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BFH: Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben

  1. Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte.
  2. Gemäß § 171 Abs. 7 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen be­geht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann.

AO § 171 Abs. 7, § 45, § 153 Abs. 1, § 169 Abs. 2 Satz 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 370, § 376

BFH-Urteil vom 21.6.2022, VIII R 26/19 (veröffentlicht am 10.11.2022)

Vorinstanz: FG München vom 26.7.2019, 6 K 3189/17 = SIS 19 14 86

I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind Erbinnen ihrer Eltern. Am xx.xx.2007 verstarb der Vater der Klägerinnen (im Folgenden: Erb­lasser). Während des Revisionsverfahrens verstarb auch die Mutter (im Fol­genden: Erblasserin), die als Miterbin des Erblassers bis dahin ebenfalls Kläge­rin und Revisionsklägerin war.

Der Erblasser und die Erblasserin wurden in den Streitjahren 1995 bis 2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 reichten sie am 10.03.1997 ein, jene für die Streitjahre ab 1996 in den Jahren 1998 bis 2002. Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre wur­den bestandskräftig.

Der Erblasser und sein Bruder hatten in den 1980er Jahren von ihrem Vater Depots im Fürstentum Liechtenstein (Liechtenstein) und in der Schweiz ge­erbt. Nach hälftiger Aufteilung unter den Brüdern brachte der Erblasser seinen Anteil in zwei Stiftungen mit Sitz in Liechtenstein ein. Die daraus erzielten Ka­pitalerträge gab er in den Einkommensteuererklärungen nicht an und verkürz­te dadurch bewusst u.a. die Einkommensteuer der Streitjahre um jeweils sechsstellige Euro-Beträge.

Die Klägerinnen hatten hiervon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod im Jahr 2007 erhielten sie noch im selben Jahr Auskehrungen der liechtensteinischen Stiftungen. Am 02.12.2014 reichten sie beim FA eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechtensteinischen Kapitalerträge für die Einkommensteuerveranlagungen ab 2002 nacherklärten. Für die Streitjahre gaben die Klägerinnen keine Berichtigungserklärungen zu den eingereichten Einkommensteuererklärungen ab.

Auf der Grundlage von Steuerfahndungsberichten erließ das FA am 23.12.2016 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und zur Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 01.01.1996. Es richtete diese Bescheide an die Erblasserin und die Klägerinnen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen des Erblassers. Das FA ging da­von aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre wegen einer Ablaufhem­mung gemäß § 171 Abs. 7 AO noch nicht abgelaufen sei.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Klägerinnen gemeinsam mit der Erblasserin Klage und beriefen sich auf den Eintritt der Festsetzungs­verjährung.

Durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1731 veröffent­lichte Urteil wies das Finanzgericht (FG) München die Klage ab. Die Ände­rungsbescheide für die Streitjahre seien rechtmäßig, da der Ablauf der Fest­setzungsfrist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt gewesen sei. Durch die Nichter­füllung ihrer Pflicht zur Erklärungsberichtigung nach § 153 Abs. 1 AO hätten die Klägerinnen ihrerseits die Einkommensteuer der Streitjahre hinterzogen. Eine Berichtigung sei im Laufe des Jahres 2007 durchführbar und den Kläge­rinnen zumutbar gewesen.

Mit ihrer Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung von Bundesrecht. Das FG habe § 171 Abs. 7 AO unzutreffend ausgelegt.

Die aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers auf zehn Jahre verlän­gerten Festsetzungsfristen seien zwar bei dessen Versterben am xx.xx.2007 noch nicht abgelaufen gewesen. Für sämtliche Streitjahre habe die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auch gegenüber den Kläge­rinnen gegolten. Der jeweilige Fristablauf sei aber nicht nach § 171 Abs. 7 AO über das Ende dieser Festsetzungsfrist hinaus gehemmt worden. § 171 Abs. 7 AO erfasse allein die Steuerstraftat des Erblassers als des originären Steuer­pflichtigen und könne nur zu einer Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtli­chen Verfolgungsverjährung dieser Tat führen. Eine Analogie oder teleologi­sche Extension der Regelung zulasten der Klägerinnen in der Weise, dass eine Steuerhinterziehung des Erben aufgrund einer unterbliebenen Erklärungsbe­richtigung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 AO) eine Ablaufhemmung bis zur steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung der Tat des Erben auslö­se, komme nicht in Betracht. Der Zweck des § 171 Abs. 7 AO bestehe nur da­rin, eine Inkongruenz zwischen der steuerlichen Festsetzungsverjährung und der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung bei dem "Ursprungstäter" bzw. "le­benden Steuerpflichtigen" (hier: dem Erblasser) zu vermeiden. Der Erbe könne nach dem Eintritt der Festsetzungsverjährung nur durch einen Haftungsbe­scheid in Anspruch genommen werden (§ 71 i.V.m. § 191 Abs. 1, Abs. 5 AO).

