BFH: Körperschaftsteuerrechtliche Organschaft im Fall der Insolvenz
- Die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags ist Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Kann ein vorläufiger Jahresabschluss der Organgesellschaft wegen Insolvenz nicht mehr korrigiert werden und wäre bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze im endgültigen Jahresabschluss ein anderes Ergebnis auszuweisen, kann diese Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags ungeachtet der Insolvenz nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG "geheilt" werden.
- Kommt es während der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren zur Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags, führt dies nicht nur zu einer Unterbrechung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft für einzelne Veranlagungszeiträume, sondern insgesamt zu einer (rückwirkenden) Nichtanerkennung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft.
KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 bis 4
BFH-Urteil vom 2.11.2022, I R 29/19 (veröffentlicht am 9.2.2023)
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 11.12.2018, 1 K 483/17 = SIS 19 20 76
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Insolvenz beider Parteien eines Gewinnabführungsvertrags vor Ablauf der Mindestvertragslaufzeit dazu führt, dass einer ertragsteuerrechtlichen Organschaft rückwirkend die steuerliche Anerkennung zu versagen ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am 01.06.2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Holding-GmbH. Diese hielt sämtliche Geschäftsanteile der X‑GmbH. Beide Gesellschaften gehörten zum Konzern der … AB (Konzern). Die Holding-GmbH hatte die Aufgabe, in bestimmten Ländern die Geschäfte des Konzerns zu finanzieren. Die X‑GmbH war Alleingesellschafterin der Y‑GmbH und hielt darüber hinaus weitere Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften.
Am 30./31.10.2006 schlossen die Holding-GmbH als Organträgerin und die X‑GmbH als Organgesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (EAV), der am 19.12.2006 in das Handelsregister der X‑GmbH eingetragen wurde. Der EAV sollte erstmals auf das am 29.12.2005 beginnende Geschäftsjahr der X‑GmbH Anwendung finden und war für die Dauer von fünf Zeitjahren vereinbart. Nach § 5 EAV entstand der Anspruch der Holding-GmbH gegen die X‑GmbH auf Abführung des Jahresüberschusses zum Stichtag des Jahresabschlusses eines jeden Geschäftsjahres und wurde mit der Feststellung des jeweiligen Jahresabschlusses der X‑GmbH fällig. Dagegen wurde der Anspruch der X‑GmbH gegen die Holding-GmbH auf Ausgleich eines Jahresfehlbetrags bereits mit seiner Entstehung zum Stichtag des Jahresabschlusses der X‑GmbH fällig.
Mit Gesellschafterbeschluss vom 26.10.2006 wurde das Geschäftsjahr der X‑GmbH auf das Kalenderjahr umgestellt, so dass vom 29.12.2006 bis 31.12.2006 ein Rumpfwirtschaftsjahr entstand. Die X‑GmbH und die Y‑GmbH schlossen im Jahr 2008 ebenfalls einen EAV.
Die Holding-GmbH und die X‑GmbH waren in ein "Cash Pooling"-System des Konzerns eingebunden, das aus zwei voneinander getrennten Cash Pools bestand. Einer dieser beiden Cash Pools wurde bei der … Bank geführt und über ein Hauptzielkonto der Holding-GmbH abgerechnet. Im Rahmen dieses Cash Pools wurde der Saldo des Cash-Clearing-Kontos der X‑GmbH jeweils am Tagesende um 24:00/0:00 Uhr auf das Konto der Holding-GmbH umgebucht (physischer Cash Pool).
Am 06.03.2009 beantragten die Holding-GmbH und die X‑GmbH ‑‑wie auch einen Tag zuvor die … Gesellschaften des Konzerns‑‑ die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Daraufhin ordnete das Amtsgericht (AG) die vorläufige Insolvenzverwaltung an; die Verfügungen des Insolvenzschuldners waren danach nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam (§ 21 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑). Am 01.06.2009 eröffnete das AG die Insolvenzverfahren über die Vermögen der Holding-GmbH und der X‑GmbH. Als Insolvenzverwalter wurden bei der Holding-GmbH der Kläger und bei der X‑GmbH der Beigeladene bestellt. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung lagen die festgestellten Jahresabschlüsse für 2006 und 2007 sowie der Entwurf eines Jahresabschlusses zum 31.12.2008 vor.
