BFH: Keine Billigkeitsmaßnahme wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung
- Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt keine Billigkeitsmaßnahme, weil Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen dürfen.
- Der Sanierungserlass, der nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, ist auch in Altfällen nicht anzuwenden.
BFH-Beschluss vom 11.7.2018, XI R 33/16 (veröffentlicht am 8.10.2018)
EStG § 10d Abs. 2, § 3 Nr. 66
KStG § 8 Abs. 1, § 8c
Vorinstanz: FG Köln vom 16.6.2016, 13 K 984/11 (EFG 2016 S. 1756 = SIS 16 22 36)
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahr ... zunächst von drei Gesellschaften gegründete GmbH, an der im Streitjahr (2006) vier Gesellschaften mit jeweils 25 % beteiligt waren. Das Stammkapital betrug zunächst ... €.
Neben dem Gesellschaftsvertrag hatten die drei Gründungsgesellschafter eine Gesellschaftervereinbarung abgeschlossen, wonach sie die Klägerin mit Beträgen von bis zu jeweils ... € als Beitrag oder Darlehen auszustatten hatten, falls diese entsprechenden Kapitalbedarf geltend machte. In der Folge war ein entsprechender Darlehensvertrag über insgesamt ... € geschlossen worden. Der vierte Gesellschafter trat anlässlich seines Eintritts in die Gesellschaft diesem Vertrag bei, so dass seither auf jeden Gesellschafter Darlehen von ... € entfallen sollten.
Im Jahr 2004 wurde das Stammkapital auf ... € erhöht. An der Kapitalerhöhung nahmen alle vier Gesellschafter zu gleichen Teilen teil.
Mit Wirkung zum 1.1.2006 erfolgte eine teilweise Anteilsübertragung, so dass ab diesem Zeitpunkt drei Gesellschafter mit jeweils 28,54 % und ein Gesellschafter mit 14,38 % an der Klägerin beteiligt waren.
...
Auf den 31.12.2005 wurde der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf ... € festgestellt.
Aufgrund der andauernden Verlustsituation kam es nach Aufstellung eines Sanierungsplans im November 2006 zum Abschluss einer Sanierungsvereinbarung, mit der die vier Gesellschafter u.a. auf die Rückzahlung der Gesellschafterdarlehen (einschließlich Zinsen sowie weitere Forderungen aus laufendem Geschäftsverkehr) verzichteten.
Mit Vertrag vom ... 2006 übertrugen die drei anderen Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile zum Preis von jeweils ein oder zwei € auf die A-KG als einzig verbleibender Gesellschafterin. Im Innenverhältnis hielt die alleinige Gesellschafterin 49 % der Gesellschaftsanteile an der Klägerin treuhänderisch für die frühere unmittelbare Gesellschafterin (zu 28,54 %), die B-GmbH. Im Treuhandvertrag erklärte die B-GmbH ihre Bereitschaft, entsprechend ihrer Beteiligung Gesellschafterdarlehen zur Fortführung des Geschäftsbetriebes der Klägerin zur Verfügung zu stellen.
Die Alleingesellschafterin gab außerdem am 29.6.2007 eine Patronatserklärung für die Klägerin ab.
Aufgrund der Sanierungsvereinbarung wies die Klägerin in ihrem Jahresabschluss für 2006 neben einem laufenden Verlust von ... € einen außerordentlichen Ertrag von ... € aus. Die kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen sanken von ... € auf ... €.
Mit Einreichung der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2006 im Februar 2008 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 27.3.2003 IV A 6-S 2140-8/03 (BStBl I 2003, 240; - Sanierungserlass -), die Körperschaftsteuer gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte im Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 23.7.2008 die Körperschaftsteuer auf ... € fest. Es minderte den Gesamtbetrag der Einkünfte lediglich um einen Verlustvortrag in Höhe von ... €, so dass ein Verlustvortrag in Höhe von ... € verblieb. Zugleich forderte es zum Antrag auf abweichende Festsetzung weitere Unterlagen an. Die Körperschaftsteuer wurde später mit Bescheid vom 3.8.2009 aufgrund eines Verlustrücktrags aus dem Jahr 2007 auf ... € herabgesetzt.
