am 04.06.2010 eröffnete sie ein Girokonto bei der R‑Bank und nutzte dieses als Gehaltskonto. Am 21.01.2011 erteilte die Klägerin dem Steuerschuldner eine Vollmacht über dieses Konto und beantragte für ihn die Ausgabe einer R‑Bank Card. Im Juni 2011 eröffnete die Klägerin erneut ein Konto bei der T‑Bank und nutzte dieses nunmehr als ihr Gehaltskonto.

Bereits im Mai 2011 pfändete der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Ansprüche des Steuerschuldners aus dessen Geschäftsbeziehung mit einer weiteren Bank. Im Juni 2011 gab der Steuerschuldner eine eides­stattliche Versicherung ab. Wegen der gemeinsamen Einkommensteuerschul­den kam es im Jahr 2012 zu Lohnpfändungen bei der Klägerin.

Der Steuerschuldner meldete sein Gewerbe (Hausmeisterservice) im Oktober 2012 beim Gewerbeamt ab. Am XX.07.2013 meldete er sich mit dem Benutzernamen "RHxx" auf dem Internetportal "www.x‑Arbeit.de" an.

Im September 2016 betrugen seine Steuerschulden 42.721,31 €. Darin waren Säumniszuschläge in Höhe von 9.848,50 € enthalten. Wegen dieser Steuer­schulden führte das FA verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen bei dem Steu­erschuldner durch. Zudem gab der Steuerschuldner eine Vermögensauskunft ab.

Im Rahmen eines Kontenabrufverfahrens erfuhr das FA, dass der Steuer­schuldner Verfügungsberechtigter des Kontos der Klägerin bei der R‑Bank war. Auf der Grundlage eines Auskunftsersuchens stellte die R‑Bank dem FA die Kontoauszüge für den Zeitraum von August 2011 bis März 2017 zur Verfü­gung.

Aus den Kontoauszügen ergab sich, dass auf diesem Konto ab April 2012 bis 2016 Überweisungen mit dem Betreff "Service R. H." in Höhe von insgesamt 75.452,02 € eingegangen waren. Ferner wiesen die Kontoauszüge von 2011 bis 2017 Bareinzahlungen in Höhe von insgesamt 14.810 € aus. Die Zahlungs­eingänge betreffend eBay-Geschäfte sowie Winterdienst- und Gartenarbeiten betrugen von 2012 bis 2017 insgesamt 17.340,72 €.

Auf dem Konto war es auch zu Sollbuchungen gekommen, u.a. durch mehrma­lige Kartenzahlungen bei zwei Baumärkten, bei Tankstellen, bei Discountern sowie drei Mal vom 27.07. bis 30.07.2012 (insgesamt 869,76 €) und dreizehn Mal vom 17.07. bis 28.07.2014 (insgesamt 1.567,32 €) in den Niederlanden, zweimal betreffend Kino, einmal betreffend Bekleidung sowie einmal an ein Fahrradgeschäft in Höhe von 761,20 €. Zudem wurden zugunsten der Klägerin Lastschriften ausgeführt (für verschiedene Versicherungen, ihr Depot, ihr PayPal-Konto sowie bei einer Mobilfunk-GmbH) sowie weitere Lastschriften, die sich keiner konkreten Person zuordnen ließen (aufgrund eines monatlichen Sky-Abonnements und durch Amazon). Ferner wurden Barabhebungen getä­tigt sowie Überweisungen (u.a. an Versicherungen für drei verschiedene Kfz, an einen Drogeriemarkt, an D‑Tickets und an ein Energieversorgungsunter­nehmen), bei denen teilweise die Klägerin im Buchungstext genannt wurde.

Am 03.03.2017 wies das Konto ein Guthaben in Höhe von 1.354,15 € aus.

Nach vorheriger Anhörung forderte das FA die Klägerin durch Duldungsbe­scheid vom 11.04.2017 zur Zahlung von insgesamt 40.874,17 € auf. Dieser Betrag setzte sich aus Lohnsteuer 2012, Einkommensteuer 2013 bis 2015, Umsatzsteuer 2009 bis 2016 sowie Säumniszuschlägen in Höhe von 11.794,73 € zusammen. Diese Steuerschulden ihres Ehemannes waren zwi­schen dem 04.08.2011 und dem 20.02.2017 fällig geworden. Die Säumniszu­schläge entfielen auf Zeiträume bis zum 28.04.2017. Das FA setzte die Säum­niszuschläge insgesamt nur zur Hälfte ‑‑also in Höhe von 5.897,36 €‑‑ an. Das FA führte in dem Duldungsbescheid u.a. aus, die Kunden ihres Ehemannes, des Steuerschuldners, hätten auf seine Veranlassung hin Zahlungen in Höhe von insgesamt 94.031,64 € auf das Konto bei der R‑Bank geleistet. Aufgrund der ihm eingeräumten Vollmacht sei er befugt gewesen, über dieses Konto im eigenen Namen zu verfügen. Indem er die Zahlungen auf das Konto bei der R‑Bank veranlasst habe, habe er eine Rechtshandlung mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung vorgenommen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG). Eine Gläu­bigerbenachteiligung sei gegeben, da nicht er, sondern die Klägerin gegenüber der Bank eine Forderung erworben habe. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG sei zu vermuten, dass die Klägerin von dem Benachteiligungsvorsatz ihres Eheman­nes Kenntnis gehabt habe, da sie von seiner drohenden Zahlungsunfähigkeit und von den Zahlungen auf ihr Konto gewusst habe. Eine drohende Zahlungs­unfähigkeit sei gegeben, wovon die Klägerin aufgrund der vorherigen Ge­schehnisse Kenntnis gehabt habe. Zudem sei ihr der Vorsatz ihres Ehemannes nach § 166 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zuzurechnen.

Im März 2018 fand eine Durchsuchung der Wohnung der Eheleute statt. Die Fahndungsbeamten beschlagnahmten u.a. einen an die Klägerin adressierten ungeöffneten Brief mit Kontoauszügen der R‑Bank vom 20.11.2015 sowie wei­tere lose Kontoauszüge der R‑Bank vom 30.12.2016, 02.01.2017, 13.02.2017 und 24.05.2017. Gefunden wurden ferner Kontoauszüge aus dem Jahr 2016 sowie im Jahr 2017 nacherstellte Duplikate von Kontoauszügen.