Für die Jahre 2006 und 2007 (Streitjahre) hatte die Holding-GmbH zunächst Steuererklärungen unter Berücksichtigung einer körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft mit der X‑GmbH als Organgesellschaft eingereicht. Für die X‑GmbH ergaben sich für das Wirtschaftsjahr 2005/2006 ein abzuführender handelsrechtlicher Jahresüberschuss von … € und für das Rumpfwirtschaftsjahr vom 29.12.2006 bis zum 31.12.2006 ein auszugleichender Jahresfehlbetrag von … €; im Wirtschaftsjahr 2007 erzielte die X‑GmbH einen Verlust von … €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) entsprechende Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide. Die festgesetzte Körperschaftsteuer sowie die Gewerbesteuer sind vollständig gezahlt.
Am 02.11.2011 reichte der Kläger für die Streitjahre geänderte Steuererklärungen ein. Da der EAV nicht während der gesamten Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren tatsächlich durchgeführt worden sei, entfalle die Organschaft rückwirkend auch für die Streitjahre.
Im Anschluss an eine Außenprüfung bei der Holding-GmbH und der X‑GmbH lehnte das FA mit den Bescheiden vom 20.04.2016 den Erlass entsprechender Änderungsbescheide für die Streitjahre ab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Ein Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) Nürnberg wies die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 11.12.2018 ‑ 1 K 483/17 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 479) als unbegründet ab. Eine rückwirkende Nichtanerkennung der Organschaft komme für die Streitjahre nicht in Betracht. Dies gelte auch für das Jahr 2008, da die Buchung des (vorläufigen) Jahresüberschusses von … € auf dem Aufwandskonto Ergebnisabführung und dem Verrechnungskonto der Holding-GmbH ausreiche. Eine Buchung auf dem Cash-Clearing-Konto sei nicht erforderlich.
Im Übrigen folge aus § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (KStG), dass eine Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2008, die ihre Ursache in der Insolvenzeröffnung als anerkannt wichtigem Grund habe, unschädlich sei. Zwar sehe das Gesetz keine Regelung zur Unmöglichkeit der weiteren Durchführung eines EAV im Fall eines steuerlich wichtigen Grunds vor. Die Lücke sei jedoch durch eine Analogie zu schließen.
Der Kläger macht mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2006 und 2007 vom 20.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.03.2017 dahin zu ändern, dass die körperschaftsteuerrechtliche und gewerbesteuerrechtliche Organschaft zwischen der Holding-GmbH und der X‑GmbH nicht anerkannt wird und die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene unterstützt den Vortrag des Klägers, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Das FG hat einen Antrag des Klägers auf Berichtigung des Tatbestands nach § 108 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Beschluss vom 29.07.2019 abgelehnt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das FG sein Urteil nach § 107 FGO in einzelnen Betrags- und Datumsangaben berichtigt.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und mangels Spruchreife zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG ist zu Unrecht von einer tatsächlichen Durchführung des EAV für das Jahr 2008 ausgegangen. Die Nichtdurchführung des EAV war auch nicht aufgrund einer (analogen) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG unschädlich.
- Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Zu diesen Voraussetzungen gehört u.a., dass der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen ist und während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG).
Sofern sich eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland ‑‑und damit auch eine inländische GmbH wie die X‑GmbH‑‑ wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen i.S. des § 14 KStG abzuführen, gelten nach § 17 Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 Satz 2 KStG zu berücksichtigen.
Ist eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft i.S. der §§ 14, 17 oder 18 KStG, gilt sie gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte des Organträgers (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung).
- Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen der Holding-GmbH als Organträgerin und der X‑GmbH als Organgesellschaft zunächst eine wirksame Organschaft i.S. des § 14 KStG begründet wurde.
Insbesondere erfüllte der EAV die Bedingung der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Hierfür reicht es aus, dass ein EAV auf mindestens fünf Zeitjahre vereinbart wird (Senatsurteil vom 12.01.2011 ‑ I R 3/10, BFHE 232, 426, BStBl II 2011, 727).
