BFH: Differenzbesteuerung für Kunstgegenstände; innergemeinschaftlicher Erwerb der Kunstgegenstände; Berechnung der Marge; kein Abzug der Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb
Bei der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG mindert die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Umsatzsteuer nicht die Bemessungsgrundlage, obwohl dies der Systematik und dem Zweck der Regelung widerspricht (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565 = SIS 23 11 43).
MwStSystRL Art. 312, Art. 315, Art. 317 Abs. 1
UStG § 25a Abs. 3 Satz 3, § 25a Abs. 7
AO § 163
BFH-Urteil vom 22.11.2023, XI R 22/23 (XI R 2/20) (veröffentlicht am 28.3.2024)
Vorinstanz: FG Münster vom 7.11.2019, 5 K 177/16 U = SIS 19 21 73
I. Streitig ist, ob bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die vom Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zuvor von den Künstlern innergemeinschaftlich erworben wurden, die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb die zu besteuernde Handelsspanne (Marge) mindert.
Der Kläger ist Kunsthändler. Er betreibt Galerien in mehreren deutschen Städten. Im Laufe des Jahres 2014 (Streitjahr) bezog er auch Kunstgegenstände von Künstlern, die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren. Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Der Kläger versteuerte die innergemeinschaftlichen Erwerbe gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit dem ermäßigten Steuersatz.
Mit einem Einspruch gegen einen geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 machte der Kläger geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG, wonach die Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferung eines Gegenstands findet, den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben hat, wenn auf die Lieferung des Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen im übrigen Gemeinschaftsgebiet angewendet worden ist, unionsrechtswidrig sei. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.12.2015 wies der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Einspruch als unbegründet zurück.
In der am 17.12.2015 beim FA eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr erfasste der Kläger die streitbefangenen Umsätze unter Anwendung der Differenzbesteuerung. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag zu seinen Gunsten.
Später revidierte das FA die Anwendung der Differenzbesteuerung. Im nachfolgenden Klageverfahren machte der Kläger wiederum geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG nicht unionsrechtskonform sei. Er berief sich auf die unmittelbare Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie ‑‑MwStSystRL‑‑).
Mit Beschluss vom 11.05.2017 ‑ 5 K 177/16 U (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2017, 1222) hatte das Finanzgericht (FG) Münster dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"1. Ist Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL dahingehend auszulegen, dass steuerpflichtige Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung auch auf die Lieferung von Kunstgegenständen anwenden können, die ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolger, bei denen es sich nicht um Personen i.S.v. Art. 314 MwStSystRL handelt, innergemeinschaftlich geliefert wurden?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfordert es Art. 322 Buchst. b MwStSystRL, dem Wiederkäufer das Recht auf Vorsteuerabzug aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb der Kunstgegenstände zu versagen, auch wenn es keine nationale Vorschrift gibt, die eine entsprechende Regelung enthält?"
Der EuGH hat mit seinem Urteil Mensing vom 29.11.2018 ‑ C‑264/17, EU:C:2018:968 über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden und die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:
"1. Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer für die Anwendung der Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen optieren kann, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern erworben hat, obwohl diese nicht zu den in Art. 314 der Richtlinie aufgeführten Personengruppen gehören.
2. Ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer kann nicht sowohl für die Anwendung der in Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG vorgesehenen Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung erworben hat, optieren als auch in Fällen, in denen ein Vorsteuerabzug nach Art. 322 Buchst. b der Richtlinie, der nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, ausgeschlossen ist, Anspruch auf einen solchen Abzug erheben."
