FGO § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
EStG § 17 Abs. 1 Satz 1, § 17 Abs. 1 Satz 4
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 14.4.2015, 13 K 255/12
I. Die Beteiligten streiten über die Besteuerung eines Gewinns aus der Veräußerung eines teilweise unentgeltlich erworbenen Aktienpakets nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433).
Die Mutter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis Dezember 2000 Eigentümerin eines Aktienpakets an der … AG (AG) im Nennwert von insgesamt 200.000 DM. Dies entsprach einer Beteiligung am Kapital der AG von 1,04 %. Mit Vertrag vom 05.12.2000 übertrug die Mutter der Klägerin die Hälfte des Aktienpakets auf die Klägerin. Als Gegenleistung zahlte die Klägerin 650.000 DM.
Im Dezember 2002 veräußerte die Klägerin ihre Beteiligung an der AG. Hierbei erzielte sie einen Veräußerungserlös von 2.750.000 €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) schätzte zunächst mit Einkommensteuerbescheid vom 10.05.2004 bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb für den Veranlagungszeitraum 2002 einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 2.750.000 € und berücksichtigte diesen unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens.
Im Rahmen des hiergegen gerichteten Einspruchsverfahrens traf die Klägerin mit dem FA eine tatsächliche Verständigung. Nach dieser sollte der Kurswert der Aktien auf den Stichtag 05.12.2000 1 100 % des Nennwerts betragen.
Das FA änderte hierauf mit Bescheid vom 01.11.2007 die Einkommensteuerfestsetzung für 2002 und berücksichtigte unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens einen Veräußerungsgewinn von 552.285 €. Dabei ging das FA unter Ansatz eines Kurswerts von 1 100 % davon aus, dass die Klägerin die Aktien von ihrer Mutter zu 40,91 % unentgeltlich erworben habe und nur insoweit ein nach § 17 EStG steuerbarer Veräußerungsgewinn von 1.104.570 € vorliege.
In der Folge ruhte das Einspruchsverfahren in Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wegen der Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl I 1999, 402) anhängigen Verfahren (Beschluss vom 07.07.2010 ‑ 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86). Nach Wiederaufnahme des Einspruchsverfahrens vertrat das FA die Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Aktien insoweit als nicht steuerbar anzusehen sei, als er auf den Wertzuwachs vor der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes und damit auf die Zeit bis zum 26.10.2000 entfalle. Zur Ermittlung des danach anzusetzenden Veräußerungsgewinns trete der gemeine Wert der veräußerten Anteile zum 26.10.2000 an die Stelle der ursprünglichen Anschaffungskosten. Unter Rückgriff auf die tatsächliche Verständigung nahm das FA einen gemeinen Wert der Aktien von 1 100 % an. Mithin berücksichtigte das FA in der Einspruchsentscheidung vom 18.07.2011 einen Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG von 894.944 €, den es unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens in Höhe von 447.472 € der geänderten Einkommensteuerfestsetzung zugrunde legte.
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Minderung des zu versteuernden Veräußerungsgewinns nach Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens auf 426.552 €. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Urteil vom 14.04.2015 ‑ 13 K 255/12). Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot habe das FA zutreffend unter Rückgriff auf den tatsächlichen Wert der Anteile zum 05.12.2000 bis zur Verkündung des Steuersenkungsgesetzes entstandene Wertsteigerungen bei der Besteuerung nicht berücksichtigt.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom FG zugelassenen Revision, mit der sie unter anderem die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 EStG) rügt.
Bereits im Verfahren vor dem FG habe sie eine Herabsetzung des Veräußerungsgewinns auf 0 € begehrt, aber einen unzutreffenden Antrag formuliert. Das FG habe auch ihr eigentliches Begehren bei der Entscheidungsfindung zugrunde gelegt. Andernfalls hätte das FG gegen seine prozessuale Fürsorgepflicht verstoßen.
Der Veräußerungsgewinn unterliege nicht der Besteuerung. Aus der Rechtsprechung des BVerfG folge, dass die Beteiligungsgrenzen des § 17 EStG veranlagungszeitraumbezogen auszulegen seien. Vorliegend habe die streitgegenständliche Beteiligung zu keinem Zeitpunkt die für den jeweiligen Veranlagungszeitraum geltenden Beteiligungsgrenzen überschritten.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2002 ohne Berücksichtigung von Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 EStG aus der Veräußerung der Anteile an der AG festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
In Anbetracht des eindeutigen Gesetzeswortlauts könne der veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff keine Anwendung finden. Dem stünden auch keine Vertrauensschutzaspekte entgegen.
