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BFH: Verstößt die „Switch-over“-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG gegen die Niederlassungsfreiheit?

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vor­abentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) dahin aus­zulegen, dass er einer nationalen Regelung wie in § 20 Abs. 2 des Außensteu­ergesetzes entgegensteht, die für bestimmte Einkünfte aus einer ausländi­schen Betriebsstätte zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung anstelle der abkommensrechtlich geltenden Freistellungsmethode unilateral die Anrech­nungsmethode anordnet, ohne dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu eröff­nen, Nachweis zu führen, dass er mit der Betriebsstätte tatsächlich im Auf­nahmemitgliedstaat angesiedelt ist und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätig­keiten nachgeht, aber diese Möglichkeit in der wirtschaftlich und steuerlich vergleichbaren Situation einer ausländischen Kapitalgesellschaft besteht?

AStG § 7, § 8 Abs. 2, § 20 Abs. 2
EGV Art. 43
AEUV Art. 49

BFH-Beschluss vom 3.6.2025, IX R 39/21 (veröffentlicht am 20.11.2025)

Vorinstanz: FG München vom 13.7.2021, 6 K 215/19 = SIS 21 14 34

I. Die C SE als Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Hol­dinggesellschaft mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) in der Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft. Sie hielt in den Streit­jahren 2007 und 2008 alle Anteile an der … GmbH (A GmbH), deren Sitz sich ebenfalls in Deutschland befindet. Aufgrund eines Gewinnabführungs­vertrags bestand zwischen der Klägerin als Organträgerin und der A GmbH als Organgesellschaft ein Organschaftsverhältnis für körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Zwecke.

Die A GmbH wiederum gründete im Jahr 2006 als Alleingesellschafterin die … S.à.r.L. (B S.à.r.L.) mit Sitz im Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg). Zweck der B S.à.r.L. war unter anderem das Halten von Beteili­gungen jeglicher Art an luxemburgischen und ausländischen Gesellschaften so­wie der Besitz, die Verwaltung sowie das Management und die Verwertung ihres Portfolios. Die B S.à.r.L. konnte sich an der Gründung und Entwicklung jegli­cher Gesellschaften beteiligen und Tochtergesellschaften sowie anderen ver­bundenen Unternehmen durch Kredite Unterstützung geben. Die B S.à.r.L. mietete in Luxemburg eigene Büroräume an und arbeitete zur Immobilienver­waltung mit einer luxemburgischen Steuerberatungskanzlei und zwei luxem­burgischen Rechtsanwaltskanzleien zusammen. Sie verfügte für die Durchfüh­rung ihrer Aktivitäten in den Streitjahren über folgendes Personal: ein Ge­schäftsführer, zwei Angestellte und eine Aushilfskraft.

In der Folge gründete die B S.à.r.L. die Tochtergesellschaften … S.à.r.L. (B 1 S.à.r.L.), … S.à.r.L. (B 2 S.à.r.L.), … S.à.r.L. (B 3 S.à.r.L.) und … S.à.r.L. (B 4 S.à.r.L.) ‑‑zusammen­gefasst "die vier Tochtergesellschaften"‑‑. Der Hauptzweck dieser vier Toch­tergesellschaften bestand darin, an anderen luxemburgischen Kapitalgesell­schaften beteiligt zu sein und diese zu finanzieren.

Die vier Tochtergesellschaften hielten wiederum alle Geschäftsanteile an vier Enkelgesellschaften:
Die B 1 S.à.r.L. hielt alle Anteile an der … S.à.r.L.
Die B 2 S.à.r.L. hielt alle Anteile an der … S.à.r.L.
Die B 3 S.à.r.L. hielt alle Anteile an der … S.à.r.L.
Die B 4 S.à.r.L. hielt alle Anteile an der … S.à.r.L.
Diese Enkelgesellschaften erwarben Grundstücke in Deutschland.

Die B S.à.r.L. finanzierte mit ihrem Eigenkapital darlehensweise ihre vier Toch­tergesellschaften und diese wiederum ihre jeweilige Enkelgesellschaft. Darüber hinaus waren die vier Tochtergesellschaften in den Streitjahren nicht weiter tätig. Das Fremdkapital der vier Enkelgesellschaften wurde durch Grundschul­den und andere finanzierungsübliche Sicherheiten abgesichert. Darüber hinaus übernahm die Klägerin für die Bankfinanzierungen Garantien und gab Patro­natserklärungen ab.

