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BFH: Kostenloser erstmaliger Zugang zum E-Abo einer Zeitung in den Jahren 2009 bis 2012

  1. Bei der Lieferung einer Zeitung aus Papier (Print-Abo) und der Gewährung von Zugang zu einem E‑Paper der Zeitung (E‑Abo) handelt es sich um selb­ständige Hauptleistungen, da sie nicht untrennbar sind, beide für den Kunden einen eigenständigen Zweck haben und das E-Paper nicht nur dazu dient, die Printausgabe der Zeitung unter optimalen Bedingungen zu lesen.
  2. In den Jahren 2009 bis 2012 war es noch gerechtfertigt, dem Zugang zum E‑Abo einen Anteil am Gesamtentgelt von 0 € zuzuweisen, wenn und solange sich anlässlich der erstmaligen Gewährung des Zugangs der Gesamtpreis für das Abonnement nicht erhöht hatte.

UStG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2

BFH-Urteil vom 9.7.2025, XI R 29/23 (veröffentlicht am 6.11.2025)

Vorinstanz: FG des Saarlandes vom 22.8.2023, 1 K 1270/21 = SIS 23 17 51

I. Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist unter anderem die Herausgabe von Tageszeitungen. Die Klägerin ist außerdem Organträgerin der X‑GmbH.

Die Klägerin gab in den Streitjahren (2009 bis 2012) die A‑Zeitung heraus. Die X‑GmbH war Herausgeberin der B‑Zeitung. Die Herausgabe der Tageszeitungen erfolgte zunächst nur auf Pa­pier, unter anderem im Abonnement (nachfolgend: Print-Abo).

In den Streitjahren wurden beide Zeitungen sowohl auf Papier als auch als in­haltsgleiches E‑Paper (im PDF-Format) herausgegeben, und zwar ohne Hyper­links oder ähnliche Dynamik, allerdings mit Suchfunktion über einen PDF-Reader.

Bereits seit dem Jahr 2010 war daneben ein Abonnement des E‑Papers der A‑Zeitung (nachfolgend: E‑Abo) für 13,99 € pro Monat möglich. Bis März 2012 führten diese E‑Abos nach den geltenden Vorgaben der Informationsgemein­schaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. nicht zu einer Erhöhung der Auflagenzahl.

Abonnenten der Printausgabe der A‑Zeitung erhielten vom 01.01.2009 bis zum 28.02.2012 und Abonnenten der Printausgabe der B‑Zeitung vom 01.01.2010 bis mindestens zum 31.12.2012 die Möglichkeit, ohne Zuzahlung auch auf das E‑Paper zuzugreifen; erforderlich für den kostenlosen Zugriff war aber eine elektronische Registrierung für das E‑Abo auf der Internetseite der jeweiligen Zeitung. Diese Registrierung nahm die weit überwiegende Zahl der Print-Abon­nenten nicht vor.

Nach dem 28.02.2012 mussten Inhaber eines Print-Abos der A‑Zeitung für das zusätzliche E‑Abo eine zusätzliche Zahlung entrichten, die anfänglich bei 0,99 € pro Monat lag. Dieser Betrag erhöhte sich (erst) nach den Streitjahren. Bei der B‑Zeitung begann die Zahlungspflicht erst nach den Streitjahren. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung seither ist nicht streitig.

Die Klägerin wendete in den Streitjahren auf ihre Leistungen an die Print-Abonnenten, die keine Zuzahlungen für das E‑Abo leisteten, den in § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unter anderem für Zeitungen vorgesehenen ermäßigten Steuersatz an. Sie nahm an, das zu­sätzliche, für Print-Abonnenten kostenlose E‑Abo sei keine selbständige Leis­tung gegen Entgelt neben der entgeltlichen Lieferung der Papier-Zeitungen im Print-Abo. Den Steuererklärungen wurde, soweit erforderlich, vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) zugestimmt.

Im Rahmen einer Außenprüfung, die sich auch auf die Umsatzsteuer 2009 bis 2012 bezog, nahm der Prüfer an, dass die Bereitstellung des E‑Abos neben dem Print-Abo eine selbständige Leistung gegen Entgelt sei, auf die der Regel­steuersatz (19 %) Anwendung finde. Der Abonnementpreis sei daher aufzutei­len. Der Prüfer schätzte die anteilige Bemessungsgrundlage für das E‑Abo auf 1,99 € und nahm anhand der Gesamtanzahl der Print-Abos (unabhängig da­von, wie viele der Print-Abonnenten sich für das E‑Abo registriert hatten) eine Erhöhung der Umsätze zum Regelsteuersatz und eine Minderung der Umsätze zum ermäßigten Steuersatz vor.

