BFH: Berechnung der Überentnahmen i.S. des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG bei der sinngemäßen Anwendung der Regelungen auf Einnahmenüberschussrechner
- Auch bei Steuerpflichtigen mit einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG periodenübergreifend zu ermitteln, ob im betrachteten Gewinnermittlungszeitraum Überentnahmen vorliegen.
- Überentnahmen sind bei Einnahmenüberschussrechnern nicht auf die Höhe eines niedrigeren negativen Kapitalkontos zu begrenzen, das zum Ende des jeweiligen Gewinnermittlungszeitraums nach bilanziellen Grundsätzen vereinfacht ermittelt wird.
EStG § 4 Abs. 3, § 4 Abs. 4a Sätze 1 bis 6, § 52 Abs. 6 Sätze 7 und 8
BFH-Urteil vom 17.5.2022, VIII R 38/18 (veröffentlicht am 11.8.2022)
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 8.10.2018, 5 K 1034/16 = SIS 18 18 39
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 2010, 2011 und 2013 als Architekt in einer Einzelpraxis tätig und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Er ermittelte seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren jeweils anzuwendenden Fassung (EStG) im Wege der Einnahmenüberschussrechnung. Die Gewinne der Streitjahre wurden gesondert festgestellt.
In den Gewinnermittlungen des Klägers für die Streitjahre wurden folgende Schuldzinsen als Betriebsausgaben abgezogen:
Jahr | 2010 | 2011 | 2013 |
Schuldzinsen zur Finanzierung von AK/HK von WG des AV | 894,09 € | 463,45 € | 1.028,52 € |
Sonstige Schuldzinsen | 4.358,51 € | 5.762,87 € | 3.385,55 € |
Summe | 5.252,60 € | 6.226,32 € | 4.414,07 € |
Hinzurechnungsbeträge für nicht abzugsfähige Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a EStG enthielten die Gewinnermittlungen für die Streitjahre nicht.
Der Kläger erzielte ferner in den Jahren ab 2002 die folgenden Gewinne und tätigte die folgenden Entnahmen und Einlagen:
Jahr | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007 | |
Gewinn | 171.211 € | 163.412 € | 63.818 € | 69.870 € | 172.635 € | |
Einlagen | 119.614 € | 36.003 € | 10.800 € | 64.500 € | 95.690 € | |
Summe | 290.825 € | 199.415 € | 74.618 € | 134.370 € | 268.325 € | |
Entnahmen | 342.345 € | 148.129 € | 160.522 € | 138.075 € | 217.974 € | |
Entnahmeüberhang (-); Einlageüberhang (+) | -51.520 € | +51.286 € | -85.904 € | -3.705 € | +50.351 € | |
Jahr | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 |
Gewinn | 141.162 € | 245.213 € | 222.257 € | 99.793 € | 158.957 € | 211.356 € |
Einlagen | 95.232 € | 87.095 € | 49.800 € | 59.696 € | 50.894 € | 40.520 € |
Summe | 236.394 € | 332.308 € | 272.057 € | 159.488 € | 209.851 € | 251.876 € |
Entnahmen | 185.988 € | 438.828 € | 253.088 € | 217.329 € | 254.734 € | 215.705 € |
Entnahmeüberhang (-); Einlageüberhang (+) | +50.406 € | -106.520 € | +18.969 € | -57.840 € | -44.883 € | +36.171 € |
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ging aufgrund von in den Betriebsprüfungsakten für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2009 befindlichen formlosen Feststellungen der maßgeblichen Werte für § 4 Abs. 4a EStG davon aus, dass für den Zeitraum vom Inkrafttreten der Vorschrift nach dem 31.12.1998 bis zum Ende des Jahres 2002 periodenübergreifend eine Überentnahme des Klägers in Höhe von 35.467 € vorgelegen habe. Ausgehend von diesem Anfangswert und den Gewinnen, Einlagen und Entnahmen der Folgejahre ermittelte das FA eine Überentnahme zum 31.12.2009 in Höhe von 131.073 €. Für die Streitjahre ergaben sich danach Überentnahmen (2010: 112.104 €; 2011: 169.944 €; 2013: 178.656 €), obwohl in den Streitjahren 2010 und 2013 für sich betrachtet die Höhe der Entnahmen jeweils niedriger als die Summe aus den Gewinnen und Einlagen des Klägers war. Unter Berücksichtigung der gemäß § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG abzugsfähigen Zinsen für Investitionsdarlehen und des gesetzlichen Kürzungsbetrags von 2.050 € (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG) berechnete das FA aus den verbliebenen Schuldzinsen für die Streitjahre Hinzurechnungsbeträge in Höhe von (gerundet) 2.309 € (2010), 3.713 € (2011) und 1.335 € (2013). Die sich hieraus ergebenden höheren Gewinne der Streitjahre stellte das FA in den (gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung) geänderten Feststellungsbescheiden (sämtlich vom 25.08.2015) entsprechend fest.
Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die vom FA für die Streitjahre ermittelten Überentnahmen seien unzutreffend. Die Höhe der Überentnahmen im Streitjahr 2010 sei auf die Höhe des negativen Eigenkapitals (47.505 €) zu begrenzen, das sich aus einer vereinfachten fiktiven Bilanz bei Gegenüberstellung der Aktivposten (81.230 €) und Passivposten (Summe aller Verbindlichkeiten = 128.735 €) ergebe. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die anschließend erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 29 mitgeteilten Gründen ab.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er rügt die Verletzung materiellen Bundesrechts. Das FG habe § 4 Abs. 4a Sätze 1 bis 5 EStG im Rahmen der sinngemäßen Anwendung der Regelungen auf einen Einnahmenüberschussrechner unzutreffend angewendet. Eine periodenübergreifend ermittelte Überentnahme entspreche einem negativen Eigenkapitalvortrag im jeweiligen Gewinnermittlungszeitraum. Die typisierend ermittelten Überentnahmen seien mit der Höhe eines vereinfacht zu ermittelnden negativen bilanziellen Eigenkapitals des Betriebs zum Ende des jeweiligen Gewinnermittlungszeitraum zu vergleichen. Sei das bilanzielle negative Eigenkapital niedriger als der Betrag der Überentnahme, seien die Hinzurechnungsbeträge aus dem niedrigeren bilanziellen negativen Eigenkapital zu berechnen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 08.10.2018 ‑ 5 K 1034/16 aufzuheben und die Feststellungsbescheide 2010, 2011 und 2013 (jeweils vom 25.08.2015) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2015 mit der Maßgabe zu ändern, dass bei der Berechnung des Jahres 2010 eine Überentnahme in Höhe von 47.505 € statt von 131.073 € und für die Streitjahre 2011 und 2013 in der sich aus diesem Anfangswert fortzuentwickelnden Höhe angesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das FG hat zutreffend entschieden, dass im Rahmen der sinngemäßen Anwendung der Vorschrift bei Steuerpflichtigen mit einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG wie bei dem Kläger der Betrag der Überentnahmen gemäß § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG periodenübergreifend zu ermitteln ist. Überentnahmen können danach auch in Gewinnermittlungszeiträumen gegeben sein, in denen die Entnahmen geringer als die Summe aus dem Gewinn gemäß § 4 Abs. 4a Satz 2 i.V.m. Abs. 3 EStG und den Einlagen des Gewinnermittlungszeitraums sind (s. II.1.). Ferner hat das FG ohne Rechtsfehler entschieden, § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG seien im Rahmen der sinngemäßen Anwendung auf Einnahmenüberschussrechner nicht in der Weise auszulegen, dass ein periodenübergreifend ermittelter Überentnahmebetrag auf die Höhe eines (vereinfacht ermittelten) niedrigeren bilanziellen negativen Eigenkapitals zu begrenzen ist (s. II.2.). Die Abweisung der Klage durch das FG ist danach nicht zu beanstanden (s. II.3.).
1. Die periodenübergreifende Ermittlung der Überentnahmen in den Streitjahren durch das FG ist zutreffend.
a) Seit Einführung des § 4 Abs. 4a EStG ist der Schuldzinsenabzug zweistufig zu prüfen. Zunächst ist im ersten Schritt zu klären, ob der betreffende Kredit nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen eine betriebliche oder private Schuld ist. Sodann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang die betrieblich veranlassten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG abziehbar sind (vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21.09.2005 ‑ X R 47/03, BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, unter II.2.a und b; vom 22.02.2012 ‑ X R 12/09, BFH/NV 2012, 1418; vom 14.03.2018 ‑ X R 17/16, BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, Rz 17, und vom 17.08.2010 ‑ VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, Rz 13). Das FG hat i.S. des § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, dass die hier streitigen Schuldzinsen nach der ersten Stufe betrieblich veranlasst sind.
