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BMF: Ausweis einer falschen Steuer in Rechnungen an Endverbraucher; Folgen aus den Urteilen des BFH vom 13.12.2018 – V R 4/18 und des EuGH vom 8.12.2022, C-378/21

Bundesministerium der Finanzen 27. Februar 2024, III C 2 - S 7282/19/10001 :002 (DOK 2024/0129235)

Inhaltsverzeichnis

I. Rechtsprechung zum Steuerausweis an Endverbraucher
II. Anwendung der Rechtsprechung
1.      Anwendung im Hinblick auf den Rechnungsaussteller – Auswirkungen auf Fälle des unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweises
2.      Anwendung im Hinblick auf den Rechnungsempfänger – Rechnungserteilung an Endverbraucher
III. Änderungen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass
IV. Anwendungsregelung
Schlussbestimmung

1 Die Regelungen in § 14c UStG zum unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis basieren unionsrechtlich auf Art. 203 MwStSystRL. Dieser unterscheidet, anders als die Regelungen in § 14c UStG, nicht zwischen verschiedenen Fallkonstellationen, sondern bestimmt, dass die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

I. Rechtsprechung zum Steuerausweis an Endverbraucher

2 Der BFH hat mit Urteil vom 13. Dezember 2018 – V R 4/18 (BStBl II 2024 S. xxx = SIS 18 22 39) entschieden, dass die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG auch bei einer Rechnungserteilung an einen Nichtunternehmer entstehe.

3 Demgegenüber hat der EuGH mit Urteil vom 8. Dezember 2022, C-378/21, Finanzamt Österreich = SIS 23 01 24, entschieden, dass ein Steuerpflichtiger, der eine Dienstleistung erbracht und in seiner Rechnung einen Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat, der auf der Grundlage eines falschen Steuersatzes berechnet wurde, den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht nach Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG schuldet, wenn keine Gefährdung des Steuer­aufkommens vorliegt, weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar.

II. Anwendung der Rechtsprechung

4 Nach Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt nach den vorgenannten Urteilen Folgendes:

1. Anwendung im Hinblick auf den Rechnungsaussteller – Auswirkungen auf Fälle des unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweises

5 Wenn ein Unternehmer eine Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem unrichtigen Steuerausweis an einen Endverbraucher (siehe Rn. 9) gestellt hat, entsteht keine Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG. Dies gilt entsprechend auch für einen unberechtigten Steuerausweis durch Kleinunternehmer nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Wortlaut des UStG ist insoweit unionsrechtskonform einschränkend auszulegen. Das BFH-Urteil V R 4/18 ist durch das EuGH-Urteil C-378/21 überholt und insoweit nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.

6 Hingegen sind die Grundsätze des EuGH-Urteils C-378/21 auf die übrigen von § 14c Abs. 2 UStG erfassten Fälle nicht anzuwenden, da unter diesen Umständen schon die grundlegenden Voraussetzungen des Urteilssachverhalts – tatsächliche Leistungserbringung durch einen Unternehmer (Steuerpflichtigen nach der MwStSystRL), vgl. auch Rn. 17 der Urteilsgründe – nicht vorliegen. Daher entsteht unter den übrigen Voraussetzungen insbesondere bei einem unberechtigten Steuerausweis durch einen Unternehmer außerhalb seines unternehmerischen Bereichs, durch einen Nichtunternehmer oder in Fällen ohne eine Leistungserbringung immer eine Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG.

2. Anwendung im Hinblick auf den Rechnungsempfänger – Rechnungserteilung an Endverbraucher

7 Liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung der Grundsätze des EuGH-Urteils C-378/21 hinsichtlich des Rechnungsausstellers nach Rn. 5 vor, ist zusätzlich zu prüfen, ob auch hinsicht­lich des Rechnungsempfängers die Voraussetzungen vorliegen.

8 Der EuGH hat seine Entscheidung in dem Urteil C-378/21 ausdrücklich unter der Prämisse getroffen, dass keine Gefährdung des Steueraufkommens vorlag, da die Kunden in dem Urteils­sachverhalt ausschließlich Endverbraucher waren, die hinsichtlich der ihnen in Rechnung ge­stellten Mehrwertsteuer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren (Rn. 18 des Urteils). Ent­sprechend ist der EuGH auch unter Rn. 21 und 23 des Urteils von einer Gefährdung des Steu­eraufkommens ausgegangen, wenn der Adressat der Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann bzw. könnte.

9 Unter „Endverbraucher“ in diesem Sinne fallen Nichtunternehmer und Unternehmer, die nicht als solche handeln (insbesondere Unternehmer bei Leistungsbezug für ihren privaten Bereich oder für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit i. e. S., vgl. auch Abschnitt 2.3 Abs. 1a UStAE).

