BFH: Korrektur einer jahresübergreifenden Umsatzverlagerung
Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem ‑‑im Hinblick auf eine für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene Festsetzungsverjährung‑‑ eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht.
UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 20 Satz 3
AO § 164 Abs. 2, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 174 Abs. 4, § 177 Abs. 1
BFH-Urteil vom 29.8.2024, V R 19/22 (veröffentlicht am 21.11.2024)
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 1.9.2022, 2 K 112/19
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, führte in ihrer Werkstatt Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X (X) durch, die X ‑‑nach Ausführung der Reparatur‑‑ im Rahmen von "Gewährleistungen" vergütete. Die Klägerin, die ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten berechnete, verbuchte ihre Ansprüche gegen X für die im Rahmen von "Gewährleistungen" zu vergütenden Reparaturleistungen auf "Vergütungskonten". Der Saldo auf diesem "Vergütungskonto" belief sich am Ende des Jahres 2012 auf 32.518,58 €, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen nicht bereits in 2012 versteuerte, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2013 (Streitjahr). Zum Ablauf des Streitjahrs ergab sich ein Vergütungssaldo von 102.642,67 €, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen wiederum nicht im Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2014 versteuerte.
Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015, bei der die von der Klägerin erst mit der Vereinnahmung vorgenommene Versteuerung beanstandet wurde, hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) für die Umsatzsteuer-Jahresbescheide des Prüfungszeitraums den Vorbehalt der Nachprüfung auf, erhöhte aber lediglich für den Besteuerungszeitraum 2015 die Bemessungsgrundlage der mit dem allgemeinen Steuersatz zu besteuernden Umsätze um den zum Jahresende 2015 bestehenden Vergütungssaldo.
Mit ihren nur gegen die Änderungsbescheide betreffend die Umsatzsteuerfestsetzungen 2014 und 2015 gerichteten Einsprüchen begehrte die Klägerin zur Umsatzsteuer 2014 eine Berücksichtigung des jeweiligen Vergütungssaldos für 2013 und 2014 im Jahr der Leistungserbringung sowie zur Umsatzsteuer 2015 ‑‑neben der im Bescheid bereits erfolgten Erhöhung der Bemessungsgrundlage um den Vergütungssaldo 2015‑‑ eine korrespondierende Berücksichtigung des Vergütungssaldos 2014 zu ihren Gunsten. In der Folge half das FA nicht nur diesen Einsprüchen ab, sondern erhöhte mit Bescheid vom 16.01.2018 unter Bezugnahme auf § 174 der Abgabenordnung (AO) gleichzeitig von Amts wegen die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013 in Höhe von 102.642,67 €.
Bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 beantragte die Klägerin am 19.01.2018 unter Bezugnahme auf § 177 Abs. 1 AO, die Festsetzung zu ändern und die Bemessungsgrundlage ‑‑korrespondierend zu der vorgenommenen Erhöhung‑‑ um den seinerzeit im Rahmen der Umsatzsteuererklärung 2013 erklärten und noch in dem Änderungsbescheid 2013 enthaltenen Vergütungssaldo 2012 in Höhe von 32.518,58 € zu mindern. Diesen Antrag lehnte das FA ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch zurück.