b) Gemäß § 4 Abs. 4a Satz 6 Halbsatz 1 EStG sind bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ‑‑wie im Streitfall‑‑ die Sätze 1 bis 5 des § 4 Abs. 4a EStG sinngemäß anzuwenden. Schuldzinsen sind gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der gemäß § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG). Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt unberührt (§ 4 Abs. 4a Satz 5 EStG).
c) Die Beschränkung des Schuldzinsenabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG ist periodenübergreifend angelegt. Dies folgt aus dem Grundtatbestand in § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG ("Überentnahmen"), insbesondere aber aus der Berechnungsvorschrift in § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG. So können Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG in einem Wirtschaftsjahr auch dann nicht abziehbar sein, wenn in diesem Jahr selbst keine Überentnahme zu verzeichnen ist, denn die nicht abziehbaren Schuldzinsen können auch ausschließlich auf den Überentnahmen früherer Jahre beruhen (BFH-Urteile in BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, Rz 28, m.w.N.; in BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, Rz 17 bis 19; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 02.11.2018 ‑ IV C 6‑S 2144/07/10001:007, BStBl I 2018, 1207, Rz 14 bis 16, 18, 20).
d) Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen der sinngemäßen Anwendung der Regelungen in § 4 Abs. 4a Sätze 1 bis 5 EStG auf Steuerpflichtige, die ihren Gewinn im Wege der Einnahmenüberschussrechnung ermitteln (§ 4 Abs. 4a Satz 6 Halbsatz 1 EStG). Wie der X. Senat des BFH im Urteil in BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744, und der erkennende Senat im Urteil in BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, zu Steuerpflichtigen mit Gewinnermittlungen im Wege des Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 EStG) entschieden haben, ist die periodenübergreifende Berechnung der Über- und Unterentnahmen vom Inkrafttreten der Regelung bis zum betrachteten Gewinnermittlungszeitraum ein wesensprägendes Merkmal des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG. Sie ist daher auch im Rahmen der "sinngemäßen" Anwendung der Vorschrift heranzuziehen. Dem Schrifttum ist insoweit nichts Gegenteiliges zu entnehmen (Kanzler u.a. in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 4 EStG Rz 1091; Bode in Kirchhof/ Seer, EStG, 21. Aufl., § 4 Rz 193; Korn u.a. in Korn, § 4 EStG Rz 854; Seiler/ Spilker/Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz Ea 112, 114; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Aufl., § 4 Rz 534; wohl auch HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz 1053, 1090).
2. Die Begrenzung der Überentnahme eines Gewinnermittlungszeitraums auf die Höhe eines (vereinfacht ermittelten) niedrigeren bilanziellen negativen Eigenkapitals des Klägers sieht das Gesetz nicht vor. Eine solche Auslegung widerspräche auch dem Normzweck der auf den Kläger sinngemäß anzuwendenden Regelungen in § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG und dem Zweck der Einnahmenüberschussrechnung i.S. des § 4 Abs. 3 EStG als vereinfachter Gewinnermittlungsmethode.
a) Zwar ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass § 4 Abs. 4a EStG sich am sog. Eigenkapitalmodell orientiert. Er übersieht jedoch, dass der Betrag des Eigenkapitals, der, ohne eine Hinzurechnung gemäß § 4 Abs. 4a EStG auszulösen, entnommen werden kann, bei bilanzierenden Steuerpflichtigen und bei Einnahmenüberschussrechnern typisierend zu ermitteln ist. Dem Gesetz ist zudem weder für Gewinnermittler gemäß § 4 Abs. 1 EStG noch für Einnahmenüberschussrechner gemäß § 4 Abs. 3 EStG zu entnehmen, dass das typisierend ermittelte, entnahmefähige Eigenkapital und die Höhe der Über- und Unterentnahmen mit der Höhe eines bilanziellen Kapitalkontos des Steuerpflichtigen für den jeweiligen Gewinnermittlungszeitraum abzustimmen ist. Eine solche Auslegung würde der Regelungsintention des Gesetzgebers zuwiderlaufen.