Mit Verfügung vom 16.2.2009 lehnte das FA u.a. die abweichende Steuerfestsetzung der Körperschaftsteuer ab. Es führte unter Bezugnahme auf den Sanierungserlass aus, ein steuerlich begünstigter Sanierungsgewinn liege nicht vor.
Das FA wies die Einsprüche gegen die Ablehnung der Anträge auf abweichende Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006 nach § 163 AO mit Einspruchsentscheidung vom 28.2.2011 als unbegründet zurück. Weder lägen die Voraussetzungen des Sanierungserlasses noch sonstige Gesichtspunkte vor, die die begehrte Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen könnten. Insbesondere sei in Bezug auf die sog. Mindestbesteuerung keine Billigkeitsmaßnahme geboten. Ein Absehen von den Verlustabzugsbeschränkungen aus sachlichen Billigkeitsgründen scheide außerhalb der Fälle des Sanierungserlasses aus, da ansonsten die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung, den Verlustabzug zu beschränken, entgegen der gesetzlichen Grundregel und den Wertungen des Gesetzes außer Kraft gesetzt und die Geltungsanordnung des § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterlaufen würde. Eine solche Rechtsfolge dürfe eine Billigkeitsmaßnahme nicht herbeiführen.
Persönliche Billigkeitsgründe seien nicht ersichtlich.
Mit der Klage trug die Klägerin u.a. vor, dass infolge der Anwendung der Regelungen über die Mindestbesteuerung Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer in Höhe von ca. ... € festgesetzt worden seien, die gemäß der Patronatserklärung von ihrer Gesellschafterin zur Verfügung gestellt worden seien. Bei unbeschränkter Verlustverrechnung hätten sich demgegenüber nur Festsetzungen in Höhe von 0 € ergeben.
Nach ihrer Überzeugung liegt eine sachliche Unbilligkeit bei einer Steuerfestsetzung dann vor, wenn das Ergebnis des allgemeinen Gesetzesvollzugs mit der Einzelfallgerechtigkeit nicht mehr vereinbar ist. Im Streitfall seien insbesondere die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Nettoprinzips und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletzt. Die tatsächliche und rechtliche Situation führe zu einer Ermessensreduzierung auf null.
Die Klägerin hat im Laufe des Klageverfahrens betont, dass es im Streitfall nach ihrer Überzeugung um Fragen der sachlichen Unbilligkeit gehe.
Dem Finanzgericht (FG) wurden im Laufe des Klageverfahrens Kopien der Körperschaftsteuerbescheide 2013 und 2014 sowie der Bescheide über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2013 und 2014 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2012 noch ... € betrug. Davon wurden ... € im Jahr 2013 verrechnet und ... € als gemäß § 8c des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) nicht mehr zu berücksichtigender Verlustabzug ausgeschieden. Der danach verbleibende Verlustabzug von ... € wurde mit dem laufenden Gewinn des Jahres 2014 im Umfang von ... € verrechnet. Weitere ... € wurden als nicht mehr zu berücksichtigende Beträge gemäß § 8c KStG ausgeschieden. Der verbleibende Verlustabzug zum 31.12.2014 betrug ... €. Die Klägerin trägt vor, der zukünftigen Verrechnung der Verluste stünde aufgrund von zwischenzeitlichen Anteilsübertragungen § 8c KStG entgegen.
Das FG wies u.a. die Klage wegen Körperschaftsteuer mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1756 veröffentlichten Urteil ab.
Es führte aus, die Klägerin habe u.a. keinen Anspruch auf Verpflichtung des FA zu einer abweichenden Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006. Die angefochtene Ermessensentscheidung erweise sich, soweit das FA die abweichende Festsetzung der Körperschaftsteuer abgelehnt habe, im Rahmen der eingeschränkten Prüfung gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als rechtmäßig.
Eine abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO wegen persönlicher Unbilligkeit werde von der Klägerin nicht begehrt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehe kein Fall der sachlichen Unbilligkeit.
Eine solche ergebe sich zunächst nicht aus dem sog. Sanierungserlass, der im Wesentlichen Gegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gewesen sei.
