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BFH: Inländisches Besteuerungsrecht für einen in der Schweiz ansässigen Piloten von Flugzeugen im internationalen Luftverkehr, die von einem deutschen Luftfahrtunternehmen betrieben werden

  1. Die inländischen Einkünfte eines in der Schweizerischen Eidgenossenschaft ansässigen Piloten aus nichtselbständiger Arbeit, die an Bord eines Luftfahr­zeugs im internationalen Luftverkehr ausgeübt wird, das von einem Unter­nehmen mit Geschäftsleitung im Inland betrieben wird, können nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 in der Bundesrepublik Deutschland be­steuert werden.
  2. Ein im internationalen Luftverkehr tätiger Pilot ist kein Grenzgänger im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010.

EStG § 1 Abs. 4, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 38 Abs. 1 Satz 1, § 41a Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e, § 50d Abs. 1 Satz 2
DBA CHE 1971/2010 Art. 15 Abs. 3 Satz 1, Art. 15a Abs. 1 und 2
AO § 37 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 218 Abs. 2

BFH-Urteil vom 1.8.2024, VI R 32/21 (veröffentlicht am 21.11.2024)

Vorinstanz: FG Hamburg vom 12.4.2021, 6 K 179/19 = SIS 22 02 88

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein bei dem … (Unternehmen Z) angestellter Pilot, der von seinem Arbeitgeber im internationalen Luft­verkehr für Interkontinental‑/Langstreckenflüge eingesetzt wird, hatte im Streitjahr (2017) seinen ausschließlichen Wohnsitz in der Schweizerischen Eid­genossenschaft (Schweiz). Er war arbeitsvertraglich als Flugzeugführer dem Flughafen in A‑Stadt (Inland) zugeordnet, von dem aus seine Starts und Landungen als Pilot im internationalen Luftverkehr erfolgten.

Das Unternehmen Z behielt im Streitjahr vom Arbeitslohn des Klägers Lohnsteuer sowie Solidaritätszuschlag ein und führte diese an den Beklagten und Revisionsbe­klagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ab. Mit Antrag vom 30.07.2018 begehrte der Klä­ger vom FA die Erstattung von zu viel einbehaltener Lohnsteuer in Höhe des Betrags, um den diese die Quellensteuer von 4,5 % des Bruttobetrags der Vergütungen gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Ein­kommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl II 2011, 1092, BStBl I 2012, 513) ‑‑DBA‑Schweiz 1971/2010‑‑ übersteige. Der Kläger war der Ansicht, er sei ein typischer Grenzgänger im Sinne des Art. 15a DBA‑Schweiz 1971/2010, da er in der Schweiz wohne und im Anschluss an seine internationalen Flugeinsätze nach der Landung in A‑Stadt (Inland) in der Regel unmittelbar an seinen schweizerischen Wohnsitz zurückkehre.

Das FA lehnte den Erstattungsantrag des Klägers ab und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Bei den mehrtägigen Flugreisen des Klägers handele es sich nicht jeweils um eine Arbeitseinheit. Denn bei Interkontinentalflügen seien Ruhezeiten vorgeschrieben und mit diesen ende die berufliche Tätigkeit. Damit ergäben sich im Streitjahr ‑‑abweichend von der Zählweise des Klä­gers‑‑ insgesamt 68 Nichtrückkehrtage im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA‑Schweiz 1971/2010. Selbst wenn die Voraussetzungen des Art. 15a DBA‑Schweiz 1971/2010 vorlägen, bestimme sich das Besteuerungsrecht vor­rangig nach der Bordpersonalregelung in Art. 15 Abs. 3 DBA‑Schweiz 1971/2010 und nicht nach der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA‑Schweiz 1971/2010. Danach stehe das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutsch­land (Deutschland) zu, weil dort der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens Z liege.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Ent­scheidungen der Finanzgerichte 2022, 1028 veröffentlichten Gründen ab.

