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BFH: Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice

  1. Die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice wurde mit Beschluss des Vor­stands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als neue Familienkasse wirksam er­richtet und mit diesem Beschluss sowie dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 jedenfalls wirksam mit der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren betraut, bei denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden.
  2. Zu den Bezügen eines behinderten Kindes gehören auch Unterhaltsleistun­gen seines Ehegatten, bei deren Ermittlung die (gegebenenfalls einen behinde­rungsbedingten Mehrbedarf einschließenden) Unterhaltslasten des Ehegatten für eigene minderjährige Kinder zu berücksichtigen sind (Bestätigung des Se­natsurteils vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655 = SIS 23 03 68).

FVG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11
EStG i.d.F vom 02.12.2014 § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
BGB §§ 1360, 1360a, 1601 ff., 1612b
BEEG § 11

BFH-Urteil vom 17.10.2024, III R 11/23 (veröffentlicht am 6.2.2025)

Vorinstanz: Thüringer FG vom 28.2.2023, 3 K 150/20 = SIS 23 13 95

I. Im Revisionsverfahren noch streitig ist die Aufhebung einer Kindergeldfestset­zung gegenüber dem Beigeladenen und die Rückforderung von Kindergeld von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 (Streitzeitraum).

Die im Oktober 1978 geborene Klägerin ist das abzweigungsberechtigte Kind des Beigeladenen. Das Versorgungsamt X‑Stadt hat zu ihren Gunsten ab Dezember 1996 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt. Die Klägerin ist verheiratet. Aus der Ehe sind zwei im Februar 2013 und im Februar 2017 ge­borene Kinder hervorgegangen, für die ein GdB von 70 beziehungsweise 60 festgestellt ist.

Die Klägerin war zwischen Januar 2016 und Februar 2017 sowie im Dezember 2018 als … tätig und erzielte Nettolöhne zwischen 136,10 € und 533,63 € im Monat. Im Januar 2017 bezog sie 72 € Krankengeld. Für die Zeit von Februar 2017 bis Juli 2017 erhielt die Klägerin Elterngeld in Höhe von ins­gesamt 279,41 €, das im Juni 2017 rückwirkend gezahlt wurde. Von Juli 2017 bis September 2018 erhielt die Klägerin ElterngeldPlus in Höhe von 158,27 € monatlich. Das von ihr bis zum 04.07.2017 bezogene Mutterschaftsgeld in Hö­he von 10,31 € wurde angerechnet.

Der Ehemann der Klägerin war im Streitzeitraum bei … als … tätig und erzielte Nettolöhne zwischen … € und … € sowie … € und … € (durchschnittlich monatlich 1.814 € netto im Jahr 2016, 1.998 € netto im Jahr 2017 und 2.024 € netto im Jahr 2018). Außerdem bezog er von September 2018 bis Dezember 2018 Wohn­geld in Höhe von 51 € für vier Haushaltsmitglieder.

Mit Bescheid vom 25.07.2019 hob die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen die Festsetzung von Kindergeld für die Klägerin gegenüber dem Bei­geladenen für den Zeitraum Januar 2015 bis Dezember 2018 auf. Mit Bescheid vom selben Tag forderte sie von der Klägerin das an diese ausgezahlte Kinder­geld in Höhe von 9.168 € zurück. Die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen war der Ansicht, die Behinderung sei nicht ursächlich dafür, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt nicht selbst habe bestreiten können.

Den Einspruch der Klägerin vom 14.08.2019 wies die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen mit Einspruchsentscheidung vom 11.03.2020 als unbegrün­det zurück.

Mit der am 20.03.2020 erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung des Aufhebungs- und des Rückforderungsbescheids weiter.