Soweit die Klägerin ihren Antrag auf Verpflichtung zu einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen auf eine individuelle sachliche Unbilligkeit wegen der im Streitfall durch die Erfassung von (ausschließlich erzielten) Buchgewinnen im Zusammenwirken mit der Einschränkung der Verlustverrechnung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG) ausgelösten, ihres Erachtens konfiskatorischen und erdrosselnden Wirkung der Körperschaftsteuer 2006 stützt, sei die Klage ebenfalls abzuweisen. Es fehle auch insoweit an einer sachlichen Unbilligkeit i.S. des § 163 AO.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren in Bezug auf die Körperschaftsteuer weiter. Sie macht geltend, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die begehrte Billigkeitsmaßnahme gegen gesetzgeberische Grundentscheidungen verstoße. Die Gesetzesmaterialien enthielten keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber die Besteuerung von Buchgewinnen bewusst in Kauf genommen habe; sie deuteten vielmehr darauf hin, dass der Gesetzgeber auf komplizierte und streitanfällige Ausnahmeregelungen im Gesetzeswege bewusst verzichtet und auf Billigkeitsregelungen vertraut habe. Im Streitfall liege in geradezu exemplarischer Weise eine sachliche Unbilligkeit wegen eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestands über die einzelgesetzlichen Wertungen vor. Die Steuerfestsetzung im Einzelfall sei wegen Verstoßes gegen Art. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 3, Art. 3 und Art. 14 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig. Das Ermessen des FA sei deshalb auf null reduziert.
Unabhängig davon liege eine sachliche Unbilligkeit wegen des Verlustuntergangs in den Jahren 2013 und 2014 vor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Ablehnungsbescheids vom 16.2.2009 das FA zu verpflichten, die Körperschaftsteuer 2006 gemäß § 163 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen unter Außerachtlassung der Verlustabzugsbeschränkungen des § 10d EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG unter unbeschränkter Verrechnung des körperschaftsteuerlichen Gesamtbetrags der Einkünfte 2006 mit dem zum 31.12.2005 festgestellten verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer festzusetzen. Mit Schreiben vom 18.5.2018 hat die Klägerin ergänzend beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen oder das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Verfahren 2 BvR 242/17 auszusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die beantragte Billigkeitsmaßnahme hat. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
1. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
a) Die Festsetzung einer Steuer ist aus (im Streitfall allein streitigen) sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4.6.2014 I R 21/13, BFHE 246, 130, BStBl II 2015, 293, Rz 10; BFH-Beschluss vom 12.7.2017 VI R 36/15, BFHE 258, 151, BStBl II 2017, 979). Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteil vom 21.9.2016 I R 65/14, BFH/NV 2017, 267, Rz 24; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 19.2.2015, 9 C 10/14, BVerwGE 151, 255).
b) Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist zwar sowohl im Festsetzungs- als auch im Erhebungsverfahren eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 Satz 1 AO und der Erlass nach § 227 AO voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Der Begriff "unbillig" ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt damit zugleich Inhalt und Grenzen der Ermessensausübung (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Da das in §§ 163 und 227 AO verwendete Merkmal "unbillig" danach ein im gerichtlichen Verfahren überprüfbarer Rechtsbegriff ist, kommt ein dieses Merkmal einschließendes behördliches Ermessen nicht in Betracht (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016 GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 98 ff., 106).
2. Im Ergebnis zutreffend hat das FG angenommen, dass die Klägerin keine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen aufgrund des Sanierungserlasses begehren kann.
Dies ergibt sich allerdings schon daraus, dass der Sanierungserlass nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH (in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt. Dies gilt nach der Folgerechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, auch in Altfällen (vgl. BFH-Urteile vom 23.8.2017 I R 52/14, BFHE 259, 20, BStBl II 2018, 232; X R 38/15, BFHE 259, 28, BStBl II 2018, 236; BFH-Beschlüsse vom 16.4.2018 X B 13/18, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2018, 1283; vom 8.5.2018 VIII B 124/17, BFH/NV 2018, 822; a.A. BMF-Schreiben vom 29.3.2018 IV C 6-S 2140/13/10003, BStBl I 2018, 588).
3. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, die Anwendung der Mindestbesteuerung sei in ihrem atypischen Einzelfall sachlich unbillig, hat das FG zu Recht angenommen, dass keine sachliche Unbilligkeit vorliegt.
a) Der erkennende Senat geht davon aus, dass - anders als das FA möglicherweise meint - auf besondere Gründe des Einzelfalls gestützte Billigkeitsmaßnahmen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 145) auch in Fällen der Mindestbesteuerung durchaus zulässig sind (für die Zulässigkeit von Billigkeitsmaßnahmen auch BFH-Urteile vom 20.9.2012 IV R 36/10, BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498, Rz 57; IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, Rz 21). Eine Billigkeitsmaßnahme kann geboten sein, wenn ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, bei der Steuerfestsetzung im Einzelfall zu Grundrechtsverstößen führt (BVerfG-Beschluss vom 28.2.2017, 1 BvR 1103/15, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 2017, 544, Rz 11, zu § 10a des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -).
b) Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt hingegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile in BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, Rz 21; vom 23.7.2013 VIII R 17/10, BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820, Rz 12; vom 17.12.2013 VII R 8/12, BFHE 244, 184, BFH/NV 2014, 748, Rz 10, 29 f.). Billigkeitsmaßnahmen dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen; Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewusst in Kauf genommen hat, können Billigkeitsmaßnahmen nicht rechtfertigen, sondern sind ggf. durch Korrektur des Gesetzes zu beheben (BVerfG-Beschluss in HFR 2017, 544, Rz 12, zu § 10a GewStG).
c) Vorliegend ist der Umstand, dass der Gewinn der Klägerin auf einem Forderungsverzicht der Gesellschafter beruht, kein atypischer Einzelfall, der ein Absehen von der Mindestbesteuerung wegen sachlicher Unbilligkeit erlaubt.
aa) Nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. € unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 % des 1 Mio. € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).
bb) Die Annahme der Klägerin, der Gesetzgeber sei bei Einführung der Vorschrift der Auffassung gewesen, die Mindestbesteuerung solle nur in bestimmten Fällen gelten, hat weder im Wortlaut noch in der Systematik Niederschlag gefunden.
(1) Vielmehr ist auf der Rechtsfolgenseite des § 10d Abs. 2 EStG eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung nicht vorgesehen (BFH-Beschluss vom 26.2.2014 I R 59/12, BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016, Rz 32 und 41).
(2) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang vorbringt, die Gesetzesmaterialien ließen aus ihrer Sicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber potentielle Problemlagen im Billigkeitswege habe beheben wollen, und in diesem Zusammenhang auf die Gesetzesmaterialien zu § 3 Nr. 66 EStG verweist, können zwar Vorarbeiten für ein Gesetz unterstützend verwertet, die in den Gesetzgebungsmaterialien dokumentierten Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen aber nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden (BVerfG-Beschluss vom 31.3.2016, 2 BvR 1576/13, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report - NVwZ-RR - 2016, 521, Rz 63, m.w.N.). Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend, so wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Urteile vom 21.5.1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, Rz 56; vom 19.3.2013 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, Rz 66; BVerfG-Beschluss in NVwZ-RR 2016, 521, Rz 63; BFH-Urteile vom 30.9.2015 II R 13/14, BFHE 251, 569, BFH/NV 2016, 362, Rz 14; vom 15.6.2016 VI R 54/15, BFHE 254, 319, BStBl II 2016, 1010, Rz 20; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.4.2016 I ZR 198/13, BGHZ 210, 77, Rz 69). Eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Verlusten ist danach nicht zu erkennen.
Unabhängig davon benennt die Klägerin keine konkrete Äußerung der gesetzgebenden Körperschaften, die für eine vom eindeutigen Wortlaut abweichende Auslegung sprechen könnte. Sie deutet die Gesetzesmaterialien lediglich in ihrem Sinne.
