BFH: Anerkennung von Verlusten aus Knock-out-Zertifikaten
- Bei sog. Wave XXL Papieren, die das Recht des Inhabers verbriefen, während der --allein durch eine Stopp-Loss-Schwelle begrenzten-- Laufzeit vom Emittenten einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Basispreis und dem aktuellen Wert des Basiswerts, vermindert um ein Bezugsverhältnis zu verlangen, handelt es sich um Optionsscheine i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008.
- Hat der Inhaber des Optionsscheins das Recht, auch bei Durchbrechung der Stopp-Loss-Schwelle eine Abrechnung und einen Differenzausgleich zu verlangen, wird der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 beendet (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 10.11.2015, IX R 20/14, BFHE 251 S. 381, BStBl 2016 II S. 159 = SIS 15 29 05).
- Nach der Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 werden Verluste aus Knock-out-Zertifikaten als negative Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG berücksichtigt (Anschluss an BFH-Urteil vom 20.11.2018, VIII R 37/15, BFHE 263 S. 169, BStBl 2019 II S. 507 = SIS 18 22 86).
EStG 2009 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, Nr. 7, Abs. 6, Abs. 9
EStG 2008 § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
BFH-Urteil vom 16.6.2020, VIII R 1/17 (veröffentlicht am 12.11.2020)
Vorinstanz: FG Köln vom 26.10.2016, 7 K 3387/13 = SIS 17 01 34
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 2008 bis 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb in den Streitjahren sog. Wave XXL Papiere der Deutschen Bank sowie vergleichbare Papiere der Commerzbank und der Dresdner Bank. Es handelte sich dabei um sog. "Open-End-Knock-Out"-Produkte, die an Indizes oder einen bestimmten Aktienkurs gekoppelt waren. Der Preis eines Wertpapiers bestimmte sich nach der Differenz zwischen einem vereinbarten Basispreis und dem Wert des Bezugsindex bzw. der Bezugsaktie (Basiswert) bei Erwerb des Produkts, vermindert um ein bestimmtes Bezugsverhältnis, so dass der Anleger nur einen Bruchteil der Differenz (regelmäßig 1/100) bezahlen musste. In gleicher Weise berechnete sich der Abrechnungsbetrag bei Ausübung des Wertpapiers. Die Wertpapiere waren mit einer sog. Stopp-Loss-Schwelle (Knock-Out-Barriere) versehen, die dem Basispreis vorgelagert war. Bei Berühren oder Durchbrechen der Stopp-Loss-Schwelle endete die Laufzeit des Produkts. Der Restwert wurde abgerechnet und an den Anleger ausbezahlt. Er entsprach der Differenz aus dem Auflösungskurs und dem Basispreis und belief sich auf mindestens 0,001 € je Wertpapier.
Der Kläger erzielte aus den Papieren in den Streitjahren Verluste in Höhe von 55.136 € (2008), 299.074,89 € (2009), 102.941 € (2010) und 161.849,19 € (2011), die auf das Erreichen der Knock-Out-Barriere zurückzuführen waren. Sämtliche Wertpapiergeschäfte wurden ab dem Streitjahr 2009 über ein Wertpapierdepot einer Schweizer Bank abgewickelt.
Die Kläger machten im Rahmen der Einkommensteuererklärungen diese Verluste bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (2008) bzw. bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (2009 bis 2011) geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die steuerliche Berücksichtigung der Verluste bei der Einkommensteuerfestsetzung ab. Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 216).
Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es macht geltend, die Begründung des FG trage die Entscheidung nicht. Das FG unterscheide rechtsfehlerhaft nicht zwischen Optionsscheinen und Zertifikaten. Nur auf Optionsscheine seien § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Streitjahres 2008 (EStG 2008) und nach Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG 2009 sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anwendbar, wonach auch der wertlose Verfall einer Option steuerbar sei. Auf Zertifikate sei dagegen nur § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 anwendbar. Diese Norm setze eine Veräußerung voraus. Der Forderungsausfall sei jedoch keine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG 2009. Eine Veräußerung liege auch nicht vor, wenn der Veräußerungspreis die Transaktionskosten nicht übersteige.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat --im Ergebnis-- zu Recht entschieden, dass die von dem Kläger erzielten Verluste aus den "Open-End-Knock-Out"-Produkten im Streitjahr 2008 als negative Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 (1.) und in den Streitjahren 2009 bis 2011 als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 EStG 2009 (2.) zu berücksichtigen sind.