II. Soweit die Klägerin eine Nichtberücksichtigung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der AG bei den Einkünften gemäß § 17 EStG beansprucht und damit über den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Klageantrag, mit dem sie lediglich eine Herabsetzung dieser Einkünfte auf 426.552 € begehrte, hinausgeht, ist die Revision unzulässig.
Eine Erweiterung des Antrags, die ‑‑wie im Streitfall‑‑ darin liegen kann, dass die Festsetzung der Steuer auf einen niedrigeren Betrag begehrt wird, ist im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Insoweit fehlt der Revision die formelle Beschwer (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 01.06.2016 ‑ X R 43/14, BFHE 254, 536, BStBl II 2017, 55, Rz 14 und vom 22.12.2010 ‑ I R 110/09, BFHE 232, 415, BStBl II 2014, 119, Rz 30, m.w.N.).
Das Vorbringen der fachkundig vertretenen Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren kann nicht derart ausgelegt werden, dass vor dem FG begehrt wurde, die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns im Sinne von § 17 EStG festzusetzen. Der in der mündlichen Verhandlung durch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin gestellte Antrag ist eindeutig und keiner entsprechenden Auslegung durch den Senat zugänglich (vgl. BFH-Beschluss vom 31.05.2017 ‑ I B 102/16, Rz 15). An die Auslegung prozessualer Erklärungen von Berufsträgern ‑‑wie der Prozessbevollmächtigten‑‑ ist in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen (BFH-Beschluss vom 25.04.2006 ‑ VIII E 2/06, BFH/NV 2006, 1335, unter II.2.a). Gründe, von diesem Grundsatz abzuweichen, liegen nicht vor. Anhaltspunkte, dass das FG bei der Entscheidungsfindung ein Begehren auf Herabsetzung der Einkünfte aus § 17 EStG auf 0 € berücksichtigt haben sollte, sind nicht vorhanden. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin ein entsprechendes Begehren bereits im Klageverfahren zum Ausdruck gebracht hatte. In Anbetracht dessen kommt auch keine Verletzung der Fürsorgepflicht des FG nach § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Betracht.
III. Die Revision ist im Übrigen zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2002. Der bei den Einkünften der Klägerin aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigende Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG wird auf 426.552 € herabgesetzt. Zu Unrecht ist das FG von einer steuerbaren Anteilsveräußerung der Klägerin ausgegangen. Weder ist die Klägerin selbst (dazu 1.) noch ihre Mutter (dazu 2.) hinreichend an der AG beteiligt gewesen. Da der BFH jedoch gemäß § 121 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO an das Klagebegehren, soweit dieses zulässig ist, gebunden ist, kann er über dieses nicht hinausgehen (dazu 3.).
1. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der seit dem Steuersenkungsgesetz und damit auch im Streitjahr gültigen Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG übertrug ihre Mutter der Klägerin mit Vertrag vom 05.12.2000 die Hälfte ihres Aktienpakets an der AG, welches insgesamt eine Beteiligung an der AG von 1,04 % widerspiegelte. Mithin erwarb die Klägerin eine Beteiligung von lediglich 0,52 % und war ‑‑da sie nicht über weitere Aktien der AG verfügte‑‑ selbst nicht relevant im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG an der Gesellschaft beteiligt.
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG entsprechend, wenn der Veräußerer den veräußerten Anteil innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unentgeltlich erworben hat und der Rechtsvorgänger innerhalb der letzten fünf Jahre im Sinne von Satz 1 beteiligt war. Letzteres lag im Streitfall nicht vor.
aa) Nach der Senatsrechtsprechung ist § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG veranlagungszeitraumbezogen auszulegen (Senatsurteil vom 24.01.2012 ‑ IX R 8/10, BFHE 237, 33, BStBl II 2013, 363, Rz 28). Mithin ist erforderlich, dass der Übertragende innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums nach der für diesen Zeitraum jeweils gültigen Rechtslage wesentlich/maßgeblich beteiligt war.
