BMF: Umsatzsteuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen

Neufassung des § 4 Nr. 18 UStG durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften zum 1. Januar 2020

Bundesministerium der Finanzen 14. Februar 2023, III C 3 - S 7175/21/10003 :003 (DOK 2023/0067105)

Inhaltsverzeichnis

I. Allgemeines
II. Rechtsprechung
III. Änderungen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass
Anwendungsregelung
Schlussbestimmung

Nach Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Allgemeines

1 Durch Artikel 12 Nr. 5 Buchstabe d des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451) wurde § 4 Nr. 18 UStG für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen zum 1. Januar 2020 neu gefasst.

2 § 4 Nr. 18 UStG wird durch die Neufassung unionsrechtskonform an die Vorgaben des Artikels 132 Absatz 1 Buchstabe g MwStSystRL angepasst. Dementsprechend sieht die Neufassung eine Umsatzsteuerbefreiung für eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen vor, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, soweit diese nicht bereits in anderen Nummern des § 4 UStG genannt sind.

II. Rechtsprechung

3 Im Zusammenhang mit der Auslegung des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL und der Frage, wann ein eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Umsatz vorliegt, hat der BFH u. a. folgende - für die Anwendung des § 4 Nr. 18 UStG relevante - Feststellungen getroffen:

  • Für die im Rahmen eines Menüservices erbrachten Leistungen gilt die in Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem 1. Januar 2007: Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL) vorgesehene Steuerbefreiung nicht (BFH-Urteil vom 1. Dezember 2010 – XI R 46/08, BStBl II 2023 S. xxx1).
  • Erbringt ein Träger des Jugendfreiwilligendienstes, der gemäß § 11 Abs. 1 JFDG zur Gewährung von Geld- oder Sachleistungen an die Freiwilligen verpflichtet ist, Leistungen an die Einsatzstelle der Freiwilligen, die von der Einsatzstelle durch eine monatliche Pauschale vergütet wird, ist diese Leistung nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL steuerfrei (BFH-Urteil vom 24. Juni 2020 – V R 21/19, BStBl II 2023 S. xxx2).
  • Der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften durch eine GmbH für Länder und Kommunen kann nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL steuerfrei sein. Dasselbe gilt für den Betrieb einer kommunalen Obdachlosenunterkunft (BFH-Urteil vom 24. März 2021 – V R 1/19, BStBl II 2023 S. xxx3).

1 Das Urteil wird zeitgleich mit diesem Schreiben im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.

2 Das Urteil wird zeitgleich mit diesem Schreiben im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.

3 Das Urteil wird zeitgleich mit diesem Schreiben im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.

III. Änderungen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass

4 Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 7. Februar 2023 – III C 2 - S 7300/19/10004 :005 (2023/0117456), BStBl I Seite xxx, geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe „4.18.1 Wohlfahrtseinrichtungen“ durch die Angabe „4.18.1 Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen“ ersetzt.

2. In Abschnitt 1.8 Abs. 1 Satz 2 wird die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 7“ durch die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 4“ ersetzt.

3. In Abschnitt 4.16.5 Abs. 10 Satz 1 wird der Klammerzusatz gestrichen.

4. Abschnitt 4.18.1 wird wie folgt gefasst:

4.18.1. Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen

Umfang der Steuerbefreiung

(1) 1Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 18 UStG umfasst eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen im Sinne des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL, soweit diese nicht bereits in anderen Nummern des § 4 UStG genannt sind. 2Unter eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen fallen sowohl Leistungen, die im Rahmen von Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unmittelbar an die hilfsbedürftigen Personen erbracht werden, als auch solche Leistungen, die zwar nicht unmittelbar an die hilfsbedürftigen Personen erbracht werden, jedoch für die Umsätze im Bereich der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlich sind (vgl. EuGH-Urteil vom 08.10.2020, C-657/19, Finanzamt D); eine Vertragsbeziehung zu der hilfsbedürftigen Person selbst muss nicht bestehen.

