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EuGH zur Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung: Die Verpflichtung des Rechtsanwalts, die anderen beteiligten Intermediäre zu informieren, ist nicht erforderlich und verletzt das Recht auf Achtung der Kommunikation mit seinem Mandanten

Alle anderen an einer solchen Planung beteiligten Intermediäre unterliegen, wie der Steuerpflichtige selbst, dieser Meldepflicht, wodurch garantiert werden kann, dass die Steuerverwaltung informiert ist

EuGH, Pressemitteilung Nr. 198/22 vom 8. Dezember 2022
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-694/20 | Orde van Vlaamse Balies u. a.

Eine Richtlinie der Union1 sieht vor, dass alle Intermediäre, die an potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungen (Gestaltungen, die zu Steuerhinterziehung und Steuerbetrug führen können) beteiligt sind, diese den zuständigen Steuerbehörden melden müssen. Diese Verpflichtung betrifft alle, die an der Konzeption, Vermarktung, Organisation oder Verwaltung der Umsetzung dieser Gestaltungen beteiligt sind. Außerdem sind auch diejenigen erfasst, die Unterstützung oder Beratung leisten, oder sonst der Steuerpflichtige selbst. Allerdings kann jeder Mitgliedstaat die Rechtsanwälte von dieser Pflicht befreien, wenn sie gegen eine nach nationalem Recht vorgesehene Verschwiegenheitspflicht verstoßen würde. In solchen Fällen sind die Intermediäre jedoch verpflichtet, andere Intermediäre oder, falls es keine solchen gibt, den relevanten Steuerpflichtigen unverzüglich über ihre Meldepflichten den zuständigen Behörden gegenüber zu unterrichten.

Das flämische Dekret zur Umsetzung dieser Richtlinie sieht somit vor, dass, wenn ein an einer grenzüberschreitenden Steuerplanung beteiligter Rechtsanwalt durch das Berufsgeheimnis gebunden ist, er andere Intermediäre davon informieren muss, dass er der Meldepflicht nicht nachkommen kann.

Zwei Berufsverbände für Rechtsanwälte haben sich an den belgischen Verfassungsgerichtshof gewandt. Ihrer Ansicht nach ist es unmöglich, der Verpflichtung zur Unterrichtung der anderen Intermediäre nachzukommen, ohne das Berufsgeheimnis zu verletzen, an das die Rechtsanwälte gebunden sind. Der belgische Verfassungsgerichtshof hat dem Gerichtshof dazu eine Frage vorgelegt.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Vertraulichkeit jeder Korrespondenz zwischen Privatpersonen schützt und dem Schriftwechsel zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten einen verstärkten Schutz zuweist. Dieser besondere Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses wird dadurch gerechtfertigt, dass den Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Aufgabe übertragen wird, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen. Diese Aufgabe erfordert, dass es dem Einzelnen möglich sein muss, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, was in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Das Berufsgeheimnis umfasst auch die Rechtsberatung, und zwar sowohl im Hinblick auf ihren Inhalt als auch im Hinblick auf ihre Existenz. Abgesehen von Ausnahmefällen müssen diese Mandanten daher mit Recht darauf vertrauen dürfen, dass ihr Anwalt ohne ihre Zustimmung niemandem offenlegen wird, dass sie ihn konsultieren.

Die in der Richtlinie vorgesehene Pflicht2 des an das Berufsgeheimnis gebundenen Rechtsanwalt-Intermediärs, die anderen Intermediäre unverzüglich über die Meldepflichten zu unterrichten, die ihnen obliegen, hat aber die Folge, dass diese anderen Intermediäre von der Identität des Rechtsanwalt-Intermediärs Kenntnis erlangen, Sie erfahren auch von seiner Analyse, wonach die in Rede stehende Steuergestaltung meldepflichtig ist, und von der Tatsache, dass er zu diesem Thema konsultiert wird. Diese Unterrichtungspflicht führt zu einem Eingriff in das in Art. 7 der Charta der Grundrechte garantierte Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Da die anderen Intermediäre verpflichtet sind, die zuständigen Steuerbehörden über die Identität und die Konsultierung des Rechtsanwalts zu informieren, bewirkt diese Verpflichtung mittelbar auch einen zweiten Eingriff in das Recht auf das Berufsgeheimnis.

Dann prüft der Gerichtshof, ob diese Eingriffe gerechtfertigt sein können, insbesondere ob sie von der Europäischen Union anerkannte, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen verfolgen und ob sie zur Verfolgung dieser Zielsetzungen erforderlich sind.

Er weist darauf hin, dass sich die 2018 vorgenommene Änderung der Richtlinie in den Rahmen einer internationalen steuerlichen Zusammenarbeit einfügt, mit der zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug beigetragen werden soll, die eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen darstellt.

Der Gerichtshof ist jedoch der Ansicht, dass die Unterrichtungspflicht des Rechtsanwalts, der dem Berufsgeheimnis unterliegt, für die Erreichung dieser Ziele nicht erforderlich ist. Alle Intermediäre sind nämlich zur Vorlage dieser Informationen bei den zuständigen Behörden verpflichtet. Kein Intermediär kann behaupten, dass er die Meldepflichten, die in der Richtlinie klar aufgeführt sind und denen er unmittelbar und individuell unterliegt, nicht gekannt hat.

Die Richtlinie macht den Rechtsanwalt-Intermediär zu einer Person, von der andere Intermediäre a priori keine Initiative erwarten können, die sie von ihren eigenen Meldepflichten entbinden könnte.

Die Offenlegung der Identität und der Konsultierung des Rechtsanwalt-Intermediärs durch die unterrichteten Drittintermediäre an die Steuerverwaltung ist auch nicht erforderlich, um die Ziele der Richtlinie zu verfolgen. Durch die Meldepflicht der anderen nicht unter die Verschwiegenheitspflicht fallenden Intermediäre und in Ermangelung solcher Intermediäre durch die dem relevanten Steuerpflichtigen obliegende Meldepflicht wird grundsätzlich gewährleistet, dass die Steuerverwaltung informiert wird. Außerdem kann die Steuerverwaltung, nachdem sie eine solche Information erhalten hat, bei Bedarf ergänzende Informationen unmittelbar vom relevanten Steuerpflichtigen verlangen, der sich dann für Beistand an seinen Rechtsanwalt wenden kann. Die Steuerverwaltung kann auch eine Überprüfung der steuerlichen Situation dieses Steuerpflichtigen durchführen.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die nach der Richtlinie vorgesehene Unterrichtungspflicht nicht erforderlich ist und folglich das Recht auf Achtung der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant verletzt.


1 Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. 2011, L 64, S. 1) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 (ABl. 2018, L 139, S. 1) geänderten Fassung.

2 Art. 8ab Abs. 5 der Richtlinie 2011/16.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Der Volltext und die Zusammenfassung des Urteils werden am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht

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