Das FG Münster gab daraufhin der Klage statt (Urteil vom 07.11.2019 ‑ 5 K 177/16 U, EFG 2020, 408). Nach dem im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil Mensing vom 29.11.2018 ‑ C‑264/17, EU:C:2018:968 müsse die Differenzbesteuerung auf die streitbefangenen Umsätze angewandt werden und sei die die innergemeinschaftlichen Erwerbe betreffende Steuer margenmindernd als Bestandteil der Einkaufspreise zu berücksichtigen. Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage folge dem Unionsrecht; den Regelungen des Art. 317 Satz 1 i.V.m. Art. 316, 315 und 312 MwStSystRL sei zu entnehmen, dass zum Einkaufspreis bei der Margenbesteuerung auch die Umsatzsteuer gehöre.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es bringt im Kern vor, die Umsatzsteuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb mindere die zu besteuernde Marge nicht.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil des FG Münster vom 07.11.2019 ‑ 5 K 177/16 U aufzuheben und die Klage als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der erkennende Senat hat das Verfahren ausgesetzt und mit Beschluss vom 20.10.2021 ‑ XI R 2/20 (BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503) dem EuGH folgende Rechtsfragen zur Auslegung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"1. Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen sich ein Steuerpflichtiger aufgrund des EuGH-Urteils Mensing vom 29.11.2018 ‑ C‑264/17 (EU:C:2018:968) darauf beruft, dass auch die Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) erworben hat, unter die Differenzbesteuerung der Art. 311 ff. MwStSystRL fällt, nach Rz 49 dieses Urteils die Bemessungsgrundlage ausschließlich nach Unionsrecht zu bestimmen, so dass die Auslegung einer Vorschrift des nationalen Rechts (hier: § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG), dass die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer nicht zur Bemessungsgrundlage gehört, durch das letztinstanzliche nationale Gericht nicht zulässig ist?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Sind die Art. 311 ff. MwStSystRL dahingehend zu verstehen, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) innergemeinschaftlich erworben wurden, die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer die Handelsspanne (Marge) mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige Lücke des Unionsrechts vor, die nicht von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung, sondern nur vom Richtliniengeber geschlossen werden darf?"
Der EuGH hat darauf mit Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565 nur geantwortet:
"Die Art. 312 und 315 sowie Art. 317 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer, die ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat, dessen spätere Lieferung der Differenzbesteuerung nach Art. 316 Abs. 1 dieser Richtlinie unterliegt, Teil der Steuerbemessungsgrundlage dieser Lieferung ist."
Der Senat hat anschließend das Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen XI R 22/23 (XI R 2/20) fortgesetzt.
Das FA sieht sich durch das EuGH-Urteil in seiner Rechtsauffassung bestätigt.
Der Kläger trägt vor, dass der EuGH nur die Frage 2 im Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) beantwortet habe, die allerdings unter der Bedingung gestellt worden sei, dass der EuGH die Frage 1 bejaht hat. Die Frage 1 sei unbeantwortet geblieben, so dass es nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mensing II nicht unzulässig sei, dass der BFH seine Entscheidung im anhängigen Verfahren nach dem für den Kläger günstigeren nationalen Recht treffe. Nach § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG gehöre die beim Vorerwerb gezahlte Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage. Das deutsche Recht ermögliche daher, einen Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip und systematischen Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Des Weiteren teilt er mit, dass im Falle des Misserfolgs der Klage nur der Weg bleibe, sein Begehren im Wege eines Antrags auf eine Billigkeitsentscheidung des FA nach §§ 163, 227 AO zu verfolgen.
Mit Schreiben vom 27.12.2022 hat das FA mitgeteilt, dass es den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr durch Änderungsbescheid vom 18.11.2022 geändert habe. Mit dem beiliegenden Umsatzsteuerbescheid wurde die festgesetzte Umsatzsteuer für 2014 erheblich erhöht. Die Änderungen sind nach den Erläuterungen zu dem Bescheid Folge einer Betriebsprüfung. Die Beteiligten haben sich dazu nicht weiter geäußert und der Kläger hat seinen Antrag nicht an den neuen Bescheid angepasst.
II. Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG (§ 127 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Es ist nicht auszuschließen, dass sich aufgrund des Änderungsbescheids im Streitfall tatsächliche oder rechtliche Fragen stellen, die bisher nicht geklärt sind.
1. An die Stelle des angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheids vom 20.04.2016, über den das FG entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 18.11.2022 getreten, der nach § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist. Da dem Urteil des FG ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (vgl. BFH-Urteile vom 21.01.2015 ‑ XI R 12/14, BFH/NV 2015, 957; vom 16.06.2015 ‑ XI R 18/13, BFH/NV 2015, 1607).
