BFH: Berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung
Die Lebensführung des Steuerpflichtigen am Beschäftigungsort ist einkommensteuerrechtlich grundsätzlich unerheblich. Die doppelte Haushaltsführung ist deshalb auch dann beruflich veranlasst, wenn der Steuerpflichtige den Zweithaushalt am Beschäftigungsort in einer Wohngemeinschaft einrichtet. Erst wenn sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlagert und die Wohnung dort zum Ort der eigentlichen Haushaltsführung wird, entfällt deren berufliche Veranlassung als Wohnung am Beschäftigungsort.
BFH-Urteil vom 28.3.2012, VI R 25/11 (veröffentlicht am 18.7.2012)
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 30.11.2010, 5 K 1285/07 (EFG 2011 S. 1968 = SIS 11 20 83)
I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung vorliegen.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), in den Streitjahren (2001 bis 2003) zusammen zur Einkommensteuer veranlagte, seit 2009 allerdings geschiedene Eheleute, wohnten in den Streitjahren gemeinsam mit ihren beiden Kindern und den Eltern des Klägers in F. Die Kläger erzielten jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die Kläger machten mit den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung des Klägers geltend. Der Kläger war seit 1998 bei der P GmbH als Arbeitnehmer beschäftigt. Bis Ende 1999 war er wöchentlich an zwei bis drei Werktagen auch leitend in der Niederlassung der P GmbH in D tätig. Nachdem die P GmbH dem Kläger Anfang 2000 die Leitung ihrer Niederlassung in D übertragen hatte, stellte sie ihm zunächst bis Juni 2000 auf ihre Kosten in D auch eine Unterkunft zur Verfügung. Ab Juli 2000 sollte sich der Kläger dann am Beschäftigungsort selbst um eine Unterkunft kümmern.
Nachdem zwischen dem Kläger und einer Frau E, die ebenfalls schon bei einem Unternehmen der P-Gruppe beschäftigt gewesen war, schon seit dem Jahr 1998 eine rein freundschaftliche und kollegiale Verbindung bestanden hatte, mieteten der Kläger und Frau E gemeinsam zum 1.7.2000 in D eine Dreizimmerwohnung. Man wollte dadurch die Mietkosten gering halten und Frau E finanziell unterstützen. Frau E, die sich nach ihrer Scheidung beruflich verändern wollte, war auf ein Angebot des Klägers hin ab August 2000 als Assistentin der Geschäftsleitung in D tätig. Frau E bezog daraufhin mit ihren damals sieben und neun Jahre alten Kindern die Wohnung in D. Der Kläger hatte zunächst die monatliche Miete in Höhe von 2.130 DM getragen, teilweise hatte Frau E ihren Anteil daran dem Kläger überwiesen, teilweise den Anteil mit verauslagten Kosten für Lebensmittel verrechnet.
Der Kläger und Frau E kündigten die Wohnung in D zum 31.7.2001 im Wesentlichen wegen schulischer Probleme der Kinder von Frau E und dem Wunsch, mit den Kindern in einer ländlicheren Umgebung zu wohnen. Der Kläger und Frau E erwarben daraufhin im von D 24 km entfernt gelegenen K jeweils zur Hälfte ein Haus, das sie im August 2001 bezogen und im Jahr 2007 wieder veräußerten.
Die für die Streitjahre jeweils geltend gemachten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung des Klägers ergaben sich insbesondere aus den Mietkosten für die in D gelegene Wohnung sowie für Schuldzinsen, Energiekosten und Grundbesitzabgaben für das Haus in K. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung allerdings zunächst mit unter Nachprüfungsvorbehalt ergangenen Einkommensteuerbescheiden teilweise berücksichtigt hatte, ließ er in den hier streitigen Einkommensteuerbescheiden die Aufwendungen nicht mehr zum Abzug zu.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1968 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Das FA sei zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Kläger am Beschäftigungsort in D zunächst gemeinsam mit der Zeugin E gemietete Wohnung und das nahe des Beschäftigungsortes in K gemeinsam mit der Zeugin E im Jahr 2001 erworbene Haus nicht ausschließlich aus beruflichem Anlass angemietet und gekauft worden seien, sondern dass eine nicht untergeordnete private Mitveranlassung sowohl für die Anmietung der Wohnung als auch den Kauf der Immobilie eine wesentliche Rolle gespielt habe.
