BFH: Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung
- Zahlt ein Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner vereinnahmt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurück, hat der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen.
- Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
BFH-Urteil vom 29.3.2017, XI R 5/16 (veröffentlicht am 31.5.2017)
UStG § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 Satz 2
InsO § 42, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 129, § 144
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 16.3.2016, 2 K 268/15 = SIS 16 26 93
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine erfolgreiche Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen im Insolvenzverfahren zu einer Vorsteuerberichtigung führt und die daraus resultierende Umsatzsteuer eine Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ist.
Das Amtsgericht A eröffnete mit Beschluss vom 22.4.2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Y und bestellte den Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter.
Y war Unternehmer; seine Umsätze hat er nach vereinbarten Entgelten versteuert. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte Y Zahlungen an seine Gläubiger für an sein Unternehmen ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen getätigt und den Vorsteuerabzug geltend gemacht.
Der Kläger focht diese Zahlungen gemäß § 129 der Insolvenzordnung (InsO) an. Die Gläubiger leisteten im Jahr 2013 Rückzahlungen.
Der Kläger korrigierte aufgrund der im Jahr 2013 vereinnahmten Rückzahlungen - unter der Steuernummer der Insolvenzmasse - in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2013 (Streitjahr) vom 12.8.2014 den Vorsteuerabzug, indem er nach § 17 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) geschuldete Steuerbeträge in Höhe von ... € erklärte.
Mit Schreiben vom 7.11.2014 beantragte der Kläger, die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12.11.2014 ab. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 26.1.2015).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger geltend gemacht hatte, die Vorsteuerberichtigungsansprüche seien Insolvenzforderungen, weil sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden seien, ab. Die aus der Vorsteuerberichtigung resultierende Umsatzsteuerschuld stelle eine Masseverbindlichkeit dar und sei somit bei der Festsetzung der Umsatzsteuer 2013 für die Masse zu berücksichtigen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 38 InsO). Er macht geltend, die im Streitjahr vorzunehmende Vorsteuerberichtigung führe zu einer Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO, die nicht gegen den Kläger festzusetzen sei. Die Umsatzsteuer i.S. des § 17 UStG sei deshalb bei Insolvenzeröffnung zwar noch nicht entstanden, aber begründet gewesen. An die Begründung einer Forderung seien geringere Anforderungen zu stellen als an ihre Entstehung. Sonst hätte § 38 InsO im Bereich des Steuerrechts keinen Anwendungsbereich. Entscheidend sei, dass die zivilrechtlichen Grundlagen für das Schuldverhältnis vor Verfahrenseröffnung gelegt worden seien. Die den Anfechtungsanspruch begründenden Voraussetzungen hätten im Streitfall bereits vor Insolvenzeröffnung vorgelegen. Der Anfechtungsanspruch habe bereits vor Insolvenzeröffnung bestanden. Der Anspruch auf Vorsteuer sei auflösend bedingt i.S. des § 42 InsO gewesen. Dass die Rückzahlung erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt sei, sei nicht erheblich.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur abgelehnten Zurückverlagerung des Entstehenszeitpunkts der berichtigten Forderungen im Bereich der Umsatzsteuer widerspreche dem BFH-Beschluss vom 1.4.2008 X B 201/07 (BFH/NV 2008, 925) sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Es widerspreche dem Zweck der Gläubigergleichbehandlung, einem Gläubiger Sondervorteile einzuräumen. Der BFH führe mit seiner Rechtsprechung Sonderrechte (wieder) ein.
Zudem ergebe sich aus dem Kontext des § 144 InsO, dass die Rückgewähr zu einer Insolvenzforderung und nicht zu einer Masseverbindlichkeit führe. Es solle die Lage hergestellt werden, die ohne die anfechtbare Rechtshandlung bestanden hätte. Jedenfalls sei § 144 InsO analog anzuwenden. Für die Insolvenzmasse sei keine Berichtigung durchzuführen, weil für sie keine unzutreffende Steuererklärung abgegeben worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Ablehnungsbescheid aufzuheben sowie das FA zu verpflichten, den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2013 vom 12.8.2014 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, dass das FA den Änderungsantrag des Klägers vom 7.11.2014 zutreffend abgelehnt hat, weil die Umsatzsteuererklärung, die gemäß § 168 Satz 1 der Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, rechtmäßig ist.
1. Im Streitjahr ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug zu berichtigen.
a) Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Ebenfalls ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen.
Dies gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen.
b) Unionsrechtlich beruhen diese Vorschriften auf Art. 90, 185 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Soweit es um den Vorsteuerabzug geht, ist dieser zu berichtigen, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, geändert haben (Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL). In Fällen, in denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wird, können die Mitgliedstaaten eine Berichtigung verlangen (Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL). Davon hat die Bundesrepublik Deutschland durch § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und 2 UStG Gebrauch gemacht.
c) Uneinbringlich ist ein Entgelt i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 12.8.2009 XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393, Rz 20; vom 24.10.2013 V R 31/12, BFHE 243, 451, BStBl II 2015, 674). Dies kann auch durch eine nachträgliche Rückgewähr an den Schuldner eintreten (vgl. BFH-Urteil vom 20.5.2010 V R 5/09, BFH/NV 2011, 77, Rz 16).