aa) Entnahmefähig sind ohne nachteilige Folgen für den betrieblichen Schuldzinsenabzug nach den gesetzlichen Regelungen in § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG der im Unternehmen erwirtschaftete Gewinn und geleistete Einlagen (BFH-Urteile in BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, unter II.4.a bb; vom 07.03.2006 ‑ X R 44/04, BFHE 212, 501, BStBl II 2006, 588, unter II.3.b). § 4 Abs. 4a EStG schränkt den Schuldzinsenabzug ein, wenn der Steuerpflichtige dem Betrieb mehr Mittel entnimmt als ihm hierfür als erwirtschaftetes und eingelegtes Eigenkapital zur Verfügung steht und er mithin Fremdkapital entnimmt (BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 1418, Rz 19; in BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, Rz 19).
bb) Das unschädlich entnahmefähige Eigenkapital definiert der Gesetzgeber in § 4 Abs. 4a Satz 3 EStG aus Vereinfachungsgründen jedoch stark pauschalierend und typisierend.
aaa) Dies gilt erstens in zeitlicher Hinsicht. Ein positives Eigenkapital, das aus vor dem 01.01.1999 endenden Wirtschaftsjahren herrührt, bleibt für die periodenübergreifende Ermittlung der Unter- und Überentnahmen (§ 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG) unberücksichtigt, denn in dem ersten nach dem 31.12.1998 endenden Wirtschaftsjahr ist seit der Änderung der Anwendungsbestimmung in § 52 Abs. 11 Sätze 1 und 2 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20.12.2001 --StÄndG-- (BGBl I 2001, 3794; heute § 52 Abs. 6 Sätze 7 und 8 EStG) von einem Kapitalkonto (Eigenkapital) in Höhe von "Null" auszugehen. Das unschädlich entnahmefähige Eigenkapital des Betriebs im Sinne des Eigenkapitalmodells besteht ausgehend von diesem Anfangswert in der Folgezeit aus dem Gewinn und den Einlagen abzüglich der Entnahmen in den nach dem 31.12.1998 endenden Wirtschaftsjahren (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.2019 ‑ X R 40‑41/18, BFH/NV 2020, 858, Rz 23 bis 25). Auch für den Einnahmenüberschussrechner ist für die Ermittlung der Über- und Unterentnahmen vom Stand eines Kapitalkontos von "Null" zum 31.12.1998 auszugehen. Das unschädlich entnahmefähige Eigenkapital wird auch im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG nur durch den nach dem 31.12.1998 gemäß § 4 Abs. 3 EStG erwirtschafteten Gewinn und den Einlagen abzüglich der Entnahmen gebildet (s. dazu BFH-Urteil vom 21.08.2012 ‑ VIII R 32/09, BFHE 239, 31, BStBl II 2013, 16).
bbb) Ferner kommt die pauschalierende und typisierende Bestimmung des unschädlich entnahmefähigen Eigenkapitals in dem Merkmal des "Gewinns" i.S. des § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG zum Ausdruck. Bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermitteln, handelt es sich beim "Gewinn" um das Ergebnis des (innerbilanziellen) Betriebsvermögensvergleichs; er unterscheidet sich insoweit vom steuerlichen Gewinn i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, der unter Anwendung sämtlicher Vorschriften der §§ 4 bis 7k und 13a EStG zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 03.12.2019 ‑ X R 6/18, BFHE 267, 346, BStBl II 2021, 77, Rz 14, 16; BFH-Beschluss vom 02.12.2013 ‑ III B 4/13, BFH/NV 2014, 339, Rz 5 zur Unbeachtlichkeit stiller Reserven). Beim Einnahmenüberschussrechner ist im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG auf den Gewinn abzustellen, der sich nach § 4 Abs. 3 EStG ergibt. Führen die Gewinnermittlungsmethoden durch Bestandsvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) und die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG im Hinblick auf § 4 Abs. 4a EStG zu unterschiedlich hohen Hinzurechnungsbeträgen, ist dies wegen der pauschalierenden und typisierenden Ermittlungstechnik des Gesetzes hinzunehmen (BFH-Urteile vom 22.11.2011 ‑ VIII R 5/08, juris, Rz 17 zum Ansatz von Übergangsgewinnen; in BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041, Rz 21; in BFHE 212, 501, BStBl II 2006, 588, Rz 15, 17; in BFHE 211, 227, BStBl II 2006, 504, unter II.4.a.cc am Ende zu Nachteilen des Einnahmenüberschussrechners bei der Ermittlung von Über- und Unterentnahmen aus Wirtschaftsjahren, die vor dem 01.01.1999 endeten, nach § 52 Abs. 11 EStG vor der Änderung im StÄndG 2001).