Einspruch und Klage gegen den Duldungsbescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Voraussetzungen für den Erlass eines Dul­dungsbescheids lägen vor. Der Steuerschuldner habe bei der Anweisung an seine Kunden, auf das Konto der Klägerin zu überweisen, mit Gläubigerbe­nachteiligungsabsicht nach § 3 Abs. 1 AnfG gehandelt. Davon habe die Kläge­rin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG Kenntnis gehabt, weil ihr die Kenntnis ihres Ehemannes nach § 166 BGB zuzurechnen sei. Denn sie habe nach dem Ergeb­nis der Beweisaufnahme jedenfalls bewusst die Augen davor verschlossen, dass der Steuerschuldner ihr Konto seinen Kunden gegenüber angegeben und damit veranlasst habe, dass ihm zustehende Zahlungen auf dieses Konto ein­gegangen seien. Damit könne offenbleiben, ob die Klägerin selbst Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihres Ehemannes gehabt habe. Ins­besondere brauche das FG nicht zu entscheiden, ob hinreichende Beweisanzei­chen bzw. Indiztatsachen für eine solche Kenntnis vorlägen. Auch die Höhe der Säumniszuschläge sei nicht verfassungswidrig. Die Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 1437 abgedruckt.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, es be­stünden keine durchgreifenden Anknüpfungspunkte dafür, dass sie davon habe ausgehen müssen, dass ihr Ehemann überhaupt ein Konto nutze und dass es sich hierbei um ihr Konto handele. Die Voraussetzungen einer Wissenszurech­nung nach § 166 BGB seien nicht gegeben. Auch hinsichtlich der Säumniszu­schläge sei der Duldungsbescheid aufzuheben, weil die darin enthaltene Zins­höhe verfassungswidrig sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und den Duldungsbescheid des Beklagten vom 11.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2018 aufzuhe­ben,
hilfsweise,
die Sache an das FG Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entschei­dung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA führt aus, das FG habe seine Beweiswürdigung umfangreich und nach­vollziehbar begründet. Diese verstoße weder gegen Denkgesetze oder allge­meine Erfahrungssätze noch sei sie willkürlich. Daran sei der Bundesfinanzhof (BFH) nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden. Der BFH habe in seinem Urteil vom 30.06.2020 ‑ VII R 63/18 (BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191) die Grundsätze zu § 166 BGB über den Fall einer "absichtlichen" Kontoleihe auf die Fälle der "unabsichtlichen" Kontoleihe ausgedehnt. Im Streitfall sei der Ehemann mit den geschäftlichen Verpflichtungen der Eheleute betraut gewesen, sodass nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesge­richtshofs (BGH) vom 25.03.1982 ‑ VII ZR 60/81 (BGHZ 83, 293) eine Wis­senszurechnung erfolge.

Bezüglich der Säumniszuschläge sei wegen ihres Mischcharakters kein "fester" Zinsanteil enthalten, welcher evtl. verfassungsrechtlich überhöht sein könnte. Der pauschalierte Erlass eines Teils der Säumniszuschläge könne nicht dazu führen, von einem Zinsanteil in Höhe von 50 % auszugehen. Auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BGBl I 2021, 4303, Neue Juristische Wochen­schrift ‑‑NJW‑‑ 2021, 3309) habe eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklä­rung auf die Säumniszuschläge zu unterbleiben.

II. Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA konnte die durch den Steuer­schuldner, den Ehemann der Klägerin, veranlassten Zahlungen auf das Konto der Klägerin nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechten und folglich den Duldungsbe­scheid nach § 191 Abs. 1 AO erlassen.

1. Die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 AnfG sind im Streitfall ausweislich der Vorentscheidung, die insoweit nicht zu beanstanden ist, erfüllt.

a) Das FA war anfechtungsberechtigter Gläubiger und der Steuerschuldner war Schuldner i.S. der §§ 1 und 2 AnfG. Die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Steuerschuldners hat nicht zu einer vollständigen Befriedigung des FA ge­führt. Dies wird im Streitfall auch dadurch belegt, dass der Steuerschuldner eine Vermögensauskunft nach § 284 AO abgegeben hat (vgl. Senatsbeschluss vom 28.05.2003 ‑ VII B 106/03, BFH/NV 2003, 1146).

b) Die im Duldungsbescheid aufgeführten Steuerschulden waren festgesetzt, fällig und vollstreckbar.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass keine Zahlungsverjährung eingetreten war. Das wird durch die Klägerin im Revisionsverfahren auch nicht bestritten, weswegen der Senat auf weitere Ausführungen verzichtet.

Zudem erstreckt sich die Duldungsverpflichtung zu Recht auch auf Säumniszu­schläge (§ 191 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 37 Abs. 1, 3 Abs. 4 Nr. 5 AO). Zwar ist die Klägerin im Streitfall mit ihren verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen die Höhe der Säumniszuschläge nicht --entsprechend dem Rechtsgedanken des § 256 AO‑‑ ausgeschlossen (vgl. Senatsurteile vom 01.03.1988 ‑ VII R 109/86, BFHE 152, 321, BStBl II 1988, 408, unter II.2.c, und in BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191, Rz 23). Denn da Säumniszuschläge kraft Gesetzes bei Verwirklichung des Tatbestandes der Säumnis entstehen und nicht festge­setzt werden müssen, bedarf es bei einem Streit über die Verwirkung der Säumniszuschläge eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO, der im Streitfall nicht vorliegt. Gegen die Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Die vom BVerfG in seinem Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen.

(1) Ausgangspunkt der in der Entscheidung des BVerfG als verfassungswidrig angesehenen Ungleichbehandlung war die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO geregel­te fünfzehnmonatige Karenzzeit, welche nach Ansicht des BVerfG zu einer ver­fassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen führt, nämlich derjenigen Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit (zutreffend) festgesetzt wurde, gegenüber denje­nigen, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wurde, mithin eine Ungleichbehandlung zinszahlungspflichtiger gegenüber nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern (vgl. BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 104).

(a) Das BVerfG sah die verfassungsrechtlich relevante Ungleichheit folglich nicht in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Zinszahlungspflichtigen in dem Sinne, dass sie im Binnenverhältnis durch die Bestimmung des Zinssatzes nicht rechtlich und tatsächlich gleichmä­ßig belastet würden, sondern allein in einer rechtfertigungsbedürftigen Un­gleichbehandlung der nach § 233a AO zinszahlungspflichtigen gegenüber den nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern durch die typisierende Annah­me eines durch eine späte Steuerfestsetzung entstandenen potentiellen Liqui­ditätsvorteils in Höhe von monatlich 0,5 % Zinsen (BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 105).

(b) Dabei spielte die Frage, ob ein Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen auszugleichenden Vorteil der Höhe nach realitätsgerecht abbildet, erst in der anschließenden Rechtferti­gungsprüfung nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen eine Rolle (vgl. BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 109 ff. und 116 ff.). Das BVerfG sah diesen potentiell entstehenden Vorteil mit dem mo­natlichen Zinssatz von 0,5 % ab 2014 als nicht mehr realitätsgerecht bemes­sen an (BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 203 ff.).

(c) Insbesondere mit Blick auf die ansonsten bestehenden erheblichen haus­haltswirtschaftlichen Unsicherheiten hat das BVerfG allerdings hinsichtlich der Zinshöhe nach §§ 233a, 238 AO eine Fortgeltungsanordnung für Verzinsungs­zeiträume bis zum 31.12.2018 getroffen. Da das BVerfG jedoch ausdrücklich nur über die Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen gemäß §§ 233a, 238 AO und nicht auch des Säumniszuschlags entschieden hat und es ferner fraglich ist, ob den staatlichen Einnahmen aus § 240 AO eine ähnliche haus­haltswirtschaftliche Bedeutung wie den Nachzahlungszinsen zukommt, sodass das BVerfG auch bei einer Verfassungswidrigkeit des § 240 AO eine Fortgel­tung bis zum 31.12.2018 anordnen würde, ist die Frage der Verfassungswid­rigkeit der Säumniszuschläge im Streitfall zu entscheiden, obwohl der Streit­zeitraum vor dem 31.12.2018 liegt.

