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BFH: "Videokonferenz" und gesetzlicher Richter

  1. Bei einer sogenannten "Videokonferenz" muss für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 der Finanzge­richtsordnung ‑‑ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhand­lungssaal‑‑ feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der "Videokonferenz" für die lediglich "zugeschalteten" Beteiligten sichtbar sind. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist.
  2. Auf die Beachtung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts kann nicht wirksam verzichtet werden. Dies ist der Disposition der Beteiligten ent­zogen.

FGO § 91a Abs. 1, § 119 Nr. 1
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2

BFH-Beschluss vom 30.6.2023, V B 13/22 (veröffentlicht am 20.7.2023)

Vorinstanz: FG Münster vom 06.1.2022, 13 K 1195/18 K,G

I. In der Hauptsache ist zwischen den Beteiligten streitig, ob Einkünfte, die der als gemeinnützig anerkannte Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aus der entgeltlichen Überlassung von Räumlichkeiten an andere gemeinnützige Ver­eine erzielt, der Vermögensverwaltung, einem Zweckbetrieb oder einem wirt­schaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen sind. Im hierüber geführten Klage­verfahren gestattete das Finanzgericht (FG) den Beteiligten mit Beschluss vom 03.01.2022 gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), sich während der mündlichen Verhandlung in eigenen Räumlichkeiten aufzuhalten und dort im Rahmen der sogenannten "Videokonferenz" Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung waren die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung per sogenannter "Videokonferenz" zugeschaltet. Das FG gab der Klage teilweise statt und wies sie im Übrigen ab.

In seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision trägt der Kläger unter anderem vor, das FG habe bei der sogenannten "Videokonferenz" nur eine Kamera eingesetzt. Für die nicht im Gerichtssaal anwesenden Beteiligten sei ‑‑je nach manueller Steuerung durch den "regieführenden" Richter‑‑ entweder die Ge­samtbesetzung des Senats oder nur ein Teil seiner Besetzung oder aber nur derjenige Richter, der aktuell das Wort geführt habe, zu sehen gewesen. Nach dem Vortrag des Sachverhalts durch die Berichterstatterin sei allein der Vorsit­zende Richter des Senats für etwa zwei Drittel der Dauer der mündlichen Ver­handlung im Bild gewesen, das heißt während der insgesamt 90-minütigen Verhandlung für etwa 60 Minuten. Die Richterbank mit den übrigen Richtern und der aktuell sprechende Richter seien nie gleichzeitig zu sehen gewesen. Da das Verhalten der übrigen Richter wegen der fehlenden Beobachtungsmög­lichkeit keiner finalen rechtlichen Analyse unterzogen werden könne, sei das Recht auf den gesetzlichen Richter (§ 119 Nr. 1 FGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) verletzt.

Wegen der Rüge, dass die Richterbank für die nicht im Gerichtssaal anwesen­den Beteiligten nicht durchgängig zu sehen gewesen sei, hat der Senat dienst­liche Äußerungen des Vorsitzenden Richters und des kameraführenden Rich­ters des FG eingeholt. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äu­ßern.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-teils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Der Anspruch des Klägers auf die vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ist verletzt. Bei einer sogenannten "Videokonferenz" muss für die Beteiligten während der zeit­gleichen Bild‑ und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 FGO ‑‑wie bei einer kör­perlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal‑‑ feststellbar sein, ob die beteilig­ten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnit­ten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der "Videokonferenz" für die lediglich "zugeschalteten" Be­teiligten sichtbar sind. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist.

1. Ein Urteil ist gemäß § 119 Nr. 1 FGO stets als auf der Verletzung von Bun­desrecht beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschrifts­mäßig besetzt war.

a) Der absolute Revisionsgrund des § 119 Nr. 1 FGO (vgl. auch § 547 Nr. 1 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑ und § 138 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsord­nung) dient insbesondere dazu, das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Sachlichkeit der Gerichte zu sichern (Senatsbeschluss vom 14.03.2019 ‑ V B 34/17, BFHE 263, 317, BStBl II 2019, 489, Rz 13, m.w.N.).