Die Prüfungsfeststellungen wurden vom FA in auf § 164 Abs. 2 der Abgaben­ordnung gestützten Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom 09.10.2018 umgesetzt. Die Einsprüche blieben erfolglos (Einspruchsent­scheidung vom 22.07.2021).

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2023, 1663 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts sowie Verfahrensfehler.

Das FG habe zu Unrecht keine einheitliche Leistung (zum ermäßigten Steuer­satz) bejaht. Den Kunden sei es bei den streitigen Umsätzen vor allem auf das Print-Abo angekommen. Jedenfalls sei nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Deco Podeste ‑ Editores vom 05.10.2023 ‑ C‑505/22 (EU:C:2023:731) die Einräumung des E‑Abos eine Nebenleistung. Nach der EuGH-Rechtsprechung müsse man auch die Verschaffung eines elek­tronischen Zugangs zu dem Printmedium als Nebenleistung betrachten, die keinen eigenständigen Zweck habe, sondern nur dazu diene, den Anreiz für den Abschluss eines Abonnements zu schaffen.

Außerdem habe das FG zu Unrecht die kostenlose Einräumung des E‑Paper-Bezugs beziehungsweise der E‑Paper-Bezugsmöglichkeit für Print-Abonnenten als steuerbare Leistung gegen Entgelt angesehen. Für die kostenfreie Einräu­mung (der Möglichkeit) des Bezugs des E‑Papers sei kein Entgelt vereinbart und geleistet worden. Zivilrechtlich werde ein Anspruch eines Unternehmers (hier: der Klägerin) gegen einen Verbraucher (hier: die Print-Abonnenten) für die Erbringung einer sonstigen Leistung nicht begründet, wenn der Verbrau­cher diese Leistungen nicht bestellt habe. Mit dem Angebot zum kostenlosen E‑Paper-Bezug sei, wie bei einer "invitatio ad offerendum", noch keine Leis­tungszusage der Klägerin zu sehen. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Entgelts ergebe sich nur aus der Lieferung der Zeitung (Print-Abo), nicht aus der Einräumung des Zugangs zum E‑Paper (E‑Abo). Mit der Einräumung der Möglichkeit zum Abschluss eines kostenlosen E‑Abos habe die Klägerin nicht den Preis der Zeitung anteilig reduziert. Entsprechend habe der Öster­reichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) mit seinem Erkenntnis vom 22.11.2018 ‑ Ra 2017/15/0091 (https://www.ris.bka.gv.at) unter Beachtung der unionsrechtlichen und umsatzsteuerrechtlichen Grundsätze dem E‑Paper kein anteiliges Entgelt zu­geordnet. Eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 9a UStG scheide aus, da die unentgeltliche Wertabgabe aus unternehmerischen Gründen erfolgt sei und eine dem § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG vergleichbare Vorschrift nicht existiere. Außerdem sei die Leistungsbereitschaft der Klägerin nicht als Leistung anzusehen. Hätte die Klägerin den Zugang nicht eingeräumt, wäre das Gesamtentgelt nicht abzusenken gewesen. Wie bei § 12 Abs. 2 Nr. 14 UStG n.F. werde die Leistung erst mit Überlassung des E‑Papers erbracht.

Hilfsweise rügt die Klägerin einen Verstoß gegen die Neutralität der Mehrwert­steuer sowie eine Verletzung der Nichtbeanstandungsregelung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28.11.2013 (BStBl I 2013, 1594) für Umsätze, die vor dem 01.07.2014 ausgeführt wurden.

Darüber hinaus sei die Ermittlung der Bemessungsgrundlage unzutreffend er­folgt. Über 80 % der Abonnenten hätten sich nicht registriert. Mit Einführung eines Zusatzentgelts von 0,99 € seien die Registrierungen um 98 % zurückge­gangen. Deshalb sei das Entgelt nur für registrierte Abonnenten anzusetzen und betrage 0 €.

