BFH: Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für die Erhebung von Zinsen bei AdV
Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung seit dem 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Zinsberechnung für die Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung (AdV) ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird.
AO § 237, § 238 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
BFH-Beschluss vom 8.5.2024, VIII R 9/23 (veröffentlicht am 22.8.2024)
Vorinstanz: FG Münster vom 8.3.2023, 6 K 2094/22 E = SIS 23 06 28
A. Streitig ist die Höhe des Zinssatzes bei Aussetzung der Vollziehung (AdV) gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) im Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wehrte sich mit dem Einspruch und der Klage gegen seine Veranlagung zur Einkommensteuer 2012. Auf Antrag des Klägers setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2012 in Höhe von 22.600 € (Einkommensteuer) und 1.350 € (Solidaritätszuschlag) ab Fälligkeit aus. Die Klage war erfolglos.
Mit Bescheid vom 07.06.2021 setzte das FA Zinsen bei AdV zur Einkommensteuer 2012 und zum Solidaritätszuschlag 2012 für die Zeit vom 22.09.2014 bis zum 15.04.2021 nach dem Zinssatz von einhalb Prozent für 78 volle Monate in Höhe von 8.814 € (für Einkommensteuer) und 526 € (für Solidaritätszuschlag) fest. Auf den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 entfielen Zinsen von 3.051 € (für Einkommensteuer) und 182,25 € (für Solidaritätszuschlag).
Dagegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Der Einspruch ruhte zunächst wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14 (BVerfGE 158, 282) zur Unvereinbarkeit des Zinssatzes bei der Vollverzinsung nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 10.08.2022).
Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage zum Finanzgericht (FG) hat der Kläger geltend gemacht, die AdV-Zinsen seien der Höhe nach seit dem 01.01.2019 verfassungswidrig und dürften nicht mehr erhoben werden.
Das FG hat die Klage mit Urteil vom 08.03.2023 abgewiesen. Die Entscheidungsgründe sind in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 737 veröffentlicht. Nach Auffassung des FG verstößt die Höhe der AdV-Zinsen von einhalb Prozent pro Monat im zu beurteilenden Zeitraum nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liege bereits keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor. Aber selbst wenn eine Ungleichbehandlung vorläge, wäre diese gerechtfertigt. Da der Steuerpflichtige die AdV beantragen müsse oder eine von Amts wegen gewährte AdV abwenden könne, sei die Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Vollverzinsung nach § 233a AO nicht willkürlich. Die Höhe der AdV-Zinsen verstoße zudem nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip in Form des Übermaßverbots.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Die AdV-Zinsen seien der Höhe nach, jedenfalls seit dem 01.01.2019, verfassungswidrig. Zudem sei die Einheit der Rechtsordnung verletzt. Der Kläger regt hilfsweise an, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen, ob sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum wucherähnlichen Kreditgeschäft (§ 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑) auf das Steuerrecht auswirke, da der in der Abgabenordnung für Zinsen bei AdV bestimmte Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat außer Verhältnis zur "Gegenleistung" stehe, was im Zivilrecht zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene FG-Urteil vom 08.03.2023 aufzuheben und den Zinsbescheid vom 07.06.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2022 dahin zu ändern, dass die Zinsen bei AdV zur Einkommensteuer 2012 um 3.051 € niedriger, auf 5.763 €, und die Zinsen bei AdV zum Solidaritätszuschlag 2012 um 181,75 € niedriger, auf 344,25 €, festgesetzt werden.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
B. Das Revisionsverfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Zinssatz bei AdV gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit der Höhe nach gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als der Zinsberechnung für die AdV zwischen dem 01.01.2019 und dem 15.04.2021 ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird.
I. Zinsen im Steuerschuldverhältnis und Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften
1. Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
Die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den §§ 233 ff. AO. Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) werden gemäß § 233 Abs. 1 Satz 1 AO (nur) verzinst, soweit dies durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union vorgeschrieben ist. Zinsen sind laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 20.05.1987 ‑ II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229, Rz 13 und vom 30.08.2023 ‑ X R 2/22, BFHE 281, 365, Rz 22). Sie sind grundsätzlich vom Bestehen einer Steuerschuld abhängig (BFH-Urteil vom 20.05.1987 ‑ II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229, Rz 13, m.w.N.).
Die §§ 233a bis 237 AO regeln die Verzinsungstatbestände (Verzinsung von Steuernachforderungen und Erstattungen, Stundungszinsen, Verzinsung von hinterzogenen Steuern, Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge und Zinsen bei AdV). § 238 AO regelt die Höhe und die Berechnung der Zinsen und § 239 AO deren Festsetzung. Zinsen sind gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO keine Steuern, sondern steuerliche Nebenleistungen. Da Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen gemäß § 233 Satz 2 AO nicht verzinst werden, werden im Steuerschuldverhältnis keine Zinseszinsen erhoben.
2. Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung
a) Geltende Rechtslage
Einspruch und Klage haben im Anwendungsbereich der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Durch sie wird insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die aufschiebende Wirkung von Einspruch und Klage muss gesondert angeordnet werden. Sie wird durch AdV gewährt. Die Finanzbehörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Hat die Finanzbehörde einen Antrag auf AdV ganz oder zum Teil abgelehnt (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO), kann auf Antrag das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO). Auch ohne eine vorherige Ablehnung durch die Finanzbehörde ist das Gericht für die Anordnung der AdV zuständig, wenn die Finanzbehörde über den Antrag in angemessener Zeit nicht entschieden hat oder wenn eine Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, wird die Vollziehung nicht ausgesetzt, sondern (rückwirkend) aufgehoben (§ 361 Abs. 2 Satz 3 AO, § 69 Abs. 2 Satz 7 FGO). Dann hat die Finanzbehörde vorläufig den Zustand vor Beginn der Vollziehung wiederherzustellen.
Der Begriff der Vollziehung ist in der Abgabenordnung nicht näher bestimmt. Die Vollstreckungsbehörde handelt durch Vollziehungsbeamte (§ 285 AO). Aber auch vom Steuerpflichtigen freiwillig erbrachte Erfüllungshandlungen bewirken, dass der Verwaltungsakt vollzogen ist (Anwendungserlass zur Abgabenordnung ‑‑AEAO‑‑ zu § 361 Nr. 7.2.). Nach § 218 Abs. 1 AO bilden die dort aufgezählten Bescheide die Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (Erhebungsverfahren). Vor diesem Hintergrund beseitigt die AdV vorübergehend die Vollziehbarkeit eines Bescheids, der Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist. Die Aufhebung der Vollziehung beseitigt vorübergehend mit Rückwirkung die Grundlage (den formellen Rechtsgrund) für bereits verwirklichte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.
Die AdV bewirkt, dass die Finanzbehörde vorläufig nicht mehr vollstrecken darf. Eine begonnene Vollstreckung wird vorübergehend eingestellt. Auch die Aufrechnung mit einer Forderung, deren Vollziehung ausgesetzt ist, ist ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 31.08.1995 ‑ VII R 58/94, BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55, unter 3.a [Rz 17]). Der im Bescheid festgesetzte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis bleibt während der AdV aber fällig (BFH-Urteil vom 17.09.1987 ‑ VII R 50‑51/86, BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366, unter II.3.b [Rz 20]) und erfüllbar. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen bewirkt die AdV wegen des fehlenden Aufschubs der Fälligkeit keinen echten Zahlungsaufschub. Da er jedoch die Vollstreckung nicht befürchten muss und weil auch keine weiteren Säumnisfolgen eintreten, kann er die Zahlung für die Dauer der AdV folgenlos zurückhalten. Ihm droht bei endgültigem Misserfolg des Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Betrags nur die Belastung mit AdV-Zinsen.
Die Aufhebung der Vollziehung bewirkt, dass die Finanzbehörde vorübergehend den Zustand vor Beginn der Vollziehung des Bescheids wiederherstellen muss. Das bedeutet unter anderem: Vollstreckungsmaßnahmen sind rückgängig zu machen, freiwillige Zahlungen sind zu erstatten, entstandene Säumniszuschläge entfallen rückwirkend (BFH-Beschluss vom 10.12.1986 ‑ I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389, unter II.3. [Rz 15]).
Die AdV ist an Voraussetzungen gebunden. Auf Antrag des Steuerpflichtigen soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO und § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Finanzbehörde oder das angerufene FG als Gericht der Hauptsache müssen die Vollziehung grundsätzlich aussetzen, wenn die Voraussetzungen für die AdV vorliegen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 04.12.1967 ‑ GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199, unter 3. [Rz 10]).
In der Hauptsache muss der Verwaltungsakt angefochten oder es muss Klage gegen den Verwaltungsakt erhoben sein. Das Aussetzungsverfahren tritt selbstständig neben das Hauptsacheverfahren. Im Aussetzungsverfahren findet nur eine summarische Prüfung statt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerverwaltungsakts sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2014 ‑ II B 131/13, BFH/NV 2015, 5, Rz 10, m.w.N.). Es genügt, wenn sowohl für das eine als auch für das andere Ergebnis gewichtige Gründe sprechen und somit den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids das Merkmal der Ernstlichkeit nicht abgesprochen werden kann (BFH-Beschluss vom 26.05.2010 ‑ V B 80/09, BFH/NV 2010, 2079, Rz 14). Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels ist nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 03.12.2001 ‑ XI B 84/01, BFH/NV 2002, 482, unter II.1. [Rz 11], m.w.N.).
Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen führen würde. Auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte kommt eine AdV jedoch nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids nicht ausgeschlossen werden können (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 02.04.2009 ‑ II B 157/08, BFH/NV 2009, 1146, unter II.4.a [Rz 16], m.w.N.).
Die Finanzbehörde kann die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auch von Amts wegen aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO, § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO). Von dieser Möglichkeit ist insbesondere Gebrauch zu machen, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich begründet ist, der Abhilfebescheid aber voraussichtlich nicht mehr vor Fälligkeit der geforderten Steuer ergehen kann (AEAO zu § 361 Tz. 2.1 Satz 3).
Gegen eine von der Finanzverwaltung "aufgedrängte" AdV kann der Steuerpflichtige Einspruch einlegen und gegebenenfalls Klage erheben (vgl. BFH-Urteil vom 09.05.2012 ‑ I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004, Rz 19). Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob eine "aufgedrängte" AdV ermessenswidrig sein kann (vgl. Klein/Rätke, AO, 17. Aufl., § 361 Rz 56). Der Steuerpflichtige kann den Zinslauf zudem beenden, indem er die streitige Steuerschuld tilgt (vgl. BFH-Urteile vom 27.11.1991 ‑ X R 103/89, BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319, unter 3.b. [Rz 21]; vom 25.04.2013 ‑ V R 29/11, BFHE 241, 298, BStBl II 2013, 767, Rz 26).
Die AdV kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden (§ 361 Abs. 2 Satz 5 AO, § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient der Vermeidung von Steuerausfällen, die entstehen können, wenn der Steuerpflichtige im Hauptsacheverfahren letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert erscheint (vgl. BFH-Beschluss vom 06.02.2013 ‑ XI B 125/12, BFHE 239, 390, BStBl II 2013, 983, Rz 18, m.w.N.).