Dass die Mindestvertragslaufzeit im Streitfall aufgrund der nachträglichen Umstellung des Wirtschaftsjahrs während eines laufenden Wirtschaftsjahrs endete und dies u.a. wegen § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 KStG dazu führen könnte, dass der EAV steuerlich nicht über die gesamte Mindestvertragslaufzeit wirkt und durchgeführt wird, ist für die Begründung der Organschaft unschädlich. Denn die Geltung und Durchführung des EAV über die gesamte Mindestvertragslaufzeit von fünf Zeitjahren kann durch nachträgliche Maßnahmen (z.B. erneute Umstellung des Wirtschaftsjahres oder Fortsetzung des Vertrags bis zum Ablauf des Wirtschaftsjahres) sichergestellt werden (Senatsurteil vom 13.11.2013 ‑ I R 45/12, BFHE 244, 277, BStBl II 2014, 486; Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz 323; solche nachträglichen Maßnahmen sogar für entbehrlich haltend Beinert/Nees/G. Wagner in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Rz 3.83 und 11.27). Da zwischen den Beteiligten dazu kein Streit besteht, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab.
- Die Entscheidung des FG, auch die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sei erfüllt, ist dagegen rechtsfehlerhaft.
b) Die Gewinne und Verluste der X‑GmbH für die in den Jahren 2006 und 2007 endenden Wirtschaftsjahre sind nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) aufwands- bzw. ertragswirksam auf einem Verrechnungskonto gebucht und anschließend auf das Cash-Clearing-Konto umgebucht worden. Da auf dieser Grundlage zwischen den Beteiligten kein Streit über die Erfüllung der sich aus dem EAV ergebenden Verpflichtungen und damit auch über die tatsächliche Durchführung des EAV für die Jahre 2006 und 2007 besteht, sieht der Senat hierzu von weiteren Ausführungen ab.
c) Die Würdigung des FG, der EAV sei auch für das Jahr 2008 tatsächlich durchgeführt worden, ist dagegen rechtsfehlerhaft.
aa) Nach den Feststellungen des FG liegt für das Jahr 2008 ein vorläufiger Jahresabschluss der X‑GmbH vor, der einen Jahresüberschuss vor Gewinnabführung von … € ausweist. Dieser Jahresüberschuss wurde am 02.02.2009 über das Aufwandskonto "Abgef Gew aufgr EAV" auf dem Verrechnungskonto X-GmbH/Holding-GmbH verbucht. Der vorläufige Jahresabschluss war der Holding-GmbH bekannt und wurde von den Geschäftsführern der X‑GmbH am 20.02.2009 im Rahmen eines Konzernberichtspakets freigegeben. Eine Umbuchung auf das Cash-Clearing-Konto erfolgte nicht. Darüber hinaus fehlte bis zur Entscheidung des FG eine endgültige Feststellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2008.
bb) Ausgehend von diesen ‑‑den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO)‑‑ Feststellungen hat das FG entschieden, dass der EAV tatsächlich durchgeführt worden sei. Hierfür hat das FG darauf abgestellt, dass ein vorläufiger Jahresabschluss für die tatsächliche Durchführung des EAV ausreiche, der von der X‑GmbH darin ausgewiesene Jahresüberschuss den handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen entspreche und der Anspruch der Holding-GmbH auf Gewinnabführung bereits durch die Verbuchung auf dem Verrechnungskonto erfüllt worden sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
(1) Zwar trifft es zu, dass der Anspruch auf Gewinnabführung unabhängig von der Feststellung des Jahresabschlusses zum Bilanzstichtag entsteht und bei Unstimmigkeiten zunächst ein vorläufiger Jahresabschluss zu erstellen ist (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.10.1999 ‑ II ZR 120/98, BGHZ 142, 382), um die Voraussetzung der tatsächlichen Durchführung des EAV i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG (vorläufig) sicherzustellen.