Auch die Klage zum Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG steht der Klägerin kein Anspruch auf Minderung der für das Streitjahr festgesetzten Steuer um die sich aus dem Vergütungssaldo 2012 ergebende Steuer zu. Zwar sei die Steuer für die Leistungen, auf die sich der Vergütungssaldo 2012 beziehe, bereits im Jahr 2012 entstanden. Die Erfassung dieser Umsätze im Folgejahr sei jedoch gleichwohl nicht rechtswidrig. Da die Klägerin durch die jahrelange faktische Inanspruchnahme der Istbesteuerung Liquiditätsvorteile erlangt habe, sei sie so zu behandeln, als sei ihr ‑‑insoweit‑‑ die Istbesteuerung bewilligt worden. Bei der Rückabwicklung der faktischen Istbesteuerung sei so zu verfahren wie beim Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung, für den § 20 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verlange, dass kein Umsatz unversteuert bleiben dürfe. Dies wäre jedoch bei der begehrten Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 der Fall, weil die korrespondierende Erhöhung der Umsatzsteuer 2012 wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei. Die rückwirkende Anwendung der Sollbesteuerung müsse dort enden, wo die Bestandskraft einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung entgegenstehe. Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide bereits deshalb aus, weil der Änderungsbescheid vom 16.01.2018 erhöhte Bestandskraft genieße (§ 173 Abs. 2 Satz 1 AO). Der von der Klägerin angeführte § 177 Abs. 1 AO sei keine eigenständige Anspruchsgrundlage.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 AO, der bei jeder Änderung gemäß §§ 172 ff. AO berücksichtigt werden müsse, seien erfüllt. Zu Unrecht habe das FG § 20 Satz 3 UStG analog angewendet. Dieses habe rechtsfehlerhaft eine ‑‑tatsächlich nicht bestehende‑‑ planwidrige Regelungslücke angenommen, um die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 zugunsten der Klägerin abzuwenden, weil die korrespondierende Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2012 zu ihren Lasten wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sei. Dies sei jedoch eine vom Gesetz gewollte Folge, die nicht durch die analoge Anwendung von § 20 Satz 3 UStG konterkariert werden dürfe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG sowie den Ablehnungsbescheid vom 05.04.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.03.2019 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.01.2018 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 6.178,53 € auf 521.739,25 € herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der auf § 174 AO gestützte Änderungsbescheid vom 16.01.2018 könne wegen seiner Bestandskraft nicht erneut gemäß § 172 AO geändert werden. Da der Änderungsbescheid zur Umsetzung der Ergebnisse der Außenprüfung geändert wurde, sei eine Änderung außerdem nur im Rahmen von § 173 Abs. 2 AO möglich. Im Übrigen sei § 177 AO auf die vorliegende Folgeänderung nicht anwendbar. Eine Regelungslücke bestehe, weil das Gesetz nicht regele, wie die jahresübergreifende Umsatzverschiebung korrigiert werden müsse. Der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Neutralität der Umsatzsteuer sprächen gegen die beantragte Änderung.
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem ‑‑im Hinblick auf eine für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene Festsetzungsverjährung‑‑ eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht.
1. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Damit kommt es bei dieser Art der ‑‑auch als Sollbesteuerung bezeichneten‑‑ Steuerentstehung im Gegensatz zur Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG), bei der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (Istbesteuerung), auf die Leistungsausführung, nicht aber auf die Entgeltvereinnahmung an.
Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass im Rahmen der Sollbesteuerung das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt wird, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, da § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG hierfür anordnet, dass die Steuer insoweit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist, entsteht. Folgt demgegenüber die Entgeltvereinnahmung der Leistungserbringung nach, entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung.
2. Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass von der sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG ergebenden Rechtslage im Rahmen einer Analogie zu § 20 Satz 3 UStG, wonach bei einem Wechsel der Art der Steuerberechnung Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben dürfen, abgewichen werden kann.
a) Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.02.2007 ‑ II R 66/05, BFHE 217, 176, BStBl II 2007, 621, unter II.1.d aa; vom 26.08.2021 ‑ V R 11/20, BFHE 273, 415, BStBl II 2022, 202, Rz 25; vom 11.07.2023 ‑ X R 17/22, BFHE 281, 9, Rz 27; vom 26.09.2023 ‑ IX R 19/21, BFHE 281, 514, BStBl II 2024, 43, Rz 32 f.). Zudem müssen der vom Gesetzgeber geregelte und der nicht geregelte Fall durch eine vergleichbare Interessenlage gekennzeichnet sein. Eine planwidrige Regelungslücke ist nur gegeben, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig und somit ergänzungsbedürftig ist und seine Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH-Urteil vom 11.07.2023 ‑ X R 17/22, BFHE 281, 9, Rz 27). Im Übrigen kommt eine analoge Anwendung einer Vorschrift nur in Betracht, wenn die für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt anwendbar ist (BFH-Urteil vom 30.07.2019 ‑ VIII R 21/16, BFHE 266, 97, BStBl II 2021, 171, Rz 25).
b) Danach kommt eine Analogie nicht in Betracht.
aa) Es fehlt bereits an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Die Korrektur einer im Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden zeitlichen Zuordnung von Umsätzen erfolgt auf der Grundlage der Änderungsvorschriften der § 164 Abs. 2, § 172 ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen.