1. Das FG hat in seinem Urteil den auf den 31.12.2008 festgestellten verbleibenden Verlustabzug aus privaten Veräußerungsgeschäften zu Recht um den streitigen Verlust des Streitjahrs 2008 erhöht. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den "Open-End-Knock-Out"-Produkten um Termingeschäfte i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG 2008 handelt, da die Papiere als Optionsscheine zu qualifizieren sind, die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008 als Termingeschäfte gelten.
a) Bei den vom Kläger erworbenen sog. Wave XXL Papieren handelt es sich um Optionsscheine i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008.
aa) Optionsscheine sind Inhaberschuldverschreibungen (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.10.1994 - XI ZR 43/94, Wertpapier-Mitteilungen 1994, 2231, unter 1.b; Roth in KK-WpHG, 2. Aufl., § 37e Rz 13), die das Optionsrecht verbriefen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18.01.2016 - IV C 1-S 2252/08/10004:17, 2015/0468306, BStBl I 2016, 85, Rz 17; Jung in Fuchs, WpHG, 2. Aufl., vor §§ 37e, 37g Rz 71; Lindberg, in Frotscher/Geurts, EStG, Stand 09/2003, § 23 Rz 67; Wernsmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand 04/2008, § 23 Rz B 185). Der Inhaber der Option erhält gegen Zahlung eines Entgelts (Optionsprämie) das Recht, am Ende der Laufzeit, während der Laufzeit oder an bestimmten Terminen während der Laufzeit vom Verkäufer der Option (Stillhalter) den Verkauf oder Kauf einer bestimmten Menge eines Basiswerts zu einem beim Kauf der Option festgelegten Preis (Ausübungs- oder Basispreis) oder einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen vereinbartem Ausübungspreis und Handelspreis des Basiswerts im Zeitpunkt der Ausübung zu verlangen (Roth in KK-WpHG, a.a.O., § 2 Rz 83, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 28.11.1990 - X R 197/87, BFHE 163, 175, BStBl II 1991, 300, unter I.2.b; Kraft in Kümpel/Mülbert/ Früh/Seyfried, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., Rz 19.81 ff.).
bb) Danach sind die sog. Wave XXL Papiere als Optionsscheine zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des FG verbrieften die Papiere das Recht des Inhabers, bei Ausübung der Option während der --durch die Stopp-Loss-Schwelle begrenzten-- Laufzeit vom Emittenten einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Basispreis und dem aktuellen Wert des Basiswerts (vermindert um ein bestimmtes Bezugsverhältnis) zu verlangen.
b) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 waren erfüllt.
aa) Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008 gelten Optionsscheine als Termingeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG 2008, so dass der Zeitraum zwischen Erwerb und Beendigung des Rechts auf den Differenzausgleich nicht mehr als ein Jahr betragen darf.
bb) Dies war vorliegend der Fall. Nach den Feststellungen des FG wurde das in den Optionsscheinen verbriefte Recht auf den Differenzausgleich innerhalb eines Jahres nach dem Erwerb der Optionsscheine beendet, da bei Durchbrechung der Stopp-Loss-Schwelle innerhalb dieses Jahreszeitraums der Differenzausgleich --mindestens mit 0,001 €-- vorgenommen und abgerechnet wurde. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem Fall, über den der BFH in seinem Urteil vom 10.11.2015 - IX R 20/14 (BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159) zu entscheiden hatte, bei dem bei Erreichen der Knock-out-Schwelle kein Differenzausgleich mehr durchgeführt wurde. Nur in diesem Fall entfällt nach der Entscheidung des BFH in BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159 die Möglichkeit, den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 zu beenden, da mit Erreichen der Knock-out-Schwelle der Verlust des Rechts eintritt, einen Differenzausgleich zu verlangen. Ein solcher Differenzausgleich wurde bei den vorliegenden Optionsscheinen jedoch in jedem Fall durchgeführt.
c) Das FG hat den steuerbaren Verlust auch zutreffend in Höhe der --unstreitigen-- Differenz zwischen erlangtem Differenzausgleich und den Anschaffungskosten der Wertpapiere angenommen.