Selbst wenn man dieser Argumentation nicht folge, habe jedenfalls der Ände­rungsbescheid für das Streitjahr 1995 nicht mehr ergehen dürfen. Denn die Steuerhinterziehungen der Klägerinnen durch Unterlassen seien insoweit bis zum Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist am 31.12.2007 noch nicht voll­endet gewesen, da das FA selbst bei einer unverzüglichen Anzeige und Berich­tigung der Einkommensteuererklärung des Erblassers für das Jahr 1995 bis zum Jahresende 2007 keinen Änderungsbescheid für dieses Streitjahr mehr hätte erlassen können.

Nach Bekanntgabe eines Abhilfebescheids vom 12.05.2022 zur Vermögensteu­er-Neuveranlagung auf den 01.01.1996 erklärten die Beteiligten den Rechts­streit insoweit in der Hauptsache für erledigt.

Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des FG München vom 26.07.2019 ‑ 6 K 3189/17, die Einspruchsent­scheidung vom 12.12.2017 sowie die Einkommensteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 1995 bis 2001 vom 23.12.2016 aufzuheben,
hilfsweise, das Urteil des FG München vom 26.07.2019 ‑ 6 K 3189/17 wegen der Einkommensteuer 1995 aufzuheben und zurückzuverweisen.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Das Revisionsverfahren wurde durch den Tod der Erblasserin am xx.xx.2020 gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §§ 239, 246 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht unterbrochen, da sie durch die Prozessbevoll­mächtigte vertreten war. Das Verfahren war auch nicht nach § 246 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO auszusetzen, da weder die Prozessbevollmächtigte noch das FA dies beantragt haben. Nach Annahme der Erbschaft führen die Klägerinnen das Revisionsverfahren (auch) als Gesamtrechtsnachfolgerinnen der Erblas­serin fort.

III. Soweit das Urteil des FG die Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 01.01.1996 betrifft, ist es durch die Bekanntgabe des Abhilfebescheids vom 12.05.2022 gegenstandslos geworden und deshalb aufzuheben. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist der Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache erledigt.

IV. Soweit die Revision der Klägerinnen die Einkommensteuer der Streitjahre be­trifft, ist sie gemäß § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerinnen die vom Erblasser hinterzo­gene Einkommensteuer als Gesamtrechtsnachfolgerinnen schulden (1.), die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Korrektur der Einkommen­steuerbescheide vorliegen (2.) und den am 23.12.2016 erlassenen Änderungs­bescheiden wegen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO nicht der Ein­tritt der Festsetzungsverjährung entgegenstand (3.). Auf Fragen der steuer­lichen Haftung kommt es nicht an (4.).

1. Mit dem Erbfall am xx.xx.2007 sind die Klägerinnen als Erbinnen und Ge­samtrechtsnachfolgerinnen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO ‑‑zunächst gemein­sam mit der Erblasserin‑‑ neue Gesamtschuldnerinnen für die Einkommen­steuerschulden des Erblassers geworden (vgl. § 44 Abs. 1 AO). Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes nach § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf eine oder mehrere Personen (Erben) über. Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts, sondern es erstreckt sich auch auf das öffentliche Recht und insbesondere auf das Steuerrecht (vgl. Beschluss des Großen Se­nats des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17.12.2007 ‑ GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.I. [Rz 56]; BFH-Urteil vom 29.08.2017 ‑ VIII R 32/15, BFHE 260, 1, BStBl II 2018, 223, Rz 23).

2. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu än­dern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Das FA erlangte im Streitfall erst durch die von den Klägerinnen für die Jahre ab 2002 eingereichte Selbstanzeige vom 02.12.2014 Kenntnis davon, dass der Erblasser bereits in den Streitjahren hö­here Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als er dem FA in den eingereichten Einkom­mensteuererklärungen mitgeteilt hatte. Die Änderbarkeit der Einkommensteu­erbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und die anzusetzenden Kapitalein­künfte sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Klägerinnen berufen sich ausschließlich auf die nach ihrer Auffassung schon vor dem Erlass der Ände­rungsbescheide vom 23.12.2016 eingetretene Festsetzungsverjährung.

3. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das FA die streitgegenständlichen Änderungsbescheide vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen hat.

a) Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres, in dem die Erblasser die Einkommensteuererklärung für das jeweilige Streitjahr abgegeben hatten (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Sie verlängerte sich aufgrund der unstreitigen Steuerhinterziehungen des Erblassers für jedes Streitjahr auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Für das älteste Streitjahr 1995 begann sie mit Ab­lauf des Jahres 1997 und endete ‑‑vorbehaltlich der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO (s. dazu unter IV.3.c)‑‑ mit Ablauf des Jahres 2007. Entspre­chend endeten die zehnjährigen Festsetzungsfristen für die weiteren Streitjah­re frühestens mit Ablauf der Jahre 2008 (Streitjahre 1996 und 1997), 2009 (Streitjahr 1998), 2010 (Streitjahr 1999), 2011 (Streitjahr 2000) und 2012 (Streitjahr 2001).

b) Die durch die Steuerhinterziehungen des Erblassers für die Streitjahre in Gang gesetzten zehnjährigen Festsetzungsfristen liefen für die Klägerinnen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen jeweils bis zum Ablauf des Zehnjahreszeitraums weiter. Die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, haftet der Steuer als solcher an und geht mit dem Übergang der Steuerschuld nach § 45 Abs. 1 AO auf den Gesamtrechtsnachfolger über (vgl. dazu BFH-Urteile vom 02.12.1977 ‑ III R 117/75, BFHE 124, 302, BStBl II 1978, 359, unter 2.c [Rz 13], und in BFHE 260, 1, BStBl II 2018, 223, Rz 23 f., 33 ff.).

c) Die von den Klägerinnen als Erbinnen durch Unterlassen der Erklärungsbe­richtigungen begangenen Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 AO) lösten für die Einkommensteuer der Streitjahre keine erneu­te zehnjährige Festsetzungsfrist aus. Zwar ist auch eine Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueran­spruch auf zehn Jahre zu verlängern. Die Steuerhinterziehung des Erben be­wirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf zehn Jahre, wenn es sich bei dieser ‑‑anders als im Streitfall‑‑ um eine erstmalige Verlängerung der Fest­setzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 26.02.2020 ‑ 5 K 95/17, EFG 2020, 1034, Rz 117 f., und Schindler in Gosch, AO § 153 Rz 26).

d) Die zehnjährige Festsetzungsfrist war für alle Streitjahre zum Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide vom 23.12.2016 noch nicht abgelaufen. Der Ablauf der Festsetzungsfristen war gemäß § 171 Abs. 7 AO gehemmt, da Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vorlagen und die Verfolgung der Steuerstraftaten der Klägerinnen noch nicht verjährt war.

aa) Nach § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen der Verlän­gerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.

aaa) Nach dem Wortlaut des § 171 Abs. 7 AO setzt die Hemmung der Festset­zungsverjährung nicht voraus, dass die noch nicht verjährte Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit die Tat ist, die zur Verlängerung der Festset­zungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO geführt hat. Erforderlich ist allein, dass eine verlängerte steuerliche Festsetzungsfrist vorliegt und die Verfolgungsver­jährung für eine dieselbe Steuerschuld betreffende Steuerstraftat oder ‑ord­nungswidrigkeit noch nicht eingetreten ist. Entgegen der Auffassung der Klä­gerinnen handelt es sich bei dieser Auslegung des § 171 Abs. 7 AO weder um eine teleologische Extension der Vorschrift noch um eine Analogie, sondern um eine Auslegung des Tatbestands, die die Grenzen des Wortlauts, den Norm­zweck und die Systematik beachtet. Sie wird auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. die Urteile des FG München im Streitfall und des FG Hamburg in EFG 2020, 1034) sowie in Teilen des Schrifttums befürwortet (vgl. Buse in Buse/von Frantzki, Steuerstrafrecht, 6/2021, 5. Kapitel, 7.5.3 zu Fn 421; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 171 Rz 88; Rolletschke, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ‑‑wistra‑‑ 2020, 175 f.; Scheffler, Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht 2020, 251 f.; Zugmaier/Nöcker/Webel, AO, § 171 Rz 303; anderer Ansicht Beyer, Betriebs-Berater 2016, 987, 989; Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz 80; BeckOK AO/Fink, 21. Ed. [01.07.2022], AO § 171 Rz 328 f.; Fromm, Deutsches Steuerrecht 2014, 1747, 1750; Lampe, Praxis Steuerstrafrecht 2015, 95 ff.; Paetsch in Gosch, AO § 171 Rz 137; Radermacher, Steuerberater Woche 2014, 956, 960; Sommer/Kauffmann, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2015, 63, 69 f.).