Zudem habe das FG verfahrensfehlerhaft eine für die Entscheidung bedeutsa­me Beweiserhebung unterlassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben sowie unter Änderung der Bescheide wegen Umsatzsteuer vom 27.06.2025 die Umsatzsteuer für 2009, 2010, 2011 und 2012 herabzusetzen, hilfsweise die Vorent­scheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es verteidigt die angefochtene Vorentscheidung und macht ergänzend geltend, das EuGH-Urteil Deco Podeste ‑ Editores vom 05.10.2023 ‑ C‑505/22 (EU:C:2023:731) betreffe eine andere Situation als den Streitfall. Das E‑Paper sei keine Abo-Prämie und kein Anreiz für den Abschluss eines Print-Abos.

Hinsichtlich der Frage des Entgelts verweist das FA zunächst auf die Abonnen­ten, die ein Abo neu abgeschlossen haben. Aber auch bestehende Abonnenten hätten das E‑Abo nicht bekommen, wenn sie das Entgelt nicht bezahlt hätten. Das zeige den direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen E‑Abo und dem Preis des Abos. Das nationale Zivilrecht sei für den Streitfall ohne Bedeutung, weil das Abo zugunsten der Kunden gewährt worden sei.

Der gerügte Verfahrensfehler greife nicht durch, weil das FG einen Gerichtsbe­scheid erlassen und die Klägerin keine mündliche Verhandlung beantragt, son­dern Revision eingelegt habe.

Im Laufe des Revisionsverfahrens hat das FA unter dem 27.06.2025 für alle Streitjahre aus hier nicht streitigen Gründen Änderungsbescheide erlassen. Die Beteiligten haben mitgeteilt, dass sich hierdurch der Streitgegenstand nicht verändert habe. Die Klägerin hat ihren Antrag angepasst.

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Senat teilt für die besondere Situation der Streitjahre im Streit­fall die Auffassung des Österreichischen VwGH, dass die Annahme der Kläge­rin, dass für das E‑Abo in den Streitjahren aufgrund der damaligen Situation noch kein Entgelt anzusetzen war, damals sachgerecht war.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Änderungsbescheide des FA vom 27.06.2025, die die zuvor ergangenen Bescheide ersetzt haben (§ 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO); daher kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 23.01.2019 ‑ XI R 21/17, BFHE 264, 60, BStBl II 2019, 354, Rz 16 f.). Allerdings ist der Se­nat an einer Sachentscheidung nicht im Sinne des § 127 FGO gehindert, da sich zum Streitpunkt keine Änderungen ergeben haben, die Klägerin keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat und die Verfahrensrüge nicht durchgreift (§ 126 Abs. 6 FGO). Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bil­den daher unverändert die Grundlage für die Entscheidung des erkennenden Senats (zu dieser Verfahrenskonstellation z.B. Senatsurteile vom 21.10.2015 ‑ XI R 28/14, BFHE 252, 460, BStBl II 2016, 550; vom 23.01.2019 ‑ XI R 21/17, BFHE 264, 60, BStBl II 2019, 354, Rz 18; vom 29.04.2020 ‑ XI R 39/18, BFHE 269, 34, BStBl II 2021, 517, Rz 14).

2. Der Senat teilt zunächst die Auffassung des FG im Urteil vom 22.08.2023 ‑ 1 K 1270/21 (EFG 2023, 1663, Rz 36 ff.) sowie des Österreichischen VwGH (Erkenntnis vom 22.11.2018 ‑ Ra 2017/15/0091, https://www.ris.bka.gv.at, Rz 25), dass es sich nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen der Recht­sprechung des EuGH (vgl. Urteile CPP vom 25.02.1999 ‑ C‑349/96, EU:C:1999:93; Frenetikexito vom 04.03.2021 ‑ C‑581/19, EU:C:2021:167; Digital Charging Solutions vom 17.10.2024 ‑ C‑60/23, EU:C:2024:896, m.w.N.) und des BFH (vgl. dazu Urteile vom 14.11.2018 ‑ XI R 16/17, BFHE 263, 71, BStBl II 2021, 461; vom 17.07.2024 ‑ XI R 8/21, BFHE 283, 559; Beschluss vom 10.01.2024 ‑ XI R 11/23 (XI R 34/20), BFHE 283, 491, BStBl II 2024, 601, m.w.N.) bei der Lieferung der Zeitung und der Ein­räumung der Möglichkeit zum Abruf des E‑Papers um zwei selbständige Haupt­leistungen handelt.

