Mit einem einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 16,7% könnte man das deutsche Umsatzsteuersystem aufkommensneutral transparenter und effizienter gestalten. Das haben Berechnungen des RWI ergeben. Bei der Vereinheitlichung des Steuersatzes würden Geringverdiener zwar durchschnittlich einen etwas größeren Anteil ihres Einkommens als Umsatzsteuer zahlen als im Status quo. Dies könnte jedoch durch eine Anpassung des einkommenssteuerlichen Grundfreibetrags ausgeglichen werden. Gleichzeitig würden einkommensstarke Haushalte nicht länger durch ermäßigte Umsatzsteuersätze subventioniert.
Aktuelle Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) zeigen, dass es ökonomisch sinnvoll ist, den ermäßigten Umsatzsteuersatz vollständig abzuschaffen und gleichzeitig den Regelsatz aufkommensneutral zu senken. Das für die Berechnungen auf Grundlage des Rechtsstands aus dem Jahr 2012 simulierte Aufkommen der Umsatzsteuer, die in Deutschland auch unter dem Namen „Mehrwertsteuer“ bekannt ist, betrug knapp 195 Milliarden Euro. Bei aufkommensneutraler Abschaffung der Ermäßigungstatbestände würde sich daraus ein neuer einheitlicher Umsatzsteuersatz von 16,7% ergeben.
Die regressive Wirkung der Umsatzsteuer, also der Effekt, dass mit steigendem Haushaltseinkommen ein geringerer Anteil des Einkommens als Steuer gezahlt wird, bliebe bei einem einheitlichen Steuersatz bestehen. Die Belastung der einkommensschwächsten Gruppen würde dabei 16,4% des Haushaltsnettoeinkommens betragen, während sie bei der einkommensstärksten Gruppe mit 7,5% zu Buche schlagen würde. Dies entspricht einer Mehrbelastung von Haushalten mit den niedrigsten Einkommen gegenüber dem Status quo um 70 Euro im Jahr bzw. um 0,7%-Punkte.
Dieser moderate Anstieg bei Einführung eines einheitlichen Steuersatzes rechtfertigt jedoch keine Beibehaltung der zurzeit tatsächlich stattfindenden Subventionierung der nicht-bedürftigen Haushalte durch den ermäßigten Umsatzsteuersatz. Die zusätzliche Belastung einkommensschwacher Haushalte könnte zudem durch eine Anhebung des einkommenssteuerlichen Grundfreibetrags ausgeglichen werden.
Bisherige Mehrwertsteuer-Regelung ist kompliziert und nicht nachvollziehbar
Schnittblumen ja, Mineralwasser nein – was aktuell im deutschen Umsatzsteuerrecht als „Gut des täglichen Bedarfs“ eingestuft wird, ist selbst bei näherer Betrachtung nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt die unterschiedliche Besteuerung von vermeintlich gleichen Gütern oder Leistungen: Verspeist ein Gast eine Currywurst an einem Tisch sitzend, unterliegt das Nahrungsmittel dem Regelsatz von 19% Umsatzsteuer. Nimmt der Kunde seine Mahlzeit hingegen im Stehen ein, werden nur 7% Mehrwertsteuer fällig.
Das ursprüngliche Ziel, vor allem Geringverdiener durch eine geringere Besteuerung von Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs zu entlasten, wird dabei in der heutigen komplizierten Ausgestaltung nicht erreicht: Die Steuerbelastung durch die Mehrwertsteuer – gemessen in Prozent des Haushaltsnettoeinkommens – beträgt in der einkommensschwächsten Gruppe 15,7%, während die einkommensstärkste Gruppe für ihren Verbrauch nur Umsatzsteuer in Höhe von 7,4% des Einkommens zahlt.
Umsatzsteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des Staates
Die Umsatzsteuer gehört in Deutschland zu den wichtigsten Einnahmequellen des Staates. Im Jahr 2012 steuerte sie knapp ein Drittel zum Gesamtsteueraufkommen bei. Sie fällt immer dann an, wenn Unternehmen im Inland Dienstleistungen erbringen oder Waren veräußern. Steuerschuldner sind die Unternehmen, die Steuerlast trägt jedoch der Endverbraucher. Neben dem regulären Umsatzsteuersatz von derzeit 19% gibt es eine Reihe von Dienstleistungen und Waren, die einem ermäßigten Steuersatz von 7% unterliegen oder sogar ganz von der Umsatzsteuer befreit sind.
Datengrundlage für die Berechnungen mit dem USt-Mikrosimulationsmodell des RWI ist eine 80%-Unterstichprobe der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008. Die EVS ist eine Befragung von 0,2% aller in Deutschland lebenden privaten Haushalte, die u.a. detaillierte Informationen über die Einnahmen- und Ausgabenstruktur sowie über die Vermögenssituation der Befragten liefert.
Dieser Pressemitteilung liegt die RWI Position #61 „Warum warten? Plädoyer für eine Umsatzsteuerreform“ vom 10. September 2014 zugrunde.
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