Dabei ist der hier vorliegende Fall, dass aus einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch § 174 Abs. 4 AO geregelt. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können danach aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies auch dann gilt, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO). Zudem ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). War allerdings die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO nur unter den Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO.
Damit liegt eine gesetzliche Regelung für die hier zu beurteilende Fallgestaltung vor. Denn im Streitfall hat das FA aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25.10.2016 ‑ X R 31/14, BFHE 255, 399, BStBl II 2017, 287, Rz 15 ff.) eines bestimmten Sachverhalts (Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst bei Vereinnahmung des Entgelts im Streitjahr) den hier streitgegenständlichen Steuerbescheid erlassen, der aufgrund des von der Klägerin gestellten Antrags zu ihren Gunsten geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012 ausgeführten Leistungen im Streitjahr). Daher können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids für 2012 die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs. 4 Satz 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte. Fehlt es danach bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, ist es im Übrigen unerheblich, ob die Anwendung von § 174 Abs. 4 AO im Streitjahr eine Folgeänderung für 2012 ermöglicht oder ob dies an den Besonderheiten des Streitfalls scheitert, zum Beispiel im Hinblick auf eine nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO bereits abgelaufene Festsetzungsfrist, und die deshalb zu erfüllenden Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer Regelungslücke auch nicht damit begründet werden kann, dass eine Korrektur im Einzelfall an einer bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung scheitert. Denn die Verjährungsvorschriften dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden (BFH-Urteile vom 15.06.1988 ‑ I R 68/86, BFH/NV 1990, 128, unter 2.; vom 31.01.1989 ‑ VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442, unter II.3.b; vom 26.02.2008 ‑ VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659, unter II.3.a bb), und zwar in gleicher Weise im Interesse der Steuerpflichtigen als auch im Interesse der Allgemeinheit an einem geordneten Arbeitsablauf bei der Finanzverwaltung. Dieser wäre gestört, wenn Steuerbescheide, die sich nachträglich als unrichtig erweisen, ohne zeitliche Begrenzung zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen geändert werden müssten (BFH-Urteile vom 19.08.1999 ‑ III R 57/98, BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330; vom 27.11.2013 ‑ II R 57/11, BFHE 243, 313, BStBl II 2016, 506, Rz 27).
Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, führt selbst der Grundsatz von Treu und Glauben nicht dazu, dass ein erloschener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder entsteht (BFH-Urteil vom 22.01.2013 ‑ IX R 1/12, BFHE 239, 385, BStBl II 2013, 663, Rz 21). Dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung vorwerfbar ist oder nicht (BFH-Urteil vom 11.11.2020 ‑ XI R 11/18, BFHE 271, 41, BStBl II 2021, 415, Rz 32). Auch aus diesem Grund kommt es nicht in Betracht, im Hinblick auf eine ‑‑vom FG ohne nähere Prüfung unterstellte‑‑ Unmöglichkeit einer Folgekorrektur für 2012 zulasten der Klägerin eine Auslegung des materiellen Rechts dergestalt zu bejahen, dass ein dem materiellen Recht entsprechender Änderungsanspruch des Steuerpflichtigen abgelehnt wird.
bb) Zudem fehlt es auch am Erfordernis einer vergleichbaren Interessenlage. Denn § 20 Satz 3 UStG bezieht sich auf einen rechtlichen Wechsel der Besteuerungsart von der Soll- zur Istbesteuerung oder umgekehrt. Damit nicht vergleichbar ist der hier vorliegende Fall, dass der Unternehmer einzelne seiner Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungsausführung, sondern rechtsfehlerhaft erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung versteuert. Würde § 20 Satz 3 UStG auch auf eine tatsächlich rechtsfehlerhafte Versteuerung angewendet, würde damit die für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung nicht auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt angewendet.
