BFH: Von einem Hotelier ausgeführte Verpflegungsleistungen sind Nebenleistungen zur Übernachtungsleistung
1. Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG über die Margenbesteuerung bei der Erbringung von Reiseleistungen ist nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers anzuwenden.
2. Demgegenüber setzt § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG voraus, dass die vom Unternehmer erbrachten Reiseleistungen nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden. Für Reiseleistungen an andere Unternehmer (sog. Kettengeschäft) ist § 25 UStG daher nicht anwendbar. Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG kommt in diesem Fall nur zur Anwendung, wenn sich der Steuerpflichtige auf diese Regelung beruft.
3. Dienstleistungen eines Hotelunternehmers, wie z.B. Verpflegungsleistungen, die gewöhnlich mit Reisen verbunden sind, nur einen im Vergleich zu den Umsätzen, die die Unterbringung betreffen, geringen Teil des pauschalen Entgelts ausmachen und zudem zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers gehören, stellen für die Kundschaft lediglich das Mittel dar, um die Hauptdienstleistung des Hoteliers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
4. Sie sind deshalb Nebenleistungen zu den von § 4 Nr. 12 UStG umfassten und deshalb gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG am Belegenheitsort des Hotels ausgeführten Übernachtungsleistungen.
BFH-Urteil vom 20.3.2014, V R 25/11 (veröffentlicht am 11.6.2014)
UStG § 3a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 4 Nr. 12, § 25
Richtlinie 77/388/EWG Art. 26
Richtlinie 2006/112/EG Art. 306 bis 310
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 26.5.2011, 2 K 416/09 = SIS 12 02 17
I. Streitig ist, ob im Zusammenhang mit im Ausland gelegenen Hotels erbrachte Verpflegungsleistungen im Inland ausgeführt werden.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, stellte im Streitjahr Leistungspakete zusammen, die sie an Busreiseunternehmer verkaufte, die Pauschalreisen anbieten. Die Leistungspakete umfassten Übernachtungsleistungen mit Verpflegung (Halb- oder Vollpension) sowie ergänzende Leistungen.
Nach den Berechnungen der Klägerin entfielen von den im Zusammenhang mit ausländischen Hotels erbrachten Leistungen 2/3 auf den Hotelbereich und 1/3 auf die ergänzenden Leistungen. Innerhalb des Bereichs Hotel ordnete die Klägerin 87,5 % der Aufwendungen dem Bereich Übernachtungen und 12,5 % der Aufwendungen dem Bereich Verpflegung im Rahmen von Voll- oder Halbpension zu.
In der am 26.11.2007 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingegangenen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2006 behandelte die Klägerin die im Rahmen der Leistungspakete im Zusammenhang mit im Ausland gelegenen Hotels erbrachten Verpflegungsleistungen zunächst als steuerbar und steuerpflichtig. Dieser Erklärung stimmte das FA zu.
Mit Schreiben vom 6.4.2009 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.1.2009 V R 9/06 (BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433) die steuerpflichtigen Umsätze um 52.159,66 € zu mindern, da in dieser Höhe Nebenleistungen zu Übernachtungsleistungen vorlägen, die gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 der im Streitjahr gültigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) in der Bundesrepublik Deutschland nicht steuerbar seien.
Mit Bescheid vom 26.10.2009 lehnte das FA den Antrag der Klägerin ab. Die streitigen Verpflegungsleistungen seien selbständige Leistungen, deren Leistungsort sich nach § 3a Abs. 1 UStG richte. Das Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 könne im Streitfall nicht angewendet werden.
Die mit Zustimmung des FA zum Finanzgericht (FG) gemäß § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Das FG führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die im Rahmen der Leistungspakete im Zusammenhang mit im Ausland gelegenen Hotels erbrachten Verpflegungsleistungen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG nicht steuerbar seien. Entsprechend der Rechtsprechung des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 22.10.1998 C-94/97 (Slg. 1998, 6229) handele es sich bei der Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung, die als Teil der Gesamtleistung nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG am Ort des Hotels steuerbar sei. Soweit das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Schreiben vom 4.5.2010 (BStBl I 2010, 490) eine andere Auffassung vertrete, binde dies das FG nicht.