(2) Das FG ist allerdings rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Durchführung des EAV durch den vorläufigen Jahresabschluss auch endgültig erfüllt werden kann. Vielmehr kommt es für die tatsächliche Durchführung des EAV auf das Ergebnis an, das bei zutreffender Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze in einem endgültigen Jahresabschluss auszuweisen wäre. Dieser Betrag ist im Streitfall aber unter keinen Umständen tatsächlich an die Holding-GmbH abgeführt worden.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, dass das endgültige Ergebnis in jedem Fall vom vorläufigen Jahresabschluss abweichen würde; der Jahresüberschuss wäre geringer (nach dem Ergebnis der Außenprüfung: Gewinn von … €) oder würde sich sogar in einen Jahresfehlbetrag wandeln (nach der Auffassung des Klägers und des Beigeladenen: Verlust von … €). Auch das FG hat seine Aussage, das Ergebnis entspreche den handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen, nur auf den Zeitpunkt des vorläufigen Jahresabschlusses bezogen. Auf Seite 23 der Urteilsgründe hat es dagegen die grundsätzliche Notwendigkeit einer Korrektur aufgrund der Insolvenz der Y‑GmbH anerkannt, dies aber für unerheblich gehalten, weil diese Korrekturen aufgrund der Insolvenz der X‑GmbH nicht mehr umgesetzt werden könnten.
(3) Die Annahme des FG, zumindest im Fall der Insolvenz könne für die Durchführung des EAV auf einen vorläufigen Jahresabschluss abgestellt werden, ist rechtsfehlerhaft.
Zwar verhindern die insolvenzrechtlichen Restriktionen, dass eine Korrektur des vorläufigen Jahresabschlusses tatsächlich umgesetzt werden könnte, da die aus dem EAV resultierenden Forderungen lediglich Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO sind, die grundsätzlich nicht mehr bedient werden dürfen. Sofern der vorläufig abgeführte Gewinn bzw. der vorläufig erstattete Fehlbetrag nicht dem Betrag entsprechen, der in einer endgültigen Bilanz auszuweisen wäre, führt dies aber zu einer schädlichen Nichtdurchführung des EAV (s.a. Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 165; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 318c; a.A. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 585 und 626; s.a. Wagner in Prinz/Witt, a.a.O., Rz 24.71 [Anmeldung der Forderung aus dem EAV zur Insolvenztabelle sei ausreichend]).
Dies folgt bereits daraus, dass es sich bei der Besteuerung nach §§ 14 ff. KStG um eine Ausnahme vom steuerrechtlichen Grundprinzip der getrennten Besteuerung einzelner Steuersubjekte handelt. Für die Voraussetzungen einer Organschaft kommt es deshalb grundsätzlich nicht darauf an, ob und in welchem Umfang der Steuerpflichtige auf deren Erfüllung selbst Einfluss nehmen konnte oder ob er ‑‑wie im Fall der Insolvenz‑‑ durch rechtliche Restriktionen daran gehindert wurde. Aufgrund des Ausnahmecharakters ist auch der Einwand nicht erfolgreich, es müsse vermieden werden, dass bereits geringe Verschiebungen des Zeitpunkts der Insolvenz zu unterschiedlichen Folgen führen (z.B. höheres Risiko der Nichtdurchführung eines EAV bei einer Insolvenz am Anfang eines Wirtschaftsjahrs im Vergleich zur Insolvenz am Ende eines Wirtschaftsjahrs).
Dass im Streitfall die Tatbestandlichkeit der Organschaft für das FA ‑‑und nicht den Steuerpflichtigen‑‑ vorteilhaft ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere kann sich das FG nicht darauf berufen, dass die Nichtdurchführung des EAV im Fall der Insolvenz nicht auf einer Manipulation beruhe, sondern umgekehrt die strikte Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG für den Insolvenzverwalter Gestaltungsspielräume eröffne. Wenn der Insolvenzverwalter zur Sicherung der Masse und zum Zweck der Gläubigerbefriedigung eine Nichtanerkennung der Organschaft anstrebt, da er dadurch Steuererstattungsansprüche erlangen kann, entspricht dies seinem gesetzlichen Pflichtenkreis. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Nichtanerkennung der Organschaft letztlich nur eine (einmalige) Rückkehr zum steuerrechtlichen Grundprinzip der getrennten Besteuerung einzelner Steuersubjekte bedeutet. Dies haben die Steuerpflichtigen ‑‑in den Grenzen des § 42 AO‑‑ auch sonst in der Hand, da sie bis zum Ablauf der Mindestvertragslaufzeit durch schlichte Nichtdurchführung des EAV insgesamt in die Normalbesteuerung zurückkehren können.
