BMF: Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchstabe a und b UStG; Abgabe von Medikamenten
Bundesministerium der Finanzen 13. Dezember 2022, III C 3 - S 7170/20/10001 :001 (DOK 2022/1203355)
I.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 1. Dezember 2005 - C-394/04 und C-395/04, Ygeia, festgestellt, dass Dienstleistungen, die naturgemäß im Rahmen von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen erbracht werden und im Prozess der Erbringung dieser Dienstleistungen zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich sind, „eng verbundene Umsätze“ im Sinne der Richtlinienvorschrift – Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe b der 6. EG-RL (jetzt: Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe b MwStSystRL) - darstellen.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung hat der BFH mit Urteil vom 24. September 2014 - V R 19/11, BStBl II 2016 S. 781, entschieden, dass die Verabreichung von Zytostatika, die individuell für den einzelnen Patienten in einer Apotheke eines Krankenhauses hergestellt und im Rahmen einer ambulant in dem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung verabreicht werden, als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG in der in den Streitjahren 2005 und 2006 geltenden Fassung (seit 1. Januar 2009: § 4 Nr. 14 Buchstabe b UStG) steuerfrei ist. Mit BMF-Schreiben vom 28. September 2016 wurden diese für den entschiedenen Einzelfall vom BFH getroffenen Grundsätze in Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 4 UStAE übernommen.
Zwischenzeitlich hat der BFH mit Urteil vom 18. Oktober 2017 - V R 46/16, BStBl II 2018 S. 672, eine Entscheidung zur Zuordnung der Abgabe von Medikamenten zur Blutgerinnung (sog. Faktorpräparate) an Hämophiliepatienten zum Zweckbetrieb eines Krankenhauses veröffentlicht. Entscheidend für die Zurechnung zum Zweckbetrieb war, dass es sich bei der Abgabe dieser Medikamente (Faktorpräparate) um einen integralen Bestandteil der Gerinnungstherapie handelt.
Zwar stellt dieses zur Körperschaftsteuer ergangene Urteil auf den gemeinnützigkeitsrechtlichen Sinn und Zweck des § 67 AO und auf das Sozialrecht ab. Gleichwohl führt eine Gesamtbetrachtung der Ausführungen in der obenstehenden EuGH- und BFH-Rechtsprechung dazu, dass auch für Zwecke der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchstabe b UStG maßgeblich auf die Unentbehrlichkeit des Medikaments für den Therapieerfolg abzustellen ist.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ist unter Beachtung der Grundsätze des BFH-Urteils V R 19/11 daher auch die Abgabe durch eine Krankenhausapotheke von nicht patientenindividuell hergestellten (Fertig-)Medikamenten, die einen integralen Bestandteil einer Therapie darstellen, als ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 14 Buchstabe b UStG von der Umsatzsteuer zu befreien.
Voraussetzung für die Annahme eines eng mit der Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung verbundenen Umsatzes des Krankenhauses durch dessen Krankenhausapotheke ist demnach, dass die Verabreichung der Medikamente im Zeitpunkt der Erbringung der ärztlichen Leistung im Rahmen der ambulanten Behandlung eines Patienten zur Erreichung der damit verfolgten therapeutischen Ziele unentbehrlich ist. Eine therapeutische Unentbehrlichkeit der Medikamentengabe liegt dann vor, wenn diese im Zusammenhang mit der ärztlichen Therapie erfolgt, und die Therapie lediglich dann erfolgversprechend ist, wenn es zu einer Medikamentengabe dieses konkreten Medikaments bei der Behandlung kommt. Hierfür ist die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der konkreten Behandlung maßgeblich. Unter dieser Voraussetzung kann auch eine Begleitmedikation begünstigt sein, wie beispielsweise die Abgabe von Präparaten, die eventuelle Nebenwirkungen eines Medikaments verhindern oder verringern sollen.
Die Abgabe von (Fertig-)Medikamenten kann zudem eine unselbständige Nebenleistung zu der nach § 4 Nr. 14 Buchstabe a oder b UStG umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistung darstellen. Hierunter fällt die Abgabe von Medikamenten, die im Zeitpunkt der Heilbehandlung für diese unentbehrlich sind und ohne die diese Heilbehandlung nicht erfolgversprechend wäre, wie z. B. die bei einer im Rahmen einer Heilbehandlung vorgenommene Verabreichung von schmerzstillenden oder entzündungshemmenden Medikamenten. Hierbei ist die ärztliche Entscheidung für den Erfolg und die Notwendigkeit der konkreten Behandlung maßgebend.
II.
Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 22. November 2022 – III C 2 – S 7316/19/10003 :002 (2022/1165671), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Abschnitt 4.14.1 Abs. 4 wird wie folgt geändert:
a) Nach Satz 4 werden folgende Sätze 5 bis 8 eingefügt:
„5Die Abgabe von (Fertig-)Medikamenten kann zudem eine unselbständige Nebenleistung zu der nach § 4 Nr. 14 Buchstabe a oder b UStG umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistung darstellen. 6Hierunter fällt die Abgabe von allen Medikamenten, die im Zeitpunkt der Heilbehandlung für diese unentbehrlich sind und ohne die diese Heilbehandlung nicht erfolgversprechend wäre. 7Hiervon ist auszugehen, wenn die Medikamentenabgabe während der Behandlung durch den behandelnden Arzt erfolgt. 8Hierunter fällt u. a. die Abgabe dialyseimmanenter Medikamente im Rahmen einer ambulanten oder stationären Dialysebehandlung, die Abgabe von Faktorpräparaten im Rahmen der Behandlung von Blutern unabhängig vom Ort der Einnahme, die Abgabe von Zytostatika im Rahmen einer Chemotherapie zur Krebsbehandlung oder die Abgabe von schmerzstillenden bzw. entzündungshemmenden Medikamenten im Rahmen einer Heilbehandlung.“
b) Die bisherigen Sätze 5 bis 9 werden die neuen Sätze 9 bis 13.
2. Abschnitt 4.14.6 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 2 Nummer 3 wird wie folgt geändert:
„3. 1die Abgabe von Medikamenten durch die Apotheke eines Krankenhauses, für die im Rahmen einer ambulant in den Räumen dieses Krankenhauses durchgeführte Heilbehandlung; auf eine patientenindividuelle Herstellung der Medikamente und die sozialrechtliche Ermächtigungsform für die ambulante Heilbehandlung kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 24.09.2014 – V R 19/11, BStBl II 2016 S. 781). 2Dies gilt nur für die Abgabe von Medikamenten, die im Zeitpunkt einer Heilbehandlung unentbehrlich sind, d. h., wenn die ärztliche Leistung ohne diese Medikamentenabgabe nicht erfolgversprechend wäre. 3Hierfür ist die ärztliche Entscheidung über die Notwendigkeit der konkreten Behandlung maßgeblich. 4Eine Behandlung im selben Gebäude, in dem sich auch die Krankenhausapotheke befindet, ist nicht erforderlich. 5Für die Steuerbefreiung ist die Abgabe von Medikamenten durch die Krankenhausapotheke eines Krankenhauses zur Behandlung eines Patienten in einem Krankenhaus desselben Unternehmers an einem anderen Standort unschädlich. 6Das gilt entsprechend auch für die Medikamentenabgabe im Rahmen eines Vertrags nach § 140a SGB V von einem Krankenhaus an einen anderen Vertragspartner dieses Krankenhauses, der die Arzneimittel zur Durchführung einer Heilbehandlung im Rahmen dieses Vertrags verwendet, wenn das abgebende Krankenhaus selbst vergleichbare Behandlungen vornimmt und nicht lediglich insoweit Lieferant von Medikamenten ist.“
b) Absatz 3 Nummer 4 wird gestrichen.
III.
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
Für Umsätze, die vor dem 1. Januar 2023 ausgeführt werden, wird es für das Besteuerungsverfahren nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14.6 Abs. 2 Nr. 3 UStAE als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Soweit es sich hierbei um die Abgabe von Arzneimitteln innerhalb des Zweckbetriebs eines Krankenhauses nach § 67 AO handelt, ist in allen offenen Fällen auf diese Lieferung der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchstabe a UStG anzuwenden. Aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden.
Die Ausführungen zum Vorsteuerabzug, zur Steuerentstehung nach § 14c Abs. 1 UStG und zur Rechnungsberichtigung unter Tz. III des BMF-Schreibens vom 28. September 2016, BStBl. I S. 1043, gelten entsprechend. Aus Billigkeitsgründen kann für eine - zur Korrektur des Vorganges weiterhin erforderliche - Berichtigung des Steuerbetrages nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG des Krankenhauses gegenüber dem Versicherten einer privaten Krankenkasse (PKV) das folgende Verfahren angewandt werden:
- Ein zivilrechtlicher Vergleich zwischen dem Krankenhaus und der PKV kann wie eine Rechnungsberichtigung im Sinne des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG behandelt werden, wenn im Rahmen der entsprechenden Vereinbarung die jeweiligen Rechnungen, mit denen ursprünglich über die dem Vergleich zugrundeliegenden Leistungen gegenüber den Versicherten abgerechnet worden sind, jeweils eindeutig benannt werden (z. B. als tabellarische Anlage).
- Als Berichtigungsvolumen kommt nur der Betrag in Betracht, der auf einem Anspruch der Krankenversicherung beruht. Soweit die Krankenkasse nur eine anteilige Kosten-erstattung an den Patienten vorgenommen hat, kann auch nur ein entsprechend anteiliger Betrag der in der Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer berichtigt werden. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Vergleichsbetrag den zivilrechtlichen Anspruch nicht übersteigt.
- Voraussetzung für eine umsatzsteuerliche Berücksichtigung des Vergleichs ist eine vorherige Zahlung des Vergleichsbetrages.
- Im Verhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt sind Umsatzsteuer und Vorsteuer gesondert nach den hierfür geltenden Grundsätzen zu berichtigen, d. h., die Korrektur der nun nicht mehr abziehbaren Vorsteuer hat in dem ursprünglichen Jahr des Vorsteuerabzugs zu erfolgen, die Umsatzsteuerberichtigung erfolgt hingegen - in Höhe des vollen Betrages - im Jahr der „Rechnungsberichtigung“.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
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