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BFH: Keine Schätzungsbefugnis bei pauschaler Verbuchung der Entnahme von Non-Food-Artikeln durch Einzelhändler in den Jahren 2015 bis 2017

  1. Eine Hinzuschätzung wegen Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten kommt nicht in Betracht, soweit der Steuerpflichtige darauf vertrauen durfte, dass er von einer ihm durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) eingeräumten Aufzeichnungserleichterung Gebrauch gemacht hat.
  2. Für die Auslegung von an bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen adres­sierte Regelungen des BMF über Aufzeichnungserleichterungen ist der objek­tive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der objektivierte Betroffene nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte, maßgebend; im Zweifel ist das die Betroffenen weniger be­lastende Auslegungsergebnis vorzuziehen.

AO §§ 118, 140 ff., 148, 162
FVG § 21a
UStG § 22 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 1 Satz 2, § 3 Abs. 1b Nr. 1
GG Art. 108 Abs. 3, Abs. 7, Art. 85 Abs. 3, Abs. 4

BFH-Urteil vom 16.9.2024, III R 28/22 (veröffentlicht am 28.11.2024)

Vorinstanz: FG Münster vom 29.4.2022, 10 K 1297/20 G,U,F = SIS 22 12 20

I. In der Sache sind vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) vor­genommene Hinzuschätzungen (§ 162 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) für Ent­nahmen des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) für den Eigenbedarf aus den von ihm betriebenen Supermärkten streitig. Dabei stellt sich die Frage, ob der Ansatz der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben (Sachentnahmen) den Steuer­pflichtigen in den Streitjahren 2015 bis 2017 von der Aufzeichnung der Ent­nahmen von sogenannten Non-Food-Artikeln befreite.

Der Kläger ermittelte seinen Gewinn aus den von ihm als Einzelkaufmann be­triebenen Supermarkt-Filialen, die dem Gewerbezweig Nahrungs- und Ge­nussmittel ‑‑Einzelhandel‑‑ zuzurechnen waren, durch Betriebsvermögensver­gleich gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sein Warensortiment umfasste Lebensmittel und Getränke, Genussmittel so­wie sogenannte Non-Food-Artikel, darunter insbesondere Wasch- und Putz­mittel, Hygienepapiere, Kosmetik- und Körperpflegeprodukte, Sonnen- und In­sektenschutzmittel, Depotkosmetik und Parfum, Papier und Schreibwaren, Bü­cher, Zeitschriften, Textilien, Hartwaren, Pflanzen und Blumen mit Zubehör. Sein Sortiment umfasste keine ungewöhnlichen und besonders hochwertigen Artikel (etwa Elektroartikel).

Der Kläger, der mit einer weiteren Person zusammen lebte, entnahm in den Streitjahren aus seinen Supermärkten Nahrungs- und Genussmittel sowie Non-Food-Artikel, aber keine Tabakwaren. Er zeichnete die Warenentnahmen nicht einzeln auf. Dafür setzte er bei den Gewinnermittlungen Beträge im Um­fang der vom BMF im Bundessteuerblatt (BStBl) und auf seiner Homepage veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben (Sachentnah­men) für den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Einzelhandel) vom 12.12.2014 (BStBl I 2014, 1575) für das Kalenderjahr 2015, vom 16.12.2015 (BStBl I 2015, 1084) für das Kalenderjahr 2016 und vom 15.12.2016 (BStBl I 2016, 1424) für das Kalenderjahr 2017 (im Folgenden als BMF-Regelung be­zeichnet) für jeweils zwei Personen an. Die Bescheide ergingen insoweit zu­nächst erklärungsgemäß.

Nach einer Außenprüfung kam das FA zu der Auffassung, dass die BMF-Rege­lung nur für die Entnahme von Nahrungs- und Genussmitteln ohne Tabakwa­ren gelte, Non-Food-Artikel hingegen nicht erfasse. Das FA schätzte die Ent­nahme der Non-Food-Artikel deshalb mit 1.680 € (2015 und 2016) und 1.667 € (2017) zuzüglich 319,20 € Umsatzsteuer je Kalenderjahr (vgl. § 3 Abs. 1b des Umsatzsteuergesetzes ‑‑UStG‑‑). Es erhöhte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bzw. § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes und die Umsatzsteuer entsprechend und erließ unter dem Datum 15.07.2019 geänderte Bescheide über die gesonderte Fest­stellung von Besteuerungsgrundlagen und den Gewerbesteuermessbetrag so­wie geänderte Umsatzsteuerbescheide.

