BFH: Fortgeltung der Antragsveranlagung ungeachtet der Antragsfrist
- Stellt ein ausschließlich Arbeitslohn beziehender Arbeitnehmer den Antrag auf Einkommensteuer-Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 erst nach dem 28.12.2007, ist er - soweit Verjährungsfristen nicht entgegenstehen - gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. vom 20.12.2007 zu veranlagen.
- Die inzwischen aufgehobene zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. gilt insoweit nicht fort.
BFH-Urteil vom 12.11.2009, VI R 1/09 (BStBl 2010 II S. 406 = SIS 10 00 80)
EStG i.d.F. vom 20.12.2007 § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 52 Abs. 55j
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 11.12.2008, 6 K 1801/08 = SIS 09 04 96
I. Streitig ist, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Jahr 2004 zur Einkommensteuer zu veranlagen sind.
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger hat ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Die Klägerin hatte keine Einkünfte. Lohnersatzleistungen bezogen die Kläger nicht.
Am 7.2.2008 reichten die Kläger eine Einkommensteuererklärung für 2004 ein. Mit Bescheid vom 11.2.2008 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Durchführung der Antragsveranlagung ab, da die Abgabefrist von zwei Jahren versäumt worden sei (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes - EStG - in der im Streitjahr geltenden Fassung - EStG a.F. -). Der dagegen gerichtete Einspruch ruhte zunächst im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06. Nachdem das Verfahren 2 BvL 56/06 sich durch den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27.3.2008 VI R 46/05 (nicht veröffentlicht) im Hinblick auf die rückwirkende Aufhebung der Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) für noch nicht bestandskräftige Ablehnungen von Veranlagungen für Jahre vor 2005 erledigt hatte, hat das FA in Erwartung der Erledigung des weiteren anhängigen Verfahrens 2 BvL 55/06 über den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 8.5.2008 entschieden. Zur Begründung bezog es sich auf § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des JStG 2008 (EStG n.F.), wonach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. für Jahre vor 2005 nur anzuwenden ist, wenn bis zum 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden war. Da die Kläger jedoch ihren Antrag erst nach dem 28.12.2007 gestellt hätten, sei im Streitfall die alte Rechtslage anzuwenden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitere bereits an der am 31.12.2007 abgelaufenen Jahresfrist für die Nachholung der versäumten Rechtshandlung gemäß § 110 Abs. 3 der Abgabenordnung.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage mit den in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 982 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 11.12.2008, 6 K 1801/08 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Kläger für das Jahr 2004 zur Einkommensteuer zu veranlagen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sind die Kläger zur Einkommensteuer für 2004 zu veranlagen.
Besteht das Einkommen - wie im Streitfall - nach § 46 Abs. 2 EStG ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.
a) Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. nicht in Betracht kommt. Nach dieser Vorschrift wird eine Einkommensteuer-Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Die - frühere zusätzliche - Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist nunmehr entfallen.
b) § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist gemäß § 52 Abs. 55j EStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und - hier einschlägig - in Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Kläger auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung 2004 liegt nicht vor. Nach Ansicht des Senats ist der Anspruch der Kläger auf Durchführung der streitbefangenen Veranlagung von weiteren Voraussetzungen nicht abhängig (vgl. BFH-Urteil vom 15.1.2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755).
Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Finanzbehörden (Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 5.6.2009 S 2270 A-11-St 216; Thüringer Landesfinanzdirektion vom 12.10.2009 S 2270 A-01-A 2.13) nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28.12.2007 bei den Finanzbehörden eingegangen ist. Dies mag zwar der Vorstellung des Gesetzgebers entsprechen, der mit der Anwendungsregelung für Fälle, in denen die bisherige zweijährige Antragsfrist im Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits abgelaufen war, keine Anträge auf Veranlagung mehr ermöglichen wollte (BTDrucks 16/7036, 17 ff.). Diese Absicht hat jedoch im Gesetz selbst keinen Niederschlag gefunden; der Wortlaut des § 52 Abs. 55j EStG n.F. ist insoweit eindeutig. Der subjektive Wille der an der Gesetzgebung Beteiligten ist daher für die Auslegung ohne Bedeutung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24.6.1999 IV R 33/98, BFHE 189, 132, BStBl II 2003, 58, m.w.N.).
Damit ist - soweit Verjährungsfristen nicht entgegenstehen - § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. auch für diejenigen Anträge maßgeblich, die erst nach der Veröffentlichung des Gesetzes, dem 28.12.2007, gestellt worden sind. Der Senat berücksichtigt dabei auch, dass aufgrund der seit 2005 geänderten Rechtsprechung des Senats zu der Vorschrift des § 46 Abs. 2 (Nr. 1 und Nr. 8) EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend waren, ob Anträge bzw. Klagen auf Durchführung von Einkommensteuer-Veranlagungen erfolgreich sein konnten (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 755).
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