10 Das EuGH-Urteil C-378/21 kann daher nicht auf Fälle übertragen werden, in denen die fragli­che Rechnung an einen Unternehmer für dessen unternehmerischen Bereich erteilt worden ist. Dabei ist es für die Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG nicht ausschlaggebend, ob und ggf. inwieweit tatsächlich ein Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist. Daher entsteht die Steuer nach § 14c UStG auch dann, wenn die Rechnung z. B. an einen Kleinunternehmer, einen pauschalierenden Land- und Forstwirt oder einen Unternehmer mit Ausgangsumsätzen, die den Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausschließen, erteilt worden ist. Denn auch in die­sen Fällen kann ein Vorsteuerabzug – z. B. durch eine spätere Option zur Steuerpflicht, über eine spätere Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG oder auch unrechtmäßig – nicht ausge­schlossen werden.

11 Die Tatsache, dass ein falscher (unrichtiger oder unberechtigter) Steuerausweis vorliegt, ist durch die Finanzbehörde nachzuweisen. Die Tatsache, dass die fragliche Rechnung an einen Endverbraucher i. S. des EuGH-Urteils (siehe Rn. 9) ausgestellt worden ist, stellt hingegen eine den Steueranspruch einschränkende Tatsache dar, die durch den Unternehmer glaubhaft darzu­legen bzw. plausibel zu begründen ist.

12 In Mischfällen, in denen die gleiche Leistung betreffende Rechnungen mit falschem Steueraus­weis sowohl an Endverbraucher als auch an Unternehmer für deren unternehmerischen Bereich erteilt wurden, sind die Grundsätze des EuGH-Urteils C-378/21 nur bezüglich der durch den Unternehmer belegten Rechnungserteilungen an Endverbraucher anzuwenden.

13 Soweit nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, ob die Rechnungsempfänger als Unter­nehmer oder als Endverbraucher gehandelt haben, sind die Grundsätze des EuGH-Urteils C-378/21 nicht anzuwenden. Insbesondere kann in diesen Fällen weder eine Schätzung des An­teils der betroffenen Umsätze oder der an Endverbraucher ausgestellten Rechnungen noch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung oder Ähnliches erfolgen. Bei der Beurteilung, ob der Leistungsbezieher als Endverbraucher gehandelt hat und daher keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, kann aber die Art der Leistung berücksichtigt werden. Zu Leistungen, die ihrer Art nach mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind, vgl. Abschnitt 3a.2 Abs. 11a UStAE; dieser Leistungskatalog ist aber unbeachtlich, sofern im Einzelfall feststeht, dass die Leistung nicht an einen Endverbraucher erbracht worden ist.

14 Soweit nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils C-378/21 aufgrund einer Rechnungserteilung an Endverbraucher keine Steuer nach § 14c UStG entstanden ist, bedarf es aus umsatzsteuerlicher Sicht auch keiner Berichtigung des fraglichen Steuerbetrages.

15 Das EuGH-Urteil hat keine Auswirkung auf die Berechnung von Steuer und Entgelt. Ist z. B. tatsächlich der ermäßigte Steuersatz statt des Regelsteuersatzes anzuwenden und hat der Unter­nehmer den Mehrbetrag nicht an den Leistungsempfänger zurückgezahlt, so ist die Berechnung auch bei Anwendung der Grundsätze des Urteils entsprechend Abschnitt 14c.1 Abs. 5 Beispiel UStAE vorzunehmen.

III. Änderungen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass

16 Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zu­letzt durch das BMF-Schreiben vom 13. Februar 2024 - III C 2 – S 7306/22/10001 :001 (2024/0128292), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In Abschnitt 6.12 Satz 1 wird die Angabe „Abschnitt 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3“ durch die Angabe „Abschnitt 14c.1 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3“ ersetzt.

2. Abschnitt 13.7 Beispiel Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Der Unternehmer U liefert im Voranmeldungszeitraum Januar 01 einen Rollstuhl (Position 8713 des Zolltarifs) an ein Altenheim (kein Endverbraucher) für insgesamt 238 € und weist in der am 02.02.01 ausgegebenen Rechnung unter Anwendung des Steuersatzes 19 % eine darin enthaltene Umsatzsteuer in Höhe von 38 € gesondert aus.“

3. Abschnitt 14c.1 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Weist der leistende Unternehmer oder der von ihm beauftragte Dritte in einer Rechnung einen höheren Steuerbetrag aus, als der leistende Unternehmer nach dem Gesetz schuldet (unrichtiger Steuerausweis), schuldet der leistende Unternehmer unter Beachtung von Absatz 1a auch den Mehrbetrag (§ 14c Abs. 1 Satz 1 UStG).“

b) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) 1Die Vorschrift ist unionsrechtskonform einschränkend auszulegen, dass keine Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht, wenn ein Unternehmer eine Leistung tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem unrichtigen Steuerausweis an einen Endverbraucher (insbesondere Nichtunternehmer oder Unternehmer für dessen nichtunternehmerischen Bereich) gestellt hat (vgl. EuGH-Urteil vom 08.12.2022, C-378/21, Finanzamt Österreich). 2Es bedarf in diesen Fällen keiner Berichtigung des Steuerbetrages nach Absatz 5. 3Die Tatsache, dass die fragliche Rechnung an einen Endverbraucher ausgestellt worden ist, stellt eine den Steueranspruch einschränkende Tatsache dar, die durch den Unternehmer glaubhaft darzulegen bzw. plausibel zu begründen ist. 4In Mischfällen, in denen die gleiche Leistung betreffende Rechnungen mit unrichtigem Steuerausweis sowohl an Endverbraucher als auch an Unternehmer für deren unternehmerischen Bereich erteilt wurden, sind die vorgenannten Grundsätze nur bezüglich der Rechnungserteilung an Endverbraucher anzuwenden. 5Es kann keine Schätzung der betroffenen Umsätze oder des Anteils der an Endverbraucher ausgestellten Rechnungen, keine Wahrscheinlichkeitsberechnung oder Ähnliches erfolgen. 6Bei der Beurteilung, ob der Leistungsbezieher als Endverbraucher gehandelt hat, kann aber die Art der Leistung berücksichtigt werden. 7Zu Leistungen, die ihrer Art nach mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind vgl. Abschnitt 3a.2 Abs. 11a; dieser Leistungskatalog ist aber unbeachtlich, sofern im Einzelfall feststeht, dass die Leistung nicht an einen Endverbraucher erbracht worden ist.

c) Absatz 8 wird wie folgt gefasst:

„(8) 1Hat ein Unternehmer – insbesondere im Einzelhandel – über eine tatsächlich erbrachte Lieferung an einen Abnehmer aus einem Drittland eine Rechnung mitgesondertem Steuerausweis (§ 14 Abs. 4 UStG) bzw. eine Kleinbetragsrechnung im Sinne des § 33 UStDV (z. B. einen Kassenbon mit Angabe des Steuersatzes) erteilt und werden nachträglich die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung als Ausfuhrlieferung im nichtkommerziellen Reiseverkehr (sog. Export über den Ladentisch) erfüllt (vgl. im Einzelnen Abschnitt 6.11), liegt eine Rechnung mit einem unrichtigen Steuerausweis an einen Endverbraucher vor. 2Gemäß Absatz 1a entsteht in derartigen Fällen keine Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG.“

4. Abschnitt 14c.2 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er dazu nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet unter Beachtung von Absatz 1a den ausgewiesenen Betrag (§ 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG).“

b) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) 1Die Vorschrift ist unionsrechtskonform einschränkend auszulegen, dass keine Steuer nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG entsteht, wenn ein Kleinunternehmereine Leistung tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem Steuerausweis an einen Endverbraucher (insbesondere Nichtunternehmer oder Unternehmer für dessen nichtunternehmerischen Bereich) gestellt hat (vgl. EuGH-Urteil vom 08.12.2022, C-378/21, Finanzamt Österreich). 2In diesen Fällen sind die Regelungen in Abschnitt 14c.1 Abs. 1a entsprechend anzuwenden. 3Es bedarf dann keiner Berichtigung des Steuerbetrages nach den Absätzen 3 und 5. 4Auf andere Fälle des § 14c Abs. 2 UStG ist die einschränkende Auslegung hingegen nicht anzuwenden.

c) Absatz 2 Nummer 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Ein Unternehmer weist in der Rechnung einen Steuerbetrag aus, obwohl er nach § 19 Abs. 1 UStG dazu nicht berechtigt ist (§ 14c Abs. 2 Satz 1 UStG), vgl. aber unionsrechtskonform einschränkende Auslegung nach Absatz 1a.“

d) Absatz 6 wird wie folgt gefasst:

„(6) Hat ein Kleinunternehmer eine Erklärung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG abgegeben, aber vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (vgl. Abschnitt 19.2 Abs. 2) zurückgenommen, kann er die in der Zwischenzeit erteilten Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis und den unter Berücksichtigung von Absatz 1a geschuldeten unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrag unter den in Absatz 5 bezeichneten Voraussetzungen berichtigen.“

5.  In Abschnitt 18.11 Abs. 1a Satz 2 wird im Klammerzusatz die Angabe „Abschnitt 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 und Satz 6“ durch die Angabe „Abschnitt 14c.1 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 und Satz 7“ ersetzt.

6.  Abschnitt 24.9 Satz 3 wird wie folgt gefasst:

3Weist der Unternehmer einen höheren Steuerbetrag aus, als er im Rahmen der Durchschnittssatzbesteuerung gesondert in Rechnung stellen darf, schuldet er vorbehaltlich von Abschnitt 14c.1 Abs. 1a nach § 14c Abs. 1 UStG diesen Mehrbetrag; er hat diesen Betrag an das Finanzamt abzuführen.“

IV. Anwendungsregelung

17 Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Schlussbestimmung

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

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