2. Von der Zurückverweisung kann zwar abgesehen werden, wenn der neue Bescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder die Änderung unstreitig ist, weshalb die Entscheidung nicht von weiteren, bisher nicht getroffenen Tatsachenfeststellungen abhängig sein kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21.01.2015 ‑ XI R 12/14, BFH/NV 2015, 957, Rz 28). Davon kann jedoch vorliegend mangels Angaben der Beteiligten zum Änderungsbescheid nicht ausgegangen werden, so dass eine Zurückverweisung geboten erscheint (vgl. BFH-Urteile vom 24.02.2021 ‑ XI R 30/20 (XI R 11/17), BFHE 272, 259, BStBl II 2023, 792, Rz 45; vom 20.10.2021 ‑ XI R 24/20, BFH/NV 2022, 620, Rz 26).
III. Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass nach dem EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565 die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer (systemwidrig) zur Bemessungsgrundlage der Umsätze im Rahmen der Differenzbesteuerung gehört.
1. Der nationale Gesetzgeber hat mit § 25a UStG eine Regelung getroffen, die nicht mit Unionsrecht vereinbar ist. Die Nichtanwendung der Differenzbesteuerung auf innergemeinschaftliche Lieferungen an einen inländischen Wiederverkäufer ist unionsrechtswidrig. Der Senat verweist dazu zur Vermeidung von Wiederholungen auf den BFH-Beschluss vom 20.10.2021 ‑ XI R 2/20 (BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503, Rz 22 ff.). Der Kläger darf daher die Differenzbesteuerung in Anspruch nehmen, was zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig ist.
2. Die vom Kläger auf den innergemeinschaftlichen Erwerb gezahlte Steuer ist aber nach dem EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565 Teil der Marge.
a) Hierzu führt der EuGH in seiner Entscheidung Mensing II, EU:C:2023:565, Rz 28 bis 30 aus:
(Rz 28) "Insbesondere für den Begriff 'Einkaufspreis' ergibt sich daher, dass dieser nicht diejenigen Kostenbestandteile umfasst, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer nicht an den Lieferer, sondern an Dritte gezahlt hat, so dass dieser Einkaufspreis nicht die Mehrwertsteuer umfasst, die an den Fiskus für den innergemeinschaftlichen Erwerb des Gegenstands entrichtet wurde, auf den sich der in Rede stehende spätere Lieferumsatz bezieht.
(Rz 29) Zweitens ist, was die Höhe der auf die Handelsspanne als solche erhobenen Mehrwertsteuer ‑ die gemäß Art. 315 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie und entsprechend Rn. 24 des vorliegenden Urteils von der durch den steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielten Differenz (Handelsspanne) abzuziehen ist ‑ anbelangt, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Mehrwertsteuer, wie von der deutschen Regierung und auch vom Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt, um die Steuer handelt, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den von ihm getätigten Verkauf des Kunstgegenstands zu entrichten hat. Dagegen umfasst diese Mehrwertsteuer nicht die vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb des Kunstgegenstands entrichtete Steuer, die sich auf den Preis für den Erwerb dieses Gegenstandes bezieht.
(Rz 30) Angesichts des Wortlauts der Art. 312 und 315 sowie des Art. 317 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist daher die Mehrwertsteuer, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat, der später unter Anwendung der Differenzbesteuerung geliefert wird, kein Bestandteil des Einkaufspreises dieses Gegenstands im Sinne von Art. 312 Nr. 2 dieser Richtlinie, so dass kein Anlass besteht, den Betrag dieser Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage jener späteren Lieferung auszunehmen."
b) Soweit dieses Ergebnis nach Auffassung des Klägers, der Europäischen Kommission und dem EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565, Rz 31 f. weder mit den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zielen noch mit ihrem Regelungszusammenhang vereinbar ist, hält der EuGH eine Abweichung vom klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Richtlinie nicht für zulässig (EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565, Rz 40), so dass ein Eingreifen des Unionsgesetzgebers erforderlich sei (EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565, Rz 35).