bb) Anders als das FG und das FA meinen, gilt die Senatsrechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff trotz der erfolgten Gesetzesänderungen durch das Steuersenkungsgesetz fort (so bereits Senatsurteil vom 24.01.2012 ‑ IX R 8/10, BFHE 237, 33, BStBl II 2013, 363, Rz 28; im Ergebnis auch Köster, Deutsche Steuer-Zeitung 2013, 484, 485; Thomer/Schulz, Betriebs-Berater 2013, 604, 606 f.; Söffing/Bron, Der Betrieb 2012, 1585, 1589 f.; Bode, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2012, 1083, 1085; Strahl, Beratersicht zur Steuerrechtsprechung 2012, 27; a.A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 27.05.2013, BStBl I 2013, 721; Dornheim, FR 2013, 599, 604 f.; Paus, FR 2012, 959, 961).
(1) Der von der Senatsrechtsprechung entwickelte veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff bedeutet, dass die Beteiligungsgrenze innerhalb des Fünfjahreszeitraums nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG veranlagungszeitraumbezogen zu bestimmen ist, das heißt, es ist für jeden Veranlagungszeitraum innerhalb des Fünfjahreszeitraums das Merkmal "wesentliche Beteiligung" nach der im jeweiligen Jahr gültigen Beteiligungsgrenze zu bestimmen. Die veranlagungszeitraumbezogene Betrachtungsweise ist entwickelt worden, um Vertrauensschutz zu gewähren (vgl. Senatsurteil vom 24.01.2012 ‑ IX R 8/10, BFHE 237, 33, BStBl II 2013, 363, Rz 27 f.). Der Steuerpflichtige, der im Wege der Schenkung eine nicht steuerverhaftete Beteiligung erhielt, sollte nicht durch nachträgliche Absenkungen der Beteiligungsgrenze in die Steuerverhaftung hineinwachsen, obwohl sowohl er als auch der Schenker zum Zeitpunkt der Schenkung nicht über der maßgeblichen Grenze lagen.
(2) Die Streichung des Begriffs der wesentlichen Beteiligung in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das StSenkG hat hieran nichts geändert. Nach Auffassung des Senats handelt es sich lediglich um eine gesetzestechnische Anpassung, soweit die zuvor in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. enthaltene Definition der wesentlichen Beteiligung in Abs. 1 Satz 1 integriert worden ist. Dass Satz 1 nunmehr selbst die erforderliche Mindestbeteiligungshöhe regelt, führt danach zu keiner Änderung der Gesetzessystematik.
(3) Auch soweit nach dem Wortlaut von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG n.F., auf den § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG n.F. Bezug nimmt, die Beteiligung innerhalb des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums unmittelbar oder mittelbar mindestens 1 % betragen muss, steht dies der veranlagungszeitraumbezogenen Betrachtungsweise nicht entgegen (a.A. BMF-Schreiben vom 27.05.2013, BStBl I 2013, 721). Der Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG schließt es nicht aus, den Verweis auf Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift dahin zu verstehen, dass auf die jeweilige Fassung des Abs. 1 im betroffenen Zeitraum Bezug genommen wird. Nur dies wird dem Sinn und Zweck ‑‑s. unter (4)‑‑ und Vertrauensschutzgesichtspunkten ‑‑s. unter (5)‑‑ gerecht.