Die vier Tochtergesellschaften verfügten nicht über eigenes Personal. Die Ge­schäftsführung übernahm vielmehr deren Muttergesellschaft, die B S.à.r.L. Die jeweiligen, inhaltlich unter anderem auf Geschäftsführungsleistung bezogenen Dienstleistungsverträge wurden im Januar 2008 unterzeichnet und galten rückwirkend auch für das Jahr 2007. Danach erhielt die B S.à.r.L. eine Vergü­tung für kaufmännische und technische Verwaltungs- und Beratungsleistun­gen, Personalgestellung (insbesondere die Gestellung eines Geschäftsführers auch für Tochtergesellschaften) und für Büroservice. In den Streitjahren er­zielte die B S.à.r.L. abgesehen von Zinserträgen und ähnlichen Erträgen auf­grund der an ihre vier Tochtergesellschaften ausgereichten Darlehen keine we­sentlichen weiteren Einnahmen.

Im Mai 2007 schlossen die A GmbH als stille Gesellschafterin und die B S.à.r.L. als Unternehmerin einen Vertrag über die Errichtung einer atypisch stillen Ge­sellschaft. Die A GmbH beteiligte sich ‑‑rückwirkend ab dem 31.12.2006‑‑ an dem Unternehmen der B S.à.r.L. als atypisch stille Gesellschafterin.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt) bezog die Gewinnbeteiligun­gen der A GmbH an der atypisch stillen Gesellschaft als Zwischeneinkünfte ge­mäß § 20 Abs. 2 in Verbindung mit (i.V.m.) § 8 Abs. 1 AStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung in die Bemessungsgrundlage für die inländi­sche Körperschaftsteuer ein. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Finanz­gericht (FG) hatte keinen Erfolg.

Im Revisionsverfahren rügt die Klägerin, das FG habe § 20 Abs. 2 AStG unzu­treffend ausgelegt. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits entschieden (Ur­teil vom 21.10.2009 ‑ I R 114/08, Sammlung der Entscheidungen des Bundes­finanzhofs ‑‑BFHE‑‑ 227, 64, Bundessteuerblatt Teil II ‑‑BStBl II‑‑ 2010, 774), dass der unionsrechtliche Entlastungsbeweis in Form eines Motivtests sowohl in 2007 als auch in 2008 zur Anwendung komme, weil die unionsrechtlichen Anforderungen in die Norm des § 20 Abs. 2 AStG hineinzulesen seien.

II. Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV die in der Entscheidungsformel bezeichnete Frage zur Vorabentschei­dung vor.

III. Für die Entscheidung des Streifalls kommt es auf folgende Bestimmungen des Unionsrechts und deren Auslegung an:

Anzuwendendes Unionsrecht in 2007 und 2008:

Art. 43 EGV
(1) Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßga­be der folgenden Bestimmungen verboten. Das gleiche gilt für Beschränkun­gen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesell­schaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind.
(2) Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlas­sungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesell­schaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Auf­nahmestaats für seine eigenen Angehörigen.

Art. 48 EGV
(1) Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Ge­meinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mit­gliedstaaten sind.
(2) Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juris­tischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjeni­gen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.

Anzuwendendes Doppelbesteuerungsabkommen (DBA):

Vorschriften des DBA-Luxemburg 1958

DBA-Luxemburg 1958 = Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerun­gen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23.08.1958 (Bundesgesetzblatt Teil II ‑‑BGBl II‑‑ 1959, 1270)

Vorschriften des DBA-Luxemburg 1973

DBA-Luxemburg 1973 = Ergänzungsprotokoll zur Änderung des Abkommens vom 23.08.1958 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großher­zogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über ge­genseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkom­men und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern so­wie seines Schlußprotokolls vom 15.06.1973 (BGBl II 1978, 111)

Art. 5 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958
Bezieht eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten als Unterneh­mer oder Mitunternehmer Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Tätigkeit sich auf das Gebiet des anderen Staates erstreckt, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nur insoweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebsstätte des Unternehmens entfallen.