Vorschriftsmäßig besetzt ist das erkennende Gericht, wenn jeder an der Ver­handlung und Entscheidung beteiligte Richter die zur Ausübung des Richter­amts erforderliche Fähigkeit besitzt, die wesentlichen Vorgänge der Verhand­lung wahrzunehmen und in sich aufzunehmen. Die beteiligten Richter müssen körperlich und geistig in der Lage sein, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Nur wenn jeder Richter die wesentlichen Vorgänge aufnimmt, ist er in der Lage, seine Überzeugung aus dem Ge­samtergebnis der Verhandlung zu gewinnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), selb­ständig zu urteilen und so an einer sachgerechten Entscheidung mitzuwirken. Ein Richter, der in der mündlichen Verhandlung für eine nicht nur unerhebliche Zeit einschläft, ist abwesend, wenn er dadurch wesentlichen Vorgängen nicht mehr folgen kann, so dass das erkennende Gericht dann nicht mehr im Sinne von § 119 Nr. 1 FGO vorschriftsmäßig besetzt ist (Senatsbeschluss vom 28.08.1986 ‑ V R 18/86, BFHE 147, 402, BStBl II 1986, 908, unter II.a). Ebenso ist es, wenn einer der zur Entscheidung berufenen Richter nach der Eröffnung der mündlichen Verhandlung eingetroffen ist und seinen Platz auf der Richterbank erst eingenommen hat, nachdem der Berichterstatter bereits mit dem Vortrag des Sachverhalts begonnen hatte, so dass der erst später eintreffende Richter wesentliche Vorgänge der Verhandlung nicht wahrgenom­men hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17.06.2011 ‑ XI B 21‑22/10, BFH/NV 2012, 46, Rz 8 und 10).

b) Das Erfordernis der vorschriftsmäßigen Besetzung im Sinne von § 119 Nr. 1 FGO ist auch bei sogenannten "Videokonferenzen" auf der Grundlage des § 91a FGO zu beachten.

aa) Nach § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht den Beteiligten, ihren Be­vollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhal­ten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 FGO zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.

bb) Die "Videoübertragungstechnik" soll auf der Grundlage dieser Vorschrift "ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität" genutzt werden (BTDrucks 17/1224, S. 10). Um einem derartigen Verlust entgegenzuwirken, muss es die gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 FGO vorgesehene Übertragung der "Verhandlung" in Bild und Ton an den in § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO genannten anderen Ort er­möglichen, dass die dort anwesenden Beteiligten die vorschriftsmäßige Beset­zung des Gerichts und damit die Anwesenheit aller Mitglieder des Spruchkör­pers feststellen können.

Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der "Videokonferenz" für die lediglich "zugeschalte­ten" Beteiligten sichtbar sind. Nicht zulässig ist es daher, den alleinigen Bild­ausschnitt auf einzelne Richter ‑‑etwa den Vorsitzenden‑‑ zu beschränken (Wieczorek/Schütze/Gerken, 5. Aufl., § 128a ZPO Rz 11). "Zugeschaltete" Prozessbeteiligte müssen vielmehr alle Richter sehen und hören können (Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 128a Rz 17; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 128a Rz 6 und Windau, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2020, 2753, 2754). Wie dies gewährleistet wird, ist Sache des Gerichts, das die Gestattung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO erteilt.