(4) So spricht der Zweck des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG dafür, dass die wesentliche/maßgebliche Beteiligung des Übertragenden bereits vor dem unentgeltlichen Erwerb durch den späteren Veräußerer bestanden haben muss. Durch die Regelung soll vermieden werden, dass ein wesentlich/maßgeblich im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG Beteiligter seine Beteiligung aufteilen und unentgeltlich auf mehrere Personen übertragen kann, die diese dann ohne Versteuerung des Gewinns veräußern könnten (Senatsurteil vom 24.01.2012 ‑ IX R 8/10, BFHE 237, 33, BStBl II 2013, 363, Rz 25). Jedoch kann nur die unentgeltliche Weitergabe eines Teils eines steuerverhafteten Anteils dazu dienen, eine steuerbare Anteilsveräußerung zu vermeiden. In "besonders qualifizierter Weise erlangt" (BFH-Urteil vom 29.07.1997 ‑ VIII R 80/94, BFHE 184, 74, BStBl II 1997, 727) sind nur Anteile aus einer wesentlichen/maßgeblichen Beteiligung. Soll sich der spätere Veräußerer als Rechtsnachfolger die Besitzzeit seines wesentlich/maßgeblich beteiligten Rechtsvorgängers anrechnen lassen, setzt dies voraus, dass diese wesentliche/maßgebliche Beteiligung im Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung bereits bestand. Andernfalls kommt eine Rechtsnachfolge in einen bereits steuerverhafteten Anteil nicht in Betracht. Demgegenüber würde eine Auslegung, die auch denjenigen unentgeltlichen Erwerber in die Steuerverhaftung seines unwesentlichen/unmaßgeblichen Anteils brächte, der diesen von einem ‑‑zu diesem Zeitpunkt‑‑ unwesentlich/unmaßgeblich Beteiligten erworben hat, dem Zweck der Norm nicht gerecht; sie würde zudem in nicht gerechtfertigter Weise Vertrauensschutzinteressen des unentgeltlichen Erwerbers verletzen. Denn die Steuerverhaftung seiner Anteile hinge von der Erlangung einer wesentlichen/maßgeblichen Beteiligung durch den unentgeltlich Übertragenden ab, die der unentgeltliche Erwerber typischerweise nicht beherrschen oder auch nur kennen kann. Abzustellen ist danach auf die Wesentlichkeit/Maßgeblichkeit der Beteiligung im Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung (Senatsurteil vom 24.01.2012 ‑ IX R 8/10, BFHE 237, 33, BStBl II 2013, 363, Rz 27).
(5) Ferner ist die Anwendung des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs auch weiterhin aus Vertrauensschutzgesichtspunkten geboten.
Die Senatsrechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff ist Folge des Beschlusses des BVerfG vom 07.07.2010 ‑ 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86). Hiernach verstößt die Absenkung der Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und die entweder ‑‑bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt‑‑ nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder ‑‑bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes‑‑ sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können (BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 ‑ 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86, Rz 53). Nicht anders stellt sich die Situation jedoch dar, wenn die erforderliche Mindestbeteiligung für die Annahme steuerverstrickter Anteile anstelle in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der bis dahin geltenden Fassung durch das StSenkG in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG mit dem Wesentlichkeitserfordernis zusammengeführt und zugleich vermindert wurde.
b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelte es sich bei der Beteiligung der Mutter bis zur teilentgeltlichen Übertragung mit Vertrag vom 05.12.2000 nicht um eine wesentliche/maßgebliche Beteiligung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG. Erst nach der Übertragung wurde die maßgebliche Beteiligungsgrenze für eine Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG auf mindestens 1 % herabgesetzt. Zum Zeitpunkt der Übertragung galt die mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 abgesenkte Beteiligungsquote von mindestens 10 %.
Zwar erfolgte die Übertragung der Anteile von der Mutter auf die Klägerin am 05.12.2000 erst im Anschluss an die Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26.10.2000. In Anbetracht dessen, dass die Änderung in § 17 Abs. 1 EStG durch das StSenkG jedoch erst zum 01.01.2001 erfolgen sollte (Art. 1 Nr. 10 i.V.m. Art. 19 Abs. 1 StSenkG i.V.m. § 52 Abs. 34a EStG i.d.F. des StSenkG), war das Vertrauen der Klägerin auf die bis dahin geltende Rechtslage weiterhin schutzwürdig. Andernfalls würde die Rechtsänderung durch die Versagung des Vertrauensschutzes faktisch zu einem früheren Zeitpunkt Wirkung entfalten, als es der Gesetzgeber bezweckte und die Gesetzesänderung in Kraft trat.
4. Die Berechnung der Steuer wird gemäß § 121 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA übertragen.
5. Die Kostenentscheidung beruht für das erstinstanzliche Verfahren auf § 135 Abs. 1 FGO und für das Revisionsverfahren auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Da die Revision teilweise Erfolg hat, war über die Kosten beider Instanzen zu befinden (vgl. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 143 Rz 1), und zwar wegen der unterschiedlichen Streitwerte getrennt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.05.1993 ‑ V B 33/93, BFH/NV 1994, 133, unter II.5.; vom 21.04.1989 ‑ IV R 40/88, BFH/NV 1990, 182, unter 1.b, m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 136 Rz 5).
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