Art. 20 DBA-Luxemburg 1973
(1) (...)
(2) Von der Bemessungsgrundlage für die Steuer des Wohnsitzstaates werden die Einkünfte und Vermögensteile ausgenommen, für die nach den vorherge­henden Artikeln der andere Staat ein Besteuerungsrecht hat, es sei denn, dass Absatz 3 gilt. Die Steuer für die Einkünfte oder Vermögensteile, die dem Wohnsitzstaate zur Besteuerung überlassen sind, wird jedoch nach dem Satz erhoben, der dem Gesamteinkommen oder Gesamtvermögen der steuerpflich­tigen Person entspricht. Bei Dividenden gelten die Sätze 1 und 2 nur für Divi­denden, die einer Kapitalgesellschaft von einer Kapitalgesellschaft mit Wohn­sitz in dem anderen Staat gezahlt werden, deren stimmberechtigte Anteile zu mindestens 25 v.H. der erstgenannten Gesellschaft gehören. Von der Bemes­sungsgrundlage des Wohnsitzstaates werden ebenfalls Anteile ausgenommen, deren Dividende nach Satz 3 von der Steuerbemessungsgrundlage auszuneh­men sind oder bei Zahlung auszunehmen wären.
(3) Bei Dividenden, die nicht nach Absatz 2 Satz 3 von der Steuerbemes­sungsgrundlage auszunehmen sind, und bei Lizenzgebühren wird auf die im Wohnsitzstaat von diesen Einkünften erhobene, nach einem durchschnittlichen Steuersatz berechnete Steuer vom Einkommen die in dem anderen Staat er­hobene Abzugsteuer angerechnet.

Anzuwendendes nationales Recht:

Streitjahr 2007:

§ 7 AStG Steuerpflicht inländischer Gesellschafter
(1) Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Körperschaft, Personenvereini­gung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die we­der Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaft­steuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischenge­sellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt.
(...)

§ 8 AStG Einkünfte von Zwischengesellschaften
(1) Eine ausländische Gesellschaft ist Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht stammen aus:
(...)
7. der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital, für das der Steu­erpflichtige nachweist, dass es ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärk­ten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft nahestehen­den Person im Sinne des § 1 Abs. 2 [AStG] aufgenommen und außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten, die ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter die Nummern 1 bis 6 fallenden Tätigkeiten beziehen, oder innerhalb des Geltungs­bereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wird,
(...)
(3) Eine niedrige Besteuerung im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn die Ein­künfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 vom Hundert unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht, oder wenn die danach in Betracht zu ziehende Steuer nach dem Recht des betreffenden Staates um Steuern ge­mindert wird, die die Gesellschaft, von der die Einkünfte stammen, zu tragen hat.

§ 20 AStG Bestimmungen über die Anwendung von Abkommen zur Vermei­dung der Doppelbesteuerung
(...)
(2) Fallen Einkünfte in der ausländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen an und wären sie als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig, falls diese Betriebsstätte eine ausländische Gesellschaft wäre, ist insoweit die Dop­pelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern zu vermeiden.

Streitjahr 2008:

§ 7 AStG Steuerpflicht inländischer Gesellschafter (gleiche Fassung wie im Streitjahr 2007)
(1) Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Körperschaft, Personenvereini­gung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die we­der Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaft­steuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischenge­sellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt.
(...)