Gegen die Änderungsbescheide legte der Kläger erfolglos Einspruch ein (Ein­spruchsentscheidungen vom 02.04.2020). Das FA hielt betragsmäßig an seiner Hinzuschätzung fest, begründete diese nun allerdings anders.

Das Finanzgericht (FG) gab der hierauf erhobenen Klage statt. Es urteilte, das FA sei dem Grunde nach berechtigt gewesen, die Höhe der Sachentnahmen des Klägers aus seinem Betrieb nach § 162 AO zu schätzen, weil sie dieser nicht aufgezeichnet habe. Die Hinzuschätzungen für die Entnahme sogenann­ter Non-Food-Artikel seien allerdings ‑‑jedenfalls in dem vorliegenden Streit­fall‑‑ unzulässig. Denn die Schätzung habe nicht über die Pauschbeträge der BMF-Regelung beziehungsweise der jeweils einschlägigen "amtlichen Richt­satzsammlungen" für den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Einzel­handel) nach den für die Streitjahre jeweils einschlägigen BMF-Schreiben hin­ausgehen dürfen.

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1381 veröffentlicht.

Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision.

Das FA beantragt,
das Urteil vom 29.04.2022 ‑ 10 K 1297/20 G,U,F aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorentscheidung ist im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

1. Die Vorentscheidung verstößt gegen Bundesrecht, weil das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass das FA wegen der Sachentnahmen des Klägers aus seinen Supermärkten dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungs­grundlagen gemäß § 162 AO berechtigt war, und weil es (folgerichtig) für Schätzungen geltende Rechtsgrundsätze angewandt hat. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vor. Der Kläger hat nicht gegen Aufzeichnungspflichten verstoßen, sondern in zulässiger Weise von einer Er­leichterung von den durch die Steuergesetze begründeten Aufzeichnungs­pflichten Gebrauch gemacht.

Die Vorentscheidung ist dennoch im Ergebnis richtig, weil das FG im Ergebnis zu Recht hinsichtlich der Hinzuschätzungen wegen der Entnahme von Non-Food-Artikeln der Klage stattgegeben hat.

a) Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde zu schätzen, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuer­pflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegt. Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 1 Satz 2, § 3 Abs. 1b Nr. 1 UStG, §§ 140 ff. AO sind Aufzeichnungen über die Entnahme von Gegen­ständen durch den Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, getrennt nach Steuersätzen vorzuneh­men. Bei Steuerpflichtigen, die ihren Aufzeichnungspflichten nicht nachkom­men, sind die Sachentnahmen nach § 162 AO zu schätzen (Urteil des Bundes­finanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 23.04.2015 ‑ V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106, Rz 9). In diesem Fall sind die Sachentnahmen nach § 162 AO auch für Zwecke der Einkommen- und der Gewerbesteuer zu schätzen (BFH-Beschluss vom 19.03.2007 ‑ X B 191/06, BFH/NV 2007, 1134, unter 1.b, m.w.N.).

b) Eine (Hinzu‑)Schätzung wegen Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten scheidet allerdings aus, soweit der Steuerpflichtige von derartigen Pflichten entbunden war, zum Beispiel gemäß § 22 Abs. 6 Nr. 1 UStG i.V.m. §§ 63 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, oder weil ihm gemäß § 148 Satz 1 AO eine Erleichterung bewilligt worden war, die er in Anspruch genom­men hat. Im Streitfall kommt aufgrund von Satz 2 der zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung eine erleichterte Art der Aufzeichnung von Entnahmen in Betracht. Danach wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit geboten, die Warenentnahmen monatlich pauschal zu verbuchen, sofern er sich an die vom BMF jährlich bekanntgegebenen, nach Erfahrungswerten festgelegten Jahres­werte hält. Die vom BMF festgelegten Jahreswerte sehen dabei entsprechend der Verpflichtung zur nach Steuersätzen getrennten Aufzeichnung pauschale Werte sowohl für Waren mit ermäßigtem Steuersatz als auch für solche mit vollem Steuersatz vor.

c) Das BMF hat damit für die Streitjahre eine Erleichterung der Aufzeichnungs­pflicht geschaffen, auf die sich der Kläger berufen kann.

