BFH zur Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge
Es bestehen in den Jahren 2016 und 2017 keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe des Säumniszuschlags (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung).
AO § 238, § 240
FGO § 69, § 128
BFH-Beschluss vom 13.9.2023, XI B 38/22 (AdV) (veröffentlicht am 11.1.2024)
Vorinstanz: FG Münster vom 4.4.2022, 11 V 2680/21 AO = SIS 22 07 81
I. Die Beteiligten streiten über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge.
Gegen den Abrechnungsbescheid vom 08.10.2021, in dem Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer ausgewiesen worden waren, legte die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) Einspruch ein und beantragte die AdV.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte die begehrte AdV mit Bescheid vom 14.10.2021 ab. Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) Münster die AdV der Säumniszuschläge aus dem Abrechnungsbescheid in voller Höhe.
Das FG gab dem Antrag auf AdV mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1081 veröffentlichten Beschluss vom 04.04.2022 ‑ 11 V 2680/21 AO statt. Der Beschluss wurde dem FA am 04.04.2022 übersandt. Das FG war der Auffassung, die Rechtmäßigkeit der in dem Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge sei ernstlich zweifelhaft, soweit diese ‑‑wie im Streitfall‑‑ nach dem 31.12.2018 entstanden seien. Die ernstlichen Zweifel ergäben sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und ‑erstattungen nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Säumniszuschläge hätten nicht nur die Funktion eines Druckmittels, sondern auch die einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern. Ihnen komme mithin auch eine zinsähnliche Funktion zu.
Der hiergegen vom FG zugelassenen Beschwerde des FA vom 14.04.2022 hat das FG mit Beschluss vom 26.04.2022 nicht abgeholfen.
Das FA macht mit der Beschwerde geltend, die AdV sei im Streitfall bereits deswegen abzulehnen, weil der Antragstellerin das besondere Aussetzungsinteresse fehle. Ein solches besonderes Aussetzungsinteresse sei erforderlich, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des zugrunde liegenden Gesetzes beruhten. Zwar werde auch in diesen Fällen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen der Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse eingeräumt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt habe. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) zur Höhe der Verzinsung von Steuernachforderungen und ‑erstattungen nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht auf Säumniszuschläge übertragbar, weil sich der Normzweck des § 240 AO erheblich von dem des § 233a AO unterscheide. Bei Säumniszuschlägen handele es sich nicht in erster Linie um Zinsen, sondern um ein Sanktionsmittel eigener Art.
Das FA beantragt, den Beschluss des FG vom 04.04.2022 ‑ 11 V 2680/21 AO aufzuheben und die AdV abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt für Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf AdV.
1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.
a) Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 26.09.2022 ‑ XI B 9/22 (AdV), BFHE 276, 467, Rz 16 und vom 23.05.2022 ‑ V B 4/22 (AdV), BFHE 276, 535, Rz 28, jeweils m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe des Säumniszuschlags. Der Antrag auf AdV war daher abzulehnen.
aa) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag.
bb) Diese Regelung verstößt nach der hier gebotenen summarischen Prüfung weder gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
(1) Der VII. Senat des BFH hat mit Urteilen vom 23.08.2022 ‑ VII R 21/21 (BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304, Rz 38 ff.) und vom 15.11.2022 ‑ VII R 55/20 (BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621, Rz 19 ff.) entschieden, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
Insbesondere lassen sich den genannten Urteilen zufolge weder die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung von Steuernachforderungen und ‑erstattungen nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, auf den Säumniszuschlag übertragen, noch verstößt die Höhe des Säumniszuschlags gegen das Übermaßverbot und verletzt daher auch nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG.
(2) Der beschließende Senat folgt dieser Rechtsprechung und nimmt wegen der Einzelheiten darauf Bezug. Zwar betreffen die genannten Entscheidungen des VII. Senats Zeiträume vor dem 31.12.2018. Die tragenden Gründe der vom VII. Senat vorgenommenen ‑‑eigenständigen‑‑ verfassungsrechtlichen Prüfung gelten aber gleichermaßen für Zeiträume ab dem 01.01.2019.
Die vom VIII. Senat im AdV-Verfahren insoweit geäußerten Zweifel (BFH-Beschluss vom 11.11.2022 ‑ VIII B 64/22 (AdV), BFHE 278, 36) sind nach Auffassung des beschließenden Senats durch die ‑‑im Hauptsacheverfahren ergangenen‑‑ Entscheidungen des VII. Senats überholt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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