a) Der Print-Abonnent als identifizierbarer Leistungsempfänger hat von der Klägerin ‑‑unabhängig davon, ob dieses Leistungsversprechen zivilrechtlich wirksam erfolgt ist oder nicht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17.12.2009 ‑ V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869, unter II.1.c; vom 16.01.2014 ‑ V R 22/13, BFH/NV 2014, 736, Rz 22; vom 26.01.2022 ‑ XI R 19/19 (XI R 12/17), XI R 19/19 (XI R 12/17), BFHE 275, 440, BStBl II 2022, 582, Rz 35; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.05.2011 ‑ VIII ZR 260/10, Umsatzsteuer-Rund­schau 2011, 813, Rz 11; jeweils m.w.N.)‑‑ die Möglichkeit zum Abruf des E‑Papers als verbrauchsfähigen Vorteil erhalten, wobei der Senat im Streitfall offenlassen kann, ob dies für alle Abonnenten oder nur für die registrierten Abonnenten gilt.

b) Es scheidet aus, diesen Vorteil nach dem von der Klägerin angesprochenen EuGH-Urteil Deco Proteste ‑ Editores vom 05.10.2023 ‑ C‑505/22 (EU:C:2023:731, Rz 25 ff.) wie eine Abo-Prämie als Nebenleistung anzusehen, weil der Print-Abonnent, dem beide Ausgaben zur Verfügung stehen, nach sei­nen persönlichen Präferenzen sowie nach den Umständen des Einzelfalls wählt, welche Zeitung er liest, ohne dass einer der beiden Ausgaben eine Vorrang­stellung vor der anderen Ausgabe zukäme (vgl. VwGH-Erkenntnis vom 22.11.2018 ‑ Ra 2017/15/0091, https://www.ris.bka.gv.at, Rz 25). Dies schließt es aus anzunehmen, das E‑Paper habe für die Kundschaft keinen eige­nen Zweck, sondern stelle nur das Mittel dar, um die Hauptleistung des Leis­tungserbringers (Lesen des Print-Abos) unter optimalen Bedingungen in An­spruch zu nehmen. Vielmehr wird der Leser des E‑Papers im Regelfall nicht auch noch die Zeitung auf Papier lesen. Das PDF der Zeitung dient nicht dazu, das Papierexemplar der Zeitung (unter optimalen Bedingungen) zu lesen.

c) Diese Beurteilung wird nach Auffassung des Senats dadurch bestätigt, dass der Kunde im Einzelkauf die Wahl hat, entweder nur eine Papier-Zeitung oder nur ein E‑Paper oder eine Kombination hiervon als Abo zu erwerben. Jeder der Bestandteile hat danach für ihn einen eigenen Zweck und ist daher keine Ne­benleistung (vgl. dazu allgemein EuGH-Urteil Companhia União de Crédito Popular vom 18.04.2024 ‑ C‑89/23, EU:C:2024:333, Rz 37, m.w.N.). Daraus ergibt sich zugleich, dass beide Bestandteile auch nicht so eng miteinander verbunden sind, dass objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leis­tung vorliegt (vgl. dazu EuGH-Urteile Frenetikexito vom 04.03.2021 ‑ C‑581/19, EU:C:2021:167, Rz 38 f., 45; Deco Proteste ‑ Editores vom 05.10.2023 ‑ C‑505/22, EU:C:2023:731, Rz 20). Zuletzt entspricht diese Annahme dem aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) folgenden Grundsatz, dass jeder Umsatz in der Regel als eige­ne, selbständige Leistung zu betrachten ist (vgl. EuGH-Urteile Q‑GmbH (Ver­sicherungsschutz für besondere Risiken) vom 25.03.2021 ‑ C‑907/19, EU:C:2021:237, Rz 20; DGRFP Cluj vom 16.02.2023 ‑ C‑519/21, EU:C:2023:106, Rz 58).

