BVerfG: Vorlage des Bundesfinanzhofs zur Frage der Besteuerung von Leibrenten unzulässig
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - 15. Oktober 2009, Pressemitteilung Nr. 118/2009
Beschluss vom 22. September 2009, 2 BvL 3/02
Der Bundesfinanzhof sieht seit dem Jahr 1992 den Ertragsanteil einer Leibrente als Gegenleistung für eine - nicht existenzsichernde - Vermögensumschichtung als pauschalierten Zinsanteil an. Wegen des Abzugsverbots für private Schuldzinsen konnte nach dieser Rechtsprechung der Ertragsanteil bei demjenigen, der zur Zahlung der Leibrente verpflichtet ist, nicht als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG abgezogen werden.
Die gemeinsam zur Einkommensteuer zusammen veranlagten Kläger der Ausgangsverfahren sind seit dem Jahr 1992 miteinander verheiratet. Der Ehemann hatte im Jahr 1990 sein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück seiner späteren Ehefrau übertragen. Als Gegenleistung verpflichtete sie sich zur monatlichen Zahlung einer lebenslänglichen wertgesicherten Rente an den Ehemann. Das Finanzamt besteuerte den Ertragsanteil der Rente als Einkünfte des Ehemanns gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG. Den von der Ehefrau im Gegenzug begehrten Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG für den Anteil des Ertragsanteils lehnte das Finanzamt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ab. Die eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht Köln gab den dagegen gerichteten Klagen statt, da es der Auffassung war, dass der Klägerin der begehrte Sonderausgabenabzug entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG zu gewähren sei. Im Revisionsverfahren legte der X. Senat des Bundesfinanzhofs dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor, ob die Besteuerung der Ertragsanteile von Bezügen aus Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG, die Gegenleistung für den Erwerb eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens sind, mit ihrem vollen Nennbetrag - ohne Berücksichtigung eines Sparer-Freibetrags - ungeachtet dessen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar sei, dass es sich um pauschalierte Einkünfte aus Kapitalvermögen handele.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied, dass diese Vorlage des Bundesfinanzhofs unzulässig ist, denn sie wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für das Ausgangsverfahren nicht gerecht. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit, die hier die Frage der Versagung des Sonderausgabenabzugs betrifft, genügt es insbesondere nicht, wenn sich der Bundesfinanzhof lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft. Die Zulässigkeit der Vorlage erfordert vielmehr, dass sich das Gericht eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzt, dabei die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigt und auf unterschiedliche Auslegungsergebnisse eingeht.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der Bundesfinanzhof hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht erfüllt, Die Frage, ob es der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gebietet, den Sparer-Freibetrag nach § 20 Abs. 4 EStG auch auf die Besteuerung von Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG zu erstrecken, kann, wie der Bundesfinanzhof zutreffend ausführt, nur dann entscheidungserheblich sein, wenn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Gewährung des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abzuweisen ist. Wäre dagegen dem Klageantrag, an den der Bundesfinanzhof auch der Höhe nach gebunden ist, stattzugeben, käme eine Erstreckung des Sparerfreibetrags auf die Rentenbezüge des Klägers schon aus prozessrechtlichen Gründen nicht in Betracht, denn eine weitere Herabsetzung der Steuer durch die Erstreckung des Sparer-Freibetrags nach § 20 Abs. 4 Satz 3 EStG wäre wegen Erschöpfung des Klageantrags ausgeschlossen. Bei dieser Ausgangslage reicht es nicht aus, wenn sich der Bundesfinanzhof zur Begründung seiner Auffassung, dass die Klage insoweit abzuweisen sei, lediglich auf seine eigene Rechtsprechung beruft und sich in diesem Zusammenhang nicht mit den Argumenten der Literatur und Rechtsprechung auseinandersetzt, die gegen die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit seiner eigenen Rechtsprechung hinsichtlich der Versagung des Sonderausgabenabzugs für den Ertragsanteil von Leibrenten vorgebracht worden sind.
Der Bundesfinanzhof hat auch nicht hinreichend die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der zur Überprüfung gestellten Norm erörtert, obwohl eine solche Lösung nahe liegt. Der Auffassung des Bundesfinanzhofs, es liege eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte vor, liegt die von ihm selbst aufgestellte Prämisse zugrunde, dass es sich bei dem Ertragsanteil der Leibrente materiellrechtlich um einen Zinsanteil handele. Hiervon ist der Gesetzgeber jedoch, wie sich aus der Gesetzesbegründung zur Neuregelung der Leibrentenbesteuerung durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern ergibt, nicht ausgegangen. Diese Ausführungen hat der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss zwar zur Kenntnis genommen, sich jedoch über sie hinweg gesetzt, da er sie für unzutreffend hält. Insoweit kann dahingestellt bleiben, wie weit das Gebot der verfassungskonformen Auslegung es dem Richter allgemein erlaubt, den gesetzgeberischen Willen zu begrenzen oder zu ergänzen. Keinesfalls darf eine verfassungskonforme Auslegung jedoch das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen.
Die nicht dem gesetzgeberischen Willen folgende Auslegung der Norm entbindet den Bundesfinanzhof jedenfalls nicht davon, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der - nach seiner Rechtsprechung - materiellrechtlich als Zinsanteil zu qualifizierende Ertragsanteil der Leibrente in verfassungskonformer Auslegung unter den Besteuerungstatbestand des § 20 EStG subsumiert werden kann, mit der Folge, dass der Sparer-Freibetrag des § 20 Abs. 4 EStG von Gesetzes wegen zu gewähren und die Vorlagefrage hinfällig wäre. Nicht hinreichend ist insoweit der kurze Hinweis des Gerichts, dass eine verfassungskonforme Auslegung, die den Erwägungen zum Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen würde, in Anbetracht der unmissverständlichen Zuordnung solcher Erträge zu § 22 EStG einerseits und des klaren Wortlauts des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG anderseits nicht möglich sei.
Schließlich fehlt es in dem Vorlagebeschluss auch an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein gleichheitsrechtlich tragfähiger Grund für die nach Auffassung des Bundesfinanzhofs bestehende Ungleichbehandlung der Besteuerung von Leibrenten gegenüber der Besteuerung von Zinseinkünften vorliegt. Das vorlegende Gericht hat sich insbesondere nicht mit der Frage auseinandergesetzt, dass die Leibrente eine Vermögensumschichtung zum Gegenstand hat und bei dem aus der Leibrente Berechtigten die Phase der Vermögensbildung bereits abgeschlossen ist, so dass die Anreizwirkung des Sparer-Freibetrags, der gerade in der Ansparphase einsetzen soll, nicht mehr zum Tragen kommen kann. Ebenso wurde nicht erörtert, ob die im Gesetzgebungsverfahren genannten Gründe für die unterschiedliche Besteuerung von Leibrenten und Zinsen geeignet wären, eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Sparer-Freibetrags zu rechtfertigen.
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