Das Finanzgericht (FG) holte ein Sachverständigengutachten ein, aufgrund dessen die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen zwar davon ausging, dass die Behinderung für die Unfähigkeit der Klägerin zum Selbsterhalt ursächlich gewesen sei. Sie nahm aber nunmehr an, dass die Klägerin in den Jahren 2016 bis 2018 über ausreichende finanzielle Mittel verfügt habe, um ihren Le­bensbedarf zu decken. Dabei sei das Einkommen des Ehemannes nicht um Un­terhaltsbeträge für die gemeinsamen Kinder zu kürzen. Mit Bescheid vom 15.03.2022 änderte die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen den ange­fochtenen Rückforderungsbescheid und beschränkte die Rückforderung auf den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 und den Betrag von 6.912 €.

Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) errichtete mit Beschluss Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (Amtliche Nachrichten der BA ‑‑ANBA‑‑, Nr. 5/2022, S. 5 ff.) die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord (Beklagte und Revisionsbeklagte ‑‑Fa­milienkasse‑‑). Er übertrug der Familienkasse mit diesem Beschluss und mit dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA, Nr. 12/2022, S. 11 ff., ANBA, Nr. 4/2023, S. 10 ff.) unter anderem die Zuständigkeit für Personen, deren Daten besonders schützenswert sind, darunter namentlich Kinder mit Behinderung.

Nachdem die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich der Monate Januar bis Dezember 2015 für erledigt erklärt hatte, wies das FG die Klage mit Urteil vom 28.02.2023 ‑ 3 K 150/20 für den Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 ab. Es nahm einen gesetzlichen Beteiligtenwechsel an. Für das Jahr 2015 ging es von einer übereinstimmenden Erledigungserklärung der Beteiligten aus und entschied insoweit lediglich über die Kosten des Verfahrens. Zur Begründung seines klageabweisenden Urteils führte das FG aus, dem Beigeladenen habe für den Streitzeitraum kein Kindergeldanspruch zugestanden. Die Klägerin sei nicht dauerhaft außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten. Dabei seien neben ihren eigenen, um den anteiligen Werbungskostenpauschbetrag gekürz­ten Einkünften und Bezügen (abzüglich der Kostenpauschale von 15 €) auch Unterhaltsleistungen des Ehemannes an die Klägerin in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Nettoeinkünften der Ehegatten zu berücksichtigen. Die Einkünfte des Ehemannes seien für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs um den anteiligen Werbungskostenpauschbetrag zu kürzen; ein Abzug für den Unterhalt der gemeinsamen Kinder sei dagegen nicht vorzunehmen. Mit diesen Mitteln sei die Klägerin in der Lage, ihren ‑‑durch Addition des anteiligen Grundfreibetrags und des anteiligen Pauschbetrags für Menschen mit Behinde­rungen ermittelten‑‑ monatlichen Bedarf in Höhe von 781 € für 2016, 795 € für 2017 und 810 € für 2018 zu decken.

Die Klägerin rügt mit der vom FG zugelassenen Revision die Verletzung for­mellen und materiellen Bundesrechts.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Thüringer FG vom 28.02.2023 ‑ 3 K 150/20 und den Aufhe­bungsbescheid sowie den Rückforderungsbescheid jeweils vom 25.07.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.03.2020, geändert durch Bescheid vom 15.03.2022, aufzuheben.

Die Familienkasse hat keinen Antrag formuliert.

Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II. Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des ange­fochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob ein Kinder­geldanspruch des Beigeladenen für die zum Kreis der behinderten Personen gehörende Klägerin gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestand, weil diese behinderungsbedingt im Streitzeitraum nicht imstande war, sich selbst zu un­terhalten.

1. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20.04.2023 fristgemäß, aber per Telefax eingelegte Revision ist zulässig.

Zwar sind nach § 52d Satz 1 FGO vorbereitende Schriftsätze und deren Anla­gen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Eine Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften ist je­doch ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend unmöglich ist (§ 52d Satz 3 FGO).