(2) Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbe­handlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungs­pflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht ge­geben.

(a) Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objekti­ve Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwi­schen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festset­zung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann (vgl. BeckOK AO/Oosterkamp, 21. Ed. [01.07.2022], AO § 233a Rz 1). Nachzahlungszinsen sind dementsprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Aus­gleich für die Kapitalnutzung. Die Vollverzinsung hat keine zusätzliche Len­kungsfunktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steu­ererklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Vorauszahlungen angemes­sen anzusetzen (vgl. BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 126). Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuerer­stattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuer­pflichtigen. Darauf, ob sie tatsächlich einen Zinsvorteil oder ‑nachteil durch die späte Steuerfestsetzung erzielt haben, kommt es nicht an. Auch die Gründe für die späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Anwendung des § 233a AO unerheblich; die Vollverzinsung nach § 233a AO entsteht unabhän­gig vom Verhalten der Steuerpflichtigen (BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 7, m.w.N.).

(b) Anders verhält es sich hingegen im Hinblick auf die verschiedenen Funktio­nen der Säumniszuschläge. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumniszuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchset­zung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO ver­folgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtun­gen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hin­ausschieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungsaufwand der Finanzbehörden auszugleichen (vgl. BFH-Urteile vom 29.08.1991 ‑ V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.a, m.w.N., und vom 30.03.2006 ‑ V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612, unter II.2., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 02.03.2017 ‑ II B 33/16, BFHE 257, 27, BStBl II 2017, 646, Rz 32).

Die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen ist damit nicht Haupt‑, sondern nur Nebenzweck der Regelung (vgl. bereits den Gesetzgeber: BTDrucks 3/2573, S. 34, zu § 1 Abs. 1; BTDrucks 8/1410, S. 3 f.; vgl. auch BVerfG-Kammerbe­schluss vom 04.05.2022 ‑ 2 BvL 1/22, Recht und Schaden 2022, 460, Rz 31, zu in § 193 Abs. 6 Satz 2 des Versicherungsvertragsgesetzes geregelten Säumniszuschlägen). Es geht folglich nicht um einen Vorteilsausgleich gegen­über anderen Steuerpflichtigen, sondern lediglich als Nebenzweck um einen Ausgleich gegenüber der Finanzverwaltung. Schon daran zeigt sich, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar sind.

Die Ausführungen des BVerfG, mit denen es eine Erstreckung der Unverein­barkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände, namentlich auf Stundungs‑, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, abgelehnt hat, lassen sich zudem auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO übertragen. Das BVerfG hat insoweit dargelegt, dass bei diesen anderen Verzinsungstatbeständen eine Verzinsung in der Regel erst nach Fäl­ligkeit erfolgte und dass die Steuerpflichtigen die Entstehung dieser Zinsen jedenfalls bewusst in Kauf nähmen und damit grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichten und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnähmen oder ob sie die Steuerschuld tilgten und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschafften (BVerfG-Beschluss in BGBl I 2021, 4303, NJW 2021, 3309, Rz 243). Diese Ausführungen gelten beim Säumniszuschlag nach § 240 AO in gleicher Weise. Auch dieser setzt Fäl­ligkeit voraus und die Steuerpflichtigen haben seine Entstehung bewusst in Kauf genommen. Mithin unterscheiden sich die Sachverhalte zwischen zinszah­lungspflichtigen Steuerpflichtigen nach § 233a AO und säumniszuschlagspflich­tigen Steuerschuldnern nach § 240 AO auch insoweit.

Allein der Umstand, dass bei Säumniszuschlagspflichtigen anders als jetzt bei den zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern das strukturelle Niedrigzinsni­veau seit 2014 nicht berücksichtigt wird, genügt für eine Vergleichbarkeit der zwei Gruppen nicht (so aber das Amtsgericht Wiesbaden in seinem (Vorla­ge‑)Beschluss vom 21.12.2021 ‑ 92 C 1252/21 (13), juris, Rz 13, hinsichtlich säumniszuschlagspflichtiger Versicherungsnehmer). Denn das behandelt die eigentliche Frage nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bereits als Tatbestandsmerkmal der Ungleichbehandlung.

(3) Auch innerhalb der Gruppe der Säumniszuschlagspflichtigen selbst ist kei­ne Ungleichbehandlung gegeben.

Damit scheidet ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aus.

bb) Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt ferner nicht das Rechtsstaatsprin­zip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot.

(1) Der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Anspruch des Steuerpflichtigen, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Leis­tung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen herangezogen zu werden, ermöglicht es ihm auch, hierbei die Berücksichtigung des Verhältnismäßig­keitsprinzips einzufordern. Der Steuerpflichtige darf nicht zu einer unverhält­nismäßigen Abgabe herangezogen werden (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2009 ‑ 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.b aa, m.w.N.).

(2) Die Höhe des Säumniszuschlags ist auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Norm gedeckt.

Der historische Gesetzgeber begründete die Höhe des Säumniszuschlags von einem Prozent pro angefangenen Monat damit, dass der Säumniszuschlag dem Fiskus zwar keine wirtschaftliche Entschädigung für die Vorenthaltung des ihm geschuldeten Steuerbetrags gewähren, sondern allein den rechtzeitigen Ein­gang der Steuern sicherstellen solle. Dabei dürfe aber nicht die Höhe der Kre­ditkosten außer Acht gelassen werden. Der Gesetzgeber führte aus, der Säumniszuschlag dürfe nicht unter den Kosten für Kredite liegen, da sonst die Gefahr bestehe, dass Steuerpflichtige die Steuerzahlungen hinausschöben, weil diese Art der Finanzierung billiger wäre als ein Kredit auf dem Geldmarkt (BTDrucks 3/2573, S. 34). Anders als teilweise in der Literatur angedacht (vgl. Seer, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2022, 1975, 1802 f.; Romswinkel, Der Steuerberater ‑‑StB‑‑ 2021, 101, 104), orientiert sich die Höhe des Säumniszuschlags also nicht an den Verzugszinsen des BGB. Vielmehr führte der Gesetzgeber weiter aus, als Vergleichsmaßstab für Säumniszuschläge kämen die Kreditkosten für Kontoüberziehungen in Betracht. Diese hätten im Herbst 1960 im Bundesge­biet jährlich 11 % betragen (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank für Oktober 1960, S. 98). Unter diesen Umständen erschien dem Gesetzgeber ein Zuschlag von einem Prozent für jeden angefangenen Monat als angemessen (BTDrucks 3/2573, S. 34). Von dieser Ausgangslage hat sich der Zinssatz für Kontoüberziehungen bis heute ‑‑gerade im Vergleich zu den sonstigen Zin­sen‑‑ nicht in einem unangemessen Umfang entfernt (vgl. z.B. BTDrucks 19/26890, S. 1, m.w.N.).