d) Gemessen daran hat das FG zu Recht angenommen, dass durch die im Jahr 2013 infolge der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO erfolgte Rückgewähr der gezahlten Beträge an Y die Entgelte aus den von Y bezogenen Leistungen (nachträglich) uneinbringlich geworden sind: Aufgrund dieser Rückgewähr lebten gemäß § 144 InsO die ursprünglichen Zahlungsansprüche der Gläubiger des Y wieder auf. Die Ansprüche der Gläubiger sind Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO (MünchKommInsO/ Kirchhof, 3. Aufl., § 144 Rz 9) und wegen der Insolvenz des Y uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG. Deshalb haben die Gläubiger des Y ihre Umsatzsteuer zu berichtigen; ebenso ist zeitgleich auch die Vorsteuer für die von Y bezogenen Leistungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen.
e) Der Einwand des Klägers, für die Insolvenzmasse sei keine "unrichtige" Steuererklärung abgegeben worden, greift insoweit nicht durch. Weder die Steuererklärung noch der Steuerbescheid für den ursprünglichen Besteuerungszeitraum sind in Fällen des § 17 UStG "unrichtig". Wegen § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG ist die Berichtigung nicht in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Inanspruchnahme, sondern für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem das Ereignis für die Berichtigung eingetreten ist (vgl. BFH-Urteile vom 8.9.2010 XI R 40/08, BFHE 231, 343, BStBl II 2011, 661, Rz 20; vom 18.4.2013 V R 19/12, BFHE 241, 446, BStBl II 2013, 842, Rz 28).
2. Ebenfalls zu Recht hat das FG angenommen, dass die Berichtigungsansprüche nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Rahmen der Masseverwaltung entstanden und daher als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) gegenüber dem Kläger festzusetzen sind.
a) Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Diese sind durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen (vgl. BFH-Urteile vom 30.4.2009 V R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138; vom 9.2.2011 XI R 35/09, BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, Rz 16, m.w.N.).
b) Demgegenüber dürfte ein sich für das Kalenderjahr ergebender Umsatzsteueranspruch, soweit er auf Besteuerungsgrundlagen beruht, die einen "zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch" i.S. von § 38 InsO darstellen, nicht mehr durch Steuerbescheid festgesetzt werden, sondern wäre als Insolvenzforderung gemäß §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anzumelden (vgl. BFH-Urteile vom 10.12.2008 I R 41/07, BFH/NV 2009, 719; vom 13.5.2009 XI R 63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11, Rz 17; vom 11.12.2013 XI R 22/11, BFHE 244, 209, BStBl II 2014, 332, Rz 20; vom 24.9.2014 V R 48/13, BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506, Rz 48).
c) Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist; nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG (vgl. BFH-Urteile in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, Rz 17; vom 8.3.2012 V R 24/11, BFHE 236, 274, BStBl II 2012, 466, Rz 27).
d) Ausgehend davon ist der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Streitjahr entstandene Vorsteuerberichtigungsanspruch eine Masseverbindlichkeit; denn er ist im Rahmen der Masseverwaltung entstanden. Hierzu gehört die Geltendmachung und Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen nach §§ 129 ff. InsO (vgl. BFH-Urteil vom 15.12.2016 V R 26/16, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2017, 493, Rz 23). Erst durch die Rückzahlung wurde der Anspruch des FA i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG begründet (vgl. BFH-Urteil in DStR 2017, 493, Rz 24 ff.; zu § 15a UStG s. BFH-Urteil in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, Rz 20, 26 und 30).
e) Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
aa) Es besteht insbesondere weder ein Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH-Beschlüsse vom 7.4.2005 IX ZB 195/03, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht - ZInsO - 2005, 484, Rz 10, und vom 7.4.2005 IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537, Rz 10; vgl. auch vom 22.9.2011 IX ZB 121/11, Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung; das gesamte Verfahren der Unternehmens- und Verbraucherinsolvenz 2011, 953, und vom 13.10.2011 IX ZB 80/10, ZInsO 2011, 2184, Rz 7) oder des BAG (vgl. BAG-Beschluss vom 9.12.2009 7 ABR 90/07, BAGE 132, 333, unter B.II.2.a aa). Der Senat verweist insoweit auf die Erwägungen im BFH-Urteil in DStR 2017, 493, Rz 20 f., denen er folgt. Auch ein Widerspruch zum BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 925 besteht deshalb nicht.
bb) Da die Vorsteuerberichtigung erst im Zeitpunkt der Rückzahlung erfolgt (vgl. oben unter II.1.d), führt § 144 InsO - entgegen der Auffassung des Klägers - zu keiner anderen Beurteilung. Gewährt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurück, so lebt zwar nach § 144 InsO seine Forderung wieder auf. Dies begründet jedoch keine Rückbeziehung des umsatzsteuerrechtlichen Berichtigungstatbestandes, der erst durch die Rückzahlung verwirklicht wird (s. oben II.1.d und e). Auch eine analoge Anwendung scheidet deshalb aus, zumal keine Lücke vorliegt.
cc) Diese Beurteilung widerspricht deshalb auch nicht § 42 InsO, nach dem auflösend bedingte Forderungen, solange die Bedingung nicht eingetreten ist, im Insolvenzverfahren wie unbedingte Forderungen berücksichtigt werden. Gerade durch die Berichtigung erst im Zeitpunkt der Rückzahlung wird § 42 InsO Rechnung getragen.
dd) Die Rechtsprechung des BFH führt - entgegen der Auffassung des Klägers - weder zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung noch zu einem ungerechtfertigten Privileg des Fiskus (vgl. BFH-Urteil vom 1.3.2016 XI R 9/15, BFH/NV 2016, 1310, Rz 31).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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