Eine solche Ausnahme liegt im Streitfall nach dem ‑‑durch eidesstattliche Ver­sicherung vom 20.04.2023 und Vorlage von Ausdrucken von Screenshots des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs gemäß § 52d Satz 4 FGO glaub­haft gemachten‑‑ Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor. Dem­nach konnte die Revisionsschrift aufgrund von zeitweilig aufgetretenen techni­schen Problemen trotz mehrfacher Versuche am 20.04.2023 (dem letzten Tag der Revisionseinlegungsfrist) nicht in elektronischer Form an den Bundesfi­nanzhof (BFH) übermittelt werden. Daher war die Einlegung der Revision mit­tels Telefaxes ausnahmsweise zulässig.

2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass zum 01.02.2022 aufgrund ei­nes Organisationsaktes ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten und seither die Familienkasse am Verfahren beteiligt und passivlegitimiert ist.

Die Familienkasse wurde mit Beschluss des Vorstands der BA Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA, Nr. 5/2022, S. 5 ff.) bei der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als neue (15.) Familienkasse wirksam errichtet und mit diesem Beschluss sowie dem Beschluss Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA, Nr. 12/2022, S. 11 ff., ANBA, Nr. 4/2023, S. 10 ff.) jedenfalls wirksam mit der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren betraut, bei denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden (ebenso FG Münster, Urteil vom 18.04.2024 ‑ 8 K 1319/21 Kg, juris, rechtskräftig; FG Nürnberg, Urteil vom 07.06.2024 ‑ 7 K 140/23, juris, Revisionsverfahren anhängig unter III R 24/24; a.A.: FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2023 ‑ 16 K 16111/23, juris, Revisionsverfahren anhängig unter III R 4/24; FG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 11.07.2024 ‑ 10 K 585/24 Kg, juris, Revisi­onsverfahren anhängig unter III R 30/24).

Der Senat kann offen lassen, ob Letzteres auch für weitere Regelungen dieser Beschlüsse zutrifft, denn ein etwaiger, diese Regelungen betreffender Fehler würde nicht zur Gesamtnichtigkeit der Beschlüsse führen.

a) Der Vorstand der BA hat die Familienkasse wirksam errichtet. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) stellt die BA dem Bundeszentralamt für Steuern ihre Dienststellen zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs als Familienkassen zur Verfügung. Die BA wird durch den Vorstand geleitet (§ 381 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetz­buch ‑‑SGB III‑‑). Dieser bestimmt ‑‑im Rahmen des durch § 367 Abs. 2 SGB III vorgesehenen dreistufigen Verwaltungsaufbaus‑‑ (eigenverantwort­lich) über die Errichtung, Änderung und Auflösung von Dienststellen; lediglich bei besonderen Dienststellen mit grundsätzlicher strategischer Bedeutung ist nach Art. 4 Satz 1 der Satzung der BA vom 25.01.2016 (BAnz AT 08.02.2016 B5; ebenso Satzung vom 26.01.2024, BAnz AT 20.02.2024 B8) die Zustimmung des Verwaltungsrats notwendig.

Danach ist der Beschluss des Vorstands der BA Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 zur Gründung der Familienkasse als Organisationsakt nicht zu beanstanden. Der Beschluss wurde vom Vorstand als dem zur Entscheidung berufenen Or­gan gefasst. Er regelt den Aufgabenkreis der Agentur für Arbeit Sachsen-Anhalt Nord als Dienststelle der örtlichen Verwaltungsebene und trägt somit der in § 367 Abs. 2 SGB III gesetzlich normierten Verwaltungsstruktur Rech­nung.

b) Der Vorstand der BA hat die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Kinder­geldverfahren, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet wer­den, durch seine Beschlüsse Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 und Nr. 129/2022 vom 03.11.2022 wirksam auf die Familienkasse übertragen.

aa) Diese Zuständigkeitsregelung findet ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG, wonach der Vorstand der BA innerhalb seines Zu­ständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld unter anderem für bestimmte Gruppen von Berech­tigten einer anderen Familienkasse übertragen kann.