Bestätigt wird dies durch den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Ein­satzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachge­richtsbarkeiten vom 26.05.2023 (BRDrucks 228/23, S. 49). Danach müssen jeder Verfahrensbeteiligte und das Gericht die Möglichkeit haben, alle anderen Verfahrensbeteiligten und die Mitglieder des Gerichts zu jedem Zeitpunkt der Verhandlung sowohl visuell als auch akustisch wahrzunehmen. Soweit dies dahingehend eingeschränkt wird, dass nicht alle Verfahrensbeteiligten und das Ge­richt ständig gleichzeitig "auf einem Bildschirm" zu sehen sein müssen und auf variierende Ansichtsmöglichkeiten verwiesen wird, sieht der Senat hierin in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 128a Rz 17 und Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 128a Rz 6) einen bloßen Hinweis auf die Möglichkeit, die Verhandlungen mit mehreren Kameras an den anderen Ort zu übertragen, so dass zum Beispiel neben der Bildüber­tragung des gesamten Spruchkörpers durch eine zusätzliche Bildübertragung der die Verhandlung leitende Vorsitzende Richter oder andere Richter des Spruchkörpers ‑‑wie etwa der Berichterstatter‑‑ im Bild zu sehen sind, wenn sie sich zur Sache äußern, etwa in Form eines Sachberichts oder im Rahmen eines Rechtsgesprächs. Ebenso wenig ergeben sich geringere Anforderungen, soweit nach dem Gesetzentwurf bei einfach gelagerten Terminen ohne Beweis­aufnahme und mit nur wenigen Verfahrensbeteiligten der Einsatz sogenannter "Ein-Kamera-Systeme" möglich sein soll, bei denen die Teilnehmenden nicht individuell angezeigt werden können. Auch in einem solchen Fall bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Kameraeinstellung es ermöglichen muss, alle zur Entscheidung berufenen Richter und die im Gerichtssaal anwesenden Verfah­rensbeteiligten visuell wahrzunehmen. Die bildliche Übertragung nur einzelner Personen genügt bei Nutzung einer einzelnen Kamera danach nicht.

cc) Gestattet ein FG daher gemäß § 91a FGO den Beteiligten, ihren Bevoll­mächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen, entbindet dies nicht von der Verpflich­tung, die vorschriftsmäßige Gerichtsbesetzung in einer Weise zu gewährleisten, die dem Vertrauen der Rechtsuchenden in die Sachlichkeit der Gerichte (s. oben II.1.a) hinreichend Rechnung trägt. Daher muss für die Beteiligten im Fall einer sogenannten "Videokonferenz" im Rahmen der vom Gericht tech­nisch veranlassten zeitgleichen Bild‑ und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 FGO ‑‑ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal‑‑ feststellbar sein, ob die beteiligten Richter körperlich und geistig in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen oder ob ei­ner oder mehrere von ihnen während der Verhandlung eingeschlafen ist oder sind, erst verspätet auf der Richterbank Platz genommen oder diese vorüber­gehend oder vorzeitig verlassen hat oder haben (s. oben II.1.a).

dd) Abweichendes folgt nicht daraus, dass § 91a FGO eine bloße Verfahrens­vorschrift ist, die lediglich regelt, dass allein von der zur Vornahme von Ver­fahrenshandlungen grundsätzlich notwendigen Anwesenheit der Beteiligten und ihrer Prozessbevollmächtigten im Sitzungszimmer abgesehen und diese durch die Übertragung der Verhandlung an deren Aufenthaltsort ersetzt wird (vgl. z.B. zu dem § 91a FGO entsprechenden § 110a des Sozialgerichtsgeset­zes Beschluss des Bundessozialgerichts ‑‑BSG‑‑ vom 04.11.2021 ‑ B 9 SB 76/20 B, NJW 2022, 1639, Rz 7 f.). Es ist im Hinblick auf die mit § 91a FGO verfolgten Zielsetzungen der Prozesswirtschaftlichkeit (Brandis in Tipke/Kruse, § 91a FGO Rz 1) oder Prozessökonomie (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91a FGO Rz 5) kein Sachgrund erkennbar, der die Annahme rechtfertigen könnte, die Beteiligten würden sich mit ihrem Ein­verständnis zur bloßen "Zuschaltung per Videokonferenz" der Möglichkeit be­geben wollen, die Anwesenheit der Richter und ihr Verhalten während der mündlichen Verhandlung wahrnehmen zu können.