(1) Gemäß § 148 Satz 1 AO können die Finanzbehörden für einzelne Fälle oder für bestimmte Gruppen von Fällen Erleichterungen bewilligen, wenn die Einhal­tung der durch die Steuergesetze begründeten Buchführungs‑, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Härten mit sich bringt und die Besteuerung durch die Erleichterung nicht beeinträchtigt wird. Die Bewilligung von Erleichterun­gen nach § 148 AO bezieht sich nicht nur auf die in der Abgabenordnung ge­regelten Pflichten, sondern auf alle durch Steuergesetze geregelten Buchfüh­rungs‑, Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten (Baum/Grammes in AO ‑ eKommentar, § 148 AO, Rz 3). Das Vorliegen einer solchen von den Finanzbe­hörden bewilligten Erleichterung erscheint im Hinblick auf die Zuständigkeit des BMF und die vom BMF gewählte Handlungsform problematisch.

(2) Die BMF-Regelung ist unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung zwi­schen dem BMF und den Landesfinanzbehörden als allgemeine fachliche Wei­sung zu qualifizieren.

(a) Erleichterungen gemäß § 148 Satz 1 AO können durch die Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO) durch Einzelverwaltungsakt oder für bestimmte Gruppen von Fällen durch Allgemeinverfügung (§ 118 Satz 2 AO) gewährt werden (vgl. z.B. Baum/Grammes in AO ‑ eKommentar, § 148 AO, Rz 5; Drüen in Tipke/Kruse, § 148 AO Rz 15 ff., 23; Klein/Rätke, AO, 17. Aufl., § 148 Rz 8; Koenig/Haselmann, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 148 Rz 7; Mues in Gosch, AO § 148 Rz 11; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 148 AO Rz 8). Eine Vorschrift, wonach das BMF für den Erlass einer Allgemeinverfügung sachlich zuständig ist, mit der Erleichterungen nach § 148 Satz 1 AO bewilligt werden, fehlt jedoch in § 148 Satz 1 AO (s. etwa § 367 Abs. 2b Satz 2 und 3 AO für die der Verwaltungshoheit des Bundes unterfallenden Steuern). Auch der Um­stand, dass die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer als Gemeinschaft­steuern (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) in den Bereich der Bundesauftragsverwaltung fallen, begründet keine Wahrnehmungskompetenz des Bundes (Seer in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Art. 108 Rz 105, m.w.N.).

(b) Als im Rahmen der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung problematisch würde sich auch die Einordnung der BMF-Regelung als allge­meine Verwaltungsvorschrift erweisen. Denn Art. 108 Abs. 7 GG weist die Zu­ständigkeit für den Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften nicht dem BMF, sondern der Bundesregierung zu, wobei deren Regelungskompetenz an die Zustimmung des Bundesrates gebunden wird.

(c) Allerdings verweist Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG für den Bereich der Bundes­auftragsverwaltung auf die Geltung des Art. 85 Abs. 3 und 4 GG und erklärt anstelle der Bundesregierung den Bundesminister der Finanzen für zuständig. Danach unterstehen die Landesfinanzbehörden den Weisungen des BMF (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG), wobei sich die Bundesaufsicht auf die Gesetzmä­ßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung erstreckt (Art. 85 Abs. 4 Satz 1 GG). Ob das Weisungsrecht des Bundes insoweit nicht nur Einzelweisungen, sondern auch allgemeine fachliche Weisungen abdeckt, ist zwar umstritten (dies wohl bejahend zur in Art. 108 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GG a.F. geregel­ten Bundesauftragsverwaltung Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.10.1971 ‑ 2 BvL 6/69 u.a., BVerfGE 32, 145, BStBl II 1972, 48, unter B.III.2.b); dies ablehnend dagegen Seer in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Art. 108 Rz 111 ff., 120 ff., m.w.N.). Da jedoch § 21a Abs. 1 Satz 1 des Fi­nanzverwaltungsgesetzes dem BMF zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzugs von Steuergesetzen und im Interesse des Zieles der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ausdrücklich die Kompetenz zuweist, mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder einheitliche Verwaltungsgrundsätze und Regelungen zur Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern zu bestimmen sowie allgemeine fachliche Weisungen zu erteilen, ist davon auszugehen, dass sich das BMF beim Erlass der hier zu beurteilenden BMF-Regelung dieser Handlungsform bedienen wollte.