(2) 1Nach § 4 Nr. 18 UStG sind insbesondere Leistungen an wirtschaftlich hilfsbedürftige Personen zur Überwindung der wirtschaftlichen Hilfsbedürftigkeit steuerfrei, z. B. Leistungen der Schuldnerberatung im außergerichtlichen Insolvenzverfahren, der „Tafeln“, der Frauenhäuser nach § 36a SGB II, der Bahnhofsmission, der Mitternachtsmission oder die Beratung und Hilfe für Obdach- und Wohnungslose. 2Auch Beratungsleistungen für Angehörige drogen- oder alkoholabhängiger Menschen oder bei Fragen zu Mütterkuren, Mutter-Kind-Kuren oder Vater-Kind-Kuren, Leistungen der Beratungsstellen für Ehe- und Lebensfragen und die Beratung und Hilfe für Haftentlassene sowie für Prostituierte sind eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen. 3Das gilt auch für Leistungen im Zusammenhang mit der Migration von Menschen, z. B. die Beratung und Hilfe für Migranten, Asylbewerber, Aussiedler oder Flüchtlinge. 4Hierunter fallen auch die im Zusammenhang mit dem Betrieb von Flüchtlingsunterkünften erbrachten Leistungen wie die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge, sowie in Erstaufnahmeeinrichtungen auch die Verpflegung der Flüchtlinge (vgl. BFH-Urteil vom 24.03.2021 – V R 1/19, BStBl II 2023 S. xxx).

(3) 1Unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 18 UStG fallen auch Leistungen, die auf Grund von Verträgen zur Übertragung von Aufgaben im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes nach § 16 Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG) erbracht werden, sofern die Einsatzstellen mit den Freiwilligen Aufgaben im Bereich der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit erfüllen. 2Insbesondere sind die unter § 4 Nr. 14 Buchstabe f, Nr. 15, 15a, 15b, 15c, 16 und 18 UStG genannten Leistungen als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen anzusehen. 3Sofern die Freiwilligen durch die Einsatzstellen jedoch für Aufgaben in anderen Bereichen eingesetzt werden, z. B. in den Bereichen Umwelt- oder Naturschutz, Landschaftspflege, Kultur und Denkmalpflege, Sport sowie Zivil- und Katastrophenschutz, ist eine Befreiung der auf Grund eines vorgenannten Vertrages nach § 16 BFDG u. a. von Zentralstellen an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 18 UStG nicht möglich (vgl. BFH-Urteil vom 23.07.2009 – V R 93/07, BStBl II 2015 S. 735). 4Des Weiteren sind auch Leistungen, die ein Träger des Jugendfreiwilligendienstes, der gemäß § 11 Abs. 1 Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) zur Gewährung von Geld- und Sachleistungen an die Freiwilligen verpflichtet ist, an die Einsatzstelle der Freiwilligen erbringt, und die dem Träger von der Einsatzstelle durch eine monatliche Pauschale vergütet werden, von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 18 UStG umfasst (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.2020 – V R 21/19, BStBl II 2023 S. xxx); die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

(4) 1Eine Steuerfreiheit für die Beherbergung, Beköstigung, ausgenommen die Abgabe von alkoholischen Getränken, und die üblichen Naturalleistungen an Personen, die bei den begünstigten Leistungen tätig sind, kommt nur dann in Betracht, wenn diese Sachzuwendungen als Vergütung für geleistete Dienste gewährt werden. 2Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag, den mündlichen Abreden oder nach den sonstigen Umständen des Arbeitsverhältnisses (z. B. faktische betriebliche Übung) neben dem Barlohn einen zusätzlichen Lohn in Form der Sachzuwendungen erhält. 3Unschädlich ist es hierbei, wenn die Beteiligten aus verrechnungstechnischen Gründen einen Bruttogesamtlohn bilden und hierauf die Sachzuwendungen anrechnen. 4Die Sachzuwendungen werden jedoch nicht als Vergütung für geleistete Dienste gewährt, wenn sie auf den Barlohn des Arbeitnehmers angerechnet werden. 5Die Sachzuwendungen haben hier nicht die Eigenschaft eines Arbeitslohnes. 6Vielmehr liegt ein besonderer Umsatz an den Arbeitnehmer vor, der nicht unter die Befreiung des§ 4 Nr. 18 UStG fällt (vgl. BFH-Urteil vom 03.03.1960 – V 103/58 U, BStBl III S. 169).