- Die Nichtdurchführung des EAV kann für das Jahr 2008 auch nicht durch § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG geheilt werden. Diese Regelung, die durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 (BGBl I 2013, 285, BStBl I 2013, 188) eingefügt worden ist, zeitlich nach § 34 Abs. 9 Nr. 7 KStG (in der Fassung dieses Gesetzes) aber für alle noch offenen Verfahren Anwendung findet, gilt ausdrücklich nur für die spätere Korrektur fehlerhafter Bilanzansätze eines wirksam festgestellten Jahresabschlusses. Hieran fehlt es im Streitfall, da nur ein vorläufiger Jahresabschluss vorliegt.
- Die Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2008 war auch nicht in (analoger) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG, der vorsieht, dass eine vorzeitige Beendigung des Vertrags durch Kündigung unschädlich ist, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt, unerheblich.
Nach dem Wortlaut ist aber nur die "vorzeitige Beendigung des Vertrags durch Kündigung" unschädlich. Damit wird nur auf die erste Voraussetzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG Bezug genommen, d.h. die Mindestvertragslaufzeit des EAV von fünf Jahren. Eine Ausdehnung auf die zweite Voraussetzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG, die tatsächliche Durchführung des EAV, lässt sich auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift nicht herleiten (a.A. Kahlert, Deutsches Steuerrecht 2014, 73, 76). Für eine solche Auslegung bestehen im Gesetz keine ausreichenden Ansatzpunkte.
Insofern wird zunächst auf die Ausführungen unter II.3.c bb (3) zur Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG für den Fall der Insolvenz Bezug genommen. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 KStG, der eine steuerliche Rückwirkung der Beendigung des EAV im laufenden Wirtschaftsjahr auf den Beginn dieses Wirtschaftsjahrs vorsieht. Zum einen betrifft diese Vorschrift nur das laufende Wirtschaftsjahr, so dass der Umkehrschluss gezogen werden kann, dass eine Nichtdurchführung des EAV in den davor liegenden Wirtschaftsjahren schädlich ist. Zum anderen gilt § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 3 KStG für sämtliche Beendigungen des EAV während eines laufenden Wirtschaftsjahres und nicht nur für eine Beendigung aus wichtigem Grund. Hintergrund dieser Vorschrift ist allein die unklare Rechtslage im Gesellschaftsrecht, zu welchem Zeitpunkt die Beendigung innerhalb eines Wirtschaftsjahrs zivilrechtlich wirkt (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BTDrucks 12/1108, S. 67). Die Regelung sollte insoweit steuerlich für Rechtssicherheit sorgen. Dies gilt aber ausschließlich für das laufende Wirtschaftsjahr (hier 2009) und nicht bereits für abgelaufene Wirtschaftsjahre (hier 2008).
Darüber hinaus ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Regelungen über die Organschaft eine Ausnahme vom steuerrechtlichen Grundprinzip der getrennten Besteuerung einzelner Steuersubjekte darstellen, so dass eine strenge Auslegung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Anforderungen geboten ist (Senatsurteil vom 03.03.2010 ‑ I R 68/09, BFH/NV 2010, 1132). Im Übrigen bezieht sich das Kriterium der tatsächlichen Durchführung nicht auf die innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorzunehmenden Maßnahmen, sondern auf diejenigen Maßnahmen, die zur Durchführung des EAV für den Zeitraum der Mindestvertragslaufzeit erforderlich sind (Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 488; Neumann in Gosch, a.a.O., § 14 Rz 318c; Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 14 Rz 322). Eine vor Abschluss dieser Maßnahmen eintretende Insolvenz ändert daran nichts.
b) Schließlich ist auch eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG ausgeschlossen.Gegen eine Ausdehnung dieser Vorschrift im Wege der Analogie spricht ebenfalls der Ausnahmecharakter der Regelungen über die Organschaft. Im Übrigen ist keine Regelungslücke erkennbar. Der Gesetzgeber hat § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG ausdrücklich nur auf die erste Voraussetzung des Satzes 1 bezogen, d.h. die Mindestvertragslaufzeit des EAV. Daran hat er auch im Zuge der Einführung der Heilungsmöglichkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG festgehalten.