Soweit der Einspruch oder die Anfechtungsklage gegen einen der in § 237 Abs. 1 AO aufgezählten Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, ist der von der Vollziehung ausgesetzte Betrag gemäß § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Die Entstehung des Zinsanspruchs knüpft an den Ausgang des eingelegten Rechtsbehelfs an (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2013 ‑ V R 29/11, BFHE 241, 298, BStBl II 2013, 767, Rz 23). Auf die Festsetzung von AdV-Zinsen sind gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, jedoch beträgt die Festsetzungsfrist zwei Jahre. Die Zinsen sind von der Finanzbehörde durch Bescheid festzusetzen (§ 155 Abs. 1 AO). Bei der Festsetzung wird grundsätzlich nicht (noch einmal) beurteilt, ob die Erhebung von AdV-Zinsen im konkreten Einzelfall sachgerecht ist. Die Festsetzung und Erhebung von AdV-Zinsen hängt insbesondere nicht davon ab, ob die bestands- oder rechtskräftige Aussetzungsentscheidung rechtmäßig war. Die Fehlerhaftigkeit der bestandskräftigen Aussetzungsentscheidung berührt den Zinsanspruch grundsätzlich nicht (BFH-Urteil vom 09.12.1998 ‑ XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201, unter II.1.a [Rz 28]). Zu verzinsen ist grundsätzlich der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt war (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO).
§ 237 Abs. 2 AO regelt den Verzinsungszeitraum. Der Zinslauf beginnt am Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs beziehungsweise am Tag der Rechtshängigkeit bei Gericht, also mit Erhebung der Anfechtungsklage (§ 66 Satz 1 i.V.m. § 64 Abs. 1 FGO). Sollte die Vollziehung erst später ausgesetzt werden, beginnt der Zinslauf an dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt. Der Zinslauf endet an dem Tag, an dem auch die AdV endet. Eine Karenzzeit gibt es, anders als bei der Vollverzinsung (§ 233a Abs. 2 AO), nicht.b) Rechtsentwicklung
AdV-Zinsen wurden bundesrechtlich erstmals durch Art. 17 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13.07.1961 (BGBl I 1961, 981, 996) eingeführt (§ 251a der Reichsabgabenordnung ‑‑RAO‑‑). Die Vorschrift betraf nur Rechtsmittel und lautete:
"Soweit ein Rechtsmittel endgültig keinen Erfolg hatte, sind für den Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt wurde, Zinsen nach § 5 des Steuersäumnisgesetzes zu entrichten."
Zum Zweck der Erhebung von Zinsen bei AdV äußerte sich der Gesetzgeber nur einmal bei deren Einführung. Hierzu führt der Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 aus (BTDrucks 3/2573, S. 37):
"Zu Artikel 12 Ziff. 10
Der in die Reichsabgabenordnung neu einzufügende § 251a ist das Gegenstück zu dem neuen § 155 AO (vgl. Artikel 12 Ziff. 6). Wenn von Beginn der Rechtshängigkeit Überzahlungen verzinst werden, muß das gleiche auch für Nachzahlungen gelten. Durch die Einführung von Zinsen für die Aussetzung der Vollziehung dürfte außerdem erreicht werden, daß unnötige Steuerprozesse vermieden werden. Es kommt heute vor, daß Steuerpflichtige, selbst wenn sie die Aussichten eines Rechtsstreits für gering erachten, die Finanzgerichte anrufen, da die Prozeßkosten in vielen Fällen geringer sind als der Zinsvorteil, der ihnen infolge der Aussetzung der Vollziehung und der damit bedingten späteren Zahlung erwächst."
Der neue § 155 RAO (Prozesszinsen) wurde wie folgt begründet (BTDrucks 3/2573, S. 36 f.):
"Zu Artikel 12 Ziff. 6
Härten sind nach der derzeitigen Rechtslage teilweise in den Fällen eingetreten, in denen der Steuerpflichtige den angeforderten Betrag gezahlt und eine Herabsetzung der Steuerschuld erst nach einem sich länger hinziehenden Rechtsmittelverfahren erreicht hat. In diesen Fällen wird von den Steuerpflichtigen beanstandet, daß für die Zeit, in der der Betrag dem Steuerpflichtigen von der Finanzverwaltung vorenthalten wurde, keine Zinsen vergütet werden. Durch die vorliegende Bestimmung soll diesen Härten durch Einführung einer Art von Prozeßzinsen abgeholfen werden. […]"
Mit Einführung der seit dem 01.01.1966 geltenden Finanzgerichtsordnung vom 06.10.1965 (BGBl I 1965, 1477) wurde die Regelung zunächst in § 112 FGO und durch Art. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24.06.1975 (BGBl I 1975, 1509, 1533) in § 4c des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) überführt.
Seit dem Inkrafttreten der Abgabenordnung 1977 (BGBl I 1976, 613) am 01.01.1977 sind die Zinsen bei AdV in § 237 AO geregelt. Die Vorschrift erstreckt sich seitdem auch auf den Zeitraum für außergerichtliche Rechtsbehelfe. Seit der Neufassung des § 237 Abs. 1 AO durch Art. 1 Nr. 41 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.1985 (BGBl I 1985, 2436, 2440 f.) fallen Zinsen bei AdV auch an, wenn wegen eines Rechtsstreits über einen Grundlagenbescheid ein Folgebescheid von der Vollziehung ausgesetzt wird (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO, § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO). Durch Art. 15 Nr. 6 des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25.07.1988 (BGBl I 1988, 1093, 1127) ist § 237 Abs. 2 Satz 2 AO geändert worden. Der Zinslauf beginnt seitdem erst mit dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt. § 237 Abs. 5 AO wurde durch Art. 26 Nr. 31 des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 (BGBl I 1993, 2310, 2347) eingefügt. Weitere Änderungen des § 237 AO durch Art. 26 Nr. 7 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250, 1406) und die Neufassung der Abgabenordnung vom 01.10.2022 (BGBl I 2002, 3866) waren redaktioneller Art.
§ 237 AO ist zuletzt durch Art. 12 des Wachstumschancengesetzes vom 27.03.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 108, S. 18) angepasst worden. Mit Wirkung zum 01.01.2024 ist in einem neuen Abs. 6 geregelt, dass die Abs. 1 bis 5 entsprechend für festgesetzte Haftungsansprüche gelten, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt.3. Höhe des Zinssatzes
§ 238 AO regelt die Höhe des Zinssatzes sowie die Berechnung der Zinsen für alle Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung. Zinsen fallen grundsätzlich nur für volle Monate nach Beginn des Zinslaufs an. Angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO). Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag jeder Steuerart auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag abgerundet (§ 238 Abs. 2 AO). Der Zinssatz beträgt grundsätzlich einhalb Prozent pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO).Der Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat galt seit der bundesrechtlichen Einführung von Zinsen im Steuerschuldverhältnis durch das Steueränderungsgesetz 1961 vom 13.07.1961 (BGBl I 1961, 981) zunächst einheitlich und unverändert für alle Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 StSäumG; unverändert übernommen in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO i.d.F. der AO 1977 vom 01.01.1977).
Mit Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14 (BVerfGE 158, 282, Vollverzinsung) hat das BVerfG § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO insoweit für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt, als der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird. Durch die Höhe des Zinssatzes werden zinszahlungspflichtige und nicht zinszahlungspflichtige Steuerschuldner ungleich behandelt (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 104 f.). Die Ungleichbehandlung muss sich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 109 ff.). Wegen der nachhaltigen Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus in der Folge der Finanzkrise ab dem Jahr 2008 bildet der Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat seit dem 01.01.2014 den Erhebungszweck der Abschöpfung des Liquiditätsvorteils nicht mehr angemessen ab und erweist sich auch unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers als "evident nicht mehr realitätsgerecht" (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 155 f.). Der Zinssatz von monatlich einhalb Prozent ist seitdem im verfassungsrechtlichen Sinne in dieser Höhe nicht mehr erforderlich (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 140 ff.).
Für bis in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume bildet der Zinssatz von monatlich einhalb Prozent den durch die Vollverzinsung auszugleichenden Vorteil hingegen noch hinreichend ab (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 197). Der BFH hatte im Ergebnis entsprechend in der Vergangenheit die für eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes bei AdV-Zinsen für Verzinsungszeiträume vom 11.11.2004 bis zum 21.03.2011 (BFH-Urteil vom 01.07.2014 ‑ IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl II 2014, 925) beziehungsweise bis Dezember 2011 (BFH-Urteil vom 14.04.2015 ‑ IX R 5/14, BFHE 250, 483, BStBl II 2015, 986) nicht gewinnen können.
Das BVerfG hat die Unvereinbarkeitserklärung ausdrücklich nicht auf andere Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung ausgedehnt. Die Verfassungsmäßigkeit der Teilverzinsungstatbestände bedürfe einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 242 f.).
Das BVerfG hat auch entschieden, dass das bisherige Recht für Zinsen gemäß § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiterhin anwendbar ist. Es hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume nach dem Jahr 2018 erstreckt und insoweit auch alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfasst.
Mit Art. 1 Nr. 5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12.07.2022 (BGBl I 2022, 1142, 1142) ist der Gesetzgeber dem Auftrag des BVerfG nachgekommen und hat den Zinssatz bei der Vollverzinsung neu geregelt. Rückwirkend zum 01.01.2019 beträgt der Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1a AO für die Vollverzinsung nach § 233a AO nun 0,15 Prozent für jeden Monat, das heißt 1,8 Prozent für jedes Jahr. Die Zinshöhe hat der Gesetzgeber unter Verwendung einer Mischkalkulation von Habenzinsen und einem Mittelwert der Zinsen für besicherte und unbesicherte Konsumentenkredite festgelegt (vgl. BRDrucks 157/22, S. 5 und 19).
Den Zinssatz für die Zinsen bei AdV und die anderen Teilverzinsungstatbestände hat der Gesetzgeber nicht angepasst. Im Referentenentwurf zum Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14.02.2022 (S. 8) wird unter anderem ausgeführt, es sei noch eingehender zu prüfen, ob der Zinssatz auch für andere Verzinsungstatbestände neu geregelt werden solle:
"Die Frage, ob und inwieweit diese Regelungen angesichts der Entscheidung des BVerfG ebenfalls anzupassen sind, bedarf noch eingehender Prüfung."
In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung findet sich diese Aussage nicht mehr. Stattdessen wird dort ausgeführt (BRDrucks 157/22, S. 6):
"Die Frage, ob auch für andere Zinsen nach der AO oder den Einzelsteuergesetzen als Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO sowie für Säumniszuschläge nach § 240 AO eine Neuregelung des Zinssatzes erfolgen soll, soll nicht in diesem Gesetz beantwortet werden. Hierbei ist insbesondere zu bedenken, dass das BVerfG eine Erstreckung seiner zu §§ 233a und 238 AO ergangenen Entscheidung auf Stundungs‑, Aussetzungs- und Hinterziehungszinsen bewusst unterlassen hat, weil 'die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder ‑ wie insbesondere im Fall der Hinterziehungszinsen ‑ jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen wird. Steuerpflichtige haben daher ‑ anders als bei der Vollverzinsung ‑ grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Absatz 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen' (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Rn. 243). Zudem haben die Steuerpflichtigen die Möglichkeit, im Wege des Rechtsbehelfs gegen eine ihnen gegen ihren Willen aufgedrängte Aussetzung der Vollziehung oder Stundung vorzugehen und so die nachteiligen Zinsfolgen zu vermeiden. Eine Differenzierung des für Hinterziehungszinsen und andere Zinsen nach der AO geltenden Zinssatzes wäre schwerlich zu rechtfertigen, da Hinterziehungszinsen keinen Strafcharakter haben. Eine Senkung des Zinssatzes für alle Zinsen könnte aber bei Hinterziehungszinsen in der Öffentlichkeit den ‑ unzutreffenden ‑ Eindruck erwecken, dass Steuerhinterziehung weniger als bisher verfolgt und geahndet werden soll."
Ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, der unter anderem zum Ziel hatte, den niedrigeren Zinssatz für die Vollverzinsung auch auf die Stundungs- und Prozesszinsen und die Zinsen bei AdV anzuwenden (BTDrucks 20/2394), erhielt nicht die erforderliche Mehrheit.
Seit dem 01.01.2019 gelten somit unterschiedliche Zinssätze für die Vollverzinsung und die anderen Zinstatbestände, einschließlich der Zinsen bei AdV.
II. Entscheidungserheblichkeit und einfachgesetzliche Beurteilung
Die Frage, ob § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO im Zeitraum zwischen dem 01.01.2019 und dem 15.04.2021 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Zinsberechnung für die Zinsen bei AdV ein Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat zugrunde gelegt wird, ist entscheidungserheblich. Die zulässige Revision ist unbegründet, wenn der gesetzliche Zinssatz für die AdV-Zinsen verfassungsgemäß ist (B.II.1.). Sie ist dagegen begründet, wenn der Zinssatz verfassungswidrig ist (B.II.2.). Eine verfassungskonforme Auslegung von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO oder eine analoge Anwendung von § 238 Abs. 1a AO kommen nicht in Betracht (B.II.3.). Der Entscheidungserheblichkeit steht nicht entgegen, dass das FA auf die Erhebung von AdV-Zinsen verzichten kann (B.II.4.).
1. Ist der gesetzliche Zinssatz bei AdV verfassungsgemäß, ist die Revision des Klägers unbegründet. In diesem Fall hat das FG die Klage rechtsfehlerfrei abgewiesen. Der angefochtene Zinsbescheid ist rechtmäßig, denn das FA hat die Zinsen bei AdV nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zutreffend ermittelt. Darüber besteht auch kein Streit. Der Zinstatbestand ist dem Grunde nach erfüllt. Die Klage des Klägers gegen seine Veranlagung zur Einkommensteuer 2012 hatte endgültig keinen Erfolg. Im zu beurteilenden Zeitraum war die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 2012 in Höhe von 22.600 € (wegen Einkommensteuer) und 1.350 € (wegen Solidaritätszuschlags) von der Vollziehung ausgesetzt. Weitere Tatbestandsmerkmale müssen für die Erhebung von Zinsen bei AdV nicht erfüllt sein. Insbesondere hängt die Festsetzung und Erhebung von AdV-Zinsen nicht davon ab, ob die Aussetzungsentscheidung rechtmäßig war. Die Zinsen bei AdV wegen Einkommensteuer betragen danach im Streitfall für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 3.051 € (27 volle Monate x einhalb Prozent x 22.600 €). Die Zinsen bei AdV wegen Solidaritätszuschlags betragen im Streitfall 182,25 € (27 volle Monate x einhalb Prozent x 1.350 €).
2. Ist der gesetzliche Zinssatz bei AdV im zu beurteilenden Zeitraum dagegen mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und erklärt das BVerfG die einschlägigen Normen deshalb für nichtig (§ 78 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ‑‑BVerfGG‑‑), ist die Revision des Klägers begründet. Dann hat das FG die Klage rechtsfehlerhaft abgewiesen mit der Folge, dass das FG-Urteil keinen Bestand haben kann. Die Anfechtungsklage ist begründet; der angefochtene Zinsbescheid muss wie beantragt geändert werden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das BVerfG bei Unvereinbarkeit einer entscheidungserheblichen Norm mit dem Grundgesetz gemäß § 35 BVerfGG auch anordnen kann, dass die Vorschrift vorübergehend weiter angewendet werden darf. Zwar ist der Rechtsstreit dann gegebenenfalls anders zu entscheiden. Für die Entscheidungserheblichkeit genügt es jedoch, dass die Unvereinbarkeitserklärung dem Kläger auch die Möglichkeit offenhält, eine für ihn günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 25.09.1992 ‑ 2 BvL 5/91, BVerfGE 87, 153, Rz 96; vom 17.04.2008 ‑ 2 BvL 4/05, BVerfGE 121, 108, Rz 31, m.w.N.).
3. Eine verfassungskonforme Auslegung von § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist nicht möglich. Kann eine Norm unterschiedlich gedeutet werden, ist sie so auszulegen, dass sie mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Dabei dürfen die Grenzen der anerkannten Auslegungsmethoden nicht überschritten werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22.03.2018 ‑ 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69, Rz 150, m.w.N.).
Nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO betragen die Zinsen für jeden (vollen) Monat einhalb Prozent. Nur in den Fällen des § 233a AO (Vollverzinsung) beträgt der Zinssatz 0,15 Prozent pro Monat (§ 238 Abs. 1a AO). Der Wortlaut der Norm ist eindeutig, er lässt unterschiedliche Deutungen nicht zu. Die Höhe des Zinssatzes für die Erhebung von Zinsen bei AdV ist nicht auslegungsfähig. § 238 Abs. 1a AO kann auch nicht analog auf AdV-Zinsen angewandt werden. Es fehlt insofern an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, da der Zinssatz bei AdV-Zinsen in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO klar geregelt ist und der Gesetzgeber eine Anpassung der Zinsen bei AdV abgelehnt hat.
Deswegen ist auch keine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes darüber einzuholen, ob sich die Rechtsprechung des BFH zum wucherähnlichen Kreditgeschäft (§ 138 Abs. 2 BGB) auf die Bewertung der Zinshöhe im Steuerrecht auswirken könnte. Die Frage stellt sich nicht, da die Höhe des Zinssatzes gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO schon nicht auslegungsfähig ist.
4. Die Entscheidungserheblichkeit entfällt auch nicht deshalb, weil das FA auf die Erhebung der AdV-Zinsen verzichten könnte. Ein Zinsverzicht nach § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO kommt im Streitfall nicht in Betracht. Der Verzicht ist nicht beantragt worden. Es fehlt insofern auch an einer Entscheidung des FA. Da das Verzichtsverfahren eine verfahrensrechtlich eigenständige Billigkeitsmaßnahme betrifft, könnte ein etwaiger Verzicht jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein, in dem es nur um die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung geht.
Aber auch die abstrakte Möglichkeit, dass im Streitfall auf die Erhebung der AdV-Zinsen verzichtet werden könnte, lässt die Entscheidungserheblichkeit nicht entfallen, solange dies nicht geschehen ist. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BVerfG als auch des BFH dürfen Billigkeitsmaßnahmen zudem nicht die einem gesetzlichen Tatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Tatbestands abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen werden darf. Müssten solche Maßnahmen ein Ausmaß erreichen, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. BFH-Beschluss vom 19.05.2011 ‑ X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659, Rz 14, m.w.N.).
III. Verfassungsrechtliche Beurteilung (Art. 3 Abs. 1 GG)
1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BGBl. 2024 I Nr. 45, Rz 139, m.w.N.). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BGBl. 2024 I Nr. 45, Rz 140, m.w.N.).
a) Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt. Willkür in diesem Sinne kann erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BGBl. 2024 I Nr. 45, Rz 141, m.w.N.).
Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere ergeben, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind (BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BGBl. 2024 I Nr. 45, Rz 142, m.w.N.).
b) Der Gleichheitssatz belässt dem Steuergesetzgeber sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Für die Auswahl des Zinsgegenstands und die Bestimmung des Zinssatzes gilt das nicht in gleicher Weise. Denn bei den erhobenen Zinsen handelt es sich nicht um eine Steuer, sondern um eine steuerliche Nebenleistung im Sinne von § 3 Abs. 4 AO, also um Geldleistungspflichten, die neben einer Steuer entstehen. Die Schuldner dieser Nebenleistungen sind regelmäßig zugleich Steuerpflichtige, die bereits als solche zur Finanzierung der die Gemeinschaft treffenden Lasten herangezogen werden. Neben dieser steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen steuerliche Nebenleistungen, die die Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrunds, der eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglicht. Dabei können neben den Zwecken etwa des Vorteilsausgleichs und der Kostendeckung auch ‑‑was insbesondere für den Säumnis- und den Verspätungszuschlag gilt‑‑ Zwecke der Verhaltenslenkung die Bemessung einer steuerlichen Nebenleistung rechtfertigen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 113, m.w.N.). Zinsen müssen in Bezug auf einen legitimen Zweck aber geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein.
Das verfassungsrechtliche Geeignetheitsgebot verlangt keine vollständige Zielerreichung durch die in Frage stehende Regelung, die zu der beanstandeten Ungleichbehandlung führt, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels (ständige Rechtsprechung, BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 131, m.w.N.).
Eine Ungleichbehandlung ist nur dann erforderlich, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem der Gesetzgeber unter Bewirkung geringerer Ungleichheiten das angestrebte Regelungsziel der Betroffenen gleich wirksam erreichen oder fördern kann, ohne dabei Dritte oder die Allgemeinheit stärker zu belasten. Auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit verfügt der Gesetzgeber über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Das BVerfG prüft nicht, ob der Gesetzgeber die beste Lösung für die hinter einem Gesetz stehenden Probleme gefunden hat. Maßnahmen, die der Gesetzgeber zur Erreichung des Gesetzeszwecks für erforderlich hält, können daher verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass die in Betracht kommenden alternativen Mittel zwar die gleiche Wirksamkeit versprechen, aber zu geringerer Ungleichheit führen. Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dabei in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (ständige Rechtsprechung, BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 142, m.w.N.).
Der Gesetzgeber muss nicht alle Ungleichheiten durch Sonderregelungen beseitigen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Typisierungen zulässig. Sie kommen insbesondere in Betracht, wenn ungewisse Umstände oder Geschehnisse zu regeln sind, die sich selbst bei detaillierter Einzelfallbetrachtung nicht sicher bestimmen lassen. Typisierungen bewirken Ungleichheiten. Der Gesetzgeber muss daher realitätsgerecht den typischen Fall als Leitbild zugrunde legen. Die aus der Typisierung erwachsenden Vorteile müssen im rechten Verhältnis zu der damit notwendig verbundenen Ungleichheit stehen. Werden Zinsen zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, muss die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll. Wegen des weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers muss sich der typisierende Zinssatz lediglich in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen halten. Eine typisierende Regelung, der eine Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse zugrunde liegt, ist aber dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sie sich unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident nicht mehr realitätsgerecht erweist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 149 ff., m.w.N.).
Eine Ungleichbehandlung ist nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn das Maß der Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zum Ausmaß und Grad der durch die Ungleichbehandlung bewirkten Zielerreichung steht (BVerfG-Beschluss vom 07.04.2022 ‑ 1 BvL 3/18, BVerfGE 161, 163, Rz 314, m.w.N.).