2. Im Streitfall war das FG nicht im Sinne von § 119 Nr. 1 FGO vorschriftsmä­ßig besetzt.

a) Die Tatsachen, die zur Beurteilung erforderlich sind, ob ein Verfahrensman­gel vorliegt, kann der BFH im Wege des Freibeweises feststellen (Senatsurteil vom 18.04.1996 ‑ V R 25/95, BFHE 180, 512, BStBl II 1996, 578, unter II.2.c und BFH-Urteil vom 19.09.2012 ‑ IV R 45/09, BFHE 239, 66, BStBl II 2013, 123, Rz 31). Ebenso können die für die Entscheidung über die Nichtzulas­sungsbeschwerde wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) erheblichen Tatsachen vom Beschwerdegericht im Wege des Freibeweises er­mittelt und frei gewürdigt (§ 113 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) werden (Se­natsbeschluss vom 30.04.1987 ‑ V B 86/86, BFHE 149, 437, BStBl II 1987, 502).

b) Im Streitfall macht der Kläger geltend, das FG habe bei der sogenannten "Videokonfe­renz" nur eine Kamera eingesetzt und es seien für die nicht im Gerichtssaal anwesenden Beteiligten ‑‑je nach manueller Steuerung durch den "regieführenden" Richter‑‑ entweder die Gesamtbesetzung des Senats oder nur ein Teil seiner Besetzung oder aber nur derjenige Richter, der aktuell das Wort geführt habe, zu sehen gewesen. Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A sei für circa zwei Drittel der Dauer der insgesamt circa 90-minütigen mündlichen Verhandlung im Bild zu sehen gewesen. Die Richterbank mit den übrigen Richtern und der aktuell sprechende Richter seien nie gleichzeitig zu sehen gewesen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt ‑‑FA‑‑) hat diese Verfahrens­handhabung bestätigt. Er führt aus, zur Eröffnung der Verhandlung sei die ge­samte Richterbank zu sehen gewesen, während es in der Folgezeit "zur Aus­richtung der Kamera auf den jeweils Sprechenden" gekommen sei. Die "Aus­richtung der Kamera auf den Sprechenden" habe der "Herstellung der Ge­sprächssituation" mit diesem Richter gedient.

Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A und der "regieführende" Richter am Finanzgericht B haben in ihren dienstlichen Äußerungen diesen überein­stimmenden Beteiligtenvortrag ebenfalls bestätigt. Es sei nur eine Kamera verwendet worden, deren Einstellung während der Verhandlung verändert wurde, damit die "zugeschalteten" Beteiligten nicht nur schemenhaft die Ge­samtheit der Senatsmitglieder erkennen, sondern auch wahrnehmen konnten, welcher Richter sich gerade äußerte und wie dessen Gestik und Mimik sei. Auf die Frage, ob es den "zugeschalteten" Beteiligten vom Beginn bis zum Ende der Verhandlung möglich war, die vollständige Richterbank mit allen zur Entscheidung berufenen Richtern zu sehen, hielt der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A es für wahrscheinlich, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Richter am Finanzgericht B verneinte diese Frage.

c) Der Senat würdigt den übereinstimmenden Beteiligtenvortrag und die dienstlichen Äußerungen des die Verhandlung leitenden Vorsitzenden Richters am Finanzgericht A und des "regieführenden" Richters am Finanzgericht B zur Verfahrenshandhabung durch das FG, den das FA lediglich in Bezug auf die sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen anders als der Kläger bewertet, dahin­gehend, dass es im Rahmen der vom FG durchgeführten "Videokonferenz" beiden Beteiligten nicht möglich war, die Richterbank für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen. Bei dieser Sachlage sieht der Senat ‑‑im Rahmen der freien Beweiswürdigung‑‑ von einer förmlichen Be­weisaufnahme vor dem Senat (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverwaltungsge­richts ‑‑BVerwG‑‑ vom 19.07.2007 ‑ 5 B 84/06, Höchstrichterliche Finanz­rechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2008, 1291) ab (vgl. zum Beweisrisiko des Klägers auch BVerwG-Urteil vom 16.12.1980 ‑ 6 C 110/79, Zeitschrift für Beamten­recht ‑‑ZBR‑‑ 1982, 30).

3. Der Kläger kann die Rüge auch mit Erfolg geltend machen.

a) Auf die Beachtung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts kann nicht nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 ZPO wirksam verzichtet werden.

aa) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Pro­zesshandlung betreffenden Vorschrift kann gemäß § 295 Abs. 1 ZPO nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzich­tet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genom­men ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Man­gel bekannt war oder bekannt sein musste. Diese Regelung ist allerdings ge­mäß § 295 Abs. 2 ZPO nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.

bb) Danach sind die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts der Disposi­tion der Beteiligten entzogen (BFH-Beschlüsse vom 05.03.2018 ‑ X B 44/17, BFH/NV 2018, 637, Rz 15; vom 17.06.2011 ‑ XI B 21‑22/10, BFH/NV 2012, 46, Rz 11 und vom 30.01.2004 ‑ II B 111/02, BFH/NV 2004, 661, unter II.).