c) Ausgehend von dieser unionsrechtlichen Beurteilung, an die der Senat gebunden ist, kommt eine Anwendung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG, der nach Auffassung des Senats einen Ausschluss der Berücksichtigung der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallenden Steuer im Wege unionsrechtskonformer Auslegung (BFH-Beschluss vom 20.10.2021 ‑ XI R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503, Rz 28) an sich erlauben würde, nicht in Betracht. Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.04.1987 ‑ 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, unter B.2.c cc; BFH-Beschluss vom 29.03.2022 ‑ XI B 72/21, BFH/NV 2022, 923, Rz 6) führt dazu, dass der Senat die Auslegung wählen muss, die der Richtlinie (in der vom EuGH entschiedenen Auslegung) entspricht. Daher gehört auch im nationalen Recht die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer zur Bemessungsgrundlage.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Handelsspanne der Differenzbesteuerung zu unterwerfen ist.
a) Der Senat kann nicht feststellen, in welcher Höhe für die innergemeinschaftlichen Erwerbe zwischen den Beteiligten Steuern entstanden sind. Zwar weist die Vorinstanz darauf hin, dass sich die nicht abziehbare Umsatzsteuer aus den innergemeinschaftlichen Erwerben unstreitig auf 59.243,14 € belaufe (s. Urteilsgründe S. 7). Diese zu berücksichtigende Umsatzsteuer wird aber in der Einspruchsentscheidung mit 60.148,63 € bemessen (s. Bl. 4 der FG-Akte).
b) Durch die Zurückverweisung hat der Kläger die Möglichkeit, bei jedem einzelnen Liefervorgang auf die Differenzbesteuerung zu verzichten (§ 25a Abs. 8 Satz 1 UStG). Dieser Verzicht kann nach herrschender Auffassung bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklärt werden (s. z.B. Abschn. 25a.1 Abs. 21 Satz 2 i.V.m. Satz 4 und Abschn. 9.1 Abs. 3 und 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses; Rauch in Offerhaus/Söhn/Lange, § 25a UStG Rz 47a; Bunjes/Brandl, UStG, 22. Aufl., § 25a Rz 56; Langer, eKomm, § 25a UStG Rz 100 (Stand 07.09.2023); vgl. auch BFH-Urteil vom 11.12.1997 ‑ V R 50/94, BFHE 185, 82, BStBl II 1998, 420, zu § 23 UStG a.F.). Auf die Bindungswirkung des § 25a Abs. 2 Satz 2 UStG hat der Verzicht dabei keine Auswirkung (Grebe in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 25a Rz 67).
4. Billigkeitsmaßnahmen sind nicht Verfahrensgegenstand. Der Senat weist gleichwohl ohne Bindungswirkung darauf hin, dass eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, zwar nach nationalem Recht keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 07.10.2010 ‑ V R 17/09, BFH/NV 2011, 865; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.2016 ‑ GrS 1/15, BFHE 255, 482, BStBl II 2017, 393, Rz 129); der EuGH scheint indes einen Anspruch auf Billigkeitsmaßnahmen auch in solchen Situationen für möglich zu halten (vgl. zum Direktanspruch zuletzt EuGH-Urteil Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, zu §§ 163, 227 AO). Im Streitfall könnte daher ein Teilerlass aus sachlichen Billigkeitsgründen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung im Sinne einer "Steuer auf die Erwerbsteuer" (vgl. BFH-Beschluss vom 20.10.2021 ‑ XI R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503, Rz 36) ermessensgerecht sein; denn die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb aus der Bemessungsgrundlage herauszurechnen (und dadurch die Veräußerung quasi in dieser Höhe nicht zu besteuern), entspricht sowohl der Systematik der Differenzbesteuerung als auch dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität (vgl. EuGH-Urteil Bakcsi vom 08.03.2001 ‑ C‑415/98, EU:C:2001:136, Rz 44 und 46 f.; Mensing II vom 13.07.2023 ‑ C‑180/22, EU:C:2023:565, Rz 32 und 35; BFH-Beschluss vom 20.10.2021 ‑ XI R 2/20, BFHE 274, 330, BStBl II 2022, 503, Rz 36 und 38).
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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