Die somit vom zuständigen Organ (dem Vorstand der BA) getroffene Regelung betrifft inhaltlich die Gesamtzuständigkeit der Familienkasse für das Kinder­geldfestsetzungs- und ‑erhebungsverfahren von Personen, die sich nach einem allgemeinen Gruppenmerkmal bestimmen lassen. Das Abgrenzungsmerkmal besteht darin, dass in den Kindergeldverfahren dieser Personengruppe Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden. Die Regelung umfasst (al­lein) die örtliche Zuständigkeit und geht damit nicht über den in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG vorgesehenen Rahmen hinaus (vgl. dazu Senatsurteil vom 25.02.2021 ‑ III R 36/19, BFHE 272, 19, BStBl II 2021, 712, Rz 33).

bb) Die Regelung genügt dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) wurzelnden Bestimmtheitsgebot.

(1) Danach ist der Normgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 29.11.2023 ‑ 2 BvF 1/21, Neue Zeitschrift für Verwaltungs­recht ‑‑NVwZ‑‑ 2024, Beilage Nr. 1, 28, Rz 80, m.w.N., zum Bundeswahlge­setz 2020). Der Grad der gebotenen Bestimmtheit hängt von den Besonder­heiten des in Rede stehenden Sachbereichs und von den Umständen ab, die zu der Regelung geführt haben. Dabei sind die Bedeutung des Regelungsgegen­standes und die Intensität der durch die Regelung erfolgenden Grundrechts­eingriffe ebenso zu berücksichtigen wie der Kreis der Anwender und Betroffe­nen der Norm sowie deren konkretes Bedürfnis, sich auf die Normanwendung einstellen zu können. Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der ein­schlägigen Bestimmungen mithilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststel­len lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm aus­gesprochene Rechtsfolge vorliegen (BVerfG-Beschluss vom 27.04.2022 ‑ 1 BvR 2649/21, BVerfGE 161, 299, Rz 142, m.w.N.; Urteil des Bundesverwal­tungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 18.04.2024 ‑ 3 CN 8.22, Rz 40, juris; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts ‑‑BSG‑‑ vom 09.12.2004 ‑ B 6 KA 44/03 R, BSGE 94, 50, unter 3.a und e).

(2) Daran gemessen ist die in den vorgenannten Vorstandsbeschlüssen enthal­tene Regelung der Zuständigkeit der Familienkasse für die Bearbeitung von Kindergeldverfahren, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden, hinreichend bestimmt.

In zeitlicher Hinsicht ergibt sich unmittelbar und eindeutig aus dem Wortlaut des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 (Vorbe­merkung Satz 1), dass die (Sonder‑)Zuständigkeit der neu gegründeten Fami­lienkasse ab 01.02.2022 besteht. Der anschließende Hinweis auf den stufen­weisen Vollzug des Beschlusses, das heißt auf seine Umsetzung, steht dem nicht entgegen.

Inhaltlich ist der in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 12/2022 ebenso wie in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zum Vorstandsbeschluss Nr. 129/2022 verwendete Begriff "Kind mit Behinderung" zwar auslegungsbe­dürftig. Das mit "Behinderung" Gemeinte lässt sich aber ohne Weiteres be­stimmen, indem auf die Definition in § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialge­setzbuch zurückgegriffen wird, welche der Senat bereits zur Auslegung des in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG enthaltenen gleichlautenden Begriffs herange­zogen hat (vgl. dazu z.B. Senatsurteile vom 12.11.2020 ‑ III R 49/18, BFHE 271, 229, BStBl II 2021, 390, Rz 14 und vom 15.12.2021 ‑ III R 43/20, BFHE 275, 164, BStBl II 2022, 472, Rz 24). Menschen mit Behinderungen sind da­nach Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchti­gungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbeding­ten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchti­gung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Auch die Verwaltung versteht den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG verwendeten Begriff der Behin­derung in dieser Weise (Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkom­mensteuergesetz ‑‑DA‑KG‑‑ Stand 2021, BStBl I 2021, 1599, A 19.1 Abs. 2; ebenso DA‑KG Stand 2022, BStBl I 2022, 1010, A 19.1 Abs. 2; DA‑KG Stand 2023, BStBl I 2023, 818, A 19.1 Abs. 2; DA‑KG Stand 2024, BStBl I 2024, 736, A 19.1 Abs. 2). Auf etwaige weitere Voraussetzungen eines Kindergeld­anspruchs (zum Beispiel ob ein volljähriges behindertes Kind fähig ist, sich selbst zu unterhalten beziehungsweise ob die Behinderung der Grund für die fehlende Selbstunterhaltsfähigkeit ist) kommt es für die Entscheidung über die Zuständigkeit der Familienkasse nicht an.