Gewinn oder Verlust bei einem Termingeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 ist der Differenzausgleich oder der durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil abzüglich der Werbungskosten (§ 23 Abs. 3 Satz 5 EStG 2008). Die Anschaffungskosten eines Optionsscheins sind, wie die Optionsprämien eines unverbrieften Optionsgeschäfts, Werbungskosten i.S. des Satzes 5 (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.2012 - IX R 50/09, BFHE 239, 95, BStBl II 2013, 231, Rz 24 am Ende, Rz 28; vgl. auch zum neuen Recht BFH-Urteil vom 12.01.2016 – IX R 48/14, BFHE 252, 423, BStBl II 2016, 456, Rz 21 f.).
2. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass in den Streitjahren 2009 bis 2011 die Verluste des Klägers als negative Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG 2009 steuerlich zu berücksichtigen sind.
a) Ob die Wertpapiere als Termingeschäfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG 2009 zu qualifizieren sind, kann dahinstehen. Liegt ein Termingeschäft vor, ist der Verlust gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. Abs. 4 Satz 5 EStG 2009 zu berücksichtigen. Sollten die Voraussetzungen eines Termingeschäfts nicht erfüllt sein, folgt die steuerliche Anerkennung des Verlusts jedenfalls aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 EStG 2009. Auf die Ausführungen hierzu im BFH-Urteil vom 20.11.2018 - VIII R 37/15 (BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507) wird verwiesen.
b) Der nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 zu ermittelnde Gewinn ist der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung bzw. Einlösung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft bzw. der Einlösung stehen, und den Anschaffungskosten. Dieser Gewinn kann auch negativ sein. Danach berechnen sich die Verluste aus der --hier unstreitigen-- Differenz zwischen den Anschaffungskosten und den ausbezahlten Restwerten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 28).
c) Die geltend gemachten Verluste können gemäß § 20 Abs. 6 EStG 2009 mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet und daher auch ohne Einschränkung als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen (ohne Veräußerung von Aktien) festgestellt werden. Das Verlustabzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG 2009 ist nicht anwendbar. § 20 Abs. 4 Satz 5 EStG 2009 enthält insoweit eine Sondervorschrift (BFH-Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 29, m.w.N.).
d) Eine Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 (nunmehr Satz 7), § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG 2009 ist nicht erforderlich. Einer solchen bedarf es nach § 20 Abs. 6 Satz 6 (nunmehr Satz 7) EStG 2009 nur bei Verlusten, die der Kapitalertragsteuer unterliegen. Das war hier vorliegend jedoch nicht der Fall, da die sog. Wave XXL Papiere im Depot einer im Ausland ansässigen Bank gehalten wurden.
3. Entgegen der Auffassung des FA hat das FG nicht gegen seine Begründungspflicht gemäß § 119 Nr. 6 FGO verstoßen.
a) Ein Verfahrensmangel nach § 119 Nr. 6 FGO liegt nur vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Dies erfordert nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden müsste; vielmehr liegt dieser Verfahrensmangel erst vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26.02.2019 - VIII B 133/18, BFH/NV 2019, 574).
b) Nach diesem Maßstab hat das FG sein Urteil ausreichend begründet. Für das FA ist ohne weiteres erkennbar, dass das FG davon ausgegangen ist, dass es sich bei den streitigen Knock-Out-Produkten um Termingeschäfte i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG 2008 bzw. i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG 2009 handelte.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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