(3) Trotz der gewählten Handlungsform der allgemeinen fachlichen Weisung entfaltet die BMF-Regelung eine Vertrauensschutzwirkung gegenüber den in ihr bezeichneten Gruppen von Steuerpflichtigen.

Allgemeine fachliche Weisungen richten sich zwar zunächst an den Weisungs­empfänger, im Streitfall die zuständigen Landesfinanzbehörden (vgl. Art. 85 Abs. 3 Satz 2 GG). Zu berücksichtigen ist bei der BMF-Regelung allerdings, dass sie den Finanzämtern ‑‑entgegen der Annahme des FG‑‑ nicht lediglich Schätzungshilfen für den Fall an die Hand gibt, dass das Finanzamt nach Ablauf des Besteuerungszeitraums eine Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfül­lung der Aufzeichnungspflichten durch den Steuerpflichtigen feststellt. Viel­mehr eröffnet sie dem Steuerpflichtigen in der zweiten Vorbemerkung für den laufenden Besteuerungszeitraum eine pauschale Verbuchungsmöglichkeit und spricht insoweit eine Entbindung von der Verpflichtung zur Aufzeichnung einer Vielzahl von Einzelentnahmen aus. Dies wird vor allem daran deutlich, dass die Regelung in der zweiten Vorbemerkung die laufende monatliche Verbuchung der Warenentnahmen erlaubt. Insoweit sieht das BMF inhaltlich für bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen Erleichterungen für die Einhaltung der durch die Steuergesetze begründeten Aufzeichnungspflichten vor, wie dies auch § 148 AO ermöglicht. Die Anknüpfung an das Regelungskonzept des § 148 AO wird dadurch bestätigt, dass das BMF ab der für das Jahr 2018 maßgeblichen Fas­sung ‑‑bei ansonsten unverändertem Wortlaut‑‑ selbst auf § 148 Satz 1 AO Bezug nimmt (s. zweite Vorbemerkung des BMF-Schreibens vom 13.12.2017, BStBl I 2017, 1618). Da die näher bezeichneten Gruppen von Steuerpflichti­gen durch die nicht nur verwaltungsintern, sondern im BStBl I und auf der Internetseite des BMF veröffentlichte BMF-Regelung unmittelbar adressiert werden, legt das BMF der allgemeinen fachlichen Weisung eine kon­kret generelle Wirkung bei und nähert sie damit der Allgemeinverfügung an. Denn die erfassten Gruppen von Steuerpflichtigen müssen sich schon bei der laufenden Erfüllung ihrer Aufzeichnungspflichten entscheiden, ob sie eine Ein­zelaufzeichnung der Warenentnahmen durchführen oder von der aus der BMF-Regelung ersichtlichen Erleichterung in Form der monatlichen pauschalen Auf­zeichnung Gebrauch machen. Bei dieser Entscheidung müssen sie auf die Ge­währung der Erleichterung vertrauen können. Anderenfalls würde die BMF-Re­gelung ihre Vereinfachungswirkung verfehlen, da der Steuerpflichtige immer vorsichtshalber ordnungsgemäße Einzelaufzeichnungen führen müsste.

(4) Bei der Auslegung der im Streitfall zu beurteilenden allgemeinen fachlichen Weisung in Gestalt der jeweiligen BMF-Regelung ist ein objektivierter Maßstab zugrunde zu legen.