So gilt dies für den Fall, dass das Gericht aufgrund eines schlafenden Richters nicht vorschriftsmäßig besetzt ist. Dieser Verfahrensfehler wird nicht deshalb unbeachtlich, weil der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter das fragliche Verhalten des Richters nicht während der Verhandlung zur Sprache gebracht und gerügt haben. Die Nichtrüge des Besetzungsmangels in der mündlichen Verhandlung, in der ein Richter schläft, führt nicht zum Rügeverlust. § 295 Abs. 2 ZPO trägt in einem solchen Fall dem Rechtsstaatsprinzip Rechnung, nach dem bestimmte Garantien einer formell ordnungsgemäßen Rechtspre­chung, das heißt zwingende Grundnormen des Verfahrensrechts, deren Einhal­tung im öffentlichen Interesse liegt, gewährleistet sein müssen; das Risiko ihrer Verletzung darf nicht auf die Parteien abgewälzt werden. Zu diesen Vor­schriften gehört die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts (BVerwG-Urteil vom 16.12.1980 ‑ 6 C 110/79, ZBR 1982, 30). Der Senat schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Dem steht nicht entgegen, dass im Einzelfall (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 04.08.1967 ‑ VI R 198/66, BFHE 89, 183, BStBl III 1967, 558 und vom 05.12.1985 ‑ IV R 114/85, BFH/NV 1986, 468; BFH-Beschlüsse vom 17.02.2011 ‑ IV B 108/09, BFH/NV 2011, 996 und vom 27.04.2011 ‑ III B 62/10, BFH/NV 2011, 1379) aus dem Um­stand, dass in der mündlichen Verhandlung das Schlafen eines Richters nicht beanstandet wurde, "indiziell" (BSG-Beschluss vom 08.12.2022 ‑ B 8 SO 66/21 B, juris) zu folgern sein kann, dass der Richter nicht geschlafen habe (so ausdrücklich BVerwG-Urteil vom 16.12.1980 ‑ 6 C 110/79, ZBR 1982, 30). Dies betrifft nicht die Frage des Verlusts des Rügerechts, sondern die tatsächlichen Umstände, die zu einem Verstoß gegen die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts führen können.

Ist es nicht erforderlich, in der mündlichen Verhandlung das Schlafen eines Richters anzusprechen oder zu beanstanden, um hierzu in der Folgeinstanz einen Verfahrensfehler geltend zu machen (BVerwG-Beschluss vom 19.07.2007 ‑ 5 B 84/06, HFR 2008, 1291; vgl. im Übrigen auch BVerwG-Urteil vom 31.01.1980 ‑ 3 C 118/79, NJW 1981, 413), muss auch nicht zur Vermeidung eines Rügeverlusts in der mündlichen Verhandlung in Form der sogenannten "Videokonferenz" nach § 91a FGO die fehlende Bildübertragung der Richterbank zur Überprüfung des Verhaltens eines Richters gerügt werden.

cc) Ein Rügeverlust tritt auch nicht dadurch ein, dass der Prozessbevollmächtig­te des Klägers erstmalig im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulas­sung der Revision eine unzureichende Bildübertragung der gesamten Richter­bank gerügt hat (s. unter II.3.b). Dieses Verhalten könnte allenfalls im Rah­men der Beweiswürdigung zu der Frage, ob tatsächlich keine hinreichende Bild­übertragung der gesamten Richterbank erfolgte, eine Rolle spielen, falls der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Verletzung der gebotenen Verfah­rensfairness nur deshalb von einem solchen Hinweis an das Gericht während der mündlichen Verhandlung abgesehen hat, um sich treu‑ und pflichtwidrig einen absoluten Revisionsgrund für den Fall des Unterliegens zu sichern (vgl. BVerwG-Beschlüsse vom 13.06.2001 ‑ 5 B 105/00, NJW 2001, 2898, unter 3. und vom 19.07.2007 ‑ 5 B 84/06, HFR 2008, 1291, unter 2.). Hierfür beste­hen im Streitfall indes keine Anhaltspunkte.