Der Umfang der Zuständigkeit der Familienkasse ist gleichfalls hinreichend be­stimmt geregelt. Insoweit sieht Ziff. 2.1.5 des Anhangs zu den Vorstandsbe­schlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 vor, dass bereits dann, wenn in ei­nem Verfahren die Daten lediglich einer Person besonders schützenswert sind, wenn also zum Beispiel nur eines von mehreren Kindern eines Berechtigten zum Kreis der Personen mit Behinderung gehört, der gesamte Fall in die Zu­ständigkeit der Familienkasse fällt. Folglich obliegt der Familienkasse auch die Entscheidung über das Kindergeld für die anderen Kinder des Berechtigten. Hierfür spricht zudem die Regelung zu den Kindergeldakten in der DA‑KG, wo­nach die Kindergeldakte nach Kindern aufgeteilt werden soll (vgl. O 2.8.1 Abs. 1 Satz 3 DA‑KG, Stand 2021, ebenso Stand 2022 bis 2024), mithin die Kindergeldakte jeweils dem Berechtigten zugeordnet und nicht nach Kindern geführt wird.

cc) Die Übertragung von Zuständigkeiten als solche weist keine spezielle Grundrechtsrelevanz auf (BVerwG-Urteil vom 16.12.2021 ‑ 1 C 60.20, juris, Rz 24 im Zusammenhang mit Bestimmtheitsanforderungen an eine Verord­nungsermächtigung).

Eine Erschwerung des gerichtlichen Rechtsschutzes der Kindergeldberechtigten kann infolge einer Verlagerung der Behördenzuständigkeit nicht eintreten. Denn die örtliche Zuständigkeit der Finanzgerichte richtet sich in Angelegen­heiten des Familienleistungsausgleichs ‑‑zu dem nach § 31 EStG die Gewäh­rung von Kindergeld gehört‑‑ gemäß § 38 Abs. 2a FGO grundsätzlich nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers. Unklarheiten darüber, gegen welche Behörde eine etwaige Klage zu richten ist, sind ‑‑da die Familienkassen Kindergeld nur auf Antrag gewähren (§ 67 EStG)‑‑ lediglich im Fall einer Untätigkeit der Familienkasse denkbar. Insoweit ist zu beachten, dass die Finanzgerichte nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 GG) verpflichtet sind, bei der Auslegung der Klageschrift den wirklichen Willen zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Dabei kann als Ausle­gungshilfe der Gesichtspunkt dienen, dass die Klage im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den nach dem Inhalt der Klage richtigen Beklag­ten gerichtet sein soll (Senatsurteile vom 22.01.2004 ‑ III R 26/02, BFH/NV 2004, 792, unter II.1. und vom 25.02.2021 ‑ III R 36/19, BFHE 272, 19, BStBl II 2021, 712, Rz 15, m.w.N.).

dd) Ein gerichtlich nachprüfbarer Fehler des Vorstands der BA bei der Aus­übung des ihm in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG ("kann") eingeräumten Ermessens (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) ist nicht er­sichtlich. Ob die vorgenommene Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Fa­milienkasse auch zweckmäßig war, ist nicht zu prüfen (§ 102 i.V.m. § 121 FGO).

ee) Die Übertragung der Zuständigkeit für Verfahren von Personen, in denen Daten von Kindern mit Behinderung verarbeitet werden, auf die Familienkasse ist unabhängig davon wirksam, ob auch die übrigen Zuständigkeitsregelungen in den Vorstandsbeschlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 wirksam sind.