Da den im vorliegenden Zusammenhang zu beurteilenden allgemeinen fachli­chen Weisungen für die betreffenden Gruppen von Steuerpflichtigen die Be­deutung einer Vertrauensschutz begründenden Dispositionsgrundlage zu­kommt, ist primär eine objektivierende Auslegung geboten (vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Kap. 5 Rz 31) und nicht nur auf das Ver­ständnis der Verwaltung, des BMF oder eines einzelnen Finanzamts abzustel­len. Dabei kommt es nicht darauf an, wie der konkrete Empfänger die Rege­lung tatsächlich verstanden hat, was die Finanzbehörde erklären wollte oder wie ein außenstehender Dritter die Erleichterung auffassen konnte. Für die Auslegung von Erleichterungen ist der objektive Erklärungsinhalt der Rege­lung, wie ihn der objektivierte Betroffene nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte, maßgebend. Dabei ist nicht allein auf den Tenor abzustellen, sondern auch auf den materi­ellen Regelungsgehalt einschließlich der Begründung (zur Parallelproblematik bei Verwaltungsakten vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.07.2006 ‑ VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96, unter II.3.b, und vom 26.11.2009 ‑ III R 87/07, BFHE 227, 466, BStBl II 2010, 429, unter II.2., jeweils m.w.N.). Darüber hinaus sind die beigefügten Erklärungen und die dem oder den Betroffenen bekannten Umstände ‑‑wie zum Beispiel frühere Bescheide oder die Verwaltungspraxis‑‑ zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 16.01.2020 ‑ V R 56/17, BFHE 268, 107, Rz 17, m.w.N.). Im Zweifel ist das die Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da die von einer Erleichterung Begünstigten durch etwaige Unklarheiten aus der Sphäre der Verwaltung nicht benachteiligt werden dürfen (für einen Einzelverwaltungsakt vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27.10.2015 ‑ VIII R 59/13, BFH/NV 2016, 726, Rz 25, m.w.N.; für eine Allgemeinverfügung z.B. Urteil des Bundesverwaltungsge­richts vom 28.11.2019 ‑ 5 A 4.18, BVerwGE 167, 163, Rz 21 ff.). Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Inanspruchnahme der Erleichterung insofern faktisch irreversibel ist, als die unterlassenen Aufzeichnungen nicht nachgeholt werden können.

(5) Gemäß der in den Streitjahren geltenden Fassung der BMF-Regelung galt die Erleichterung unter Berücksichtigung der Regel, dass im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen ist, nicht nur für die Entnahme von Nahrungs- und Genussmitteln, sondern auch für die Entnahme von Non-Food-Produkten (jeweils ohne Tabakwaren), soweit es sich um Waren aus dem im jeweiligen in der BMF-Regelung genannten Gewerbe­zweig ‑‑hier dem Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln‑‑ allgemein üblichen Warensortiment handelte.

(a) Zwar deuten Teile der BMF-Regelung ‑‑worauf das FA zutreffend hinweist‑‑ auch schon in der in den Streitjahren maßgeblichen Fassung darauf hin, dass sich die Erleichterung (Pauschbeträge statt Einzelaufzeichnung) nur auf die Entnahme von Nahrungsmitteln und Getränken bezieht.

So heißt es in der ersten Vorbemerkung, dass die Pauschbeträge für unent­geltliche Wertabgaben auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Aufwendungen privater Haushalte für Nahrungsmittel und Geträn­ke festgesetzt werden. Aufwendungen privater Haushalte für Non-Food-Pro­dukte werden nicht erwähnt. Die dritte Vorbemerkung, wonach von den Pau­schalen keine Zu- und Abschläge zur Anpassung an individuelle persönliche Ess- und Trinkgewohnheiten, Krankheiten oder Urlaub zu machen sind, betrifft gleichfalls in erster Linie die Entnahme von Nahrungsmitteln und Getränken.

(b) Hingegen spricht vor allem die fünfte Vorbemerkung der BMF-Regelung in der in den Streitjahren jeweils maßgeblichen Fassung, wonach die pauschalen Werte im jeweiligen Gewerbezweig das allgemein übliche Warensortiment be­rücksichtigen, dafür, dass auch die Aufzeichnung der Entnahme von Non-Food-Artikeln durch die Verbuchung der Pauschalen entbehrlich wird. Wie das FG in der Vorentscheidung zutreffend ausgeführt hat, werden üblicherweise auch Non-Food-Produkte (zum Beispiel Kosmetika, Reinigungs- und Waschmittel) im Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln angeboten.

(c) Die bestehenden Zweifel, ob die Erleichterung (Ansatz der Pauschbeträge statt Einzelaufzeichnung) nach der BMF-Regelung in der in den Streitjahren geltenden Fassung für die dort genannten Gewerbezweige auch die Entnahme von Non-Food-Produkten umfasste, werden nicht durch weitere Bestimmungen der BMF-Regelung oder sonstige Umstände beseitigt.

(aa) Der Umstand, dass in der in den Streitjahren geltenden BMF-Regelung lediglich die Entnahme von Tabakwaren ausdrücklich aus den Pauschalen ausgenommen worden war, deutet zwar, wie der Kläger vorträgt, darauf hin, dass alle anderen Non-Food-Artikel von den Pauschalen umfasst werden. Zwingend ist das aber nicht, da Tabakwaren regelmäßig den Genussmitteln zugeordnet werden, andere Non-Food-Artikel hingegen nicht, und deshalb möglicherweise nur für Tabakwaren eine Klarstellung erforderlich erschien.