Mit Bescheid vom 06.10.2020 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldung auch für das Streitjahr gegenüber dem Unternehmen Z auf.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid vom 19.09.2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 09.05.2019 aufzuheben und das FA zu verpflichten, Lohnsteuer in Höhe von … € und Solidari­tätszuschlag in Höhe von … € zu erstatten.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzge­richtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erstattung der im Streitjahr einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer und des Solidaritätszuschlags analog § 50 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusteht (dazu unter 1.). Denn der Kläger wird von dem im Inland ansässigen Unternehmen Z als Pilot im internationalen Luftverkehr eingesetzt und ist daher im Streitjahr mit den daraus erzielten Einkünften im Inland beschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e EStG (dazu unter 2.). Das deutsche Besteuerungsrecht wird auch durch das DBA‑Schweiz 1971/2010 nicht eingeschränkt. Vielmehr steht Deutschland für diese Einkünfte nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA‑Schweiz 1971/2010 das Besteuerungsrecht zu. Schon aufgrund seiner Tätigkeit als Pi­lot im internationalen Luftverkehr ist der Kläger im Streitjahr kein Grenzgän­ger im Sinne des Art. 15a DBA‑Schweiz 1971/2010 (dazu unter 3.).

1. Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuer­schuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) durch Abrechnungsbescheid. Das gilt insbesondere auch für Streitigkeiten über das Bestehen eines Erstattungsanspruchs, der nach § 37 Abs. 1 AO einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis darstellt. Ob eine Steuer im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, richtet sich regelmäßig nach den zugrunde liegenden Steu­erbescheiden. Der Senat kann im Streitfall dahinstehen lassen, ob er der Auf­fassung folgen könnte, dass sich ein Erstattungsanspruch bei abkommenswid­rigem Lohnsteuereinbehalt auch analog § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG in der im Streitjahr (noch) geltenden Fassung ergeben kann, wie das FG im Anschluss an die Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Urteil vom 21.10.2009 ‑ I R 70/08 (BFHE 226, 529, BStBl II 2012, 493) entschieden hat (s. dazu Senatsurteil vom 11.07.2024 ‑ VI R 35/21, zur amtlichen Veröf­fentlichung bestimmt, BStBl II 2024, 710). Denn auch wenn mit der Rechtsprechung des I. Senats des BFH hinsichtlich der Lohnsteuererstattung auf das materielle Steuerrecht abzustellen und ein Erstattungsanspruch entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG trotz entgegenstehender, bestandskräftiger Lohnsteuer-Anmeldungen anzunehmen wäre, ist die Revision des Klägers unbegründet, weil das Unternehmen Z vom Arbeitslohn des Klägers auch materiell zu Recht Lohnsteuer sowie Solida­ritätszuschlag einbehalten und an das FA abgeführt hat.

2. Der in der Schweiz ansässige Kläger war im Streitjahr ‑‑wie das FG zutref­fend entschieden hat‑‑ mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit beschränkt steuerpflichtig. Das Unternehmen Z war als inländischer Arbeitgeber deshalb nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verpflichtet, Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG).

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), die an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeugs ausgeübt wird, das von einem Unternehmen mit Geschäftsleitung im Inland betrieben wird.

Für seine Tätigkeit als Pilot des Unternehmens Z im internationalen Luftverkehr bezog der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Bei dem Unternehmen Z handelt es sich auch um ein Unternehmen mit Geschäfts­leitung im Inland. Da hierüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.

3. Der inländischen Besteuerung steht im Streitfall Abkommensrecht nicht entgegen.

a) Nach Art. 15 Abs. 3 DBA‑Schweiz 1971/2010 können ungeachtet der vor­stehenden Bestimmungen dieses Artikels Vergütungen für unselbständige Ar­beit, die an Bord eines Seeschiffs oder Luftfahrzeugs im internationalen Ver­kehr oder an Bord eines Schiffs, das der Binnenschifffahrt dient, ausgeübt wird, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächli­chen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Werden diese Vergütungen in diesem Staat nicht besteuert, so können sie in dem anderen Vertragstaat besteuert werden.