d) Hat der Leistungsempfänger die Möglichkeit, eine bestimmte Leistung in Anspruch zu nehmen, liegt ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ eine steuerbare Leistung auch dann vor, wenn der Leistungsempfänger sie nicht tatsächlich in Anspruch nimmt (vgl. EuGH-Urteil rhtb vom 28.11.2024 ‑ C‑622/23, EU:C:2024:994; BFH-Beschluss vom 10.01.2024 ‑ XI R 11/23 (XI R 34/20), BFHE 283, 491, BStBl II 2024, 601; BFH-Urteil vom 13.11.2024 ‑ XI R 5/23, BStBl II 2025, 469, Rz 39; alle m.w.N.). Ob ein (gegebenenfalls für das zu­sätzliche E‑Abo registrierter) Print-Abonnent den Vorteil tatsächlich in An­spruch genommen hat, ist danach unerheblich, da die Klägerin zur Leistung an ihn bereit war.

e) Nur beiläufig weist der Senat darauf hin, dass bei anderer Sichtweise, das heißt bei Annahme einer einheitlichen Leistung, eine einheitliche Leistung mit zwei Hauptelementen (Print-Abo und E‑Abo, s. dazu unter II.2.b) vorgelegen hätte, von denen in den Streitjahren (vor Einführung des § 12 Abs. 2 Nr. 14 UStG) eines (das E‑Abo) noch dem Regelsteuersatz unterlag, was dazu geführt hätte, dass die gesamte Leistung dem Regelsteuersatz unterlegen hätte (vgl. EuGH-Urteil Baštová vom 10.11.2016 ‑ C‑432/15, EU:C:2016:855, Rz 72 ff.). Von diesem Ergebnis geht auch die Klägerin nicht aus.

3. Der Senat pflichtet dem Österreichischen VwGH ferner darin bei, dass es in den Streitjahren noch nicht gerechtfertigt war, der Einräumung der Möglichkeit zur Nutzung der E‑Paper einen Entgeltanteil zuzuweisen. Da die Leistung der Klägerin an ihre Print-Abonnenten mit dem vollen Abonnementpreis als Entgelt dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, ist der Klage stattzugeben.

a) Entgelt war in den Streitjahren nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG a.F. alles, was der Leistungsempfänger aufwendete, um die Leistung zu erhalten, jedoch ab­züglich der Umsatzsteuer.

aa) Diese Vorschrift setzte in den Streitjahren Art. 73 MwStSystRL in nationa­les Recht um; danach ist Besteuerungsgrundlage "… alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten er­hält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Um­sätze zusammenhängenden Subventionen."

bb) Trotz der vorhandenen Formulierungsunterschiede führten die genannten Regelungen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (grundlegend Urteil vom 19.10.2001 ‑ V R 48/00, BFHE 196, 376, BStBl II 2003, 210, unter II.3.c; vgl. auch BFH-Urteile vom 06.05.2010 ‑ V R 15/09, BFHE 230, 252, BStBl II 2011, 142, Rz 11; vom 03.07.2014 ‑ V R 1/14, BFHE 246, 562, BStBl II 2023, 89, Rz 22; vom 22.02.2017 ‑ XI R 17/15, BFHE 257, 169, BStBl II 2017, 812, Rz 24 und 26; vom 10.06.2020 ‑ XI R 25/18, BFHE 270, 181, Rz 29) zum sel­ben Ergebnis: Eine Zahlung/Aufwendung war auch damals schon grundsätzlich (nur) dann Entgelt/Gegenleistung für eine bestimmte Leistung, wenn sie "für die Leistung" beziehungsweise "für diese Umsätze" gewährt wurde bezie­hungsweise der Leistende sie hierfür erhielt.

cc) Entscheidend dafür, ob eine Zahlung "für die Leistung" beziehungsweise "Umsätze" gewährt wird beziehungsweise der Leistende sie hierfür erhält, ist nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH, dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (vgl. EuGH-Urteile Tolsma vom 03.03.1994 ‑ C‑16/93, EU:C:1994:80, Rz 13 f.; SAWP vom 18.01.2017 ‑ C‑37/16, EU:C:2017:22, Leitsatz 2, m.w.N.; BFH-Urteile vom 16.10.2013 ‑ XI R 39/12, BFHE 243, 77, BStBl II 2014, 1024, Rz 32; vom 15.04.2015 ‑ V R 46/13, BFHE 250, 253, BStBl II 2015, 947, Rz 39; vom 22.02.2017 ‑ XI R 17/15, BFHE 257, 169, BStBl II 2017, 812, Rz 26; vom 31.05.2017 ‑ XI R 2/14, BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024).