(3) Unabhängig von diesem gesetzgeberischen Willen werden säumige Steuer­pflichtige durch die Höhe des Zuschlags nach § 240 AO nicht unverhältnismä­ßig hoch belastet. Die Gegenauffassung bringt vor, dass wegen der Verfas­sungswidrigkeit der Zinshöhe nach §§ 233a, 238 AO und dem auch von der Rechtsprechung anerkannten Zinscharakter des Säumniszuschlags, der bei der Frage nach einem Erlass gemäß § 227 AO im Falle der Überschuldung eine Rolle spielt, auch der Säumniszuschlag nach § 240 AO verfassungswidrig hoch sei. Die dabei vorgebrachten Argumente, die den Säumniszuschlägen nicht nur einen (sekundären) Zinscharakter attestieren, sondern sie (anteilsweise) als Zinsen behandeln wollen, vermögen jedoch nicht zu überzeugen.

(a) Zur Begründung der verfassungswidrigen Höhe der Säumniszuschläge wur­den diese letztlich als Zinsen definiert. Dazu wird angeführt, Zinsen seien ein laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals. Säumniszuschläge fielen nur dann an, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet werde. Damit sei ihr Anfall insgesamt auf die nicht rechtzeitige Tilgung ausgerichtet, sodass es sich um ein laufzeitabhängiges Entgelt für der Finanzbehörde vorenthaltenes Geld­kapital handele. Damit seien Säumniszuschläge per definitionem Zinsen und zwar sogar in vollem Umfang (Steck, Deutsche Steuer-Zeitung ‑‑DStZ‑‑ 2019, 143, 146).

Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen, denn sie berück­sichtigt nicht die Möglichkeit, dass einer im Fall der nicht fristgerechten Zah­lung geforderten zusätzlichen Leistung auch ein anderer Zweck zukommen kann als eine bloße Entgeltfunktion. Aus dem bloßen Umstand des Anfalls von Säumniszuschlägen bei nicht fristgerechter Zahlung auf deren Charakter als Zinsen zu schließen, wird der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht (s. oben 1.b bb (2)) und verkehrt den primären Zweck des Säumniszuschlags, i.e. die Erzeugung von Druck auf die Steuerpflichtigen, die Steuer bis zur Fälligkeit zu zahlen, in ihr genaues Gegenteil, nämlich jemandem Geld zu überlassen und dafür einen Ausgleich zu erhalten. Der Grund, weshalb allein aus der Säumnis darauf geschlossen können werden soll, dass es sich um Entgelt han­delt, wird dementsprechend nicht erklärt, sondern vorausgesetzt. Es handelt sich somit um einen Zirkelschluss.

(b) Zudem dürfen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach der aus­drücklichen gesetzlichen Regelung in § 233 Satz 1 AO nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Vorschrift des § 240 AO ist hier nicht zu verorten.

Auch hier vermögen die Gegenargumente nicht zu überzeugen. Zwar sind die Vorschriften über Zinsen und Säumniszuschläge im selben (Haupt‑)Abschnitt enthalten. Der Säumniszuschlag ist aber in einem eigenen Unterabschnitt im Zweiten Abschnitt "Verzinsung, Säumniszuschläge" des Fünften Teils der AO "Erhebungsverfahren" geregelt und gerade nicht als Zinstatbestand im Unter­abschnitt "Verzinsung". Den verschiedenen Regelungen in diesem Hauptab­schnitt lässt sich kein systematischer Zusammenhang dahingehend entneh­men, dass Zinsen und Säumniszuschläge wesentlich mehr verbindet, als dass es sich um steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 Nrn. 4 und 5 AO) im Rah­men der Erhebung handelt. Bereits der Vergleich der anderen AO-Abschnitte mit den verbindenden Elementen ihrer jeweiligen Unterabschnitte zeigt, dass in den Unterabschnitten der jeweiligen Abschnitte nicht ähnliche Fragen be­handelt werden, z.B. im Fünften Teil "Erhebungsverfahren", Erster Abschnitt mit den Unterabschnitten 1. "Verwirklichung und Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis", 2. "Zahlung, Aufrechnung und Erlass" und 3. "Zahlungsverjährung".

Soweit nach dem BFH (Urteil in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.a; ebenso BFH-Urteil vom 22.01.1993 ‑ III R 92/89, BFH/NV 1993, 455, unter Entscheidungsgründe 2.c in den Normen § 240 AO ‑‑Säumniszuschlä­ge‑‑, § 234 AO ‑‑Stundungszinsen‑‑ und § 237 AO ‑‑Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung‑‑) zum Ausdruck kommt, dass die Finanzbehörde von dem in den §§ 240 und 361 Abs. 1 AO niedergelegten Grundsatz, wonach festgesetzte Steuerschulden bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen absehen kann und darin einen systematischen Zu­sammenhang zwischen diesen drei Normen erkannt hat, handelt es sich nicht um einen systematischen Zusammenhang zwischen §§ 233 ff. AO und § 240 AO in dem Sinne, dass Säumniszuschläge Zinsen i.S. des § 233 Satz 1 AO sind (vgl. ferner Loose in Tipke/Kruse, § 240 AO Rz 1; Beschlüsse des FG Münster vom 29.05.2020 ‑ 12 V 901/20 AO, EFG 2020, 1053, Rz 34, und vom 16.05.2022 ‑ 5 V 507/22, EFG 2022, 1357, Rz 40). Denn einerseits hat der BFH in diesem Urteil fortgeführt, dass nach der Entscheidung des Gesetzge­bers folglich bei nicht rechtzeitiger Zahlung entweder Stundungszinsen, Aus­setzungszinsen oder Säumniszuschläge anfallen sollen und verwirkte Säumnis­zuschläge an die Stelle von Stundungs- oder Aussetzungszinsen treten. Das entspricht hinsichtlich der Säumniszuschläge dem oben dargestellten Neben­zweck des § 240 AO, aus dem allein sich aber nicht ergibt, dass Säumniszu­schläge Zinsen i.S. des § 233 AO sind.

Auch aus dem Umstand, dass § 233 Satz 1 AO nur verlangt, dass die Verzin­sung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gesetzlich "vorgeschrie­ben" sein muss, ohne den Unterabschnitt "Verzinsung" ausdrücklich in Bezug zu nehmen, lässt sich nicht schließen, dass die Zinstatbestände der §§ 233a bis 237 AO keinen abschließenden Katalog bilden und es sich bei Säumniszu­schlägen um Zinsen handelt. Auch die Existenz anderer Zinsvorschriften au­ßerhalb der AO, z.B. in § 28 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergeset­zes, § 12 des Investitionszulagengesetzes 2010 und § 111 des mit Ablauf des 31.12.2017 außer Kraft getretenen Branntweinmonopolgesetzes, spricht nicht zwingend dagegen, dass der Katalog der Zinstatbestände der §§ 233a bis 237 AO als abschließend betrachtet werden kann (a.A. Steck, DStZ 2019, 143, 147 f.). Zwar führt Steck an, dass Steuergesetze nicht den Begriff "Zinsen" gebrauchen müssen, um (jedenfalls auch) Zinsen zu meinen, und verweist zur Begründung auf § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes, des­sen dortige Umschreibung Zinsen erfasse (Steck, DStZ 2019, 143, 147 f.). In dieser Norm wird jedoch ausdrücklich vorausgesetzt, dass es sich bei den an­gesprochenen Zinsen um ein Entgelt handeln muss. Wie bereits dargelegt, kommen den Säumniszuschlägen jedoch andere Funktionen als eine reine Ent­geltfunktion zu. Gerade die Formulierungen "Zinsersatz", "Zinscharakter" und andere in der Literatur und Rechtsprechung zur Bezeichnung von Säumniszu­schlägen verwendete Begriffe zeigen, dass es sich bei Säumniszuschlägen um Nebenleistungen handelt, die zwar Eigenschaften von Zinsen teilen, aber selbst gerade keine Zinsen sind.