(bb) Soweit das FA als Argument dafür, dass sich die streitgegenständlichen Pauschbeträge nur auf Nahrungsmittel und Getränke beziehen, anführt, dass die Erleichterung nur Betrieben gewährt wird, die Nahrungs- und Genussmittel vertreiben, bedeutet auch dies nicht zwingend, dass die Entnahme von Non-Food-Artikeln durch den Ansatz der Pauschalen nicht abgedeckt wird. Denn das allgemein übliche Warensortiment derartiger Betriebe umfasst auch Non-Food-Produkte.

(cc) Auch die Klassifikation der Wirtschaftszweige durch das Statistische Bun­desamt betrifft nicht die Frage, ob die Entnahme von Non-Food-Produkten oh­ne Tabakwaren in den Streitjahren von der Erleichterung (Ansatz der Pausch­beträge statt Einzelaufzeichnung der Entnahmen) umfasst war. Für Betriebe, die im Hinblick auf ihr umfangreiches Angebot an Non-Food-Produkten nicht den in der BMF-Regelung genannten Betrieben zugeordnet werden können, gilt die dortige Erleichterung ohnehin nicht.

(d) Eine spätere Ergänzung bestätigt, dass die BMF-Regelung zuvor nicht zwei­felsfrei in der Weise zu verstehen war, wie das FA sie verstanden hat. So hat das BMF nach dem FG-Urteil mit Wirkung ab dem Jahr 2023 in der fünften Vorbemerkung folgenden Satz 2 angefügt: "Unentgeltliche Wertabgaben, die weder Nahrungsmittel noch Getränke (...) sind, müssen einzeln aufgezeichnet werden." Dass das BMF zugleich die Pauschale für Entnahmen von Artikeln, auf die der volle Umsatzsteuersatz anzuwenden ist, annähernd halbiert hat (vgl. BMF-Schreiben vom 21.12.2022, BStBl I 2023, 52, s.a. BMF-Schreiben vom 12.02.2024, BStBl I 2024, 286), deutet ‑‑vor dem Hintergrund, dass das Jahr 2023 eher durch eine erhöhte Inflation geprägt war‑‑ darauf hin, dass die Erleichterung zuvor ‑‑wie vom Kläger vorgetragen‑‑ auch die Entnahme von Non-Food-Produkten betraf.

(e) Im Hinblick auf die jedenfalls bestehenden Zweifel ist für die Auslegung nach dem objektivierten Empfängerhorizont aus Vertrauensschutzgründen das die Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis maßgeblich. Hiernach umfasste die Erleichterung gemäß Satz 2 der zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung in den Streitjahren (anders als in den ab dem Jahr 2023 anzuwen­denden Regelungen) auch die Entnahme von Non-Food-Produkten aus dem im jeweiligen Gewerbezweig allgemein üblichen Warensortiment.

2. Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall eine (Hinzu‑)Schätzung we­gen der Entnahme von Non-Food-Produkten (§ 162 AO) nicht in Betracht, da der Kläger auch seine Sachentnahmen im Non-Food-Bereich zulässigerweise in pauschalierter Form aufgezeichnet hat. Die angefochtenen Bescheide wurden vom FG im Ergebnis zu Recht korrigiert.

Die Supermärkte des Klägers gehörten zum Gewerbezweig Nahrungs- und Ge­nussmittel (Einzelhandel). Der Kläger hat in den Streitjahren die in der jeweili­gen BMF-Regelung angegebenen Pauschbeträge für zwei Personen angesetzt. Dass mehr Personen in seinem Haushalt lebten, hat das FG nicht festgestellt. Damit hat der Kläger die Bedingung für die Gewährung der Erleichterung nach Satz 2 der zweiten Vorbemerkung der BMF-Regelung erfüllt. Da der Kläger nach den Feststellungen des FG ausschließlich Waren aus dem im Gewerbe­zweig Nahrungs- und Genussmittel (Einzelhandel) allgemein üblichen Waren­sortiment führte und keine Tabakwaren entnahm, war das FA zu einer (Hin­zu‑)Schätzung für Non-Food-Produkte nicht befugt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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