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EuGH zur Besteuerung von Gesellschaften in Gibraltar: Die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer als rechtswidrig eingestuften Beihilfe betraut sind, können zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung eine nationale Vorschrift anwenden

Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 148/22 vom 15. September 2022
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-705/20 | Fossil (Gibraltar)

Im Anschluss an ein förmliches Prüfverfahren hinsichtlich des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar entschied die Kommission, dass die von 2011 bis 2013 bestehende steuerliche Ausnahmeregelung für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten bestimmten Kategorien von Unternehmen einen selektiven Vorteil verschaffe und damit eine rechtswidrige Beihilfe darstelle, die gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Um diesem Beschluss1 Folge zu leisten, änderte Gibraltar seine nationalen Vorschriften dahin, dass die rückwirkende Besteuerung von Nutzungsentgelten, die zwischen 2011 und 2013 eingenommen wurden, ermöglicht wurde.

Die Fossil (Gibraltar) Limited ist eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, die zu 100 % von der Fossil Group Inc., einer Gruppe von Modeentwicklern und –herstellern mit Sitz in den Vereinigten Staaten, gehalten wird. Die Fossil (Gibraltar) Limited war weder von der Untersuchung der Kommission noch von ihrem Beschluss direkt betroffen, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt von einer Steuerbefreiung ihrer Nutzungsentgelte profitierte, die im Übrigen in den Vereinigten Staaten einer Steuer in Höhe von 35 % unterlagen, welche von der Fossil Group Inc. entrichtet wurde. Diese Gesellschaft kam also in den Genuss einer Befreiung nach Section 37 des Income Tax Act 2010 (Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz 2010, im Folgenden: ITA 2010), die hinsichtlich im Ausland entrichteter Steuern eine Steuerermäßigung vorsieht. Im Anschluss an den Beschluss der Kommission und nach Rückfrage bei der Kommission in dieser Sache verweigerte der Commissioner of Income Tax (Kommissar für Einkommen-/Körperschaftsteuer) jedoch die Gewährung dieser Steuerbefreiung.

Das Income Tax Tribunal of Gibraltar (Einkommensteuergericht Gibraltar), bei dem die Fossil (Gibraltar) Limited Klage einreichte, hat entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof Fragen zu den Auswirkungen des Beschlusses 2019/700 vorzulegen. Konkret möchte es wissen, ob dieser Beschluss den Commissioner of Income Tax davon abhält, auf der Grundlage von nationalen Gesetzen und Regelungen, die nicht Gegenstand der Untersuchung der diesem Beschluss zugrundeliegenden staatlichen Beihilfen durch die Kommission waren, eine Steuerermäßigung zu gewähren.

Die Zweite Kammer des Gerichtshofs hat entschieden, dass der Beschluss 2019/700 der Kommission dem nicht entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, wenn diese Vorschrift zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Transaktionen durchgeführt wurden, anwendbar war.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass ausgehend von der Prämisse, dass Section 37 des ITA 2010 im Ausgangsverfahren anwendbar ist, zu prüfen ist, ob die Gewährung einer Ermäßigung des Betrags der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe auf der Grundlage dieser Bestimmung geeignet ist, die wirksame Durchführung der im Beschluss 2019/700 enthaltenen Rückforderungsanordnung zu beeinträchtigen.

Der Gerichtshof prüft als Erstes, ob der Beschluss 2019/700 als solcher der Gewährung der nach Section 37 des ITA 2010 beantragten Ermäßigung entgegensteht. Er stellt insoweit fest, dass dieser Beschluss den zuständigen nationalen Behörden zwar die Rückforderung der Steuer auferlegt, die ohne die Befreiung für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten zu erheben gewesen wäre, sich aber nicht zur Möglichkeit äußert, nach den Gesetzen von Gibraltar vorgesehene Abzüge und Ermäßigungen geltend zu machen, die bei der Berechnung der geschuldeten Steuer anwendbar gewesen wären. Der Beschluss 2019/700 steht dem also nicht entgegen, dass ein Mechanismus wie der in Section 37 des ITA 2010 vorgesehene zur Anwendung kommt.

Als Zweites erinnert der Gerichtshof daran, dass der betreffende Mitgliedstaat alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Beschlusses der Kommission treffen sollte, mit dem die Rückforderung einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe angeordnet wird. Dieses Erfordernis beeinträchtigt nicht von vornherein die Anwendung eines Mechanismus wie des in Section 37 des ITA 2010 vorgesehenen, der es erlaubt, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ein und desselben Einkommens im Hinblick auf eine Steuer, die von einer natürlichen oder juristischen Person in einem Staat oder in einem Gebiet entrichtet wurde, in dem das Einkommen erzielt oder bezogen wurde, eine Ermäßigung zu gewähren.

Als Drittes weist der Gerichtshof darauf hin, dass außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale jeder Steuer aufgrund der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten in deren Ermessen liegt, das in jedem Fall im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss. Eine Maßnahme wie die in Section 37 des ITA 2010 vorgesehene, die Doppelbesteuerungen dadurch vermeiden will, dass sie einen Mechanismus der Anrechnung der von einem Steuerpflichtigen im Ausland gezahlten Steuern auf die in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, fällt grundsätzlich unter die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten und kann nicht als verbotene staatliche Beihilfe eingestuft werden, außer es wird nachgewiesen, dass sie auf diskriminierenden Parametern beruht.


1 Beschluss (EU) 2019/700 der Kommission vom 19. Dezember 2018 über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar (ABl. 2019, L 119, S. 151).

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.

Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht.

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