(c) Auch kann ein Zinsanteil nicht daraus hergeleitet werden, dass im Falle der Hinterziehung von Steuern Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 3 Satz 2 AO nicht für Zeiträume festgesetzt werden, für die ein Säumniszuschlag verwirkt wurde. Denn diese Anrechnung erfolgt nicht aus dem Gedanken heraus, dass Zinsen nicht zwei Mal berechnet werden sollen, sondern aus Gründen des Übermaßverbots zur Vermeidung einer Belastungskumulation; der Steuer­schuldner soll nicht doppelt belastet werden mit einerseits (Hinterzie­hungs‑)Zinsen und andererseits Säumniszuschlägen.

(d) Des Weiteren lässt sich beim Säumniszuschlag auch kein konkreter Anteil bestimmen, der als Zins behandelt werden könnte.

Für die Annahme eines verfassungswidrig überhöhten und nicht mehr reali­tätsgerecht typisierenden Zinsanteils bedürfte es der Festlegung auf einen be­stimmten prozentualen Zinsanteil als Maßstab. Einen solchen Anteil haben we­der der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung dem Säumniszuschlag bisher zugewiesen. Vielmehr hat die Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensent­scheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsun­fähigkeit dem Druckmittelcharakter der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 14.01.2002 ‑ XI B 146/00, juris, unter Entscheidungsgründe 3.). Aus dieser Aufteilung des Säumniszuschlags im Rahmen der eigenen rechtlichen Grund­sätze folgenden Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme kann jedoch nicht ge­nerell ein fester ‑‑typisierter‑‑ Zinsanteil von 6 % hergeleitet werden. So hatte diese Aufteilung ihren Grund nicht darin, dass die Rechtsprechung den Säum­niszuschlag in dieser Höhe als Zins ansah. Vielmehr sah sie in einem Fall, in dem auf Antrag eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wä­re, einen Teilerlass als ermessensgerecht an, weil dadurch der Nebenzweck der Gegenleistung berücksichtigt werde (Senatsurteil vom 26.04.1988 ‑ VII R 127/85, BFH/NV 1989, 71, unter II.), und hat als Maßstab für den Teiler­lass die Stundungs- oder Aussetzungszinsen herangezogen. Damit wollte die Rechtsprechung eine Gleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten si­cherstellen: Der säumige Schuldner sollte jedenfalls in der Höhe durch Säum­niszuschläge belastet bleiben, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären (BFH-Urteil in BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.b, m.w.N.). Der hälftige Erlass beruhte also nicht auf der Annah­me, der Zinscharakter der Säumniszuschläge sei mit einem bestimmbaren An­teil und damit in einer konkreten Höhe anzusetzen oder dass die Verzinsung nach der AO generell mit 6 % p.a. erfolge und daher auch in den Säumniszu­schlägen ein entsprechender Zinsanteil enthalten sei (so aber z.B. Romswinkel, StB 2021, 101, 102).

Lässt sich danach ein fester und typisierender Zinssatz der Regelung in § 240 AO nicht entnehmen, sondern kommt der Norm neben ihrem primären Sankti­onszweck für die nicht rechtzeitige Leistung ‑‑lediglich‑‑ auch ein Zinscharak­ter zu, fehlt es damit aber an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könnte. Nach alldem scheidet eine (an­teilige) Behandlung des Säumniszuschlags als Zins aus.

(e) Da also ein konkreter Zinsanteil dem Säumniszuschlag nach § 240 AO nicht immanent ist, kann sich die Verfassungswidrigkeit nur aus seiner Höhe von einem Prozent für jeden angefangenen Monat der Säumnis ergeben. Ein solcher ist bereits allein zur Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung der fälligen Steuer und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und da­her verfassungsrechtlich unbedenklich. Dabei ist zu beachten, dass dem Ge­setzgeber hinsichtlich des Übermaßes einer Beschwer ein Wertungsspielraum zur Verfügung steht. Gerade die Ausführungen des historischen Gesetzgebers machen deutlich, dass er sich dieses Spielraums bewusst war und ihn nicht überschritten hat (s. oben). Dass die Höhe von einem Prozent pro angefange­nen Monat an sich verhältnismäßig ist, wird dementsprechend nicht bezweifelt (vgl. z.B. Beschluss des FG München vom 13.08.2018 ‑ 14 V 736/18, EFG 2018, 1608; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 240 AO Rz 19; Lemaire in: Kühn/v. Wedelstädt, 22. Aufl., AO, § 240 Rz 1; Seer, DB 2022, 1795, 1803; Steck, DStZ 2019, 143, 150).

Unbilligen Härten im Einzelfall kann lediglich durch (Teil‑)Erlass nach § 227 AO begegnet werden (vgl. Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2022 ‑ 14 B 403/22, Zeitschrift für Kommu­nalfinanzen 2022, 216, Rz 8). Ob ein Erlass von 6 % nach § 227 AO im Falle der Überschuldung angesichts eines Niedrigzinsniveaus verfassungsgemäß ist, kann im vorliegenden Verfahren nicht überprüft werden. Bei einer solchen Fra­gestellung wäre jedoch auch in die Erwägung einzubeziehen, dass sich der Be­schluss des BVerfG nur auf den Zinstatbestand nach § 233a AO bezogen hat.

cc) Nach alldem erstreckt sich die Duldungsverpflichtung zutreffend auch auf Säumniszuschläge.

2. Es liegt auch eine Rechtshandlung nach § 1 AnfG vor.

a) Eine Rechtshandlung im Sinne dieser Vorschrift ist jedes rechtliche oder tat­sächliche Handeln oder Unterlassen, das rechtliche Folgen hat bzw. rechtliche Wirkungen auslöst (vgl. Senatsurteile vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 25, m.w.N., und vom 25.04.2017 ‑ VII R 31/15, BFH/NV 2017, 1297, Rz 11; Huber, AnfG, 12. Aufl., § 1 Rz 5; Jatzke in Gosch, AO § 191 Rz 15). Nach Sinn und Zweck des Gesetzes genügt es für die Annahme einer Rechtshandlung, dass das Gesetz an die konkrete Willensbetätigung eine Rechtswirkung knüpft.

Auch die Übertragung einer formellen Rechtsposition durch Einzahlung auf ein als Eigen‑, nicht als Anderkonto geführtes Bankkonto eines anderen sowie die Aufforderung an einen Drittschuldner, mit schuldbefreiender Wirkung auf ein derartiges Konto zu leisten, stellt eine Rechtshandlung i.S. des § 1 AnfG dar (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2017, 1297).

b) Im Streitfall hat der Steuerschuldner nach diesen Grundsätzen Rechtshand­lungen i.S. des § 1 Abs. 1 AnfG vorgenommen, indem er seine Geschäftspart­ner und Kunden (Drittschuldner) angewiesen hat, die ihm geschuldeten Be­träge auf das Konto der Klägerin zu überweisen, und damit dafür gesorgt hat, dass jedenfalls im Außenverhältnis Forderungen des Kontoinhabers ‑‑der Klä­gerin‑‑ gegen die Bank entstanden sind.

