BFH: Minderung des Bruttolohns bei Kindergeldzahlung an den Arbeitgeber im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung
Das im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung an den Arbeitgeber abgetretene und an diesen gezahlte Kindergeld mindert im Jahr der Zahlung den Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers.
EStG § 2 Abs. 6 Satz 3, § 11 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 31 Satz 4, § 32 Abs. 6, § 38 Abs. 2 Satz 1, §§ 62 ff.
BFH-Urteil vom 8.2.2024, VI R 26/21 (veröffentlicht am 10.5.2024)
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 11.11.2021, 14 K 2577/20 E = SIS 22 02 04
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind japanische Staatsbürger und wurden im Streitjahr (2018) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie wohnten im Streitjahr in X und haben zwei Kinder.
Als Angestellter der A Ltd., Japan arbeitete der Kläger im Rahmen einer befristeten Entsendung von Oktober 2017 bis August 2019 für die B GmbH (GmbH) in Y. Hierfür erhielt er sowohl von der japanischen Muttergesellschaft als auch von der GmbH Gehalt. Die Auszahlung erfolgte im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung.
Im Mai 2018 beantragte der Kläger Kindergeld für die beiden Kinder der Eheleute und bestimmte, das Kindergeld solle auf ein Konto einer anderen Person, nämlich der GmbH, überwiesen werden. Die Klägerin erklärte sich damit einverstanden, dass das Kindergeld zugunsten des Klägers festgesetzt wurde. Zusammen mit dem Kindergeldantrag gaben die Kläger eine "Verzichtserklärung" ab, in der sie ihr Einverständnis erklärten, dass das von der Familienkasse zu zahlende Kindergeld nicht an sie ausgezahlt, sondern zugunsten der GmbH verbucht werde. Hintergrund sei, dass die GmbH für sämtliche Lohnsteuern, die im Zusammenhang mit der Entsendung anfielen, eintrete.
Die zuständige Familienkasse setzte Kindergeld ab Januar 2018 fest und zahlte dieses für das Streitjahr in Höhe von 4.656 € antragsgemäß auf ein Konto der GmbH aus.
Die GmbH verbuchte das vereinnahmte Kindergeld in ihrer Finanzbuchhaltung gegen Personalaufwand. Den Bruttoarbeitslohn in Höhe von 336.098 € unterwarf sie dem Lohnsteuerabzug, ohne die Kindergeldzahlungen als negative Einnahmen zu berücksichtigen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten die Kläger einen um das Kindergeld gekürzten Bruttoarbeitslohn in Höhe von 331.442 €.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte eine Kürzung des Bruttoarbeitslohns um das Kindergeld ab. Er berücksichtigte bei der Einkommensteuerfestsetzung unter anderem zwei Kinderfreibeträge und erhöhte die Einkommensteuer um das Kindergeld.
Den Einspruch der Kläger wies das FA als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 759 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Bruttoarbeitslohn des Klägers im Streitjahr um das an die GmbH abgetretene Kindergeld zu kürzen ist.
1. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sämtliche Bezüge und Vorteile, die dem Arbeitnehmer für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Für die Qualifizierung eines Vorteils als Arbeitslohn ist nach ständiger Rechtsprechung maßgebend, ob der Vorteil durch das individuelle Arbeitsverhältnis veranlasst ist, insbesondere ob ihm Entlohnungscharakter zukommt (z.B. Senatsurteile vom 20.05.2010 ‑ VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl II 2010, 1069 und vom 30.06.2011 ‑ VI R 80/10, BFHE 234, 195, BStBl II 2011, 948). Dieser Arbeitslohnbegriff ist auch im Fall einer Nettolohnvereinbarung zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 03.09.2015 ‑ VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II 2016, 31, Rz 10, m.w.N.).
a) Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine Abrede zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses des Inhalts zu verstehen, dass der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt als Nettolohn zahlt, der Arbeitnehmer also den als Nettolohn vereinbarten Betrag ungekürzt durch sämtliche oder bestimmte gesetzliche Abgaben erhält, während sich der Arbeitgeber verpflichtet, die Beträge für den Arbeitnehmer zu tragen (Senatsurteil vom 03.09.2015 ‑ VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II 2016, 31, Rz 11, m.w.N.). Dabei ist der Arbeitgeber aufgrund der Nettolohnvereinbarung gegenüber dem Arbeitnehmer zu einer ungekürzten Auszahlung eines gleichbleibenden Monatsnettolohns verpflichtet (s. Senatsurteile vom 30.07.2009 ‑ VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148 und vom 03.09.2015 ‑ VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II 2016, 31, Rz 19).
b) Bei der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers führt die Nettolohnvereinbarung insbesondere dazu, dass bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben dem Nettolohn diejenigen Vorteile zu erfassen sind, die in der Übernahme von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber liegen (Senatsurteile vom 16.08.1979 ‑ VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979, 771; vom 26.02.1982 ‑ VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403; vom 22.06.1990 ‑ VI R 162/86, BFH/NV 1991, 156 und vom 28.02.1992 ‑ VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733). Deshalb hat der Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung nicht lediglich den Nettolohn, sondern den durch Hochrechnung ermittelten Bruttolohn zu deklarieren. Denn der Arbeitnehmer bleibt auch bei Abschluss einer Nettolohnvereinbarung Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und seiner persönlichen Einkommensteuer (Senatsurteil vom 03.09.2015 ‑ VI R 1/14, BFHE 251, 1, BStBl II 2016, 31, Rz 12).