bbb) Diese Auslegung ist auch durch den Zweck des § 171 Abs. 7 AO geboten. Dieser besteht darin, zu verhindern, dass eine Steuerstraftat oder Steuerord­nungswidrigkeit zwar noch verfolgt werden kann, die dadurch hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Steuerbeträge aber wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden dürfen (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 152; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 171 AO Rz 163; Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz 76). Der Gesetzgeber will auf die Festsetzung einer Steuer nicht verzichten, solange die Bestrafung bzw. Ahndung eines diese Steuer betreffenden Steuerdelikts noch möglich ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 124, 302, BStBl II 1978, 359, unter 2.b [Rz 12], mit weiteren Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte und dem daraus hervorgehenden Normzweck).

ccc) Ein systematisches Argument für diese Auslegung ist aus § 171 Abs. 9 AO abzuleiten. Diese Vorschrift sieht eine einjährige Ablaufhemmung für den Fall eines "rechtstreuen" Erben vor, der seine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 AO ordnungsgemäß erfüllt. Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, so endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 9 AO nicht vor Ab­lauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (vgl. zu dieser Vorschrift BFH-Ur­teil vom 21.04.2010 ‑ X R 1/08, BFHE 229, 49, BStBl II 2010, 771). Auch dies spricht für die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO während der Dauer einer mög­lichen Strafverfolgung des "rechtsuntreuen" Erben. Denn es wäre wertungs­widersprüchlich und mit dem Normzweck des § 171 Abs. 7 AO nicht vereinbar, wenn eine Ablaufhemmung im Fall der eigenen Steuerhinterziehung des Er­ben, nachdem schon der Erblasser dieselbe Steuer hinterzogen hatte, nicht bestünde oder wenn sie kürzer als im Fall rechtstreuen Verhaltens des Erben wäre (vgl. zum Argument des Wertungswiderspruchs auch BFH-Urteil in BFHE 229, 49, BStBl II 2010, 771, Rz 29).

bb) Die Voraussetzungen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO sind danach in allen Streitjahren erfüllt. Aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers lagen unstreitig Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vor. Die Klägerin­nen haben als Erbinnen bezüglich der Einkommensteuer der Streitjahre jeweils eigene Steuerhinterziehungen durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen, deren Verfolgung zum Zeitpunkt der Änderungsbescheide vom 23.12.2016 noch nicht verjährt war.

aaa) Die Klägerinnen waren nach dem Erbfall gemäß § 153 Abs. 1 AO zur An­zeige und Berichtigung der Einkommensteuererklärungen der Erblasser für die Streitjahre verpflichtet. Aufgrund ihres bereits vor dem Tod des Erblassers er­langten Wissens erkannten die Klägerinnen unmittelbar nach dem Erbfall und damit noch vor dem jeweiligen Ablauf der auf zehn Jahre verlängerten Festset­zungsfrist (für das älteste Streitjahr 1995 am 31.12.2007), dass die von den Erblassern ursprünglich abgegebenen Einkommensteuererklärungen unvoll­ständig waren und dass es dadurch in den Streitjahren zu Einkommensteuer­verkürzungen gekommen war. Die Klägerinnen traf als Gesamtrechtsnachfol­gerinnen deshalb nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 AO die Ver­pflichtung, dies dem FA unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtig­stellung vorzunehmen. Dieser Verpflichtung sind sie nach der zutreffenden Würdigung des FG bewusst nicht nachgekommen. Sie haben das FA auf diese Weise pflichtwidrig über die steuerlich erheblichen Kapitalerträge in Unkennt­nis gelassen und dadurch die Einkommensteuer des Jahres 1995 und der fol­genden Streitjahre verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 AO). Die Anzei­ge- und Berichtigungspflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Erbe bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen hatte, da für die nach­trägliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge, d.h. auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 260, 1, BStBl II 2018, 223, Rz 30).