Mit der dagegen eingelegten Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 30.11.2010 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2003 vom 2.1.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.2.2007 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit als Kosten doppelter Haushaltsführung weitere Werbungskosten in Höhe von 11.405,06 DM im Jahr 2001, in Höhe von 9.694,20 € im Jahr 2002 und in Höhe von 12.628 € im Jahr 2003 berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im Streitfall tragen die vom FG bisher getroffenen Feststellungen nicht dessen Entscheidung, dass eine Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung ausscheidet. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings noch keine abschließende Beurteilung, ob und in welcher Höhe Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung zu berücksichtigen sind.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 (StÄndG 2003) vom 15.12.2003 (BGBl I 2003, 2645), der nach § 52 Abs. 23b EStG i.d.F. des StÄndG 2003 auch in den Streitjahren anzuwenden ist, gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG liegt eine doppelte Haushaltsführung vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.
Die Errichtung des Zweithaushalts am Beschäftigungsort ist beruflich veranlasst, wenn er der Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG dient. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer den Zweithaushalt begründet, um von dort aus seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dann ist es insoweit auch unerheblich, ob der Arbeitnehmer diesen zweiten Haushalt allein führt oder gemeinsam mit Freunden oder Arbeitskollegen. Das Einkommensteuerrecht sieht insoweit keine weitere Motivforschung für die gewählte Wohnform am Beschäftigungsort vor. So hat der Senat schon in seinen Urteilen in den so genannten Wegverlegungsfällen entschieden, dass durch die Begründung einer doppelten Haushaltsführung zum ohnehin vorhandenen Haupthaushalt ein Zweithaushalt hinzukommt, ohne dass die Motive einer "Aufspaltung" der Haushaltsführung oder der Wahl des Ortes des Haupthausstands über die berufliche Veranlassung der doppelten Haushaltsführung entscheiden (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.3.2009 VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; VI R 58/06, BFHE 224, 413, BStBl II 2009, 1012; VI R 31/08, BFH/NV 2009, 1256). Maßgebend ist vielmehr, ob der zweite Haushalt am Beschäftigungsort konkreten beruflichen Zwecken dient. Dies ist der Fall, wenn der Steuerpflichtige den Zweithaushalt gegründet hatte, um von dort aus seine Arbeitsstätte schnell und unmittelbar aufsuchen zu können. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die doppelte Haushaltsführung beruflich veranlasst.
2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist aufzuheben.
Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die doppelte Haushaltsführung dann beruflich veranlasst ist, wenn am Beschäftigungsort aus beruflichen Gründen eine Zweitwohnung unterhalten wird. Aber solche beruflichen Gründe i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG liegen auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer den zweiten Haushalt am Beschäftigungsort etwa in einer Wohngemeinschaft einrichtet. Es ist dann auch unerheblich, aus welchen Gründen sich der Steuerpflichtige für diese Wohnform entscheidet. Die Wohnform kann reine Zweckgemeinschaft sein oder auch auf persönlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitbewohnern gründen, ohne dass die Wohnung am Beschäftigungsort schon dadurch ihre Qualifikation als aus beruflichen Gründen unterhaltende Zweitwohnung verliert, einerlei, ob zwischen den Mitbewohnern solche Beziehungen schon bestehen oder sich solche erst entwickeln. Denn insoweit ist zu beachten, dass die Lebensführung des Steuerpflichtigen am Beschäftigungsort grundsätzlich unerheblich ist. Erst wenn sich auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen an den Beschäftigungsort verlagert und die Wohnung dort zum Ort der eigentlichen Haushaltsführung wird, entfällt deren berufliche Veranlassung. Die Rechtsauffassung des FG lässt insoweit unbeachtet, dass das Wohnen am Beschäftigungsort ohnehin stets auch von privaten Motiven mitbestimmt ist. Schon die Grundentscheidung, statt täglich zu pendeln eine Wohnung am Beschäftigungsort einzurichten, gründet auf auch privaten Überlegungen. Entsprechendes gilt für die (Aus-)Wahl der Wohnung am Beschäftigungsort, die nach den individuellen Vorlieben des Arbeitnehmers ganz unterschiedliche Zuschnitte und Ausstattungen aufweisen kann. Das Einkommensteuerrecht zieht hier die Grenze zu den privaten Aufwendungen, indem es Fahrtkosten nur begrenzt zum Abzug zulässt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG) und Unterkunftskosten am Beschäftigungsort nicht nach den Vorlieben des Arbeitnehmers, sondern nur im Umfang notwendiger Mehraufwendungen berücksichtigt (BFH-Urteile in BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; in BFHE 224, 413, BStBl II 2009, 1012; jeweils m.w.N.).
