BMF: Unentgeltliche Zuwendungen und Vorsteuerabzug; Folgen aus dem BFH-Urteil vom 16.12.2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17)
Bundesministerium der Finanzen 24. Januar 2024, III C 2 - S 7109/19/10004 :001 (DOK 2024/0060262)
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Anwendung der Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei „mittelbarer“ Veranlassung
III. Änderungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
Anwendungsregelung
Schlussbestimmungen
I. Einleitung
1 Ein Unternehmer ist unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn er Eingangsleistungen für Zwecke seines Unternehmens und damit für seine wirtschaftliche Tätigkeit bezieht.
2 Ein Unternehmer, der für Zwecke des Vorsteuerabzugs als Leistungsempfänger anzusehen ist, ist zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG und damit für seine unternehmerischen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen zu verwenden beabsichtigt (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 2011 – V R 38/09, BStBl II 2012 S. 68). Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung musste zwingend nach dem objektiven Inhalt der bezogenen Leistung ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 11. April 2013 – V R 29/10, BStBl II S. 840). Nur mittelbar verfolgte Zwecke waren bisher stets unerheblich (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 – V R 12/08, BStBl II 2012 S. 61).
3 In seinem Folgeurteil zum EuGH-Urteil vom 16. September 2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, hat der BFH mit Urteil vom 16. Dezember 2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17), BStBl II 2024 S. xxx, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung und der Verwaltungsauffassung entschieden, dass der Vorsteuerabzug aus einem mittelbar unternehmerisch veranlassten Leistungsbezug zulässig ist, der unentgeltlich an einen Dritten weitergeliefert wird, sowie eine daraus resultierende unentgeltliche Wertabgabe nicht besteuert wird, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.
4 Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt nach dieser Entscheidung Folgendes:
II. Anwendung der Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei „mittelbarer“ Veranlassung
5 Mit Urteil vom 16. Dezember 2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17), a. a. O., hat der BFH entschieden, dass einem Unternehmer der Vorsteuerabzug auch dann zustehen kann, wenn er eine Leistung bezieht, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen. Dies setzt aber voraus, dass die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich bzw. unerlässlich ist, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (im Urteilsfall: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist.
6 Nur unter diesen Voraussetzungen reicht entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine „mittelbare“ Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus. Darüber hinaus ist das BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 – V R 12/08, a. a. O. weiterhin anzuwenden.
7 Außerdem hat der BFH mit o. a. Urteil vom 16. Dezember 2020 entschieden, dass § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.
8 Für den Vorsteuerabzug aus Erschließungsmaßnahmen ergibt sich durch die v. b. Rechtsprechung kein Änderungsbedarf am BMF-Schreiben zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Erschließungsmaßnahmen vom 7. Juni 2012, BStBl I S. 621, weil in den dortigen Fällen im Regelfall die unentgeltliche Weitergabe von Leistungen zu einem unversteuerten Endverbrauch führen würde. Nur unter den nunmehr von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kann bei Erschließungsmaßnahmen, die unter den mit dem Urteilsfall XI R 26/20 (XI R 28/17) vergleichbaren Bedingungen erfolgen, ein Vorsteuerabzug möglich sein.
9 Die Genehmigung zum Ausbau z. B. einer Gemeindestraße führt in solchen Fällen nicht zu einem tauschähnlichen Umsatz, da die Ausbaumaßnahme keine Gegenleistung für die Genehmigung darstellt.
III. Änderungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
10 Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 23. Januar 2024 – III C 2 – S 7200/19/10003 :019 (2023/1237710), BStBl I S. xxx – geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In Abschnitt 3.2 wird nach Absatz 3 folgender Absatz 4 angefügt:
„(4) 1Droht kein unversteuerter Endverbrauch, sind § 3 Abs. 1b und 9a UStG unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt. 2Dieser droht nicht, wenn
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- die Eingangsleistung vor allem für Bedürfnisse des Unternehmers genutzt wird und nicht darüber hinaus geht, was hierfür erforderlich bzw. unerlässlich ist,
- die Kosten für die Eingangsleistung Bestandteile des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind und
- der Vorteil des Dritten allenfalls nebensächlich ist,
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- Bei der unentgeltlichen Abgabe von bürgerlicher Bekleidung an Arbeitnehmer; die unternehmerischen Gründe für die Überlassung wie auch das eigenbetriebliche Interesse des Unternehmers ändern daran nichts, weil der Vorteil des Arbeitnehmers nicht als nebensächlich oder untergeordnet erscheint(vgl. BFH-Urteil vom 24.08.2022 – XI R 3/22, BStBl II 2023 S. 936).