2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist ein Zinssatz für die Zinsen bei AdV in Höhe von einhalb Prozent pro Monat gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO im maßgeblichen Zeitraum mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar (gleicher Ansicht BFH-Beschlüsse vom 03.09.2018 ‑ VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279 und vom 04.07.2019 ‑ VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060; Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 238 Rz 11; Loose in Tipke/Kruse, § 237 AO Rz 2a; Zugmaier/Nöcker/Hermes, § 238 AO Rz 4; Roser, GmbH-Rundschau ‑‑GmbHR‑‑ 2023, 388, 389; Seer, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2022, 1795, 1800 f.; von Streit/Streit, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2022, 121; Haupt, DStR 2022, 126, 131).
a) Die Belastung mit AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO führt zu einer der Höhe nach nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen, die ein endgültig erfolglos gebliebenes Rechtsbehelfsverfahren oder eine endgültig erfolglos gebliebene Anfechtungsklage gegen einen der in § 237 Abs. 1 AO aufgezählten Verwaltungsakte betrieben haben. Steuerpflichtige, bei denen der angefochtene Verwaltungsakt von der Vollziehung ausgesetzt war und die deshalb die fällige Steuer zunächst nicht entrichtet haben, müssen AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat zahlen. Steuerpflichtige, bei denen die Vollziehung nicht ausgesetzt war und die die Steuerschuld beglichen haben, werden nicht mit AdV-Zinsen belastet. Diese Ungleichbehandlung ist zwar dem Grunde nach, aber nicht der Höhe nach gerechtfertigt. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen (B.III.3.).
b) Seit dem 01.01.2019 werden zudem Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden, weil sie die Steuer nach AdV des Verwaltungsakts nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Die Zinsen bei AdV betragen einhalb Prozent pro Monat. Nachzahlungszinsen werden seit dem 01.01.2019 mit einem Zinssatz von 0,15 Prozent für jeden Monat berechnet. Auch diese Ungleichbehandlung (Zinssatzspreizung) ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die Angemessenheit der Nachzahlungszinsen vorausgesetzt, ergibt sich auch daraus, dass der Zinssatz bei AdV-Zinsen verfassungswidrig zu hoch ist (B.III.4.).
3. Unverhältnismäßigkeit des Zinssatzes bei AdV-Zinsen
Steuerpflichtige, deren Einspruch oder Anfechtungsklage gegen einen der in § 237 Abs. 1 AO aufgezählten Verwaltungsakte endgültig erfolglos geblieben ist, werden im maßgeblichen Zeitraum ungleich behandelt. Diejenigen, deren Steuerbescheid von der Vollziehung ausgesetzt war und die deshalb die Steuer nicht entrichtet haben, müssen für die Dauer der Aussetzung AdV-Zinsen von einhalb Prozent pro Monat bezahlen. Diejenigen, die den geschuldeten Betrag schon bei Fälligkeit entrichtet und die AdV nicht in Anspruch genommen haben, obwohl die Voraussetzungen hierfür vorlagen, werden davon verschont. Die Ungleichbehandlung entfällt nicht deshalb, weil die Steuerpflichtigen ihr im Prinzip ausweichen können (B.III.3.a). Die Ungleichbehandlung ist an einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen (B.III.3.b). Mit der Erhebung von AdV-Zinsen verfolgt der Gesetzgeber legitime Zwecke (B.III.3.c). In erster Linie geht es ihm darum, den durch die spätere Zahlung der Steuer typischerweise entstehenden Liquiditätsvorteil abzuschöpfen (B.III.3.c aa). Dem vom historischen Gesetzgeber daneben angeführten Zweck der Vermeidung unnötiger Prozesse misst der Senat kein für die Bemessung der Höhe der AdV-Zinsen entscheidendes Gewicht bei (B.III.3.c bb). Die Erhebung von AdV-Zinsen ist ein geeignetes Mittel (B.III.3.d), um einen Liquiditätsvorteil abzuschöpfen (B.III.3.d aa). Ob AdV-Zinsen auch geeignet sind, um unnötige Prozesse zu verhindern, lässt der Senat offen (B.III.3.d bb). AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat sind unter den zu beurteilenden Umständen (Niedrigzinsphase) aber im verfassungsrechtlichen Sinne nicht erforderlich, um den Liquiditätsvorteil abzuschöpfen oder um unnötige Prozesse zu verhindern (B.III.3.e). Die Höhe der AdV-Zinsen von einhalb Prozent pro Monat wäre darüber hinaus auch unverhältnismäßig im engeren Sinne (B.III.3.f).
a) Wie dargelegt, werden beide Vergleichsgruppen vom Gesetzgeber ungleich behandelt. Das Differenzierungskriterium für die Ungleichbehandlung ist, wenn man auf den Tatbestand des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO abstellt, die AdV des geschuldeten Betrags. Maßgeblich ist grundsätzlich der Verwaltungsakt, mit dem die zuständige Finanzbehörde die Vollziehung eines Bescheids vorläufig ausgesetzt hat. Im Hinblick darauf, dass die AdV auch endet, sobald der Steuerpflichtige den geschuldeten Betrag (trotz AdV) freiwillig entrichtet, kommt es für die Entstehung von AdV-Zinsen darauf an, dass der geschuldete Betrag bei Fälligkeit (wegen AdV) nicht bezahlt worden ist. AdV-Zinsen fallen dann nur für den Zeitraum von der AdV bis zur Zahlung des geschuldeten Betrags an. Im Normalfall wird die AdV begehrt, um den geschuldeten Betrag nicht sofort bezahlen zu müssen. Demgemäß ist davon auszugehen, dass der von der Vollziehung ausgesetzte Betrag vorübergehend auch nicht entrichtet wird. Davon geht auch § 237 Abs. 1 Satz 1 AO aus, soweit dort nur auf die rechtlichen Voraussetzungen abgestellt wird.
Eine Ungleichbehandlung ist nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil die Vergleichsgruppen so unterschiedlich sind, dass sie nicht miteinander verglichen werden können. Die relevante Gleichheit zwischen den Gruppen besteht darin, dass ihre Mitglieder gegen einen Steuerbescheid endgültig erfolglos Einspruch eingelegt oder eine Anfechtungsklage geführt haben, obwohl (ex ante) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestanden. Die relevante Ungleichheit besteht darin, dass die einen AdV beantragt und erhalten und deshalb den geschuldeten Betrag bei Fälligkeit nicht bezahlt haben, wohingegen die anderen den geschuldeten Betrag bei Fälligkeit bezahlt haben.
Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung kann insbesondere nicht mit der Begründung verneint werden, die Steuerpflichtigen hätten es (mehr oder weniger) in der Hand, ob AdV-Zinsen entstehen. Die gegenteilige Annahme des FG überzeugt den Senat nicht. Zwar können Steuerpflichtige beeinflussen, ob AdV-Zinsen entstehen. Sie entscheiden grundsätzlich frei, ob sie die AdV beantragen oder ob sie den geschuldeten Betrag sofort entrichten. Auch eine sogenannte aufgedrängte AdV muss nicht hingenommen werden. Betroffene können dagegen Rechtsschutz in Anspruch nehmen oder die Verzinsungspflicht durch Zahlung des ausgesetzten Betrags (jederzeit) beenden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 243).
Dabei handelt es sich jedoch ‑‑ungeachtet des Umstands, dass diese Optionen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nicht allen Steuerpflichtigen jederzeit offenstehen‑‑ um Ausweichoptionen. Ausweichoptionen von Grundrechtsträgern beseitigen eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung aber grundsätzlich nicht. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass eine Ungleichbehandlung bereits nicht am allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gemessen werden könnte. Eine Ungleichbehandlung wäre sonst unabhängig von ihrem Zweck und ihrer Intensität immer schon dann verfassungsrechtlich unbeachtlich, wenn der benachteiligte Grundrechtsträger eine Ausweichoption in dem Sinne hat, dass die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands, dessen Rechtsfolge die Ungleichbehandlung ist, von seinem Verhalten abhängt. Auf den Streitfall bezogen: Der Gesetzgeber könnte dann auch einen Zinssatz in beliebiger Höhe festsetzen, ohne dass dies verfassungsrechtlich überprüft werden könnte. Die Möglichkeit, der Belastung effektiv ausweichen zu können, ist daher ‑‑wenn überhaupt‑‑ erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu würdigen (vgl. beispielsweise BVerfG-Beschlüsse vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BGBl. 2024 I Nr. 45, Rz 160; vom 17.11.2009 ‑ 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, Rz 78 und vom 15.01.2008 ‑ 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 134).
Dies gilt in der hier zu beurteilenden Frage umso mehr, als die Steuerpflichtigen bei Wahl der Ausweichoptionen auf die (Wirkung der) AdV verzichten müssen. Die AdV wird aber als Form des vorläufigen Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt. Auf die AdV besteht ein verfassungsrechtlich garantierter Anspruch, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Die Frage, ob die Ausweichoptionen unter Berücksichtigung dessen gleichwohl angesonnen werden können, bedarf einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung, die im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung anzustellen ist. Das Ergebnis der Abwägung kann, auch wenn es eindeutig wäre, die verfassungsrechtliche Prüfung nicht erübrigen.
b) Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist an einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen.
aa) Für die Anwendung eines qualifizierten Prüfungsmaßstabs spricht insbesondere, dass die Erhebung von (hohen) Zinsen bei AdV zumindest tendenziell rechtsschutzhemmend wirkt. Damit ist das Grundrecht der Steuerpflichtigen auf effektiven Rechtsschutz betroffen (so auch Haselmann/Maciejewski, Die Unternehmensbesteuerung 2022, 422, 426 f.). Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht jedermann, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlt, der Rechtsweg zu den Gerichten offen (BVerfG-Beschluss vom 31.05.1988 ‑ 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, Rz 34). Art. 19 Abs. 4 GG gebietet darüber hinaus, soweit als möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfG-Beschluss vom 19.10.1977 ‑ 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166, Rz 33, m.w.N.).
Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gewährleistet auch den einstweiligen Rechtsschutz. Da Rechtsbehelfe und Klagen im Abgabenrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben, kommt dem vorläufigen Rechtsschutz in diesem Bereich eine besondere Bedeutung zu. Die innere Rechtfertigung für die vorläufige Vollziehbarkeit von Steuerbescheiden, die Vermutung ihrer Richtigkeit, nimmt in dem Maße ab, wie Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz ‑‑hier in Form der AdV‑‑ darf durch den Gesetzgeber nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 04.05.2004 ‑ 1 BvR 1892/03, BVerfGE 110, 339, Rz 24 und vom 18.06.2019 ‑ 1 BvR 587/17, BVerfGE 151, 173, Rz 27). Insbesondere darf eine Regelung nicht so gestaltet sein, dass sie in ihrer tatsächlichen Auswirkung tendenziell dazu führt, den Rechtsschutz vornehmlich nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu eröffnen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 06.02.1979 ‑ 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217, Rz 46; vom 12.12.2006 ‑ 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163, Rz 102 und vom 19.12.2012 ‑ 1 BvL 18/11, BVerfGE 133, 1, Rz 81). Effektiver Rechtsschutz muss gerade im Abgabenrecht "bezahlbar" sein.