b) Der Kläger hat die streitigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr erzielt (s. dazu auch BFH-Urteil vom 20.05.2015 ‑ I R 47/14, BFHE 250, 87, BStBl II 2015, 808). Das Unternehmen Z hat seine tatsächliche Geschäftsleitung in Deutschland, wo die Vergütun­gen des Klägers auch besteuert wurden. Aus Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 DBA‑Schweiz 1971/2010 ergibt sich vorliegend nichts anderes. Nach Art. 15 Abs. 3 DBA‑Schweiz 1971/2010 steht Deutschland daher das Besteuerungsrecht für die aus der Pilotentätigkeit im internationalen Luftverkehr erzielten Einkünfte des Klägers im Streitfall zu.

c) Auch nach der Grenzgängerregelung des Art. 15a DBA‑Schweiz 1971/2010 ergibt sich keine Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Denn die Voraussetzungen sind bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Pilot eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr von vornherein nicht erfüllt.

aa) Nach Art. 15a Abs. 1 DBA‑Schweiz 1971/2010 können ungeachtet des Art. 15 DBA‑Schweiz 1971/2010 Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem dieser ansässig ist. Zum Ausgleich kann der Ver­tragstaat, in dem die Arbeit ausgeübt wird, von diesen Vergütungen eine Steuer im Abzugsweg erheben. Diese Steuer darf 4,5 % des Bruttobetrags der Vergütungen nicht übersteigen.

bb) Grenzgänger im Sinne von Art. 15a Abs. 1 DBA‑Schweiz 1971/2010 ist nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeits­ende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA‑Schweiz 1971/2010).

cc) Danach war der Kläger im Streitjahr kein Grenzgänger im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA‑Schweiz 1971/2010.

(1) Der Grenzgängereigenschaft steht bereits entgegen, dass der Kläger ab­kommensrechtlich keinen Arbeitsort in dem anderen Vertragstaat ‑‑hier Deutschland‑‑ gemäß Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA‑Schweiz 1971/2010 hat, von dem aus er regelmäßig an seinen Wohnsitz in der Schweiz zurückkehrt.

Arbeitsort ist abkommensrechtlich grundsätzlich der Ort, wo sich der Arbeit­nehmer zur Arbeitsausübung tatsächlich physisch aufhält (s. Brandis in Wassermeyer Schweiz Art. 15a Rz 30). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es daher bei der abkommensrechtlichen Bestimmung des Arbeitsorts im Sinne von Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA‑Schweiz 1971/2010 nicht auf die dienst- oder arbeitsrechtliche Zuordnung des Arbeitnehmers an.

Nach diesen Maßstäben ist der abkommensrechtliche Arbeitsort des Klägers an Bord der von ihm geführten Flugzeuge belegen. In Deutschland übte er seine Arbeit jeweils nur kurzzeitig aus, nämlich insbesondere zur Flugvor- und ‑nachbereitung im Bereich des Flughafens A-Stadt (Inland), während der Flugstrecken über Deutschland und für Trainings beziehungsweise Schulungen sowie für Bereitschaftsdienste. Ansonsten flog er nach den nicht angefochte­nen und den Senat daher bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Rahmen seiner Arbeit regelmäßig auf ‑‑sich stets über mehrere Tage erstreckenden‑‑ Interkontinental‑/Langstreckenflügen von A‑Stadt (Inland) aus in Drittstaaten. Während des wesentlichen Teils seiner Arbeit war der Kläger folglich weder in Deutschland (dem anderen Vertrag­staat) tätig noch kehrte er von dort regelmäßig zu seinem Wohnort in der Schweiz zurück. Eine Person, die ihre eigentliche Arbeit an Bord (s. hierzu BFH-Urteil vom 20.05.2015 ‑ I R 47/14, BFHE 250, 87, BStBl II 2015, 808, Rz 18) eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausübt, kann daher kein Grenzgänger sein.

(2) Auf die von den Beteiligten thematisierte Frage, ob der Kläger aufgrund seiner Flugreisen mit Übernachtungen in Drittstaaten während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen schweizerischen Wohnsitz im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA‑Schweiz 1971/2010 zurückgekehrt ist, und auf die rechtliche Beurteilung der sogenannten Streckeneinsatztage kommt es daher vorliegend nicht an.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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