§ 8 AStG Einkünfte von Zwischengesellschaften
(1) Eine ausländische Gesellschaft ist Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht stammen aus:
(...)
7. der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital, für das der Steu­erpflichtige nachweist, dass es ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärk­ten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft nahestehen­den Person im Sinne des § 1 Abs. 2 [AStG] aufgenommen und außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten, die ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter die Nummern 1 bis 6 fallenden Tätigkeiten beziehen, oder innerhalb des Geltungs­bereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wird,
(...)
(2) Ungeachtet des Absatzes 1 ist eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des [Europäischen Wirtschaftsraum] EWR-Abkommens hat, nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die unbeschränkt Steuerpflichtige, die im Sinne des § 7 Abs. 2 [AStG] an der Gesellschaft beteiligt sind, nachweisen, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Weitere Voraussetzung ist, dass zwischen der Bundes­republik Deutschland und diesem Staat auf Grund der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Mehrwertsteuer ([Amtsblatt] ‑‑ABl.‑‑ EG Nr. L 336 S. 15), die zuletzt durch die Richtlinie 2006/98/EWG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. EU Nr. L 363 S. 129) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen. Satz 1 gilt nicht für die der Gesellschaft nach § 14 [AStG] zuzurechnenden Einkünfte ei­ner Untergesellschaft, die weder Sitz noch Geschäftsleitung in einem Mitglied­staat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. Das gilt auch für Zwischeneinkünfte, die einer Betriebsstätte der Gesell­schaft außerhalb der Europäischen Union oder der Vertragsstaaten des EWR-Abkommens zuzurechnen sind. Der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft sind nur Einkünfte der Gesellschaft zuzuordnen, die durch diese Tätigkeit erzielt werden und dies nur insoweit, als der Fremdvergleichsgrund­satz (§ 1 [AStG]) beachtet worden ist.
(3) Eine niedrige Besteuerung im Sinne des Absatzes 1 liegt vor, wenn die Ein­künfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 Prozent unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht. Eine niedrige Besteuerung im Sinne des Absatzes 1 liegt auch dann vor, wenn Ertragsteuern von mindestens 25 Prozent zwar rechtlich geschuldet, jedoch nicht tatsächlich erhoben wer­den.

§ 20 AStG Bestimmungen über die Anwendung von Abkommen zur Vermei­dung der Doppelbesteuerung
(...)
(2) Fallen Einkünfte in der ausländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen an und wären sie ungeachtet des § 8 Abs. 2 [AStG] als Zwi­scheneinkünfte steuerpflichtig, falls diese Betriebsstätte eine ausländische Ge­sellschaft wäre, ist insoweit die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern zu vermeiden.

IV. Der vorlegende Senat hat Zweifel, ob die in § 20 Abs. 2 AStG geregelte Um­schaltklausel ("Switch-over") wegen des darin enthaltenen Verweises auf die fiktive Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 folgende ‑‑ff.‑‑ AStG mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV vereinbar ist, wenn den Steuer­pflichtigen kein Entlastungsbeweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Betäti­gung (Motivtest) zugestanden wird, dieser jedoch im Rahmen der Hinzurech­nungsbesteuerung eingeräumt wird.

1. Da zwischen der Klägerin und der A GmbH nach den bindenden Feststellun­gen des FG eine körperschaftsteuerliche Organschaft bestand, ist das Einkom­men der A GmbH der Klägerin als Organträgerin zuzurechnen. Die A GmbH wiederum erzielte in den Streitjahren aus der atypisch stillen Beteiligung ge­werbliche Einkünfte aus einer ausländischen (luxemburgischen) Niederlassung. Gemäß dem DBA-Luxemburg 1958 beziehungsweise (bzw.) DBA-Luxemburg 1973 stellt Deutschland diese streitigen Einkünfte aus der atypisch stillen Ge­sellschaft frei (Freistellungsmethode).

2. Nach nationalem Recht kommt im Streitfall nach Maßgabe von § 20 Abs. 2 AStG i.V.m. §§ 7 ff. AStG allerdings nicht die Freistellungsmethode, sondern die Anrechnungsmethode zur Anwendung. Im Streitfall liegen alle Tatbe­standsvoraussetzungen vor. Die streitigen Einkünfte aus der stillen Beteiligung sind Zwischeneinkünfte im Sinne des § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG. Auch liegt eine niedrige Besteuerung nach § 8 Abs. 3 AStG vor. Dies wird we­der von den Beteiligten bestritten, noch hat der Senat Zweifel hieran. Dies hätte zur Folge, dass das der Klägerin zuzurechnende Einkommen der A GmbH aus deren Beteiligung an der atypisch stillen Gesellschaft in die inländische körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen und die in Luxemburg entrichtete Steuer angerechnet würde; dies führte zu einer höhe­ren Steuerbelastung.