Aus dem Umstand, dass Steuerpflichtige grundsätzlich die Wahl haben, ob sie AdV in Anspruch nehmen wollen, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, oder ob sie die fällige Steuer sofort entrichten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 243), ergibt sich nichts anderes. Die drohenden AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat können die Entscheidung in der Weise beeinflussen, dass sich Steuerpflichtige aus wirtschaftlichen Erwägungen dazu veranlasst sehen, vorläufigen Rechtsschutz nicht in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise beschränkt die Zinshöhe den Zugang zu effektivem Rechtsschutz zumindest mittelbar (vgl. Seer, DB 2014, 1945, 1949; Drüen, Finanz-Rundschau 2014, 218, 220; Loose in Tipke/Kruse, § 237 AO Rz 2b).
bb) Für eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung spricht ferner, dass ein Teil der Steuerpflichtigen wirtschaftlich nicht auf die AdV verzichten kann. Insbesondere Steuerpflichtige, die nicht über ausreichende Eigenmittel verfügen und auch nicht (rechtzeitig) ausreichend hohe Fremdmittel beschaffen können, um den geschuldeten Betrag sofort zu begleichen, werden dadurch entlastet (vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 238 Rz 11; von Streit/Streit, DStR 2022, 121, 123 f.; dieselben, DStR 2023, 2081, 2086; Haupt, DStR 2022, 126, 131; Niestedt, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2022, 331, 334). Auch dies kann im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden, wäre aber bei einer reinen Willkürprüfung von vornherein ohne Bedeutung.
Steuerpflichtige, die aktuell nicht über ausreichende Mittel verfügen, können auch nicht generell darauf verwiesen werden, die Stundung des geschuldeten Betrags zu beantragen. Nach § 222 Satz 1 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gestundet werden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Steuerschuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Stundung erfüllt sind, ist die AdV für Steuerpflichtige wirtschaftlich sinnvoller, soweit es darum geht, den geschuldeten Betrag nicht sofort entrichten zu müssen. Zum einen soll eine Stundung in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden (§ 222 Satz 2 AO). Zum anderen werden nach § 234 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auch auf gestundete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat erhoben. Wird der Steuerbescheid nach Ablauf der Stundung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt, bleiben die bis dahin entstandenen Stundungszinsen bestehen (§ 234 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwar kann auf die Erhebung von Stundungszinsen gemäß § 234 Abs. 2 AO verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Bei dem Zinsverzicht handelt es sich aber um eine Ermessensentscheidung. Bei der AdV werden hingegen keine Zinsen erhoben, soweit der Steuerpflichtige mit seinem Rechtsbehelf gegen einen Verwaltungsakt erfolgreich war.
cc) Für eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung spricht schließlich, dass Steuerpflichtige, denen AdV gewährt worden ist und die deshalb den geschuldeten Betrag nicht sofort bezahlt haben, auf die Höhe der entstehenden Zinsen kaum noch Einfluss nehmen können. Das Ende der Zinspflicht hängt im Regelfall davon ab, wann der Fall entschieden und die ernstlichen Zweifel beseitigt sind beziehungsweise wann die AdV beendet ist. Darauf haben bei fehlender Zahlungsfähigkeit weder der Einspruchsführer noch der Kläger entscheidenden Einfluss. Die Dauer außergerichtlicher und gerichtlicher Rechtsbehelfsverfahren hängt entscheidend von der Arbeitsweise der zuständigen Finanzbehörde oder des zuständigen FG ab. Einspruchsführer können unter den Voraussetzungen von § 46 FGO Untätigkeitsklage erheben. Kläger können ihren prozessualen Mitwirkungspflichten, insbesondere den Erklärungspflichten, nach § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO zeitnah nachkommen. Sie können gerichtliche Aufforderungen zeitnah erfüllen, eine zeitnahe Entscheidung anmahnen oder die Verzögerungsrüge (§ 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes) erheben. Eine rasche Entscheidung erzwingen können sie nicht.
c) Mit der Erhebung von AdV-Zinsen verfolgt der Gesetzgeber legitime Zwecke. Sie dient der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen (B.III.3.c aa) und nach Angaben des historischen Gesetzgebers daneben auch der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse (B.III.3.c bb). Weitere Zwecke sind nicht ersichtlich (B.III.3.c cc).
aa) Die Erhebung von Zinsen bei AdV beruht vor allem auf der Annahme, dass Steuerpflichtige, denen AdV gewährt worden ist und die deshalb den geschuldeten Betrag nicht sofort entrichten, einen Liquiditätsvorteil gegenüber denjenigen haben, die unter vergleichbaren Umständen eine AdV nicht in Anspruch nehmen und den geschuldeten Betrag sofort entrichten. Durch die spätere Zahlung steht der geschuldete Betrag (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorausgesetzt) länger zur Verfügung und kann zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil genutzt werden. Vorrangiger Zweck der AdV-Zinsen ist es, diesen Vorteil in typisierter Höhe abzuschöpfen.
Von diesem Zweck hat sich der Gesetzgeber schon bei der Einführung der AdV-Zinsen erkennbar leiten lassen. Mit der bundesrechtlich erstmaligen Einführung der Zinsen bei AdV durch das Steueränderungsgesetz 1961 vom 13.07.1961 wurden auch die Prozesszinsen erstmalig geregelt (BGBl I 1961, 981). Nach der Entwurfsbegründung sollten die Prozesszinsen Härten für die Steuerpflichtigen ausgleichen, da die ihnen von der Finanzverwaltung vorenthaltenen Beträge bis dahin nicht verzinst wurden (vgl. BTDrucks 3/2573, S. 36 f.; s.a. unter B.I.2.b). Wenn aber von Beginn der Rechtshängigkeit an Überzahlungen verzinst werden, so der Gesetzgeber, müsse dies auch für Nachzahlungen gelten (vgl. BTDrucks 3/2573, S. 37).
Auch der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die AdV-Zinsen in erster Linie der Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen dienen (vgl. BFH-Urteile vom 24.07.1979 ‑ VII R 67/76, BFHE 128, 331, BStBl II 1979, 712, Rz 10; vom 21.02.1991 ‑ V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498, unter II.3.c bb [Rz 34]; vom 20.09.1995 ‑ X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53, unter 2.a cc [Rz 13]; vom 05.06.1996 ‑ X R 234/93, BFHE 180, 240, BStBl II 1996, 503, unter 3.c [Rz 19] und vom 10.10.2012 ‑ VIII R 56/10, BFHE 238, 530, BStBl II 2013, 107, Rz 18).
Für den Abschöpfungszweck spricht auch, dass grundsätzlich alle Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung einen Vor- oder Nachteilsausgleich bezwecken (zur Vollverzinsung BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 123 ff., m.w.N.; zu Stundungszinsen Kögel in Gosch, AO § 234 Rz 5.1; zur Verzinsung hinterzogener Steuern BFH-Urteil vom 28.08.2019 ‑ II R 7/17, BFHE 266, 485, BStBl II 2020, 247, Rz 15, m.w.N.; zu Prozesszinsen BFH-Urteil vom 16.05.2013 ‑ II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 15, m.w.N.). Dementsprechend hatte der Gesetzgeber den Vor- oder Nachteil, der sich durch die Heranziehung der Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeiten ergibt, ursprünglich einheitlich mit einhalb Prozent pro Monat bemessen.
Der Zweck, Liquiditätsvorteile abzuschöpfen und Liquiditätsnachteile auszugleichen, ist auch zweifellos legitim. Die Erhebung von Zinsen bei AdV dient damit unmittelbar auch dem aus dem Gleichbehandlungsgebot abgeleiteten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 129).
bb) Der historische Gesetzgeber hat die Einführung von Zinsen bei AdV auch mit der Erwägung begründet, so könnten unnötige Steuerprozesse vermieden werden. Der Zinsvorteil infolge der AdV könne die Prozesskosten übersteigen (vgl. BTDrucks 3/2573, S. 37). Den Senat überzeugen diese Erwägungen nicht. Es ist schon unklar, welche Verfahren konkret vermieden werden sollen. Jedenfalls dann, wenn die Zinsen niedrig und die typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteile gering sind, dürften "unnötige" Steuerprozesse im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von AdV kaum vorkommen. Der Senat misst dem Zweck der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse deshalb jedenfalls unter den zu beurteilenden Umständen kein für die Höhe der AdV-Zinsen relevantes, eigenständiges Gewicht bei (B.III.3.c bb (1)). Die Legitimität des Gesetzeszwecks steht zwar grundsätzlich nicht in Frage. Der Gesetzgeber darf grundsätzlich auch den Zweck verfolgen, leichtfertige oder gar missbräuchliche Rechtsbehelfe zu verhindern (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 06.02.1979 ‑ 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217, Rz 46 und vom 19.12.2012 ‑ 1 BvL 18/11, BVerfGE 133, 1, Rz 80, m.w.N.). Der Senat hat aber erhebliche Zweifel an der Legitimität dieses Zwecks, soweit es darum geht, den verfassungsrechtlich garantierten und gesetzlich ausformulierten Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz effektiv einzuschränken (B.III.3.c bb (2)).
(1) Der Senat misst dem vom historischen Gesetzgeber angeführten Zweck der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse jedenfalls unter den zu beurteilenden Umständen (Niedrigzinsphase) kein für die Höhe der AdV-Zinsen relevantes, eigenständiges Gewicht bei.
Es ist schon unklar, ob nur gerichtliche oder auch außergerichtliche Rechtsbehelfe vermieden werden sollen. Die Äußerung des historischen Gesetzgebers bezog sich nur auf gerichtliche Verfahren (Prozesse). Zwar hat der BFH die Äußerung des historischen Gesetzgebers teilweise aufgegriffen und inhaltlich auch auf das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ausgedehnt. Die Zahlung der Abgaben solle nicht zinslos dadurch hinausgeschoben werden können, dass ein Rechtsbehelf ohne ernsthafte Erfolgsaussichten eingelegt wird (vgl. BFH-Urteile vom 24.07.1979 ‑ VII R 67/76, BFHE 128, 331, BStBl II 1979, 712, Rz 10; vom 21.02.1991 ‑ V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498, unter II.3.c bb [Rz 34] und vom 10.10.2012 ‑ VIII R 56/10, BFHE 238, 530, BStBl II 2013, 107, Rz 18). Dieses Verständnis kollidiert aber damit, dass die AdV nur gewährt wird, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen.
Unklar ist auch, mit welchem Ziel der Gesetzgeber unnötige Steuerprozesse verhindern wollte. Denkbar ist, dass die Gerichte entlastet werden sollten. Denkbar ist aber auch, dass nur das Steueraufkommen gesichert und verzögerte Zahlungen verhindert werden sollten. Aus den Quellen lässt sich die Frage nicht beantworten.
Unklar ist weiter, ob nur das Hauptsacheverfahren oder auch die (ungerechtfertigte) Inanspruchnahme von AdV vermieden werden sollte. Vermieden werden unnötige Steuerprozesse nur, wenn das Hauptsacheverfahren unterbleibt, wenn also kein Einspruch eingelegt oder keine Klage erhoben wird. Höhere AdV-Zinsen verhindern aber unmittelbar nur die Inanspruchnahme von AdV. Im Rückblick unnötige Rechtsbehelfe und Klagen können so grundsätzlich nicht verhindert werden. Ob der Gesetzgeber daneben auch die "unnötige" Inanspruchnahme von AdV verhindern wollte, bleibt unklar.