cc) Es widerspräche der dargelegten Regelungsintention des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG, wenn für Zwecke der Ermittlung der Überentnahmen im Rahmen einer Kontrollrechnung auf das bilanzielle Eigenkapital des Betriebs, das sich in der betrieblichen Totalperiode bis zum betrachteten Gewinnermittlungszeitraum ergibt, abgestellt und der jeweils günstigere Betrag herangezogen werden müsste. Der X. Senat des BFH hat dementsprechend bereits entschieden, dass eine Überentnahme i.S. des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG trotz eines positiven bilanziellen Eigenkapitals (positiven Kapitalkontos) des Betriebs in diesem Gewinnermittlungszeitraum vorliegen und die Hinzurechnung auslösen kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2020, 858, Rz 21 ff). Hieraus folgt auch, dass eine Überentnahme i.S. des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG nicht auf ein niedrigeres bilanzielles negatives Eigenkapital des Betriebs in diesem Gewinnermittlungszeitraum zu begrenzen ist. Da für die Ermittlung des unschädlich entnahmefähigen Eigenkapitals im System des § 4 Abs. 4a EStG nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers Über- und Unterentnahmen aus vor dem 01.01.1999 endenden Wirtschaftsjahren unberücksichtigt bleiben (§ 52 Abs. 11 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2001, jetzt § 52 Abs. 6 Satz 8 EStG, vgl. unter II.2.a.bb aaa) und nur auf die ab 1999 erwirtschafteten Gewinne, Einlagen und Entnahmen abzustellen ist, liefe es der Regelungsintention des Gesetzgebers zuwider, wenn das bilanzielle Eigenkapital, wie es sich aus der betrieblichen Totalperiode für ein bestimmtes Wirtschaftsjahr ergibt, gegenüber der gesetzlichen Berechnungsmethode für die Über- und Unterentnahmen letztlich vorrangig wäre.
dd) Lässt der Pauschalierungs- und Vereinfachungszweck des § 4 Abs. 4a EStG es bei Steuerpflichtigen mit einer Gewinnermittlung nach dem Betriebsvermögensvergleich nicht zu, zur periodenübergreifenden Ermittlung der Überentnahmen auf ein (höheres oder niedrigeres negatives) bilanzielles betriebliches Eigenkapital des jeweiligen Gewinnermittlungszeitraums zurückzugreifen, ist dies bei einem Einnahmenüberschussrechner erst recht der Fall. Auch im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 4 Abs. 4a Sätze 1 bis 5 EStG liefe es dem Vereinfachungszweck der Regelungen in § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG zuwider, wenn der Kläger als Einnahmenüberschussrechner ‑‑wie von ihm vorgetragen‑‑ aus dem Saldo der Aktiva (einschließlich der Forderungen) und der Passiva vereinfacht ein negatives Eigenkapital ableiten könnte und der höhere Betrag einer Überentnahme auf das negative Eigenkapital zu begrenzen wäre (andere Auffassung wohl HHR/Schallmoser, § 4 EStG Rz 1091). Es wäre auch mit dem generellen Vereinfachungszweck der Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG, der nicht erreicht werden kann, wenn Bücher geführt oder Bilanzen aufgestellt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.04.2021 ‑ IV R 3/20, BFHE 273, 119, Rz 47, m.w.N.), nicht zu vereinbaren, wenn der Steuerpflichtige allein für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG eine vereinfachte "Schattenbilanz" erstellen dürfte.
ee) Im Übrigen wäre die Revision für die Streitjahre 2011 und 2013 auch unbegründet, wenn man mit dem Kläger aufgrund des vereinfacht berechneten negativen Eigenkapitals von einer Überentnahme am Ende des Jahres 2009 in Höhe von 47.505 € ausginge. Nach den festgestellten Gewinnen, Einlagen und Entnahmen ergäben sich daraus für die Streitjahre Überentnahmen von 28.536 € (2010), von 86.376 € (2011) und von 95.088 € (2013). Diese Überentnahmebeträge wären zwar niedriger als die vom FG in der Vorentscheidung angesetzten Beträge (s. unter II.3.b des FG-Urteils). Die sich aus den Überentnahmebeträgen des Klägers ergebenden 6%igen Hinzurechnungsbeträge (2010: 1.712 €; 2011: 5.183 €; 2013: 5.705 €) wären in den Streitjahren 2011 und 2013 jedoch höher als die den angefochtenen Feststellungsbescheiden zugrunde liegenden Hinzurechnungsbeträge (2011: 3.713 €; 2013: 1.335 €).