Das FA habe keine Umstände ermittelt, die es - abweichend von den im Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 aufgestellten Grundsätzen - rechtfertigen würden, die streitigen Verpflegungsleistungen als selbständige Leistungen zu bewerten. Es habe auch nicht eingewandt, dass es den Busreiseunternehmern, die die Leistungspakete erworben haben, nicht darauf angekommen sei, Pauschalpakete aus Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen zu erwerben, um diese als einheitliche Leistung gegenüber den Reisenden anbieten zu können.
Ein Steueranspruch ergebe sich auch nicht aus § 25 UStG. Für Reiseleistungen eines Unternehmers an andere Unternehmer sei § 25 UStG nicht anwendbar. Ob Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) eine Margenbesteuerung auch bei solchen Geschäften gebiete, könne dahinstehen, da eine richtlinienkonforme Auslegung ihre Grenzen in dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes finde und eine unmittelbare Anwendung zu Lasten der Klägerin nicht in Betracht komme.
Mit seiner Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Das FG habe § 3a UStG unzutreffend angewandt, indem es den Ort der Verpflegungsleistungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG und nicht nach § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG bestimmt habe. Es handele sich bei den zu beurteilenden Verpflegungsleistungen nicht um Nebenleistungen zur Hotelübernachtung. In der Regel sei davon auszugehen, dass die Verpflegungsleistung - beginnend beim Frühstück, über Halb- und Vollpension bis hin zur "all-inclusive"-Verpflegung - für den Leistungsempfänger einen eigenen Zweck habe. Übernachtungsleistungen würden häufig ohne Verpflegungsleistungen angeboten. Art und Umfang der Verpflegungsleistungen seien in der Regel vom Hotelgast frei wähl- und buchbar. Sie dienten nicht nur dazu, die Übernachtungsleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Keineswegs könne es aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers unterstellt werden, dass gerade mit der Buchung einer Pauschalreise neben der Übernachtung auch sämtliche Verpflegungsleistungen zum Leistungsumfang gehörten. Der durchschnittliche Endverbraucher suche das Hotel zu Übernachtungszwecken aus, plane aber ansonsten seinen Tagesablauf individuell, versorge sich selbst oder gehe bewusst außerhalb des Hotels essen. Insbesondere bei Busrundreisen werde allenfalls das Frühstück im Hotel eingenommen. Die weitere Verpflegung sei sodann üblicherweise individuell durch den Verbraucher zu planen.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433, in dem ein identischer Fall entschieden worden sei.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
II. Die durch Beschluss des Senats vom 19.7.2012 entsprechend § 74 FGO erfolgte Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen C-189/11, C-193/11, C-236/11, C-269/11, C-293/11, C-296/11 und C-309/11 ist durch die Urteile des EuGH vom 26.9.2013 (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2013, 835) beendet. Zur Fortführung des Verfahrens bedarf es keines gesonderten Beschlusses (BFH-Beschluss vom 23.10.2003 II B 131/00, BFH/NV 2004, 237; BFH-Urteil vom 27.9.1990 I R 143/87, BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101; zum Ruhen des Verfahrens: BFH-Beschluss vom 8.1.2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748).
III. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG geht zutreffend davon aus, dass es sich bei den von der Klägerin erbrachten Verpflegungsleistungen um Nebenleistungen zur Unterbringung handelt, die nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG im übrigen Gemeinschaftsgebiet am Belegenheitsort des jeweiligen Hotels steuerbar sind. Ein Steueranspruch ergibt sich auch weder aus § 25 UStG noch aus Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Dabei wird gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG eine sonstige Leistung vorbehaltlich der §§ 3b und 3f UStG an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Abweichend hiervon wird gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG eine sonstige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück dort ausgeführt, wo das Grundstück liegt. Als sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück sind insbesondere sonstige Leistungen der in § 4 Nr. 12 UStG bezeichneten Art anzusehen (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a UStG). Hierzu gehört gemäß § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG auch die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält.
a) Die von der Klägerin erbrachten Verpflegungsleistungen sind Nebenleistungen zu den am Belegenheitsort des jeweiligen Hotels ausgeführten Übernachtungsleistungen. Dienstleistungen, die gewöhnlich mit Reisen verbunden sind, nur einen im Vergleich zu den Umsätzen, die die Unterbringung betreffen, geringen Teil des Pauschalbetrags ausmachen und zudem zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers gehören, stellen für die Kundschaft lediglich das Mittel dar, um die Hauptdienstleistung des Hoteliers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen und sind deshalb reine Nebenleistungen (EuGH-Urteil vom 22.10.1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-6229, Rdnr. 24). Der Senat hat im Anschluss daran mit Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 in einem Fall, in dem - wie hier - Leistungspakete bestehend aus Übernachtungsleistungen mit Halb- oder Vollpension sowie ergänzende Leistungen an Busreiseunternehmer verkauft wurden, bereits entschieden, dass es sich bei den Verpflegungsleistungen um Nebenleistungen zur Hotelunterbringung handelt. Die Verpflegung von Hotelgästen gehört zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers und bei einem auf die Verpflegung entfallenden Anteil von nur 12,5 % macht die Verpflegung im Vergleich zur Unterbringung einen nur geringen Teil des Pauschalbetrags aus. An dieser Rechtsprechung, der sich der XI. Senat des BFH angeschlossen hat (Urteil vom 3.6.2009 XI R 34/08, BFHE 226, 369, BStBl II 2010, 857), hält der Senat trotz des zum Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433 ergangenen Nichtanwendungserlasses des BMF in BStBl I 2010, 490 fest.
b) Gegen die Annahme einer Nebenleistung spricht - entgegen der Auffassung des FA - nicht, dass Übernachtungsleistungen auch ohne Verpflegung in Anspruch genommen werden können. Für die Annahme einer Nebenleistung ist es nicht erforderlich, dass beide Leistungen derart miteinander verbunden sind, dass die eine Leistung nicht ohne die andere erbracht werden könnte. Maßgeblich ist vielmehr, ob die zu beurteilende Leistung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng - im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung - zusammenhängt und üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommt (vgl. BFH-Urteil vom 15.1.2009 V R 91/07, BFHE 224, 172, BStBl II 2009, 615).
2. Das FG ist im Ergebnis auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Besteuerung der Reiseleistungen nach § 25 UStG nicht erfüllt sind.
a) § 25 Abs. 1 Satz 1 UStG setzt nach seinem eindeutigen Wortlaut voraus, dass die vom Unternehmer erbrachten Reiseleistungen nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers erbracht werden. Für Reiseleistungen an andere Unternehmer (sog. Kettengeschäft) ist § 25 UStG daher nicht anwendbar (BFH-Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433). Da die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die streitigen Reiseleistungen an andere Unternehmer erbracht hat, liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 UStG nicht vor.
b) Auch Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG (ab 1.1.2007 Art. 306 bis 310 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) gebietet im vorliegenden Fall keine andere Beurteilung.
Zwar hat inzwischen der EuGH mit Urteil vom 26.9.2013 C-189/11, Kommission/Spanien (UR 2013, 835) entschieden, dass Art. 26 der Richtlinie 77/388/EWG über die Margenbesteuerung bei der Erbringung von Reiseleistungen unabhängig von der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers anzuwenden ist. Die Klägerin hat sich jedoch auf diese Vorschrift nicht berufen, sodass es ohne die Anwendung des § 25 UStG bei der Einzelbetrachtung der Leistungen verbleibt (vgl. BFH-Urteil vom 21.11.2013 V R 33/10, BFH/NV 2014, 800).
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