EuGH: Taxen und Mietwagen mit Fahrergestellung können unter bestimmten Voraussetzungen unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen unterliegen
Eine unterschiedliche Besteuerung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Fahrten unter identischen Voraussetzungen durchgeführt werden, wie es bei Krankentransporten für eine Krankenkasse der Fall sein kann
Gerichtshof der Europäischen Union - Presse und Information 27. Februar 2014, Pressemitteilung Nr. 26/14
Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12
Pro Med Logistik GmbH / Finanzamt Dresden-Süd
Eckard Pongratz als Insolvenzverwalter von Karin Oertel / Finanzamt Würzburg
Das Unionsrecht1 gestattet den Mitgliedstaaten, auf die Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden.
In Deutschland hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und einen ermäßigten Steuersatz von 7 % für die Beförderung von Personen mit Taxen vorgesehen2, sofern die Beförderung innerhalb einer Gemeinde erfolgt oder die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt.
Zwei deutsche Unternehmen, die Mietwagen mit Fahrergestellung anbieten, haben den Bundesfinanzhof (Deutschland) angerufen, weil sie der Auffassung sind, dass ihre Beförderungsleistungen im Nahverkehr, genau wie bei Taxen, nicht dem normalen Mehrwertsteuersatz (16 % für die Jahre 2003 bis 2006 und 19 % für das Jahr 2007) unterworfen werden dürften. Diese Leistungen betrafen u. a. den Krankentransport im Rahmen eines Vertrags zwischen einer Krankenkasse und dem Taxi- und Mietwagenunternehmerverband, der auf Taxiunternehmen und Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung unterschiedslos anwendbar war. Insbesondere galt das in diesem Vertrag festgelegte Beförderungsentgelt in gleicher Weise für beide Arten von Unternehmen.
Der Bundesfinanzhof weist darauf hin, dass in Deutschland sowohl die Beförderung per Taxi als auch die Beförderung per Mietwagen genehmigungspflichtig ist. Diese beiden Beförderungsarten unterliegen jedoch unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen. So dürfen Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung nur Beförderungsaufträge annehmen, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind; dagegen ist Taxiunternehmen die Annahme von Aufträgen stets gestattet, was das Vorhandensein von Fahrzeugen an genau bestimmten Stellen oder die Abrufbarkeit voraussetzt. Ferner bestehen Unterschiede in Bezug auf die Annahme, die Übermittlung und die Durchführung der Beförderungsaufträge sowie in Bezug auf die Werbung und das Bereithalten des Fahrzeugs. Außerdem dürfen den Taxen vorbehaltene Zeichen und Merkmale nicht für Mietwagen mit Fahrergestellung verwendet werden. Da der Bundesfinanzhof gleichwohl Zweifel an der Vereinbarkeit einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung mit dem Unionsrecht und insbesondere dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität3 hat, hat er den Gerichtshof befasst und um die Auslegung des Unionsrechts ersucht.
Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht (insbesondere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität) der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze (eines ermäßigten und des normalen Steuersatzes) auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung nicht entgegensteht, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen, denen diese beiden Beförderungsarten unterliegen, muss die Beförderung per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der fraglichen Dienstleistungskategorie (Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks) darstellen. 2. Diese Unterschiede müssen einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des durchschnittlichen Nutzers für eine dieser Beförderungsarten haben. Es ist Sache des Bundesfinanzhofs, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in den bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten erfüllt sind.
Zur ersten Voraussetzung führt der Gerichtshof aus, dass die von den Taxiunternehmen erbrachten Leistungen als gesonderte Leistungen qualifiziert werden können, wenn diese Unternehmen, im Unterschied zu Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung, eine Betriebspflicht übernehmen müssen, die es ihnen verbietet, eine Beförderung in Erwartung insbesondere einer profitableren Fahrt abzulehnen oder Situationen gewinnbringend zu nutzen, in denen sie ein vom offiziellen Tarif abweichendes Beförderungsentgelt verlangen könnten. Unter solchen Umständen könnte die Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi als Dienstleistung eingestuft werden, die sich von den übrigen Leistungen der betreffenden Kategorie (Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks) unterscheidet, und somit einen konkreten und spezifischen Aspekt dieser Kategorie darstellen.
Zur zweiten Voraussetzung weist der Gerichtshof darauf hin, dass der durchschnittliche Nutzer die beiden fraglichen Beförderungsarten unterscheiden kann, soweit sie unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen – wie den vom Bundesfinanzhof beschriebenen – unterliegen. Jede von ihnen ist geeignet, unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen, was auf die Entscheidung des Nutzers, die eine oder die andere zu wählen, maßgeblichen Einfluss haben kann. Der Gerichtshof schließt daraus, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität einer abweichenden steuerlichen Behandlung dieser beiden Beförderungsarten nicht entgegensteht.
Dagegen steht das Unionsrecht der Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auf die Beförderung von Personen im Nahverkehr zum einen per Taxi und zum anderen per Mietwagen mit Fahrergestellung entgegen, wenn aufgrund einer Sondervereinbarung, die auf die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung unterschiedslos angewandt wird, (i) die Beförderung von Personen per Taxi keinen konkreten und spezifischen Aspekt der Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks darstellt und (ii) die im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführte Tätigkeit aus der Sicht des durchschnittlichen Nutzers als der Tätigkeit der Beförderung von Personen im Nahverkehr per Mietwagen mit Fahrergestellung gleichartig anzusehen ist. Es ist Sache des Bundesfinanzhofs, dies zu prüfen.
Der Gerichtshof hält die Anwendung eines unterschiedlichen Mehrwertsteuersatzes für ausgeschlossen, wenn das Beförderungsentgelt in einer solchen Vereinbarung festgelegt ist und in gleicher Weise für die Taxiunternehmen und die Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung gilt, wenn die Vereinbarung für beide Beförderungsarten lediglich die Pflicht zur tatsächlichen Durchführung des Transports vorsieht und wenn die Taxiunternehmen somit im Rahmen der Vereinbarung nicht den außerhalb dieser Vereinbarung für sie geltenden besonderen rechtlichen Anforderungen unterliegen.
1 Insbesondere die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
2 Für die Jahre 2003 bis 2007, um die es in den Rechtssachen geht.
3 Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität lässt es insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext des Urteils ist auf der Curia-Website veröffentlicht.
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