Unklar ist schließlich, welche Relevanz der vom historischen Gesetzgeber in den Blick genommene Fall hat. Die Erwägung, dass der Liquiditätsvorteil durch die spätere Zahlung höher sein könne als die Prozesskosten, ist zwar theoretisch klar, aber praktisch kaum nachvollziehbar. Sie beruht auf der Annahme, dass es Steuerpflichtige gibt, die nur deshalb einen Rechtsbehelf einlegen oder Klage erheben, weil sie in den Genuss der AdV (Zahlungsaufschub) kommen und sich dadurch letztlich einen (nicht gerechtfertigten) wirtschaftlichen Vorteil verschaffen wollen. Sie setzt weiter voraus, dass es diesen Steuerpflichtigen auch gelingt, die AdV unter den gesetzlichen Voraussetzungen (ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts) zu erwirken und dass es sich trotz der im Fall eines endgültig erfolglosen Hauptsacheverfahrens eventuell anfallenden Verfahrenskosten finanziell lohnen kann, den Rechtsbehelf gleichwohl einzulegen. Ob sich der Rechtsbehelf trotz der Verfahrenskosten wirtschaftlich lohnt, hängt ersichtlich unter anderem davon ab, ob der durch die AdV entstandene Liquiditätsvorteil ohnehin abgeschöpft wird. Legt man dies zugrunde, weil die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils einen eigenständigen legitimen Gesetzeszweck bildet, stellt sich die Frage, ob der Zinssatz bei AdV-Zinsen über den Anteil hinaus, der auf die Abschöpfung des Liquiditätsvorteils entfällt, einen Aufschlag für die Verhinderung unnötiger Steuerprozesse enthält. Dafür sieht der Senat keine Anhaltspunkte. Jedenfalls dann, wenn die Zinsen niedrig und die typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteile deshalb gering sind, dürften "unnötige" Steuerprozesse im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von AdV kaum noch vorkommen. Dieser Zweck verliert unter diesen Umständen jedenfalls seine Relevanz.
Wenn der Liquiditätsvorteil durch die Zinsen bei AdV bereits abgeschöpft wird (selbständiger Normzweck), bietet die AdV zudem regelmäßig keinen (messbaren) darüber hinausgehenden wirtschaftlichen Anreiz, Rechtsbehelfe ohne ernsthafte Erfolgsaussichten einzulegen (so wohl auch BFH-Urteil vom 24.07.1979 ‑ VII R 67/76, BFHE 128, 331, BStBl II 1979, 712, Rz 10). Das gilt jedenfalls in einem strukturellen Niedrigzinsumfeld, in dem bereits der durch den Zahlungsaufschub erzielbare Liquiditäts- und Zinsvorteil gering ist.
Sollte der Zweck speziell darauf gerichtet gewesen sein, die Inanspruchnahme von AdV einzuschränken, bestünden dagegen auch rechtliche Bedenken. Ein allgemeines Misstrauen des Gesetzgebers gegenüber allen Steuerpflichtigen, die Rechtsbehelfe gegen Steuerverwaltungsakte einlegen und AdV begehren, wäre nicht sachgerecht und stünde zudem im Wertungswiderspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG. Aus dem Umstand, dass AdV-Zinsen nur anfallen, wenn der Rechtsbehelf oder die Klage endgültig erfolglos geblieben sind, kann nicht geschlossen werden, dass die Rechtsbehelfe oder Klagen von vornherein "unnötig" waren. Häufig ist ex ante nicht abzusehen, ob ein Rechtsbehelf gegen einen Steuerverwaltungsakt erfolgreich sein wird. Gerade bei offenen Rechtsfragen, aber auch bei unklarer Tatsachenlage ist der Ausgang des Verfahrens kaum sicher vorhersehbar. Grundsätzlich darf unter den gesetzlichen Voraussetzungen einstweiliger Rechtsschutz in Anspruch genommen werden. Für eine Verhaltenslenkung, die mit der Erhebung von Zinsen bei AdV vorsorglich den einstweiligen Rechtsschutz durch AdV einschränkt, wäre vor diesem Hintergrund kein Raum. Dies vorausgesetzt, verbleibt für "unnötige" AdV-Verfahren kein Anwendungsbereich. Steuerpflichtige, die einen von vornherein aussichtslosen Rechtsbehelf einlegen, in der Hoffnung, gleichwohl AdV zu erhalten und sich so einen (nicht gerechtfertigten) Vorteil zu verschaffen, müssten auf eine unrichtige Entscheidung im AdV-Verfahren setzen.
Die Irrelevanz des Zwecks der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse sieht der Senat auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber die Höhe der Zinsen bei den Teilverzinsungstatbeständen der Abgabenordnung einheitlich geregelt hat, und zwar auch, soweit die einzelnen Verzinsungstatbestände über den Ausgleich von Liquiditätsvorteilen hinaus keinen weiteren Zwecken dienen. Daraus ergibt sich, dass der Zweck der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse die Höhe der AdV-Zinsen jedenfalls nicht beeinflusst hat. Wenn es sich um einen zusätzlichen Zweck handeln würde, der sich auf die Höhe der AdV-Zinsen auswirkt, müssten diese höher sein als die Zinsen in anderen Fällen. Die Stundungszinsen nach § 234 AO und die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO bezwecken lediglich, Liquiditätsvorteile auszugleichen (für die Stundungszinsen Kögel in Gosch, AO § 234 Rz 5.1; zur Verzinsung hinterzogener Steuern BFH-Urteil vom 28.08.2019 ‑ II R 7/17, BFHE 266, 485, BStBl II 2020, 247, Rz 15, m.w.N.). Eine Verhaltenslenkung bezwecken sie nicht. Zweck der Stundungs- und Hinterziehungszinsen ist es insbesondere nicht, dass Steuerschulden nicht gestundet oder dass Steuern nicht hinterzogen werden. Auch die Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge nach § 236 AO bezwecken lediglich einen Liquiditätsausgleich (BFH-Urteil vom 16.05.2013 ‑ II R 20/11, BFHE 241, 320, BStBl II 2013, 770, Rz 15, m.w.N.). Eine Verhaltenslenkung sollen die Prozesszinsen nicht bewirken. Sie sollen insbesondere nicht dazu anreizen, Rechtsbehelfe mit Erfolgsaussichten gegen Steuerverwaltungsakte einzulegen.
Im Unterschied dazu dienen die in der Abgabenordnung geregelten Säumniszuschläge, die ein Prozent pro Monat betragen (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO), wirtschaftlich und rechtlich in erster Linie als Druckmittel. Sie bezwecken auch, dass fällige Steuerschulden rechtzeitig gezahlt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 08.11.1955 ‑ V 90/55 S, BFHE 61, 521, BStBl III 1955, 399, Rz 2; vom 21.09.1973 ‑ III R 153/72, BFHE 110, 318, BStBl II 1974, 17, unter 2.b [Rz 15]; vom 16.07.1997 ‑ XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7, unter 2. [Rz 22]; vom 30.03.2006 ‑ V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612, unter II.2. [Rz 17]; vom 15.11.2022 ‑ VII R 55/20, BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621, Rz 22).
(2) Wenn der Lenkungszweck der Verhinderung unnötiger Steuerprozesse schon kein relevantes Gewicht hat, erübrigt sich auch die umfassende Prüfung, ob es sich um einen legitimen Zweck handelt.
Rechtliche Zweifel an der Legitimität dieses Zwecks bestehen zumindest, soweit es darum geht, Rechtsbehelfe mit gesteigerten Erfolgsaussichten zu verhindern. Soweit es dem Gesetzgeber insbesondere darum gehen sollte, gezielt die Inanspruchnahme von AdV zu verhindern, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für eine AdV vorliegen, kann ein legitimes Interesse kaum noch erkannt werden. Das wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. In diesem Fall müsste der Gesetzgeber gegebenenfalls die Voraussetzungen verschärfen, unter denen AdV gewährt werden kann, wenn er die Inanspruchnahme von AdV effektiv zurückdrängen will. Der verfassungsrechtlich garantierte und im Gesetz ausformulierte einstweilige Rechtsschutz darf aber nicht über die Verteuerung des Zugangs in der Breite mittelbar versperrt oder effektiv eingeschränkt werden.
cc) Weitere Gesetzeszwecke der AdV-Zinsen sind nicht ersichtlich. Die Erhebung von Zinsen bei AdV hat insbesondere keinen Strafcharakter (Seer, Steuer und Wirtschaft 2019, 212, 220). Mit ihr sollen auch nicht staatliche Einnahmen erzielt oder die Kosten der Rechtsbehelfsverfahren gedeckt werden. Bei der AdV handelt es sich entgegen der Ansicht des FG auch nicht um einen staatlichen Steuerkredit ohne Bonitätsprüfung gegenüber den Steuerpflichtigen. Die AdV und eine Kreditaufnahme am Kapitalmarkt sind schon nicht vergleichbar. Die AdV verwirklicht einstweiligen Rechtsschutz. Sie ist an Voraussetzungen geknüpft. Liegen diese vor, müssen die Steuerpflichtigen (faktisch) solange nicht bezahlen, bis über die zweifelhafte Steuerschuld entschieden ist.
d) Die Erhebung von AdV-Zinsen ist ein geeignetes Mittel, um bei späterer Zahlung typischerweise entstehende Liquiditätsvorteile abzuschöpfen (B.III.3.d aa). Ob sie auch geeignet ist, um unnötige Steuerprozesse zu verhindern, lässt der Senat offen (B.III.3.d bb).
aa) Die Erhebung von Zinsen bei AdV ist grundsätzlich geeignet, um die bei späterer Zahlung typischerweise entstehenden Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. Die Vorteile, die Steuerpflichtige durch noch nicht gezahlte Steuerschulden während der Dauer der AdV erlangen (können), unterscheiden sich je nach ihrer individuellen Refinanzierungssituation. Sie reichen von Null- oder Negativzinsen auf risikolose Giroeinlagen bis hin zu Renditen risikoreicher Anlageklassen, die ein Vielfaches des Zinssatzes bei AdV betragen können. Die Erhebung von Zinsen bei AdV schöpft diese unterschiedlichen Vorteile ohne Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls typisierend in Höhe von einhalb Prozent pro Monat ab. Die Typisierung mit einem festen Zinssatz bedingt dabei notwendig Über- und Unterkompensationen. Trotz dieser Zielungenauigkeit sind AdV-Zinsen im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, diesen Zweck zumindest zu fördern.
bb) Der Senat hat jedoch Zweifel, ob die AdV-Zinsen auch dazu geeignet sind, um unnötige Steuerprozesse zu verhindern. Da die AdV-Zinsen unmittelbar nur den einstweiligen Rechtsschutz (im Misserfolgsfall) verteuern, sind sie grundsätzlich nicht dazu geeignet, unnötige Hauptsacheverfahren (Einspruch und Klage) zu verhindern. Nur wenn der Steuerpflichtige das Hauptsacheverfahren ohne die Aussicht auf AdV von vornherein unterlassen hätte, kommt eine Zweckerreichung überhaupt in Betracht. Ungeachtet der rechtlichen Hürden, die auf diesem Weg überwunden werden müssen, ist ein solches Verhalten umso unwahrscheinlicher, je niedriger die Marktzinsen sind und je niedriger deshalb auch der Liquiditätsvorteil durch die angestrebte AdV ausfallen wird. Kein Zweifel besteht daran, dass hohe AdV-Zinsen die Inanspruchnahme von AdV verhindern können. Bedenken bestehen insofern aber ‑‑wie dargelegt‑‑ schon gegen die Legitimität dieses Zwecks. Der Senat lässt die Frage der Geeignetheit offen, da er jedenfalls die Erforderlichkeit im verfassungsrechtlichen Sinne verneint.
e) AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat sind in dem zu beurteilenden Zeitraum unter den zu beurteilenden Umständen (Niedrigzinsphase) im verfassungsrechtlichen Sinne jedenfalls nicht erforderlich, um den typischerweise durch die spätere Zahlung entstehenden Liquiditätsvorteil abzuschöpfen (B.III.3.e aa). Sie wären in einer Höhe von einhalb Prozent pro Monat auch nicht erforderlich, um unnötige Steuerprozesse oder Rechtsbehelfe ohne ernsthafte Erfolgsaussichten zu verhindern (B.III.3.e bb).
aa) Für in den zu beurteilenden Zeitraum fallende Verzinsungszeiträume ist der Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat als Typisierung evident nicht mehr in der Lage, den für die Höhe der AdV-Zinsen relevanten Erhebungszweck der Vorteilsabschöpfung realitätsgerecht abzubilden. Der gesetzliche Zinssatz ist damit in dieser Höhe nicht mehr zur Förderung dieses Gesetzeszwecks erforderlich. Die dafür verantwortliche anhaltende, strukturelle Niedrigzinsphase, auf die der Gesetzgeber nicht reagiert hat, endete erst im Jahr 2022. Der Senat erkennt insoweit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht erhebliche Unterschiede zu der Entscheidung des BVerfG zum Zinssatz bei der Vollverzinsung nach § 233a AO (vgl. zur Vollverzinsung insgesamt BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 140 ff.). Der im Streitfall anwendbare AdV-Zinssatz in Höhe von einhalb Prozent pro Monat ist unter den zu beurteilenden tatsächlichen Umständen gleichermaßen evident realitätsfern wie der vom BVerfG verworfene Zinssatz bei Nachzahlung. Mit einem deutlich niedrigeren AdV-Zinssatz hätte der Gesetzgeber den angestrebten Regelungszweck bei geringerer Ungleichbehandlung gleich wirksam fördern können. Er hätte dabei auch nicht Dritte oder die Allgemeinheit stärker belastet. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den AdV-Zinssatz angesichts dieser Umstände unverändert zu lassen, war für den hier zu beurteilenden Verzinsungszeitraum nicht mehr von seiner Einschätzungsprärogative gedeckt und auch sonst nicht gerechtfertigt. Insbesondere war das baldige Ende der Niedrigzinsphase nicht absehbar und ist auch nicht berücksichtigt worden.
Mit der Beibehaltung des AdV-Zinssatzes von einhalb Prozent während der andauernden Niedrigzinsphase setzt sich der Gesetzgeber zudem in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten. Mit der (rückwirkenden) deutlichen Absenkung des Zinssatzes für Nachzahlungen und Erstattungen gemäß § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1a AO auf nur noch 0,15 Prozent pro Monat hat er zum Ausdruck gebracht, dass er diesen Zinssatz jedenfalls während der andauernden Niedrigzinsphase für ausreichend erachtet, um den durch spätere Zahlung entstehenden Liquiditätsvorteil typisierend in voller Höhe abzuschöpfen.
bb) AdV-Zinsen von einhalb Prozent pro Monat wären in dieser Höhe auch nicht erforderlich, um unnötige Steuerprozesse zu verhindern. Es erscheint schon generell zweifelhaft, ob die Verteuerung der AdV dem Grunde nach erforderlich sein kann, um Rechtsbehelfe zu verhindern, die sich rückwirkend als erfolglos darstellen. Als milderes und zielgenaueres Mittel kommt die einschränkende Regulierung der Voraussetzungen in Betracht, unter denen (vorläufiger) Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann. Hinzu kommt, dass der Anreiz, "unnötige" Verfahren zu führen, umso geringer ist, je niedriger der potentielle Liquiditätsvorteil ausfällt, der durch die spätere Zahlung entstehen kann. Die Beibehaltung des Zinssatzes in der bisherigen Höhe könnte allenfalls dann erforderlich sein, wenn der Anreiz für unnötige Steuerprozesse mit dem Absinken des allgemeinen Zinsniveaus zunehmen würde. Das Gegenteil ist aber der Fall.
f) Die Höhe des AdV-Zinssatzes von einhalb Prozent pro Monat wäre darüber hinaus auch unverhältnismäßig im engeren Sinne. Ist der gesetzliche Zinssatz verfassungsrechtlich schon nicht erforderlich, weil er die wirtschaftliche Realität evident verfehlt, kann seine Erhebung auch nicht im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Im Übrigen ergibt die Abwägung, dass in der Niedrigzinsphase die negativen Wirkungen der AdV-Zinsen an Gewicht gewinnen und letztlich außer Verhältnis zu den mit der Erhebung von AdV-Zinsen verfolgten Zwecken geraten (B.III.3.f aa). Weitere Gründe, die den gesetzlichen Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat bei AdV-Zinsen unter den zu beurteilenden Umständen rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich (B.III.3.f bb).
aa) Je niedriger angesichts des Zinsumfelds der Vorteil ist, den der Steuerpflichtige aus der späteren Zahlung erwarten kann, umso geringer wiegen die Zwecke der Liquiditätsabschöpfung oder der Verhinderung unnötiger Rechtsbehelfe. Bleiben die AdV-Zinsen in dieser Situation unverändert hoch, verstärken sie in gleichem Maß die Veranlassung, einstweiligen Rechtsschutz durch AdV aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Anspruch zu nehmen und hemmen damit umso stärker, wenn auch mittelbar, den Zugang zu effektivem Rechtsschutz. Davon werden nicht nur Steuerpflichtige betroffen, die ohne die Aussicht auf AdV einen Rechtsbehelf gar nicht eingelegt hätten, sondern auch alle Steuerpflichtigen, die bei Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts AdV zu Recht in Anspruch nehmen können und angesichts ihrer finanziellen Verhältnisse vielleicht auch müssen. Die rechtsschutzhemmende Wirkung der gleichbleibend hohen AdV-Zinsen erhält so eine deutlich überschießende Tendenz, die nicht mehr im Verhältnis zu den mit der Erhebung von AdV-Zinsen verfolgten Zwecken steht. Dieser Zusammenhang hat in der Vergangenheit zur Überzeugung des Senats dazu geführt, dass AdV aus wirtschaftlichen Gründen vielfach nicht mehr in Anspruch genommen worden ist, auch wenn die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben.
bb) Andere gewichtige Gründe für die Beibehaltung des Zinssatzes von einhalb Prozent pro Monat für AdV-Zinsen sind nicht ersichtlich.
(1) Unergiebig ist, dass der Zinssatz für Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge nach § 236 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ebenfalls (weiterhin) einhalb Prozent pro Monat beträgt. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass AdV-Zinsen in derselben Höhe gerechtfertigt sind. Selbst wenn AdV-Zinsen und Prozesszinsen aus verfassungsrechtlichen Gründen gleich hoch sein müssten, würde dies zur Überzeugung des Senats nicht dazu führen, dass die AdV-Zinsen in der gesetzlichen Höhe gerechtfertigt wären. Geboten wäre stattdessen eine Absenkung des Zinssatzes bei Prozesszinsen.
(2) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass auf Zinsen bei AdV nach § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO ganz oder teilweise verzichtet werden kann, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Auch dies rechtfertigt nicht die Erhebung von AdV-Zinsen in Höhe von einhalb Prozent pro Monat. Während der gesetzliche Zinssatz für alle gilt, kommt ein Zinsverzicht nur im Einzelfall in Betracht. Bei der gebotenen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens als das beste Mittel ansieht, um einen Ausgleich zwischen den Geldnutzungsinteressen des Steuergläubigers und denen des Steuerpflichtigen herbeizuführen. Daher ist die Festsetzung von AdV-Zinsen regelmäßig als automatische Folge des Verfahrensausgangs über die Steuerfestsetzung anzusehen, so dass hiervon nur in besonders begründeten Einzelfällen abgewichen werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2013 ‑ V R 29/11, BFHE 241, 298, BStBl II 2013, 767, Rz 23, m.w.N.).
(3) Auch der Umstand, dass das BVerfG seinen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Vollverzinsung nicht auf die Teilverzinsungstatbestände der Abgabenordnung erstreckt hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Das BVerfG hat insoweit ausgeführt, die Teilverzinsungstatbestände bedürften einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 243). Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes für die AdV sind dem Beschluss des BVerfG zur Vollverzinsung dementsprechend nicht zu entnehmen.
4. Verfassungswidrigkeit der Zinssatzspreizung
Seit dem 01.01.2019 werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden, weil sie den geschuldeten Betrag nach AdV nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt (B.III.4.a). Auch diese Ungleichbehandlung ist an einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen (B.III.4.b). Es fehlt aber schon bei der Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichend rechtfertigenden Grund für die Ungleichbehandlung (B.III.4.c). Unter Berücksichtigung der Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der AdV-Zinsen (B.III.3.) und der Annahme, dass der neu eingeführte Zinssatz für Nachzahlungszinsen prima facie verfassungsgemäß ist, ergibt sich auch aus der nicht gerechtfertigten Zinssatzspreizung, dass der Zinssatz bei AdV-Zinsen verfassungswidrig zu hoch ist (B.III.4.d).
a) Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen schulden, werden wie dargelegt ungleich behandelt. Während die AdV-Zinsen mit einhalb Prozent pro Monat berechnet werden, beträgt der Zinssatz für Nachzahlungszinsen seit dem 01.01.2019 nur noch 0,15 Prozent pro Monat. Die AdV-Zinsen sind damit mehr als dreimal so hoch wie die Nachzahlungszinsen. Werden Nachzahlungszinsen für denselben Zeitraum wie AdV-Zinsen festgesetzt, sind die Nachzahlungszinsen auf die AdV-Zinsen anzurechnen (§ 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 3 AO). Es verbleibt dabei, dass bei der Inanspruchnahme von AdV die höheren AdV-Zinsen bezahlt werden müssen.
Die relevante Gleichheit zwischen den Gruppen besteht darin, dass ihre Mitglieder den materiell-rechtlich geschuldeten Betrag später entrichten als der Großteil der Steuerpflichtigen, die zeitnah veranlagt werden und die geschuldete Steuer auch zeitnah bezahlen. In beiden Gruppen ist der durch die spätere Zahlung typischerweise erzielbare Liquiditätsvorteil gleich hoch. Ungleichheit besteht darin, dass die einen AdV beantragt und erhalten und deshalb den geschuldeten Betrag bei Fälligkeit nicht bezahlt haben, wohingegen bei den anderen eine Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag (§ 233a Abs. 3 AO) geführt hat und sie die materiell-rechtlich von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später bezahlen müssen.