3. Wegen des ausdrücklichen Verweises in § 20 Abs. 2 AStG auf die Hinzu­rechnungsbesteuerung in den §§ 7 ff. AStG neigt der vorlegende Senat zu der Ansicht, dass die Norm insoweit gegen das Unionsrecht verstößt, als sie keinen Motivtest zulässt.

a) Streitjahr 2007

Die in §§ 7 ff. AStG in der Fassung ‑‑i.d.F.‑‑ vor dem Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150) ‑‑JStG 2008‑‑ vorausgesetzte Typisie­rung eines gestaltungsmissbräuchlichen Verhaltens widerspricht den Anforde­rungen der gemeinschaftsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV, Art. 49 AEUV), soweit sie dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Ge­genbeweises im Einzelfall vorenthält (vergleiche ‑‑vgl.‑‑ EuGH-Urteil Cadbury Schweppes vom 12.09.2006 ‑ C‑196/04, EU:C:2006:544). Der I. Senat des BFH hat entschieden, dass die Unionsrechtswidrigkeit der §§ 7 bis 14 AStG i.d.F. vor dem JStG 2008 auf § 20 Abs. 2 AStG durchschlägt, weil der Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode nach § 20 Abs. 2 AStG von einer fiktiven Steuerpflicht gemäß §§ 7 ff. AStG alte Fassung abhängig ist (BFH-Urteil vom 21.10.2009 ‑ I R 114/08, BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774, unter II.4.c cc).

Dem steht nach Ansicht des vorlegenden Senats nicht entgegen, dass der EuGH in seiner Entscheidung Columbus Container Services vom 06.12.2007 ‑ C‑298/05 (EU:C:2007:754) den in § 20 Abs. 2 AStG normierten Wechsel von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode für unionsrechtlich unbedenklich gehalten hat. Denn die damalige Vorlagefrage des FG Münster bezog sich aus­schließlich auf die Unionsrechtmäßigkeit des in § 20 Abs. 2 AStG angeordneten Wechsels von der Freistellungs- auf die Anrechnungsmethode. Sie betraf zu­dem nicht die in § 20 Abs. 2 AStG geregelte Verweisung auf die Hinzurech­nungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG.

Danach wirkt die Regelung in § 20 Abs. 2 AStG gegenüber vergleichbaren in­ländischen Niederlassungen nicht diskriminierend (vgl. EuGH-Urteil Columbus Container Services vom 06.12.2007 ‑ C‑298/05, EU:C:2007:754), wohl aber möglicherweise zwischen Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten. Die Niederlassungsfreiheit verbietet auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. EuGH-Urteil Cadbury Schweppes vom 12.09.2006 ‑ C‑196/04, EU:C:2006:544, mit weiteren Nachweisen). Als Beschränkung der Niederlas­sungsfreiheit nach Art. 43 EGV (Art. 49 AEUV) sind alle Maßnahmen anzuse­hen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. EuGH-Urteile Edil Work 2 und S.T. vom 25.04.2024 ‑ C‑276/22, EU:C:2024:348, Rz 30; CaixaBank France vom 05.10.2004 ‑ C‑442/02, EU:C:2004:586, Rz 11; Polbud Wykonawstwo sp. z o.o. vom 25.10.2017 ‑ C‑106/16, EU:C:2017:804, Rz 46). Hierzu zählt nach Auffassung des vorlegenden Senats aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Auswir­kungen auch die Anwendung der Anrechnungs- bzw. Freistellungsmethode in Abhängigkeit vom Besteuerungsniveau des Mitgliedstaats der Niederlassung.

b) Streitjahr 2008

Der nationale Gesetzgeber hat den in § 8 Abs. 2 AStG i.d.F. des JStG 2008 als Reaktion auf das EuGH-Urteil Cadbury Schweppes vom 12.09.2006 ‑ C‑196/04 (EU:C:2006:544) eingeführten Motivtest für die Umschaltklausel in § 20 Abs. 2 AStG ausdrücklich ausgeschlossen ("... wären die Einkünfte ungeachtet des § 8 Absatz 2 [AStG] als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig, ..."). Gesetzes­systematisch handelt es sich bei dieser fiktiven Hinzurechnung um eine Rechtsgrundverweisung nach nationalem Recht. Somit stellt sich die Frage, ob sich diese Fiktion ausschließlich nach nationalem Recht bestimmt oder viel­mehr ‑‑wozu der vorlegende Senat neigt‑‑ infolge ihrer inhaltlichen Verknüp­fung mit der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG unionsrechtlich überlagert wird. Dies hätte zur Folge, dass auch für das Streitjahr 2008 die oben genannten Erwägungen des EuGH zum Verstoß gegen die Niederlas­sungsfreiheit nach Art. 43 EGV (Art. 49 AEUV) gelten würden.

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