3. Die für eine Anfechtung nach §§ 1 ff. AnfG erforderliche objektive Gläubi­gerbenachteiligung ist ebenfalls gegeben.

a) Ob eine objektive Gläubigerbenachteiligung vorliegt, ist isoliert mit Bezug auf die Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Eine Vorteilsausgleichung findet dabei grundsätzlich nicht statt; zu berücksichtigen sind lediglich solche Folgen, die an die ange­fochtene Rechtshandlung selbst anknüpfen (Senatsurteil in BFH/NV 2017, 1297, Rz 12, m.w.N.). Eine dauerhafte Entreicherung des Schuldners oder dauerhafte Bereicherung des Anfechtungsgegners wird nicht vorausgesetzt (Umkehrschluss zu § 11 Abs. 2 AnfG; Senatsurteil in BFH/NV 2017, 1297, Rz 12, m.w.N.).

Wird ein pfändbarer Auszahlungsanspruch gegen ein Kreditinstitut oder sonsti­ge Drittschuldner in ein formal einem Dritten zustehendes Kontoguthaben überführt, liegt regelmäßig eine Gläubigerbenachteiligung vor. Ob die Dritt­schuldner Kenntnis davon haben, auf wessen Namen das Konto geführt wird, ist nicht von Belang. Auch eine etwaige Rechtsgrundlosigkeit der an den Kon­toinhaber bewirkten Zahlungen steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht ent­gegen. Durch die anschließende Auszahlung an den Schuldner, d.h. den Um­tausch des auf den Namen eines Dritten lautenden Kontoguthabens in einen für die Gläubiger nur schwer ausfindig zu machenden Bargeldbetrag oder durch die Weiterüberweisung an einen anderen Gläubiger wird die Gläubiger­benachteiligung nicht rückgängig gemacht (vgl. BGH-Urteile vom 26.04.2012 ‑ IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129, Rz 12; vom 10.09.2015 ‑ IX ZR 215/13, DB 2015, 2439, Rz 15 f., und vom 07.09.2017 ‑ IX ZR 224/16, DB 2017, 2279, Rz 11).

b) Nach diesen Grundsätzen hatten die vom Steuerschuldner bewirkten Über­weisungen der ihm zustehenden Geldbeträge auf das Konto der Klägerin eine objektive Gläubigerbenachteiligung zur Folge, weil seine Gläubiger das Gutha­ben nicht mehr ohne Weiteres aufgrund eines gegen ihn gerichteten Vollstre­ckungstitels pfänden konnten (ebenso Senatsurteil in BFH/NV 2017, 1297, m.w.N.). Denn jedenfalls im Außenverhältnis bestanden nur noch Forderungen der Klägerin gegen die Bank.

4. Auch stellten die Überweisungen der Kunden des Steuerschuldners auf das Konto der Klägerin eine nach § 3 Abs. 1 AnfG anfechtbare Rechtshandlung dar.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuld­ner in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz vorgenom­men hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.

b) Der Steuerschuldner hat mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht gehandelt.

aa) Die Gläubigerbenachteiligung muss nicht das Ziel des Schuldners sein. Falls das Handeln des Schuldners auf einen anderen Zweck gerichtet ist, ge­nügt es für eine entsprechende Absicht, wenn der Schuldner eine Gläubigerbe­nachteiligung als mögliche Folge seines Vorgehens erkennt und billigend in Kauf nimmt (BGH-Urteil vom 17.12.1998 ‑ IX ZR 196/97, NJW 1999, 1395, unter Entscheidungsgründe III.2., m.w.N.).

bb) Das FG hat die Gläubigerbenachteiligungsabsicht zutreffend bejaht, weil dem Steuerschuldner nach den bindenden Feststellungen des FG bewusst war, dass er Steuerschulden hatte und dass seine Konten wegen dieser Steuer­schulden gepfändet worden waren. Er nutzte das Konto der Klägerin, weil er über andere Konten nicht mehr verfügen konnte. Damit hat er zumindest billi­gend in Kauf genommen, dass die auf das Konto eingezahlten Beträge dem Zugriff des FA entzogen wurden.

c) Des Weiteren hatte die Klägerin von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Steuerschuldners Kenntnis i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG.

aa) Kenntnis vom Vorsatz des Schuldners hat der Anfechtungsgegner, wenn er hiervon sicher wusste, also sowohl die Gläubigerbenachteiligung als auch den darauf gerichteten Willen des Schuldners erkannt hat [MüKoAnfG/Weinland, AnfG § 3 Rz 29, (2. Aufl. 2022)]. Grob fahrlässige Unkenntnis steht der Kennt­nis nicht gleich (vgl. BGH-Urteil vom 10.07.2014 ‑ IX ZR 50/12, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ‑‑ZIP‑‑ 2014, 1639, Rz 20; Uhlenbruck/Borries/Hirte, Insol­venzordnung, 15. Aufl., § 133 Rz 51; Huber, a.a.O., § 3 Rz 27). Dabei finden die Grundsätze des § 166 BGB auch im Rahmen von § 3 Abs. 1 AnfG Anwen­dung.

(1) Nach § 166 Abs. 1 BGB kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklä­rung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden. Diese Regelung findet ihre Rechtferti­gung in dem Gedanken der Zurechenbarkeit. Die Zurechnung des Wissens ei­nes Vertreters setzt voraus, dass der Schuldner bei der anfechtbaren Rechts­handlung (auch) in Vertretung für den Anfechtungsgegner gehandelt hat (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 83, 293, und Senatsurteil vom 22.06.2004 ‑ VII R 16/02, BFHE 206, 217, BStBl II 2004, 923) oder zumindest allgemein mit der Erledi­gung bestimmter Angelegenheiten betraut war. Deshalb kommt der Rechtsge­danke des § 166 BGB insbesondere dann zum Tragen, wenn der Kontoinhaber dem Schuldner das Konto unter Erteilung einer Kontovollmacht für die Abwick­lung von dessen Geldgeschäften überlassen hat (Senatsurteil in BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191, Rz 45). In seinem Urteil in BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191 hat der erkennende Senat unter der Rz 45 aber auch diejenigen Fälle auf­geführt, in denen der Kontoinhaber bewusst die Augen vor einer derartigen Nutzungsmöglichkeit verschlossen hat (unter Verweis auf das Urteil des Oberlan­desgerichts Köln vom 12.01.1998 ‑ 16 U 72/97, NJW 1998, 2909).