Unterschiede bestehen auch bei der Frage, in welchem Maße die Merkmale, an die die Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind. Gleichheit besteht in beiden Gruppen insoweit, als ihre Mitglieder im Ausgangspunkt keinen maßgeblichen Einfluss auf den Zeitpunkt der Veranlagung haben. Ob ein Steuerpflichtiger zeitnah veranlagt wird und sich gegen die seiner Ansicht nach unzutreffende Festsetzung (erfolglos) unter Inanspruchnahme von AdV wehrt oder ob er zum Beispiel erst nach einer Betriebsprüfung zutreffend veranlagt wird, hängt häufig vom Zufall ab. Ab dem Zeitpunkt der Veranlagung bestehen dagegen relevante Unterschiede, inwieweit die jeweils Betroffenen auf die Entstehung von Zinsen einwirken können. Auf die Entstehung von Nachzahlungszinsen haben die Betroffenen kaum Einfluss. Den AdV-Zinsen können Steuerpflichtige dagegen theoretisch ausweichen. Auf die Dauer der AdV und die Höhe der letztlich zu entrichtenden AdV-Zinsen haben Steuerpflichtige, die AdV in Anspruch nehmen, im Regelfall (vorzeitige freiwillige Zahlung trotz AdV ausgenommen) jedoch keinen maßgeblichen Einfluss.
Diese Unterschiede rechtfertigen es indes nicht, von vornherein eine Ungleichbehandlung zu verneinen. Das gilt insbesondere, wie bereits dargelegt, für den Umstand, dass der Entstehung von AdV-Zinsen ausgewichen werden kann, indem auf die zustehende AdV verzichtet wird. Gerade weil die Erhebung von Zinsen bei AdV rechtsschutzhemmend wirkt, ist eine verfassungsrechtliche Prüfung erforderlich. Das Spannungsverhältnis mit Art. 19 Abs. 4 GG ist bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten (vgl. BVerfG-Beschluss vom 06.02.1979 ‑ 2 BvL 5/76, BVerfGE 50, 217, Rz 46). Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG kann daher nicht bereits die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen verneint werden.
b) Die Ungleichbehandlung ist an einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen. Das ergibt sich schon daraus, dass die AdV-Zinsen tendenziell rechtsschutzhemmend wirken und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz berühren (B.III.3.b). Aber auch die Nachzahlungszinsen sind an einem am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu messen, da ihre Entstehung vom Steuerpflichtigen kaum beeinflusst werden kann (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 109 ff.). Für den Vergleich der beiden Zinstatbestände kann kein geringerer Maßstab gelten. Die Frage kann aber letztlich offenbleiben. Für die gesetzliche Spreizung der Zinssätze bei AdV-Zinsen und Nachzahlungszinsen fehlt es schon bei einer Prüfung am allgemeinen Willkürmaßstab an einer hinreichenden Rechtfertigung.
c) Die Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen schulden und Steuerpflichtigen, die AdV-Zinsen schulden, ist im Hinblick auf die unterschiedlich hohen gesetzlichen Zinssätze schon bei einer Prüfung am allgemeinen Willkürmaßstab nicht gerechtfertigt. Es fehlt an einem einleuchtenden Grund für das Ausmaß der gesetzlichen Differenzierung. Die mangelnde sachliche Begründung für die Ungleichbehandlung ist auch evident. Die vom Gesetzgeber für die Nichtanpassung des AdV-Zinssatzes angeführten Gründe rechtfertigen die Ungleichbehandlung zur Überzeugung des vorlegenden Senats nicht (B.III.4.c aa). Andere rechtfertigende Gründe sind nicht ersichtlich (B.III.4.c bb).
aa) In der Entwurfsbegründung zum Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12.07.2022 (BGBl I 2022, 1142, 1142) hat der Gesetzgeber dargelegt, weshalb er den Zinssatz für die Vollverzinsung, nicht aber den Zinssatz für die anderen Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung anpasst (vgl. BRDrucks 157/22, S. 6 f.). Der Gesetzgeber hat dort zur Begründung angeführt, es sei den Steuerpflichtigen möglich, mit einem Rechtsbehelf gegen eine aufgedrängte AdV oder Stundung vorzugehen, um die nachteiligen Zinsfolgen zu vermeiden (B.III.4.c aa (1)). Zudem dürfe er eine rückwirkende Änderung des Zinssatzes bei anderen Verzinsungstatbeständen ohne eine entsprechende Verpflichtung durch das BVerfG nicht auf offene Fälle beschränken (B.III.4.c aa (2)). Eine Differenzierung zwischen Hinterziehungszinsen und anderen Zinsen nach der Abgabenordnung hinsichtlich des Zinssatzes sei wegen des fehlenden Strafcharakters von Hinterziehungszinsen schwerlich zu rechtfertigen. Eine Absenkung des Zinssatzes für Hinterziehungszinsen könne aber den (unzutreffenden) Eindruck erwecken, dass die Steuerhinterziehung weniger als bisher verfolgt und geahndet werden solle (B.III.4.c aa (3)). Eine über die Anpassung des Zinssatzes bei der Vollverzinsung hinausgehende Rechtsänderung wäre zudem mit erheblichem Programmieraufwand verbunden. Dadurch wäre eine rechtzeitige Umsetzung der vom BVerfG geforderten Rechtsänderung nicht möglich (B.III.4.c aa (4)).
Diese vom Gesetzgeber angeführten Gründe können die Zinssatzspreizung bei AdV-Zinsen und Nachzahlungszinsen zur Überzeugung des Senats nicht rechtfertigen.
(1) Die Ungleichbehandlung kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Steuerpflichtigen den AdV-Zinsen theoretisch ausweichen können, wohingegen die Voraussetzungen, unter denen Nachzahlungszinsen entstehen, vom Steuerpflichtigen nicht beeinflusst werden können. Eine solche Rechtfertigung würde einerseits diejenigen Steuerpflichtigen, die AdV beanspruchen können und wollen, darauf verweisen, aus wirtschaftlichen Gründen auf den zustehenden einstweiligen Rechtsschutz durch AdV zu verzichten. Dies stünde im Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Andererseits können Ausweichmöglichkeiten des Steuerpflichtigen nur dann als belastungsmindernd berücksichtigt werden, wenn das zugedachte Ausweichverhalten zweifelsfrei legal ist, keinen unzumutbaren Aufwand für den Steuerpflichtigen bedeutet und ihn auch sonst keinem nennenswerten finanziellen oder rechtlichen Risiko aussetzt (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15.01.2008 ‑ 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, Rz 134 und vom 17.11.2009 ‑ 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, Rz 78). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Verzicht auf die (zustehende) AdV ist zumindest für einen Teil der Steuerpflichtigen unzumutbar und setzt sie zudem in Form der AdV-Zinsen auch einem nennenswerten finanziellen Risiko aus.
Es trifft außerdem nicht zu, dass Steuerpflichtige keinen Einfluss darauf haben, ob und in welcher Höhe Nachzahlungszinsen entstehen. Nachzahlungszinsen können beispielsweise vermieden werden, indem die Höhe der Steuervorauszahlungen auf Antrag nach oben angepasst wird, freiwillige Zahlungen erbracht werden (§ 233a Abs. 8 AO) oder indem die Steuerpflichtigen ihren Mitwirkungspflichten nach § 90 AO zeitnah nachkommen (s. hierzu Roser, GmbHR 2023, 388, 389).
(2) Die Ungleichbehandlung kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine rückwirkende Änderung des Zinssatzes für die Erhebung von Zinsen bei AdV nicht auf offene Fälle beschränkt werden dürfte. Fiskalische Zwecke allein können die Erhebung von Zinsen von vornherein nicht rechtfertigen. Zinsen bedürfen als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 Nr. 4 AO) eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen legitimen Rechtfertigungsgrunds (vgl. BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rz 113, m.w.N.).
(3) Eine hinreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung ergibt sich ferner nicht aus den vom Gesetzgeber mitgeteilten Bedenken gegen eine Absenkung des Hinterziehungszinssatzes. Unabhängig von der Frage, ob Art. 3 Abs. 1 GG bei einer Anpassung des AdV-Zinssatzes auch eine Anpassung des Zinssatzes für Hinterziehungszinsen gebietet, ist nicht ersichtlich, dass die vom Gesetzgeber bei einer Absenkung des Hinterziehungszinssatzes befürchtete negative Öffentlichkeitswirkung einträte. Jedenfalls ist nicht erkennbar, wie Überlegungen zur Öffentlichkeitswirkung abgesenkter Hinterziehungszinsen die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Zinssatzes für AdV-Zinsen beeinflussen können sollten.
(4) Ob eine über die Anpassung des Zinssatzes bei der Vollverzinsung hinausgehende Rechtsänderung mit erheblichem Programmieraufwand verbunden und dadurch eine rechtzeitige Umsetzung der vom BVerfG geforderten Rechtsänderung bei der Vollverzinsung nicht möglich gewesen wäre, kann der Senat nicht beurteilen. Jedenfalls ergäbe sich daraus keine sachliche Rechtfertigung für die geltende Zinssatzspreizung zwischen den AdV-Zinsen und den Nachzahlungszinsen. Der AdV-Zinssatz kann zeitlich nach der Anpassung des Zinssatzes bei der Vollverzinsung angepasst werden.
bb) Neben den vom Gesetzgeber angeführten Gründen sind auch keine anderen sachlich einleuchtenden und damit hinreichend rechtfertigenden Gründe für die Ungleichbehandlung ersichtlich. Vielmehr hatte der Gesetzgeber wegen der bei sinkendem Zinsniveau zunehmenden rechtsschutzhemmenden Wirkung der gleichbleibend hohen AdV-Zinsen Veranlassung, mit erhöhter Sorgfalt zu prüfen, ob die Höhe der AdV-Zinsen eine (ungewollte) überschießende Wirkung entfaltet. Das ist offenbar nicht geschehen.
d) Die nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen, die im zu beurteilenden Zeitraum AdV-Zinsen schulden und der Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen schulden, ist dahin aufzulösen, dass der Zinssatz bei den AdV-Zinsen verfassungswidrig zu hoch ist. Das ergibt sich schon daraus, dass die Belastung mit AdV-Zinsen von einhalb Prozent pro Monat unter den zu beurteilenden Umständen verfassungsrechtlich nicht erforderlich ist (B.III.3.). Für die Verfassungsgemäßheit des Zinssatzes von 0,15 Prozent pro Monat bei den AdV-Zinsen streitet prima facie, dass der Gesetzgeber diesen Zinssatz in Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG zur Vollverzinsung, unter Berücksichtigung der dort aufgestellten Grundsätze und der tatsächlichen Gegebenheiten (andauernde, strukturelle Niedrigzinsphase) als angemessen festgelegt hat. Diese Einschätzung dürfte von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt sein. Auch daraus ergibt sich, dass der Zinssatz bei AdV-Zinsen verfassungswidrig zu hoch ist.
IV. Weitere Verfassungsverstöße
Ob und inwieweit der Zinssatz für die Erhebung von Zinsen bei AdV gemäß § 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten verfassungswidrig ist, lässt der Senat offen. Insbesondere muss sich der AdV-Zinssatz in seiner konkreten Höhe, soweit gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren in den Verzinsungszeitraum fallen, auch an Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG messen lassen. Steuerpflichtige haben zudem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG einen Anspruch, nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zur Leistung von Zinsen herangezogen zu werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 03.09.2009 ‑ 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, Rz 27). Hierauf ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 3 Abs. 1 GG zur Überzeugung des Senats übertragbar. Die Beurteilung etwaiger weiterer Verfassungsverstöße obliegt dem BVerfG (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15.12.2015 ‑ 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, Rz 31, m.w.N.) und gehört nicht zur Begründung eines Vorlagebeschlusses.
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