c) Werden Erstattungsansprüche wegen zu viel gezahlter Lohnsteuer an den Arbeitgeber abgetreten, sind diese in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu berücksichtigen, in dem das Finanzamt den Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber geleistet hat, da zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Einnahmen des Arbeitnehmers nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG an den Arbeitgeber zurückgeflossen sind (Senatsurteil vom 30.07.2009 ‑ VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148, unter II.1.c bb). Durch die Steuererstattung wird die in einer Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- beziehungsweise Steuerüberzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum ausgeglichen. Insoweit fließt dem Steuerpflichtigen jedes Jahr ein Mehr an Einnahmen zu, als arbeitsvertraglich als Jahreslohn geschuldet (Senatsurteil vom 30.07.2009 ‑ VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148, unter II.1.c dd).
2. Nach diesen Maßstäben hat das FG den Bruttoarbeitslohn des Klägers zu Recht um das im Streitjahr an die GmbH geflossene Kindergeld gemindert (ebenso Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 39b Rz 14 und Büchter-Hole, EFG 2022, 761; a.A. Eisgruber in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 19 Rz 78 "Nettolohnvereinbarung").
a) Das Kindergeld dient primär dazu, im laufenden Kalenderjahr einen Einkommensbetrag in Höhe des sächlichen Existenzminimums einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von der Einkommensbesteuerung freizustellen (Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 31 EStG Rz 10 und 30). Es wird als Steuervergütung im laufenden Kalenderjahr gezahlt (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 31.08.2021 ‑ III R 10/20, BFHE 273, 536, BStBl II 2022, 186, Rz 21) und ist als solche Vorauszahlung auf eine mögliche einkommensteuerrechtliche Kinderentlastung (Schmidt/Loschelder, EStG, 42. Aufl., § 31 Rz 9). Entsprechend entfällt die Berücksichtigung der Kinderfreibeträge bei der Erhebung der Lohnsteuer (HHR/Wendl, § 31 EStG Rz 31). Bei der Einkommensteuerveranlagung ist der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums und der weiteren Bedarfsbeträge durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG nicht vollständig bewirkt wird. In diesem Fall ist der Anspruch auf Kindergeld der festzusetzenden Einkommensteuer wieder hinzuzurechnen (§ 2 Abs. 6 Satz 3 EStG und § 31 Satz 4 Halbsatz 1 EStG), weil es sonst zu einer Doppelberücksichtigung des Existenzminimums durch Steuerfreibeträge und Steuervergütung käme. Die Hinzurechnung erfolgt auch dann, wenn das Kindergeld an das Kind selbst oder einen Dritten ausgezahlt wurde (ebenso R 31 Abs. 3 Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 2023).
b) Lässt sich der Arbeitgeber ‑‑wie im Streitfall die GmbH‑‑ nicht nur die spätere Einkommensteuererstattung abtreten, sondern auch das Kindergeld als Vorauszahlung hierauf, ist nicht nur der an diese abgetretene Einkommensteuererstattungsanspruch im Erstattungsjahr durch Abzug vom laufenden (Brutto‑)Arbeitslohn zu berücksichtigen (hierzu Senatsurteil vom 30.07.2009 ‑ VI R 29/06, BFHE 226, 219, BStBl II 2010, 148), sondern auch das an den Arbeitgeber abgetretene und gezahlte Kindergeld.
Denn insoweit wird ebenfalls eine in der Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- beziehungsweise Steuerüberzahlung ausgeglichen. So wurden die Kinder der Kläger im Lohnsteuerabzugsfahren des Streitjahres nicht berücksichtigt. Dies erfolgte vielmehr zunächst durch die Auszahlung des Kindergelds an die GmbH. Die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums und der weiteren Bedarfsbeträge wurde im Streitfall durch das Kindergeld allerdings nicht vollständig bewirkt, so dass bei der Einkommensteuerveranlagung die Kinderfreibeträge abzuziehen waren. Über den Familienleistungsausgleich nach § 31 Satz 4 EStG hat sich das an die GmbH vorab ausgezahlte Kindergeld im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Kläger wiederum unmittelbar mindernd auf die Höhe des Steuererstattungsanspruchs ausgewirkt. Die in Gestalt des monatlich ausgezahlten Kindergelds gewährte Steuervergütung verminderte folglich aufgrund der Hinzurechnung zur tariflichen Einkommensteuer den unter anderem durch die Kinderfreibeträge ausgelösten Erstattungsanspruch. Die durch die Hochrechnung des vereinbarten Nettogehalts strukturell erfolgte Gehalts- beziehungsweise Steuerüberzahlung wurde folglich nicht allein durch die Abtretung des (späteren) Einkommensteuererstattungsanspruchs ausgeglichen, sondern auch durch die Auszahlung des Kindergelds an die GmbH.
c) Über den Zeitpunkt der Berücksichtigung besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit. Der erkennende Senat sieht insoweit deshalb von einer weiteren Begründung ab.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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