(2) Auch wenn die Vorsatzanfechtung nach § 3 AnfG eine positive Kenntnis des Anfechtungsgegners voraussetzt und ein Kennenmüssen, auch grob fahr­lässige Unkenntnis, dafür nicht ausreicht, so schließt das nicht zwingend aus, im Rahmen des § 3 AnfG eine Wissenszurechnung nach § 166 Abs. 1 BGB vor­zunehmen. Gegen eine Übertragung der in § 166 Abs. 1 BGB getroffenen Re­gelung auf § 3 AnfG ließe sich zwar einwenden, dass "Kenntnis" ein tatsächlich vorhandenes Wissen voraussetzt, während "Kennenmüssen" auf einer Wertung beruht, und dass ein Rückgriff auf § 166 Abs. 1 BGB die Grenze zwischen "Kenntnis" und "Kennenmüssen" verwische, weil eine Wissenszurechnung nach dieser Vorschrift ebenfalls eine normative Wertung voraussetzt. Doch ist zu berücksichtigen, dass die Besonderheit der in § 166 Abs. 1 BGB getroffenen Regelung darin besteht, dass das Wissen tatsächlich vorhanden und wegen des arbeitsteiligen Vorgehens lediglich "verlagert" wird. Insofern liegt ein rea­les Wissen (an einer anderen Stelle) vor. Die Zuordnung des Wissens zum Ge­schäftsherrn erfolgt, weil er seine eigene Kenntnis durch mangelnde organisa­torische Maßnahmen verhindert hat und sich darauf nicht berufen können soll. Für den Anwendungsbereich des § 166 Abs. 1 BGB ist die Differenzierung ohne Folgen, da die Zurechnung in beiden Fällen erfolgt. Wesentlich ist die Unter­scheidung jedoch bei Regelungen, die nur bei Kenntnis, nicht aber bei fahrläs­siger Unkenntnis des Vertretenen eingreifen. Bei diesen Regelungen kann es im Rahmen der Wissenszurechnung und unter Berücksichtigung der Durchset­zung eines rechtsethischen Minimalstandards und von evtl. entgegenstehen­den Verkehrsschutzerwägungen erforderlich sein, nach Maßgabe des Norm­zwecks der anzuwendenden Norm, die Wissenszurechnung einzuschränken (vgl. hierzu MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl., § 166 Rz 58 ff., 66).

(3) Sinn und Zweck des § 3 AnfG ist es, auf sozial inadäquates Verhalten des Schuldners zu reagieren, das den anfechtungsberechtigten Gläubiger durch Vereitelung von Zugriffschancen benachteiligt hat und dem bösgläubigen An­fechtungsgegner, der keinen Vertrauensschutz verdient, zugutegekommen ist. Ziel ist mithin die Rückabwicklung einer Gläubigerbenachteiligung, die aus Rechtshandlungen des Schuldners resultiert, die dieser im Zusammenwirken mit Dritten vornimmt. In solchen Fällen muss das Vertrauen des Empfängers auf den Erhalt der Vermögensverschiebung zurücktreten, da andere Gläubiger berechtigt auf die Redlichkeit des Geschäftsgebarens vertrauen können. Folg­lich verdient ein Rechtserwerb, der auf einer vorsätzlichen Gläubigerbenachtei­ligung durch den Schuldner beruht, gegenüber dem Interesse des anfechten­den Gläubigers an der vereitelten Zugriffsmöglichkeit auf das haftende Schuld­nervermögen dann keinen Schutz, wenn der Erwerber den Vorsatz kannte (vgl. BGH-Urteil vom 23.10.2008 ‑ IX ZR 202/07, ZIP 2008, 2272, unter II.2.c bb (1); Lutz/Haertlein in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, AnfG § 3 Rz 1; ähnlich MüKoAnfG/Weinland, AnfG § 3 Rz 1, (2. Aufl. 2022); ferner Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 133 Rz 2, m.w.N.; Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 3. Aufl. 2017, § 133 InsO Rz F7).

(4) Basierend auf diesem Zweck überwiegen in einem Fall, in dem ein Ehegat­te dem anderen Ehegatten Kontovollmacht über sein Konto erteilt und sich danach nicht weiter um das Konto kümmert bzw. den Gebrauch der Vollmacht durch den anderen Ehegatten nicht kontrolliert, die Verkehrsschutzerwägun­gen. Dieses Ergebnis der Wissenszurechnung bei § 3 Abs. 1 AnfG hält sich im Rahmen des allgemeinen Rechtsgedankens, dass derjenige, der sich bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten eines Vertreters bedient, die in die­sem Rahmen vom Vertreter erlangte Kenntnis als eigene gegen sich gelten lassen muss, sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen kann (BGH-Urteil vom 01.03.1984 ‑ IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953, unter 3.b, m.w.N.), und be­rücksichtigt auch das Näheverhältnis zwischen den Eheleuten.

Eine Verletzung des Schutzes der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG liegt hierin nicht. Eine Wissenszurechnung erfolgt bei Ehegatten nicht per se, sondern es bedarf einer bewussten und willentlichen Einschaltung des anderen Ehepartners in der Rolle des Vertretenden. Die Wissenszurechnung knüpft an die Möglichkeit an, von bestimmten Umständen Kenntnis zu haben, und nicht an die familien­rechtliche Beziehung [vgl. MüKoBGB/Schubert, a.a.O., § 166 Rz 119; vgl. ferner § 3 Abs. 4 AnfG, der ausdrücklich an ein Näheverhältnis der beteiligten Personen anknüpft, da diese regelmäßig die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners leichter erkennen und seine Pläne besser durchschauen kön­nen und ihre Verbundenheit ein Anreiz ist, sie zulasten anderer Gläubiger zu begünstigen, MüKoAnfG/Weinland, AnfG § 3 Rz 1, (2. Aufl. 2022)].

(5) Die Gegenmeinung, nach der die Wissenszurechnung nicht über die Gren­zen der Vertretungsmacht hinausgehen kann, weil die analoge Anwendung des § 166 BGB aus dem Regelungszusammenhang des Vertretungsrechts gerissen würde (vgl. Häsemeyer, Juristische Schulung 1984, 176, 179 f.), überzeugt nicht. Häsemeyer führt aus (S. 179), die übertragene Tätigkeit sei ausschließ­lich arbeitsorganisatorisch, also im Verhältnis zum Auftraggeber begrenzt. Die­se Begrenzung müsse auf das Verhältnis zu Dritten übertragen werden, wenn dem Wissensvertreter nicht ‑‑im Widerspruch zu der Vertretungsregelung‑‑ eine unbeschränkte Rechtsmacht zuwachsen solle.

Das übersieht, dass die Zurechnung des Wissens eines Wissensvertreters an­deren Grundsätzen als die Wissenszurechnung eines Vertreters bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts folgt (vgl. Erman/Maier-Reimer/Finkenauer, BGB, 16. Aufl., § 166 Rz 24). Der analogen Anwendung von § 166 BGB ist imma­nent, dass die Vertretungsmacht fehlt; nach dem BGH ist dieser Vorschrift der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass sich ‑‑unabhängig von einem Vertretungsverhältnis‑‑ derjenige, der einen anderen mit der Erledigung be­stimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss (BGH-Urteil in BGHZ 83, 293, unter III.3.a); derjenige, dem das Wissen des Handelnden zu­zurechnen ist, hat den Impuls für die Zurechnung gesetzt, indem er den Wis­sensvertreter in einer arbeitsteiligen Welt zu seiner Erleichterung für seine An­gelegenheiten eingesetzt hat. Damit muss er auch das Risiko, das eine solche Aufgabendelegierung beinhaltet, tragen.

