Die gemäß § 32d Abs. 3 und 4 EStG veranlagte und dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen unterliegende Einkommensteuer kann nicht nach § 35a EStG ermäßigt werden.
EStG § 2 Abs. 5, Abs. 5b, Abs. 6, § 32a, § 32d, § 35a, § 43 Abs. 5
Vorinstanz: FG Hamburg vom 23.11.2017, 6 K 106/16 = SIS 17 25 15
I. Streitig ist, ob Steuerermäßigungen gemäß § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Steuer, welche sich aus der Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1, 3 und 4 EStG ergibt, mindern.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr (2014) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Einkünfte. Die Summe der Einkünfte sowie das zu versteuernde Einkommen waren negativ. Daneben erzielte die Klägerin (positive) Einkünfte aus Kapitalvermögen. Ein Teil dieser Einkünfte unterlag dem Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 43 EStG. Im Übrigen sind sie gemäß § 32d Abs. 3 EStG in die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin mit dem gesonderten Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG eingegangen.
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin zudem Aufwendungen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen im Privathaushalt in Höhe von 25.379 €, für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 424 € und für Handwerkerleistungen in Höhe von 6.482 € geltend. Zudem beantragte sie die Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge sowie eine Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom 29.04.2016 ohne Berücksichtigung von Steuerermäßigungen gemäß § 35a EStG zur Einkommensteuer. In den Erläuterungen des Bescheids teilte er der Klägerin mit, die Günstigerprüfung habe ergeben, dass die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif nicht günstiger sei.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Ihr stehe nach § 35a EStG ein Ermäßigungsbetrag in Höhe von 5.200 € zu. Bei der Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer sei dieser Betrag im Wege der Kürzung zu berücksichtigen.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 372 veröffentlichten Entscheidungsgründen ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG Hamburg vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30.06.2016 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2014 zuletzt vom 06.04.2018 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer um 5.200 € vermindert wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision mit der Maßgabe für unbegründet, dass das Urteil des FG Hamburg vom 23.11.2017 - 6 K 106/16 aufgehoben und die Klage abgewiesen wird; eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 FGO). Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 29.04.2016 entschieden. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 06.04.2018 getreten, der nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (s. Senatsurteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 17, m.w.N.). Da sich durch die Bescheidänderung hinsichtlich des streitigen Punkts keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es allein insoweit keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache (s. Senatsurteil in BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496).
2. Der Senat kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG in der Sache selbst entscheiden. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Einkommensteuerlast der Klägerin ist nicht gemäß § 35a EStG zu mindern.
a) Nach § 35a Abs. 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es sich um eine geringfügige Beschäftigung i.S. des § 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch handelt, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 510 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Für andere als in Abs. 1 dieser Vorschrift aufgeführte haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach Abs. 3 dieser Vorschrift sind, ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen (§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG). Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 % der Aufwendungen des Steuerpflichtigen, höchstens jedoch um 1.200 € (§ 35a Abs. 3 Satz 1 EStG).
b) Demgemäß kann die Klägerin die Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht beanspruchen. Zwar hat sie nach den unangefochtenen und damit den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen getätigt. Gleichwohl kommt eine Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer vorliegend nicht in Betracht.
aa) Tarifliche Einkommensteuer ist der Steuerbetrag, der sich aus der Anwendung des Einkommensteuertarifs gemäß § 32a EStG auf das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG, in das Kapitalerträge nach § 32d Abs. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG nicht einzubeziehen sind (§ 2 Abs. 5b EStG), ergibt. Dieser Betrag lautet vorliegend auf 0 €. Denn die Klägerin hat kein positives zu versteuerndes Einkommen erzielt.
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die gemäß § 32d Abs. 3 und 4 EStG "veranlagte" und dem gesonderten Tarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterliegende Einkommensteuer nicht (Bestand-)Teil der tariflichen Einkommensteuer. Vielmehr ist diese um die Einkommensteuer auf Kapitalerträge gemäß § 32d EStG zu erhöhen (§ 32d Abs. 3 Satz 2 EStG). Dem entspricht die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer in § 2 Abs. 6 EStG. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern und um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu vermehren. Daraus wird deutlich, dass die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallende, gesondert zu ermittelnde Steuer nicht der tariflichen Einkommensteuer zugehört, sondern lediglich eine Maßgröße für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist. In die Besteuerung nach dem allgemeinen Tarif und damit in die tarifliche Einkommensteuer gehen Einkünfte aus Kapitalvermögen nur im Rahmen der sogenannten Günstigerprüfung ein (§ 32d Abs. 6 EStG).
cc) Zudem übersieht die Klägerin, dass in § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die Reihenfolge der erforderlichen Rechenschritte, um von der tariflichen Einkommensteuer zu der festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen, festgeschrieben ist. Danach ist die tarifliche Einkommensteuer zunächst u.a. um Steuerermäßigungen zu vermindern und erst dann um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4 EStG zu erhöhen. Daher kommt keine Steuerermäßigung in Betracht, wenn die tarifliche Einkommensteuer 0 € beträgt (Senatsurteil vom 29.01.2009 - VI R 44/08, BFHE 224, 261, BStBl II 2009, 411, Rz 12). Sie kann deshalb auch nicht als negative Rechengröße in die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer eingehen (im Ergebnis auch: Weiss in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32d Rz 55; Bodden in Korn, § 2 EStG Rz 234.1.1, 245.1; Blümich/Erhard, § 35a EStG Rz 52; Frantzmann, EFG 2018, 374; Bundesministerium der Finanzen vom 18.01.2016 - IV C 1-S 2252/08/10004:017, BStBl I 2016, 85, Rz 132). Dies gilt auch dann, wenn sich --wie im Streitfall-- durch die Vermehrung dieses (negativen) Betrags durch die "veranlagte" Einkommensteuer auf Kapitalerträge (§ 32d Abs. 3 und 4 EStG) oder andere Hinzurechnungsgrößen eine positive festzusetzende Einkommensteuer ergibt. Denn negative Rechengrößen kennt das Einkommensteuerrecht im Rahmen der Ermittlung der Steuer anders als bei der Ermittlung der Einkünfte (§ 10d EStG) nicht.
dd) Soweit die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 und § 43 Abs. 5 EStG der abgeltenden Kapitalertragsteuer unterlegen haben, kommt eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG ebenfalls nicht in Betracht. Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht in Streit. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Begründung ab.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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