(3) Überdies führt das Vorbringen der Klägerin schon deshalb nicht zum Erfolg, weil der Große Senat des BFH (vgl. Beschluss in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 132) entschieden hat, dass es nicht in der Kompetenz der Finanzverwaltung liegt, vermeintlich unschlüssige Gesetzesänderungen durch Billigkeitsmaßnahmen zu korrigieren. Es war und ist vor dem Hintergrund einer beschränkten Verlustverrechnung allein Sache des Gesetzgebers, die Aufhebung von Privilegierungen (wie z.B. von Sanierungsgewinnen) zu überdenken oder - wie von der Klägerin im Ergebnis begehrt - eine Privilegierung von Buchgewinnen neu zu schaffen.
cc) Der Verzicht der Gesellschafter der Klägerin hat auch - entgegen der Auffassung der Klägerin - die Leistungsfähigkeit der Klägerin erhöht, obwohl der Klägerin keine Liquidität zugeflossen ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 114 und 116). Sachliche Billigkeitsgründe sind unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen, auf die die Klägerin abstellt, zu beurteilen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 119). Es liegt deshalb im Fall der Klägerin kein atypischer Ausnahmefall vor, der eine Billigkeitsmaßnahme wegen sachlicher Unbilligkeit rechtfertigte. Die Situation der Klägerin unterscheidet sich nicht von der anderer Steuerpflichtiger, bei denen ein Forderungsverzicht zu einem Gewinn geführt hat, ohne dass ihnen dadurch Liquidität zur Begleichung der Steuer zugeflossen wäre, und für die der Große Senat eine sachliche Unbilligkeit der Besteuerung des Gewinns verneint hat.
dd) Der weitere Vortrag der Klägerin, sie mache (trotz des ausdrücklichen Hinweises auf § 8c KStG) einen definitiven Verlustuntergang in Bezug auf das Jahr 2006 nicht geltend, sondern einen sonstigen atypischen Einzelfall, führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung; denn wenn eine Billigkeitsmaßnahme beim Definitivwerden eines Verlustabzugshindernisses wegen des Eingriffs in den Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG-Urteil in BVerwGE 151, 255, Leitsatz und Rz 16 ff.; BFH-Beschluss in BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016, Rz 38), betrifft dieser Ausschluss einer Billigkeitsentscheidung erst recht die Situation bei fortbestehender Verlustabzugsmöglichkeit (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 267, Rz 29).
ee) Ob § 10d Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG in Fällen nicht liquiditätswirksamer Buchgewinne verfassungswidrig ist, wie die Klägerin in der Revisionsbegründung umfangreich darlegt, ist keine Frage des Billigkeitsverfahrens. Der Fall der Klägerin birgt insofern keine singuläre Atypik, sondern wirft Fragen auf, welche die Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG insgesamt betreffen. Die Entscheidung solcher Fragen obliegt nicht dem FA im Billigkeitsverfahren (vgl. BVerfG-Beschluss vom 11.5.2015, 1 BvR 741/14, HFR 2015, 882, Rz 15).
d) Das bereits im Laufe des Klageverfahrens gegenüber dem FG geltend gemachte weitere Argument der Klägerin, der Verlustvortrag der Klägerin sei aufgrund von § 8c KStG im Jahr 2013 teilweise und im Jahr 2014 im verbleibenden Umfang untergegangen, führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung.
aa) Die Klägerin ist darauf hinzuweisen, dass dies schon deshalb keine Billigkeitsmaßnahme im Streitjahr rechtfertigt, weil dieser definitive Untergang, zu dem das FG indes keine näheren Feststellungen getroffen hat, nach dem Vortrag der Klägerin auf Anteilsübertragungen in den Veranlagungszeiträumen 2013 und 2014 beruht. Insoweit steht es der Klägerin frei, sich dagegen mit Rechtsbehelfen zur Wehr zu setzen, wenn sie den Verlustuntergang für verfassungsrechtlich unzulässig halten sollte (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 29.3.2017, 2 BvL 6/11, BStBl II 2017, 1082; Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 29.8.2017, 2 K 245/17, EFG 2017 S. 1906, Az. des BVerfG: 2 BvL 19/17), oder bezüglich jener Bescheide Billigkeitsmaßnahmen zu beantragen, soweit eine sachliche oder persönliche Unbilligkeit vorliegen sollte. Möglicherweise wird auch der Gesetzgeber zugunsten der Klägerin tätig und ändert § 8c KStG rückwirkend (vgl. § 34 Abs. 6 KStG i.d.F. des Referentenentwurfs eines Jahressteuergesetzes 2018, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de; s. auch BRDrucks 372/18, S. 9, 54 f.).