Eine untergesetzliche Norm ist dann insgesamt unwirksam, wenn der fehlerbe­haftete Teil mit dem übrigen Normgefüge so verflochten ist, dass die Restbe­stimmung ohne den nichtigen Teil nicht bestehen bleiben kann. Das ist der Fall, wenn der verbleibende Teil der Rechtsordnung nicht entspricht, etwa eine unter Gleichheitsaspekten unzureichende Regelung darstellt oder den gesetzli­chen Regelungsauftrag verfehlt. Ein Fehler führt dagegen dann nicht zur Ge­samtnichtigkeit des fraglichen Normgefüges, wenn der fehlerfreie Teil objektiv sinnvoll bleibt und subjektiv vom Normsetzungswillen des Normgebers getra­gen wird (BSG-Urteil vom 17.03.2021 ‑ B 6 KA 3/20 R, BSGE 132, 1, Rz 37, m.w.N. und BVerwG-Urteil vom 21.06.2018 ‑ 7 C 19.16, juris, Rz 16, m.w.N.; vgl. auch BVerwG-Beschluss vom 25.02.1997 ‑ 4 NB 30.96, NVwZ 1997, 896, unter II.1.d, m.w.N.).

Im Streitfall lässt sich das in Ziff. 2.1.5 des Anhangs zu den Vorstandsbe­schlüssen Nr. 12/2022 und Nr. 129/2022 als Person mit besonders schützens­werten Daten genannte "Kind mit Behinderung" von den weiteren dort ge­nannten Fallgruppen abgrenzen und trennen, so dass die Regelung sinnvoll bleibt. Durch diese Bestimmung wird der Familienkasse ein Aufgabenbereich zugewiesen, der von ihr unabhängig davon zu bearbeiten ist, ob sie für Ver­fahren zuständig ist, in denen das Vorhandensein einer Behinderung an sich im Streit steht. Die betreffende Zuständigkeit besteht auch unabhängig davon, ob die Übertragung weiterer Zuständigkeiten wirksam ist. Dieser Teil der Vor­standsbeschlüsse ist ‑‑wie ausgeführt‑‑ auch mit höherrangigem Recht verein­bar. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vorstand der BA die Zu­ständigkeit für alle Fälle nur insgesamt regeln wollte. Im Gegenteil spricht die gewählte Regelungstechnik der Aufzählung sowie der Hinweis auf den aktuel­len Bestand an Schutzkennzeichen für ein Regelungskonzept, bei dem die ein­zelnen Teilregelungen nicht unauflösbar miteinander verbunden sein sollen.

3. Das FG hat die Klage jedoch mit einer rechtsfehlerhaften Begründung abge­wiesen. Es durfte die Unterhaltslasten des Ehemannes der Klägerin für das ge­meinsame minderjährige Kind (Zeitraum Januar 2016 bis Januar 2017) bezie­hungsweise die beiden gemeinsamen minderjährigen Kinder (Zeitraum Februar 2017 bis Dezember 2018) bei der Berechnung des als Bezug der Klä­gerin in Ansatz gebrachten Ehegattenunterhalts nicht unberücksichtigt lassen.

a) Ein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebens­jahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Be­hinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, sofern nicht aufgrund der Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungs­gesetzes 2007 vom 19.07.2006 (BGBl I 2006, 1652), inzwischen § 52 Abs. 32 Satz 1 EStG, weiterhin die vorher geltende Altersgrenze (Vollendung des 27. Lebensjahres) maßgeblich ist.