bbb) Die Würdigung des FG, dass die Steuerhinterziehungen der Klägerinnen vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungsverjährung vollendet waren, ist re­visionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit das FG im Hin­blick auf die Einkommensteuer 1995 eine noch vor dem Jahresende 2007 voll­endete Steuerhinterziehung bejaht hat. Bei der Hinterziehung von Veranla­gungssteuern durch Unterlassen ist für die Vollendung der Tat i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO regelmäßig derjenige Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Ver­anlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung (hier: die betreffende Berichtigung) eingereicht worden wäre (vgl. Beschlüsse des Bun­desgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 19.01.2011 ‑ 1 StR 640/10, wistra 2012, 484, Rz 8 ff., und vom 04.11.2021 ‑ 1 StR 236/21, wistra 2022, 204, Rz 13). Infolge ihrer bereits vor dem Erbfall vorhandenen Kenntnisse bezüglich der liechtensteinischen Kapitalanlagen waren die Klägerinnen in der Lage, auch für das älteste Streitjahr 1995 unverzüglich nach dem Tod des Erblassers am xx.xx.2007 eine Berichtigung vorzunehmen. Das FA hätte sodann noch vor dem Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist (für das Streitjahr 1995 am 31.12.2007) einen Änderungsbescheid erlassen können. Entgegen dem Vor­bringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung wäre der Erlass dieses Änderungsbescheids auch spätestens bis zum Ende des Jahres 2007 zu erwar­ten gewesen.

ccc) Die strafrechtliche Verfolgung der von den Klägerinnen begangenen Hin­terziehungen der die Streitjahre betreffenden Einkommensteuer war bis zum Erlass der Änderungsbescheide am 23.12.2016 noch nicht verjährt. Die straf­rechtliche Verfolgungsverjährung beginnt bei einer Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78a des Strafgesetzbuchs, sobald die Tat beendet ist. Die Verjährungsfrist für eine ‑‑hier unstreitig gegebene‑‑ besonders schwere Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) betrug nach der im Streitfall anwendbaren Fassung des § 376 Abs. 1 AO a.F. (vgl. Art. 97 § 23 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung) zehn Jahre (zu den unterschiedlichen Fassungen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in den Jahren 2007 und 2008 sowie zu § 376 Abs. 1 AO a.F. vgl. BGH-Urteile vom 26.10.2016 ‑ 1 StR 172/16, wistra 2017, 196, Rz 16 ff., und vom 05.09.2017 ‑ 1 StR 365/16, wistra 2018, 224, Rz 20 ff.; zur Verlängerung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährungsfrist gemäß § 376 Abs. 1 AO bei einer besonders schweren Steuerhinterziehung zunächst auf die im vorliegenden Fall maßgeblichen zehn Jahre und inzwischen auf 15 Jahre vgl. Bülte in HHSp, § 376 AO Rz 8 ff.). Aufgrund der von den Klägerinnen im zweiten Halbjahr 2007 begangenen Steuerhinterziehungen war deshalb bis zum Erlass der Än­derungsbescheide am 23.12.2016 bezüglich aller Streitjahre keine Strafverfol­gungsverjährung eingetreten.

4. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen konnten sie nicht nur gemäß § 71 i.V.m. § 191 AO als Haftungsschuldnerinnen in Anspruch genommen werden, da sie durch die Erbfolge selbst zu Steuerschuldnerinnen für die Einkommen­steuer der Streitjahre geworden sind (zur Exklusivität von Steuerschuld und Haftungsschuld vgl. BFH-Urteil vom 23.06.2020 ‑ VII R 56/18, BFHE 270, 1, Rz 13 ff.).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO. Da das FA in Anbetracht des Abhilfebescheids zur Vermögensteu­er-Neuveranlagung nicht nur zu einem geringen Teil i.S. des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO unterlegen ist (vgl. BFH-Urteil vom 28.06.2017 ‑ XI R 23/14, BFHE 258, 517, Rz 79), waren die Kosten gemäß dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens zu teilen.

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