3. Die Sache ist spruchreif. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 Alternative 2 AO, wonach ein Steuerbescheid, soweit er ‑‑wie vorliegend‑‑ nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden darf, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird.
a) Die Klägerin hat ihren Antrag zulässig gestellt.
aa) Das im Schreiben vom 19.01.2018 formulierte Begehren ist ungeachtet der Nennung von § 177 Abs. 1 AO als "schlichter" Änderungsantrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu verstehen. Denn § 177 AO ist keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern begrenzt die auf anderer rechtlicher Grundlage erfolgende Korrektur eines Steuerbescheids zugunsten der materiell-rechtlich zutreffenden Steuerfestsetzung (BFH-Urteil vom 22.04.2015 ‑ X R 24/13, BFH/NV 2015, 1334, Rz 16; Loose in Tipke/Kruse, § 177 AO Rz 1).
Der Antrag genügt dabei den Bestimmtheitsanforderungen, nach denen sich das Änderungsbegehren über die bloß betragsmäßige Nennung hinaus zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag ergeben muss (BFH-Urteil vom 20.12.2006 ‑ X R 30/05, BFHE 216, 31, BStBl II 2007, 503, unter II.3.), denn die Klägerin begehrte ausdrücklich die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2012.
bb) Der Änderungsantrag wurde drei Tage nach dem Änderungsbescheid vom 16.01.2018 gestellt und ging sowohl ‑‑wie von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 AO vorgesehen‑‑ innerhalb der Einspruchsfrist als auch innerhalb der Festsetzungsfrist beim FA ein (zu diesem Erfordernis s. BFH-Urteile vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 25; vom 03.03.2011 ‑ III R 45/08, BFHE 233, 6, BStBl II 2011, 673, Rz 15).
cc) § 351 Abs. 1 AO steht dem Änderungsbegehren nicht entgegen, da sich die begehrte Änderung in dem Rahmen bewegt, der durch den Änderungsbescheid vom 16.01.2018 vorgegeben wird.
b) Der Antrag ist auch begründet, da der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 rechtswidrig ist, soweit er den Vergütungssaldo 2012 in die Bemessungsgrundlage einbezieht, da die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG bereits mit Ausführung der Leistungen im Jahr 2012 entstand. Die Korrektur dieses Zeitpunkts der Steuerentstehung durch eine analoge Anwendung von § 20 Satz 3 UStG oder der vom FA gegen das Änderungsbegehren erhobene Einwand der Treuwidrigkeit kommt wie vorstehend ausgeführt nicht in Betracht.
c) Entgegen der Auffassung des FA schließt die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO eine Korrektur aufgrund anderer Vorschriften als § 173 Abs. 1 AO ‑‑und damit nach dem hier anwendbaren § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO‑‑ nicht aus (BFH-Urteile vom 10.09.1987 ‑ V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834, am Ende; vom 28.11.1989 ‑ VIII R 83/86, BFHE 159, 418, BStBl II 1990, 458, unter 1.c; vom 14.12.1994 ‑ XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293, unter II.2.; vom 16.09.2004 ‑ X R 22/01, BFH/NV 2005, 322, unter II.1.b aa; vom 06.03.2007 ‑ IX R 51/04, BFH/NV 2007, 1456, unter II.2.c; vom 18.08.2009 ‑ X R 8/09, BFH/NV 2010, 161, unter II.3.b).
d) Im Übrigen folgt aus der Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheids zur Umsatzsteuer 2013 vom 16.01.2018, dass das grundsätzlich nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO bestehende Ermessen des FA, einen Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, auf null reduziert wird (vgl. BFH-Beschluss vom 22.05.2019 ‑ XI R 17/18, BFHE 264, 399, BStBl II 2019, 647, Rz 24; BFH-Urteile vom 19.05.2020 ‑ X R 22/19, BFH/NV 2020, 1241, Rz 20; vom 11.10.2017 ‑ IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322, Rz 15, 17), so dass das FA zur beantragten Änderung verpflichtet ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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