(6) Ferner sprechen auch die Grundsätze der Anscheinsvollmacht nicht gegen, sondern im Gegenteil für eine solche Wissenszurechnung. Eine Anscheinsvoll­macht ist gegeben, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhin­dern können, und wenn der Geschäftspartner annehmen durfte, der Vertrete­ne kenne und billige das Handeln des Vertreters (BGH-Urteil vom 11.05.2011 ‑ VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346, Rz 16, m.w.N.). Hier ist folglich eine Sorg­faltspflichtverletzung Grund der Zurechnung. Das entspricht den Vorausset­zungen der Wissenszurechnung einer tatsächlich vorhandenen Kenntnis. Zu­dem gilt auch bei der Vollmachtüberschreitung in besonderen Fällen, dass sich der Vertretene wegen mangelnder Überwachung nach § 242 BGB nicht auf die Vollmachtüberschreitung berufen darf (vgl. Grüneberg/Ellenberger, Bürgerli­ches Gesetzbuch, 81. Aufl., § 167 Rz 10, m.w.N.).

(7) Auch die Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen bei der Zurechnung des Wissens der Eltern führt zu keinem anderen Ergebnis. Im Rahmen der Erörterung der "Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht" führt Haunhorst in DStR 2014, 1451 (1454) hierzu aus, wenig problematisch seien die Fälle, in denen Eltern das Konto ihres minderjährigen Kindes nutzten. Denn hier müsse sich der minder­jährige Kontoinhaber die bei seinem Elternteil als seinem gesetzlichen Vertre­ter vorhandene Gläubigerbenachteiligungsabsicht zurechnen lassen (§ 166 Abs. 1 BGB, § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. ferner Senatsurteil in BFHE 206, 217, BStBl II 2004, 923, unter Entscheidungsgründe 2.a). Den sich insoweit ergebenden Widerstreit zwischen den Regeln des Anfechtungsrechts und den Bestimmungen zum Schutz Geschäftsunfähiger bei der Teilnahme am Rechts­verkehr löse der BFH nicht auf der Ebene des Primäranspruchs, sondern im Rahmen von § 11 AnfG. Deutlich schwieriger sei der Nachweis hingegen bei sonstigen Kontoinhabern. Eine Wissenszurechnung nach § 166 BGB analog unabhängig von einer gesetzlichen Vertretung genüge den strengen gesetzli­chen Nachweisanforderungen nicht.

Nach dieser Auffassung würden bei der Vollmachterteilung, bei der sich der Vollmachtgeber aktiv den Vollmachtnehmer aussucht, strengere Zurechnungs­regeln gelten als bei der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger, obwohl das Schutzbedürfnis bei Letzteren als höher zu werten ist. Aus welchem Grund die "strengen gesetzlichen Nachweisanforderungen" nur bei rechtsgeschäftlich er­teilter Vertretung gelten sollen, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, weshalb bei gesetzlicher Vertretung § 11 AnfG den maßgeblichen Prüfungs­rahmen zum Schutz des Wissensvertretenen bildet, bei rechtsgeschäftlich er­teilter Vertretung hingegen nicht.

Inzwischen lässt der BGH bei Minderjährigen, die auf die von ihren Eltern ver­anlassten Kontobewegungen nicht den geringsten Einfluss nehmen können, die Vorsatzanfechtung selbst ausscheiden (vgl. BGH-Urteil in DB 2017, 2279, Rz 28 f.). Selbst wenn danach bei Minderjährigen bereits eine Wissenszurech­nung der Eltern im Rahmen der Vorsatzanfechtung ausscheiden sollte, führte das dennoch nicht dazu, auch bei rechtsgeschäftlich erteilter Vollmacht ebenso eine Anwendung des § 166 BGB analog abzulehnen. Denn die neue BGH-Rechtsprechung dient ausschließlich dem Schutz von Minderjährigen und be­ruht nur auf der Tatsache, dass ein Minderjähriger der Nutzung seines Kontos als Zahlstelle durch die Eltern nicht entgegentreten kann.

bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das FG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin Kenntnis i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Steuerschuldners hatte.

So hat das FG die Kenntnis der Klägerin von der drohenden Zahlungsunfähig­keit des Steuerschuldners im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung aus deren Wissen um die seit 1999 bestehenden Steuerschulden ihres Ehemannes und die daraus resultierenden finanziellen Schwierigkeiten der Familie, insbe­sondere der Pfändung ihres eigenen Lohnanspruchs im Jahr 2012, der Not­wendigkeit, sich bei Verwandten Geld zu leihen, und der Auflösung ihres Riester-Vertrags, abgeleitet.

Zutreffend hat das FG ferner ausgeführt, dass der Klägerin die Kenntnis ihres Ehemannes nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen ist. In Bezug auf das Vorlie­gen einer eigenen, positiven Kenntnis ließ das FG nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme und Anhörung der Klägerin zwar offen, ob die Klägerin selbst positive Kenntnis von der Nutzung des Kontos für die eigenen Geschäfte des Steuerschuldners hatte; jedoch ist der Klägerin das Wissen des Steuerschuldners entsprechend dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Denn indem sie, aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit nach ihren eigenen Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem FG in Finanzange­legenheiten erfahren war, ihrem Ehemann ca. ein halbes Jahr nach Eröffnung ihres Kontos bei der R‑Bank Kontovollmacht erteilt hatte und sich nach Eröff­nung eines weiteren Kontos bei der T‑Bank über viele Jahre um das Konto bei der R‑Bank nicht mehr kümmerte, hat sie ihren Ehemann mit der Erledigung ihrer eigenen Angelegenheiten in seiner Verantwortung betraut, ohne das Kon­to bei der R‑Bank weiter im Blick zu haben. Dabei gab es zahlreiche Hinweise beispielsweise aufgrund der vom Steuerschuldner über das streitgegenständli­che Konto geleisteten Zahlungen (wie z.B. für die Aufenthalte in den Niederlanden oder für den Erwerb eines Fahrrads), dass die finanzielle Situati­on des Steuerschuldners deutlich besser war, als von der Klägerin (angeblich) angenommen; aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Steuerschuldner und Klägerin hat sie von den Einnahmen in großem Maße profitiert (sei es direkt oder indirekt). Der Klägerin als Vollmachtgeberin wird mit der Obliegenheit, dass sie die Verwendung der dem Ehemann erteilten Kontovollmacht in ir­gendeiner Form kontrollieren muss, um eine Wissenszurechnung nach § 166 BGB zu umgehen, auch nichts Unzumutbares abverlangt (vgl. insoweit MüKoBGB/Schubert, a.a.O., § 166 Rz 67). Denn im Streitfall lagen in der Wohnung einzelne, an sie adressierte Kontoauszüge herum. Zudem hätte sie die Kontoauszüge auch direkt bei der Bank anfordern können.

d) Die dem Steuerschuldner nach dem Duldungsbescheid zuzurechnenden Ein­zahlungen und Überweisungen auf das Konto der Klägerin sind innerhalb der Frist von zehn Jahren nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG erfolgt.

5. Die Klägerin ist nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AnfG i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292, 989 BGB zum Wertersatz in Höhe von 40.874,17 € verpflichtet. Der Anspruch ist nicht davon abhängig, ob der Anfechtungsgegner (auf Dauer) bereichert ist (Senatsurteil in BFH/NV 2017, 1297, Rz 19).

6. Schließlich sind auch keine Ermessensfehler bezüglich der Inanspruchnah­me der Klägerin ersichtlich.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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