- Die Sache ist nicht spruchreif. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10.05.2017 ‑ I R 51/15, BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30) wird § 14 KStG nicht von einem allgemeinen Grundsatz getragen, dass sämtliche Erfordernisse einer Organschaft während der gesamten Vertragslaufzeit des EAV vorliegen müssten. Vielmehr ist auch während der Mindestvertragslaufzeit des EAV grundsätzlich eine "Unterbrechung der Organschaft" für einzelne Veranlagungszeiträume denkbar. Dies hat der Senat zum einen für die Voraussetzung der gewerblichen Tätigkeit einer Organträger-Personengesellschaft (Senatsurteil vom 24.07.2013 ‑ I R 40/12, BFHE 242, 139, BStBl II 2014, 272) und zum anderen für die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung (Senatsurteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30) anerkannt.
bb) Die für den Streitfall maßgebliche Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sieht jedoch vor, dass der EAV auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und "während seiner gesamten Geltungsdauer" durchgeführt werden muss.
Aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit der Regelung der Mindestvertragslaufzeit kann daraus zwar nicht geschlossen werden, dass die Nichtdurchführung des EAV in einem Veranlagungszeitraum nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit zu einer rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft seit Vertragsbeginn führt (Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 14 Rz 322). Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG macht aber deutlich, dass eine Nichtdurchführung des EAV während der Mindestvertragslaufzeit die Organschaft insgesamt entfallen lässt (Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 491). Dies lässt sich auch dem Senatsurteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30 entnehmen, da sich die dortigen Ausführungen zu einer etwaigen Unterbrechung der Organschaft nicht auf die Mindestvertragslaufzeit des EAV und die Durchführung des EAV während der Mindestvertragslaufzeit beziehen (s.a. Prinz/Keller, Der Betrieb 2018, 400, 403 f.; Walter, GmbH-Rundschau 2017, 1222; Weiss, GmbH-Steuerberater 2018, 86, 89).
cc) Im Streitfall ist der EAV mit Wirkung ab dem 29.12.2005 abgeschlossen worden. Die Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2008 liegt innerhalb der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren und führt somit für die Streitjahre zur rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft. Wie bereits ausgeführt, ist auch keine (analoge) Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG möglich.
b) Ungeachtet der Nichtanerkennung der Organschaft kann der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden. Das FG hat zwar die Höhe der Jahresüberschüsse bzw. Jahresfehlbeträge der X‑GmbH festgestellt, die der Holding-GmbH aufgrund der Organschaft in den Streitjahren zugerechnet worden sind. Welche konkreten Folgen die Nichtanerkennung der Organschaft in den Streitjahren hat, lässt sich aber weder aus den tatsächlichen Feststellungen des FG noch aus den Ausführungen der Beteiligten mit der erforderlichen Sicherheit herleiten. Hierzu sind in einem zweiten Rechtsgang weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich.c) Dem Begehren des Klägers, die Sache nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung an einen anderen Senat des FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, ist nicht zu entsprechen.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind keine ernstlichen Zweifel an der Unvoreingenommenheit des FG-Senats erkennbar, der die Vorentscheidung getroffen hat. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es im zweiten Rechtsgang wegen § 126 Abs. 5 FGO grundsätzlich nicht mehr um die Anerkennung der Organschaft, sondern nur noch um die Rechtsfolgen der Nichtanerkennung der Organschaft gehen wird.
- Aufgrund der Zurückverweisung der Rechtssache an das FG sind Ausführungen zu den vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängeln (Verletzung der Sachaufklärungspflicht, § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) entbehrlich.
- Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Hierzu gehört auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen (§ 139 Abs. 4 FGO).
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