b) Der Senat hat auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der nach der dargelegten Auslegung auch für Einnahmenüberschussrechner bestehenden Gesetzeslage. Er nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Begründung im Urteil in BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041 (Rz 22 ff. zur formellen Verfassungsmäßigkeit und Vereinbarkeit mit dem objektiven Nettoprinzip; Rz 25 ff. zum 6 %-Zinssatz als zulässiger Typisierung) und die zustimmenden Ausführungen des IV. und des X. Senats des BFH (BFH-Urteile vom 03.03.2011 ‑ IV R 53/07, BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688, Rz 40; in BFH/NV 2012, 1418, Rz 32 ff.) Bezug. Auch die typisierende Ermittlung des unschädlich entnahmefähigen Eigenkapitals innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des § 4 Abs. 4a EStG unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Urteil in BFH/NV 2020, 858, Rz 23, m.w.N.).
3. Das FG hat die Klage danach zutreffend als unbegründet abgewiesen.
a) Es ist nicht zu beanstanden, dass das FG in den Streitjahren von niedrigeren Überentnahmen als das FA ausgegangen ist. Es hat den Streitfall dahin gewürdigt, dass eine Überentnahme des Klägers zum Ende des Jahres 2002, die das FA seiner Berechnung zugrunde gelegt hatte, nicht festgestellt werden konnte. Hieran ist der Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG ist somit ohne Rechtsfehler von einer Überentnahme zum Ende des Jahres 2002 in Höhe von 0 € ausgegangen.
b) Die sich aus diesem Ausgangswert für das FG ergebenden Überentnahmen in den Streitjahren (2010: 76.637 €; 2011: 134.477 €; 2013: 143.189 €) und die Berechnung der 6%igen Hinzurechnungsbeträge gemäß § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG (2010: 4.598 €; 2011: 8.068 €; 2013: 8.591 €) durch das FG sind ebenfalls nicht zu beanstanden (s. unter II.3.b des FG-Urteils). Die ‑‑nach Abzug der Schuldzinsen für Investitionszinsen (§ 4 Abs. 4a Satz 5 EStG) und Berücksichtigung des Kürzungsbetrags (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG: 2.050 €)‑‑ dem Gewinn in den angefochtenen Feststellungsbescheiden hinzugerechneten Schuldzinsen (2010: 2.309 €; 2011: 3.713 €; 2013: 1.335 €) sind geringer und damit rechtmäßig.
c) Es bedarf keiner abschließenden Beurteilung, ob ‑‑wie vom FG geprüft‑‑ die Höhe der Überentnahmen in den Streitjahren nach Maßgabe des BFH-Urteils in BFHE 261, 273, BStBl II 2018, 744 (Rz 34 ff.) jeweils auf den Betrag eines (periodenübergreifend zu berechnenden) Entnahmeüberschusses desselben Gewinnermittlungszeitraums zu begrenzen sein könnte. Die kumulierten Entnahmeüberschüsse, die sich aus den Feststellungen des FG zum Ende der Streitjahre ergeben (2010: 1.326.215 € [kumulierter Entnahmeüberhang zum 31.12.2009 1.122.927 € + Entnahmeüberhang des VZ 2010 203.288 €]; 2011: 1.483.848 € [kumulierter Entnahmeüberhang zum 31.12.2010 1.326.215 € + Entnahmeüberhang des VZ 2011 157.633 €]; 2013: 1.862.873 € [kumulierter Entnahmeüberhang zum 31.12.2012 1.687.688 € + Entnahmeüberhang des VZ 2013 175.185 €]), übersteigen die vom FG berechneten Überentnahmebeträge i.S. des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG (s. unter II.3.b des FG-Urteils). Aus Sicht des Senats spricht auch kein Argument dafür, Überentnahmen i.S. des § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG auf periodenübergreifend ermittelte tatsächliche Entnahmeüberschüsse zu begrenzen, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der betrachteten Gewinnermittlungszeiträume ‑‑anders als im Fall des X. Senats des BFH‑‑ keine Verluste, sondern wie im Streitfall ausschließlich Gewinne erzielt hat.
4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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