(5) 1Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG findet keine Anwendung, wenn für eine Leistung eine andere Steuerbefreiung als lex specialis vorgeht (vgl. EuGH-Urteil vom 15.11.2012, C-174/11, Zimmermann). 2Das gilt u. a. für Heilbehandlungsleistungen, für Leistungen der Behindertenhilfe (z. B. der Werkstätten für behinderte Menschen), für Leistungen im Rahmen der rechtlichen Betreuung, der Altenhilfe, der Jugendhilfe oder für Leistungen zur Beförderung von kranken und verletzten Personen.

(6) 1Leistungen, die in der Regel nicht speziell den hilfsbedürftigen Personen im Rahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit angeboten werden, z. B. Umzugsleistungen, Rechtsberatungsleistungen oder allgemeine Geschäftsführungs- und Verwaltungsleistungen, sind als solche keine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen. 2Auch bei den von einem Menüservice erbrachten Leistungen handelt es sich nicht um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen; diese fallen daher nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 18 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 01.12.2010 – XI R 46/08, BStBl II 2023 S. xxx). 3Die Leistungen eines solchen Menüservice oder Mahlzeitendienstes (z. B. „Essen auf Rädern“) unterliegen aber unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 oder 8 UStG dem ermäßigten Steuersatz.

Begünstigte Leistungserbringer

(7) 1Eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen sind steuerfrei, wenn sie von Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder von anderen Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, erbracht werden. 2Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Einrichtung handelt, die keine systematische Gewinnerzielung anstrebt, sind sämtliche Tätigkeiten desselben Unternehmers zu berücksichtigen. 3Eine Einrichtung ohne systematische Gewinnerzielung kann jedoch auch dann vorliegen, wenn sie zwar systematisch danach strebt, Überschüsse zu erwirtschaften, sie diese jedoch nicht als Gewinn an ihre Mitglieder ausschüttet, sondern für die Durchführung ihrer Leistungen verwendet (vgl. EuGH-Urteil vom 21.03.2002, C-174/00, Kennemer Golf & Country Club).

5. In Abschnitt 4.23.1 Abs. 5 wird die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 7“ durch die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 4“ ersetzt.

6. In Abschnitt 4.24.1 Abs. 4 wird die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 7“ durch die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 4“ ersetzt.

7. In Abschnitt 4.25.2 Abs. 3 Satz 3 wird die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 7“ durch die Angabe „Abschnitt 4.18.1 Abs. 4“ ersetzt.

8. Abschnitt 12.9 Abs. 4 wird wie folgt geändert:

a) Nummer 3 Satz 4 wird wie folgt gefasst:

4Zur Steuerbefreiung vgl. Abschnitt 4.17.2.“

b) In Nummer 4 Satz 2 wird die Angabe „§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe f oder Nr. 18 UStG“ durch die Angabe „§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe f UStG“ ersetzt.

c) Nummer 6 Satz 6 wird wie folgt gefasst:

6Verpflegungsdienstleistungen gegenüber Studierenden und Schülern sind unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 23 Satz 1 Buchstabe c UStG steuerfrei.“

Anwendungsregelung

5 § 4 Nr. 18 UStG in der Fassung des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451) und die Grundsätze dieses Schreibens sind auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2019 erbracht wurden bzw. erbracht werden.

6 Für Leistungen der Träger des Jugendfreiwilligendienstes gelten die Grundsätze des BFH-Urteils vom 24. Juni 2020 – V R 21/19, unter Berücksichtigung der Grundsätze des BMF-Schreibens vom 18. August 2015 (BStBl I S. 659) in allen offenen Fällen. Für Umsätze, die vor dem 1. April 2023 erbracht werden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von den o. g. Ausführungen als umsatzsteuerpflichtig behandelt bzw. behandelt hat.

7 Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 24. März 2021 – V R 1/19, zum Betrieb von Flüchtlingsunterkünften sind für Umsätze in allen offenen Fällen anzuwenden, die bis zum 31. Dezember 2019 erbracht wurden. Für Umsätze nach der Neufassung des § 4 Nr. 18 UStG zum 1. Januar 2020 sind die Urteilsgrundsätze nur noch für entsprechende Umsätze anzuwenden, die von Einrichtungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts oder von anderen Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, erbracht werden. Für Umsätze, die vor dem 1. Januar 2020 erbracht wurden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von den o. g. Ausführungen als umsatzsteuerpflichtig behandelt hat.

Schlussbestimmung

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

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