b) Das FG ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass ein ein­heitlicher Gesamtpreis auf (mindestens) zwei Umsätze aufgeteilt werden muss, und hat weiter zu Recht angenommen, dass die erforderliche Aufteilung nicht immer nach (gegebenenfalls fiktiven) Einzelverkaufspreisen (Marktwert­methode) erfolgen muss. Ausnahmen hiervon sind möglich. Der Senat ver­weist zur Vermeidung von Wiederholungen dazu auf sein Urteil vom 22.01.2025 ‑ XI R 19/23 (BStBl II 2025, 583, Rz 30 bis 39). Notwendige Vo­raussetzung hierfür ist aber jedenfalls, dass die angewendete Methode zumin­dest ebenso sachgerecht ist wie die grundsätzlich vorzunehmende Aufteilung nach Einzelverkaufspreisen.

c) Das FG hat die vom FA im Wege der Schätzung vorgenommene Entgeltauf­teilung des FA (1,99 € pro Monat) gebilligt. Das FA hatte für die Leistungen der Jahre 2009 bis 2012 einen Mittelwert für Leistungen der Jahre 2012 bis 2014 angesetzt. Einen Entgeltanteil von 0 € haben beide als nicht sachgerecht angesehen, weil dadurch eine zutreffende Besteuerung dieses Leistungsgegen­standes vollständig vermieden werde. Letztlich komme dies einer Nicht-Auftei­lung des Gesamtkaufpreises gleich, was aus Sicht des FG unter anderem nicht der Rechtsprechung entsprechen dürfte.

d) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil FA und FG dabei die wirtschaftliche und geschäftliche Realität als ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteu­ersystems (vgl. allgemein dazu EuGH-Urteile ITH Comercial Timișoara vom 12.11.2020 ‑ C‑734/19, EU:C:2020:919, Rz 48; Fenix International vom 28.02.2023 ‑ C‑695/20, EU:C:2023:127, Rz 72; Credidam vom 04.07.2024 ‑ C‑179/23, EU:C:2024:571, Rz 45; BFH-Urteile vom 21.04.2022 ‑ V R 18/19, BFHE 276, 493, Rz 17; vom 15.03.2022 ‑ V R 35/20, BFHE 276, 377, BStBl II 2023, 150, Rz 14; vom 29.11.2022 ‑ XI R 18/21, BFHE 279, 298, BStBl II 2025, 265, Rz 26) nicht hinreichend mit in den Blick genommen haben.

aa) Insbesondere hat das FG nicht begründet, weshalb das bei der A‑Zeitung anzusetzende anteilige Entgelt vor dem 01.03.2012 höher gewesen sein soll als das ab 01.03.2012 bei der A‑Zeitung für die Einräumung zum parallelen Bezug des E‑Papers verlangte Entgelt (0,99 € pro Monat). Es widerspricht aus Sicht des Senats der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität, dass eine Preiserhöhung dazu führen soll, dass das ab dem 01.03.2012 für die Möglich­keit zur Nutzung des E‑Papers verlangte Entgelt niedriger sein soll als das vor dem 01.03.2012 nicht gesondert verlangte Entgelt. Das E‑Paper der A‑Zeitung ist zum 01.03.2012 allenfalls teurer und nicht, wie das FA und das FG meinen, billiger geworden. Der Ansatz eines höheren Betrags als (dem Nettobetrag aus) 0,99 € (0,83 €) pro Monat schiede daher insoweit von vorneherein aus.

bb) Auch die Einschätzung, dass ab dem 01.03.2012 das E‑Paper der B‑Zei­tung, deren Kunden dafür keine Zahlung leisten mussten, teurer gewesen sein könnte als das E‑Paper der A‑Zeitung, hält der Senat für nicht sach- und reali­tätsgerecht. Die Abonnenten der B‑Zeitung haben für das E‑Paper der B‑Zei­tung nicht mehr, sondern allenfalls weniger gezahlt als die Abonnenten der A‑Zeitung für das E‑Paper der A‑Zeitung, wenn sie ein solches weiter bezogen haben. Der Ansatz eines höheren Betrags als (dem Nettobetrag aus) 0,99 € (0,83 €) pro Monat schiede daher insoweit ebenfalls aus.