dd) Abweichendes folgt nicht aus dem Beschluss des BSG vom 04.11.2021 ‑ B 9 SB 76/20 B (NJW 2022, 1639, Rz 11). Danach setzt zwar die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einer sogenannten "Videokonferenz" voraus, dass vermeintliche Übertragungsmängel bereits während der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht zu rügen sind. Die Beurteilung des BSG zum Rügeverlust bei der Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist aber auf die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des er­kennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO), zu der sich das BSG in seiner Ent­scheidung nicht geäußert hat, nicht zu übertragen.

Im Übrigen wird auch ansonsten bei Durchführung einer Verhandlung im Wege der sogenannten "Videokonferenz" zwischen verzichtbaren und nicht verzichtbaren Verfah­rensmängeln unterschieden (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, 48. Ed. [01.03.2023], ZPO § 128a Rz 15.2; Gomille/Frenze, Neue Juristische Online-Zeitschrift 2022, 1185). Dementsprechend kommt es auch nicht auf die instanzgerichtliche Rechtsprechung und auf Beiträge im Schrifttum an, die sich nur zu verzichtbaren Verfahrensmängeln äußern (vgl. z.B. zum Verstoß gegen die Grundsätze der Mündlichkeit oder der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts ‑‑OLG‑‑ vom 15.07.2021 ‑ 4 U 48/20, Recht Digital 2022, 185, Rz 53 f.; Sozialgericht Darmstadt, Urteil vom 21.02.2022 ‑ S 13 KR 200/18, juris, Rz 14; zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Hessisches FG, Urteil vom 24.07.2014 ‑ 8 K 1324/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 2061, Rz 10; vgl. auch Brandis in Tipke/Kruse, § 91a FGO Rz 11 mit Bezugnahme auf den vorstehenden BSG-Beschluss; zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 91a Rz 18; Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 81. Aufl., § 128a Rz 17 mit Bezugnahme auf das vorstehende Urteil des Saarländischen OLG; zur Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit und des Anspruchs auf rechtliches Gehör Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 128a Rz 3a; Ulrich in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 102a VwGO Rz 41 mit Bezugnahme auf das vorstehende Urteil des Hessischen FG; zum vorstehenden BSG-Beschluss vgl. Müller, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2022, 277; zum Verstoß gegen die Grundsätze der Mündlichkeit oder der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Klasen in Ory/Weth, juris PraxisKommentar Elektronischer Rechtsverkehr, Bd. 2, 2. Aufl., § 128a ZPO [Stand: 12.05.2023] Rz 30; zur Vergleichbarkeit des § 91a Abs. 1 FGO mit der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung nach § 91 Abs. 2 FGO Schumann, Deutsches Steuerrecht 2022, 1359; vgl. auch ohne Äußerung zur vorschriftsmäßigen Gerichtsbesetzung Windau, NJW 2020, 2753, 2754).

b) Weiter hat der Kläger mit seinem Vortrag, dass jeweils allein der Vorsitzen­de Richter am Finanzgericht A und die Berichterstatterin während der Wortbeiträge dieser beiden Richter zu sehen waren, auch hinreichend dargelegt, was während der mündlichen Verhandlung geschehen ist, als die Richterbank nicht vollständig zu sehen war (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG-Beschluss vom 22.05.2006 ‑ 10 B 9/06, NJW 2006, 2648, unter 1.a).

c) Schließlich steht der Rüge des Klägers ebenso wie im Fall des schlafenden Richters (s. oben II.1. und II.3.a bb) nicht entgegen, dass im Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht festgehalten ist, ob die Beteiligten die Möglich­keit hatten, während der Verhandlung die vollständige Richterbank zu sehen.

4. Im Streitfall hält der Senat es für sachgerecht, die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die weiteren Rügen des Klägers sind danach nicht mehr zu prüfen.

5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

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