- Bei Zuwendungen an Betriebsangehörige im Rahmen einer Betriebsveranstaltung, wenn diese ausschließlich dem privaten Bedarf der Betriebsangehörigen dienen und über Aufmerksamkeiten hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.2023 – V R 16/21, BStBl II S. 1023).“
2. Abschnitt 3.3 Abs. 16 wird wie folgt gefasst:
„(16) Ein Set – bestehend aus Blutzuckermessgerät, Stechhilfe und Teststreifen –, das über Ärzte, Schulungszentren für Diabetiker und sonstige Laboreinrichtungen unentgeltlich an die Patienten abgegeben wird, ist kein Warenmuster im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2012 – XI R 36/10, BStBl II 2013 S. 412); vgl. aber zur Besteuerung einer Wertabgabe und zum Vorsteuerabzug Abschnitt 3.2 Abs. 4 sowie Abschnitt 15.2b Abs. 2a.“
3. Abschnitt 15.2b wird wie folgt geändert:
a) Absatz 2 Satz 3 wird wie folgt gefasst:
„3Zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung muss nach dem objektiven Inhalt der bezogenen Leistung ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 11.04.2013 – V R 29/10, BStBl II S. 840); nur mittelbar verfolgte Zwecke sind unerheblich (vgl. BFH-Urteil vom 13.01.2011 – V R 12/08, BStBl II 2012 S. 61), sofern die Voraussetzungen nach Absatz 2a nicht erfüllt sind.“
b) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 2a angefügt:
8Die Errichtung der Straße ist Voraussetzung für den Betrieb des Steinbruchs. 9Die Arbeiten für die Errichtung der Straße gehen nicht über das hinaus, was erforderlich war, um den Steinbruch zu betreiben. 10Die Kosten für die Baumaßnahmen gehen in die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätze des U ein. 11Aufgrund der hauptsächlichen Nutzung der Straße für den Schwerlastverkehr des U ist der Nutzen für die Gemeinde (in Form der nur geringen Pkw-Nutzung durch die Allgemeinheit) nur nebensächlich. 12U ist daher zum Vorsteuerabzug aus den im Zusammenhang mit dem Straßenausbau bezogenen Leistungen berechtigt.13Eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe des U an die Gemeindeerfolgt unter den genannten Umständen nicht (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.2020 – XI R 26/20 (XI R 28/17), a. a. O.).
7Die Verbreiterung der Straße ist für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Industriebetriebes erforderlich, da erst hierdurch wieder ein ungestörter Betriebsablauf möglich ist. 8Darüber hinaus ist der Vorteil der Gemeinde nur nebensächlich, da bereits eine für den öffentlichen Verkehr nutzbare Straße vorhanden ist. 9Daher erfolgt der Bezug dieser Leistung für das Unternehmen des Industriebetriebes, wodurch insoweit ein Vorsteuerabzug möglich ist. 10Die Aufwendungen für den Fahrradweg dienen der Verkehrssicherheit und verbessern weiter den Verkehrsfluss. 11Allerdings ist eine Nutzung der ausgebauten Straße durch die Lkw auch ohne den Fahrradweg möglich. 12Daneben ist der Vorteil für die Gemeinde bzw. die Allgemeinheit nicht nur nebensächlich, indem die Radfahrer mit dem Fahrradweg nun einen eigenen, bislang nicht vorhandenen Verkehrsstreifennutzen können. 13Damit erfolgt dieser Leistungsbezug nicht für das Unternehmen und ein Vorsteuerabzug ist insoweit unzulässig. 14Die Begrünungsmaßnahmen sind für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht erforderlich. 15Selbst die gemeindliche Auflage zur Vornahme entsprechender Maßnahmen führt nicht dazu, dass diese für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit unerlässlich werden. 16Daneben ist der Vorteil für die Gemeinde bzw. die Allgemeinheit aus der Begrünung nicht nur nebensächlich, sondern dient unmittelbar ihren Bedürfnissen. 17Damit erfolgt dieser Leistungsbezug nicht für das Unternehmen und ein Vorsteuerabzug ist insoweit unzulässig. 18Wurden die einzelnen Leistungen oder Leistungsbestandteile nicht gesondert abgerechnet, ist eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge in analoger Anwendung des Abschnitts 15.17 vorzunehmen. 19Hinsichtlich der eigentlichen Straßenverbreiterung ergibt sich keine unentgeltliche Wertabgabe, da der Leistungsbezug für den Industriebetrieb erforderlich bzw. unerlässlich ist, um seine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben zu können, und der Vorteil der Gemeinde hier allenfalls nebensächlich ist, da bereits eine nutzbare Straße vorhanden ist. 20Hinsichtlich des Fahrradweges und der Begrünung ergibt sich ebenfalls keine unentgeltliche Wertabgabe, da insoweit schon keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestanden hat.“
Anwendungsregelung
11 Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
12 Die Regelungen im BMF-Schreiben vom 7. Juni 2012, BStBl I S. 621, sind weiter anzuwenden, soweit oben keine abweichenden Regelungen getroffen werden.
Schlussbestimmungen
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
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