Newsletter des Finanzgerichts Hamburg 3/2022 und 4/2022
Finanzgericht Hamburg 4.1.2022
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Besonders interessante Entscheidungen
- Anordnung der endgültigen Aussetzung der Zwangsvollstreckung nach § 114 FGO bei bewusster Nichtbeachtung der Vollstreckungssperre des § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG durch die Verwaltung
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG verleiht dem Antragsteller nach § 114 FGO für den Fall einen Anordnungsanspruch, dass die Antragsgegnerin einen Verwaltungsakt vollstreckt, der auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Rechtsnorm beruht. Da nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG die Vollstreckung des Verwaltungsaktes dauerhaft gesperrt ist, kann das Gericht in diesen Fällen ausnahmsweise die Vollstreckung endgültig und nicht nur einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache aussetzen.
Beschluss vom 30.8.2022 (1 V 117/22 = SIS 22 17 73), rechtskräftig. - Voraussetzungen für den Übergang zur Außenprüfung bei einer Kassen-Nachschau
- Werden bei der Kassen-Nachschau dem Prüfer nicht die erbetenen Unterlagen übergeben, ist dies ein Grund, den Übergang zur Betriebsprüfung anzuordnen.
- Der Betriebsprüfer verwirkt nicht die Möglichkeit des Übergangs, wenn er diesen nicht sofort anordnet, sondern er dem Steuerpflichtigen zunächst die Chance einräumt, die Unterlagen nachzureichen.
- Weitere Voraussetzungen werden in § 146b Abs. 3 AO nicht normiert und sind auch nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige ist nicht schlechter gestellt als wenn er eine „normale“ Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO erhalten hätte. Insbesondere handelt es sich bei dem § 146b Abs. 3 AO nicht um eine Norm mit Bestrafungscharakter.
- Es ist nicht erforderlich, dass es sich bei den Feststellungen während der Kassen-Nachschau um unstreitige Feststellungen handelt.
- Es ist nicht die Verpflichtung des Innendienstes oder des Prüfers, der die Kassen-Nachschau gemacht hat, nachträglich eingereichte Unterlagen vollständig außerhalb einer Außenprüfung zu überprüfen. Dies ist Aufgabe einer Außenprüfung.
- Es ist auch weder Aufgabe des Gerichts vorab im Rahmen der Überprüfung der Übergangsanordnung selbst eine Belegprüfung durchzuführen, noch ist es erforderlich, eine vollständige rechtliche Überprüfung der streitigen Fragen im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens vorzunehmen. Eine Grenze ist nur dann erreicht, wenn die Feststellungen des Betriebsprüfers greifbar rechtswidrig sind.
- Verfassungsrechtliche Überprüfung des Betriebsausgabenabzugsverbots hinsichtlich der neuen Bankenabgabe
- § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG ist hinsichtlich der neuen Bankenabgabe formell verfassungskonform. Die Änderungen der durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG in Bezug genommenen Jahresbeiträge nach § 12 Abs. 2 RStruktFG lösten keine Zustimmungspflicht des Bundesrates aus.
- § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG ist materiell nicht verfassungswidrig, insbesondere verstößt die Norm nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Die Einschränkung des objektiven Nettoprinzips ist gerechtfertigt, denn mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG verfolgt der Gesetzgeber einen außerfiskalischen Lenkungszweck aus Gründen des Allgemeinwohls. Der vom Gesetzgeber intendierte Zweck des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 13 EStG ist, Bankgeschäfte, von denen systemische Risiken ausgehen, zu verteuern, indem der Betriebskostenabzug der Jahresbeiträge für den Restrukturierungsfonds versagt wird. Der Gesetzgeber intendiert eine Funktion, die über die bloße Finanzierung hinausgeht. Eine Rechtfertigung ergibt sich zusätzlich aus der Ausgestaltung der Bankenabgabe als Sonderabgabe.
Urteil vom 30.9.2022 (6 K 47/21), Revision eingelegt, Az. des BFH XI R 30/22. - Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Tonnagesteuer
Mit Beschluss vom 24. November 2022 (6 K 68/21) hat das Finanzgericht Hamburg das BVerfG zu der Frage angerufen, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG in der Fassung des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) vom 2. Juni 2021 (BGBl. I. 2021, 1259) insoweit verfassungswidrig ist, als darin die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Sätze 5 bis 7 EStG in der Fassung des AbzStEntModG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 1998 beginnen, angeordnet wird.
Siehe dazu die Pressemitteilung des Gerichts vom 2.12.2022.
Beschluss vom 24. November 2022 (6 K 68/21).
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justiz.hamburg.de/contentblob/16813576/5f701c26a4d255d58d6f7149e150c182/data/newsletter2022-3-4.pdf (PDF, 359,4 kB)