Angesichts dessen scheidet der Abzug der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung entgegen der Auffassung des FG hier nicht schon deshalb aus, weil der Kläger den Zweithaushalt am Beschäftigungsort mit einer Berufskollegin in einer Art Wohngemeinschaft führte. Unerheblich ist dabei sowohl der vom FG festgestellte Umstand, dass der Kläger und Frau E freundschaftlich verbunden gewesen waren, als auch, dass der Kläger Frau E finanziell unterstützt hatte, indem er teilweise die auf sie entfallenden Anteile an den Kosten der Wohnung in D und später an denen des Hauses in K getragen hatte. Und es ist auch nichts dazu festgestellt, dass für den Kläger in den Streitjahren die Wohnungen in D und K zum Ort seiner eigentlichen Haushaltsführung wurden, indem er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen dorthin verlagert hätte.
Das FA kann sich für seine gegenteilige Auffassung auch nicht auf das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 31.5.2005 6 K 2444/02 zur Einkommensteuer 2000 berufen, das mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde ablehnenden Beschluss des BFH vom 25.9.2006 VI B 69/05 (BFH/NV 2007, 83) rechtskräftig geworden war. Denn damit ist jedenfalls nicht bindend festgestellt, dass in den Jahren 2001 bis 2003 keine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung vorgelegen hätte.
3. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Denn nach dem Vorbringen des Klägers, zu dem das FG allerdings auf Grundlage seiner Rechtsauffassung bisher nur teilweise Feststellungen getroffen hatte, liegen im Streitfall dem Grunde nach die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vor. Danach hatte der Kläger in den Streitjahren mit Ehefrau, Kindern und seinen Eltern in F gewohnt und dort, am Familienwohnsitz, seinen Haupthausstand. Weiter hatte der Kläger sowohl von der im Jahre 2000 in D angemieteten Wohnung als auch von dem ein Jahr später in K bezogenen Haus jeweils unter der Woche seinen Arbeitsplatz in D aufgesucht, aber die Wochenenden bei der Familie am Familienwohnsitz verbracht. Nach diesem Vorbringen hat eine aus beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung vorgelegen, der Kläger wohnte an seinem Haupthausstand in F bei seiner Familie, die Wohnungen in D und K waren solche am Beschäftigungsort i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG. Denn sie dienten dem Zweck, dass der Kläger seine Arbeitsstätte in D schnell und unmittelbar hatte aufsuchen können und nicht von seinem 120 km entfernt gelegenen Haupthausstand in F täglich nach D pendeln musste.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang die entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob und in welcher Höhe dem Kläger durch die Wohnungen in D und K notwendige Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung entstanden waren und in welcher Höhe sie angesichts der Begrenzung auf einen durchschnittlichen Mietzins einer 60 qm Wohnung zu berücksichtigen sind (BFH-Urteile in BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; vom 9.8.2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, m.w.N.; VI R 23/05, BFHE 218, 376, BStBl II 2009, 722).
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