e) Außerdem hat das FG nicht beachtet, dass es der Österreichische VwGH in seinem Erkenntnis vom 22.11.2018 ‑ Ra 2017/15/0091 (www.ris.bka.gv.at, Rz 26) für einen vergleichbaren Streitfall und die vergleichbare Rechtslage in Österreich im Hinblick auch auf die Interessenslage der Kunden des Print-Abonnements an dem in Rede stehenden Online-Zugang für sachge­recht gehalten hat, keinen Teil des von der dortigen Zeitungsverlegerin im ge­wöhnlichen Geschäftsverkehr verlangten Print-Abonnementpreises der Zu­gänglichmachung der Online-Ausgabe zuzurechnen, da es sich um eine ohne Aufpreis eingeräumte Nutzungsmöglichkeit ohne nennenswerten Aufwand gehan­delt habe.

f) Der Senat teilt aufgrund der Gegebenheiten der Streitjahre (nur) für die da­malige Zeit diese Auffassung. Einer EuGH-Vorlage (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 23.08.2023 ‑ XI R 10/20, BFHE 282, 113, BStBl II 2024, 302, Rz 68, m.w.N.) bedarf es daher nicht.

aa) Zwar wird ein "Gratis-Zugriff" an sich ebenso wenig wie ein "Gratis-Smart­phone" oder "Gratis-Tablet" (vgl. dazu EuGH-Urteil Deco Proteste ‑ Editores vom 05.10.2023 ‑ C‑505/22, EU:C:2023:731) von einem Verlag unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Deshalb ist an sich gemäß den unter II.2.b genannten Grundsätzen eine Entgeltaufteilung vorzunehmen, bei der ein anteiliges Ent­gelt von 0 € im Regelfall nicht sachgerecht ist.

bb) Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Österreichischen VwGH, dass weder die Print-Abonnenten einer Zeitung zur damaligen Zeit eine Zahlung für das im Abo kostenlos mitenthaltene E‑Paper geleistet haben noch die Klägerin eine Zahlung hierfür (vom Abonnenten oder Dritten) erhalten hat. Dies zeigt sich im Streitfall in der Gesamtschau daran, dass sich, worauf die Klägerin mehrfach unwidersprochen hingewiesen hat, nur 10 % bis 15 % der Print-Abonnenten überhaupt für den zusätzlich eingeräumten Zugriff auf das E‑Paper registriert haben, und dass nachdem die Klägerin ab dem 01.03.2012 ein gesondertes Entgelt in Höhe 0,99 € pro Monat erhoben hat, über 95 % der registrierten Print-Abonnenten der A‑Zeitung ihr paralleles E‑Abo beendet (und den erneut unverändert gebliebenen Preis ‑‑nun‑‑ nur für das Print-Abo weiter gezahlt) haben. Diese Kunden haben vor, während und nach der Ein­führung der zusätzlichen Möglichkeit zur Nutzung der E‑Paper denselben Be­trag für ihr Print-Abo gezahlt und die Klägerin denselben Betrag hierfür erhal­ten. Dies bestätigt, dass die Einschätzung des Österreichischen VwGH, auf die sich die Klägerin hilfsweise berufen hat, zutreffend ist. Daher war die damalige Schätzung der Klägerin, dass kein Anteil des (bei Einführung des E‑Papers und nach Erhebung des Zusatzentgelts unverändert gebliebenen) Preises des Print-Abonnements auf das E‑Paper entfiel, sachgerecht. Die Schätzung der Klägerin ist folglich nicht zu beanstanden.

g) Freiwillige Zahlungen für die Leistung sind nicht erfolgt (s. dazu das anhängige Revisionsverfahren V R 10/25). Auf die Frage, ob die Zustimmung zur Verarbeitung von Nutzerdaten durch einen Kunden ein Entgelt für eine "kostenlose" Bereitstellung elektronischer Dienstleistungen sein könnte, kommt es im Streitfall ebenfalls nicht an, da eine solche Situation nicht vorliegt.

4. Die Sache ist spruchreif im Sinne der Stattgabe der Klage. Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide in Gestalt der im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 27.06.2025 sind antragsgemäß zu ändern. Die Erhöhung der Umsatzsteuer für die E‑Paper (gemäß Tz. 3.3.6 i.V.m. Tz. 3.2.1 des Betriebsprüfungsberichts der Klägerin) ist rückgängig zu machen. Dies führt zur Festsetzung der Umsatz­steuer für die Streitjahre auf die im Tenor genannten Beträge (§ 100 Abs. 2 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO).

5. Auf die geltend gemachten Verfahrensfehler kommt es nicht mehr an.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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