bb) Ohnehin scheiden aber in Fällen der Mindestbesteuerung Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO zur generellen Vermeidung von Definitiveffekten aus, weil darin eine strukturelle Gesetzeskorrektur läge (vgl. BVerwG-Urteil in BVerwGE 151, 255, Leitsatz und Rz 16 ff.; BFH-Beschluss in BFHE 246, 27, BStBl II 2014, 1016, Rz 38). Soweit die Klägerin dagegen einwendet, dieses Verständnis der Gesetzesmaterialien sei unhaltbar, trifft dies nicht zu (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2017, 544, Rz 15 ff.). Soweit die Klägerin geltend macht, dies widerspreche der Auffassung des IV. Senats des BFH, geht auch der IV. Senat des BFH (Urteil in BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, Rz 21) davon aus, dass eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt. Der IV. Senat des BFH hat im Urteil in BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505 ebenfalls einen Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme verneint, obwohl der dortige Gewinn auf einem Forderungsverzicht beruhte, durch den der dortigen Klägerin keine Liquidität zugeflossen war.
e) Die Frage nach der - von der Klägerin bezüglich § 10d Abs. 2 EStG geltend gemachten - Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes und der auf seiner Grundlage ergangenen Steuerbescheide ist kein Gegenstand des Billigkeitsverfahrens (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2017, 544, Rz 12, zu § 10a GewStG). Im vorliegenden Verfahren wegen abweichender Festsetzung aus Billigkeitsgründen kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. in welchem Umfang der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nach dem Grundsatz der Ausrichtung der Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Festsetzungsverfahren generell die Möglichkeit eines veranlagungszeitraumübergreifenden Verlustabzugs i.S. von § 10d EStG erfordert (ebenso offenlassend BVerfG-Beschluss in BStBl II 2017, 1082, Rz 119). Dies ist im ruhenden Einspruchsverfahren wegen Körperschaftsteuer 2006 zu klären (zu § 8c KStG in den Jahren 2013 und 2014 s. unter II.3.d). Auf die umfangreichen verfassungsrechtlichen Erwägungen der Klägerin zur Mindestbesteuerung (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 6.9.2006 XI R 26/04, BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167, unter B.III., Rz 28 ff., zu § 2 Abs. 3 EStG a.F.) braucht der Senat deshalb nicht weiter einzugehen.
Der seitens der Klägerin in der Revisionsbegründung angesprochenen, nicht erfolgten Aussetzung des Klageverfahrens durch das FG im Hinblick auf die Verfahren 2 BvR 2998/12 oder 2 BvL 19/14 bedurfte es deshalb nicht.
4. Persönliche Billigkeitsgründe hat die Klägerin nicht geltend gemacht.
5. Ein Ruhen des Verfahrens nach § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung scheidet aus, weil ein solches Ruhen übereinstimmende Anträge der Beteiligten voraussetzt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22.6.2012 IX B 52/12, BFH/NV 2012, 1619; vom 9.9.2013 XI B 103/12, BFH/NV 2013, 1923, Rz 19; vom 23.8.2016 V B 32/16, BFH/NV 2016, 1757). Daran fehlt es hier. Das FA hat sich auf die Frage des Senats, ob dem beantragten Ruhen des Verfahrens zugestimmt wird, nicht geäußert.
6. Der Senat setzt das Verfahren auch nicht nach § 74 FGO aus.
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist zwar eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO u.a. dann geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.9.2007 XI B 52/06, BFH/NV 2008, 63, unter 1.a, Rz 4; vom 27.4.2015 III B 127/14, BFHE 249, 519, BStBl II 2015, 901, Rz 7). Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Musterverfahrens ist eine Aussetzung aber nicht geboten (vgl. BFH-Urteile vom 18.8.2015 I R 43/14, BFH/NV 2016, 232, Rz 23; vom 21.2.2018 VI R 11/16, BFHE 260, 507, DStR 2018, 1114, Rz 78, 80).
b) Hiernach ist das Revisionsverfahren nicht auszusetzen. Der Senat hält das Verfahren 2 BvR 242/17 angesichts des BVerfG-Beschlusses in HFR 2017, 544 für aussichtslos.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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