Die Behinderung muss für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunter­halt ursächlich sein, wobei nicht jede einfache Mitursächlichkeit ausreicht, son­dern die Mitursächlichkeit der Behinderung für die fehlende Fähigkeit des Kin­des zum Selbstunterhalt vielmehr erheblich sein muss. Ob dieses Maß der Mit­ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt gege­ben ist, hat das FG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. Senatsurteil vom 30.01.2024 ‑ III R 42/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 854, Rz 20 und 23, m.w.N.).

Das Tatbestandsmerkmal "außerstande [...], sich selbst zu unterhalten" wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann (z.B. BFH-Urteil vom 15.10.1999 ‑ VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72, unter 1.b; Se­natsurteile vom 05.02.2015 ‑ III R 31/13, BFHE 249, 144, BStBl II 2015, 1017, Rz 13; vom 13.04.2016 ‑ III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10 und vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12, m.w.N.). Die Fähigkeit zum Selbstunterhalt ist dabei anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des aus dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf bestehenden gesamten existen­ziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel ande­rerseits (z.B. Senatsurteile vom 13.04.2016 ‑ III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10; vom 19.01.2017 ‑ III R 44/14, BFH/NV 2017, 735, Rz 29; vom 27.11.2019 ‑ III R 28/17, BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 16 und vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12). Diese Prüfung hat für jeden Monat gesondert zu erfolgen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 12, m.w.N.).

aa) Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesun­de Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammen­hängenden außergewöhnlichen Belastungen, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des tägli­chen Lebens (Senatsurteil vom 27.11.2019 ‑ III R 28/17, BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 19). Diese können einzeln nachgewiesen oder mit dem maß­geblichen Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) angesetzt werden (Senats­urteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 13).

bb) Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge (Senatsurteil vom 13.04.2016 ‑ III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 15), das heißt grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung seines Lebensunterhalts geeignet und bestimmt sind und ihm im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen (Senatsurteil vom 15.12.2021 ‑ III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 16).

(1) Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Er umfasst den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständi­ger Arbeit sowie den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften (Senatsurteil vom 15.12.2021 ‑ III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 17, m.w.N.).

(2) Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rah­men der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (vgl. z.B. Senatsurteile vom 28.05.2009 ‑ III R 8/06, BFHE 225, 141, BStBl II 2010, 346, unter II.1.b; vom 27.10.2021 ‑ III R 19/19, BFHE 275, 44, BStBl II 2022, 469, Rz 17 und vom 15.12.2021 ‑ III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 18 sowie BFH-Urteil vom 20.03.2013 ‑ XI R 51/10, BFH/NV 2013, 1088, Rz 16). Unter den Begriff der Bezüge fallen auch Unterhaltsleistungen des verheirateten oder geschiedenen Ehegatten (§§ 1360, 1360a, 1361, 1569 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches ‑‑BGB‑‑; Senatsurteile vom 23.11.2011 ‑ III R 76/09, BFHE 236, 79, BStBl II 2012, 413, Rz 9, zum Be­zügebegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.; vom 11.04.2013 ‑ III R 24/12, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, Rz 15 und vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20) oder Unterhaltsleistungen des Kindsvaters an die Kindsmutter, für die Kindergeld beansprucht wird (BFH-Ur­teil vom 25.02.2015 ‑ XI R 14/13, BFH/NV 2015, 836, Rz 17 zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.).

Der Umfang der Unterhaltsleistungen kann bei Ehepartnern, die in einem ge­meinsamen Haushalt leben, regelmäßig nur geschätzt werden. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
- Bei einer kinderlosen Ehe fließt dem nicht verdienenden Ehepartner nach der Lebenserfahrung in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zu, sofern dem unterhaltsverpflichteten Ehe­partner ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerlichen Existenzmini­mums verbleibt; verfügen beide Ehepartner über eigene Mittel, so ist zu unter­stellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen (Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20, m.w.N.).
- Gehören Kinder zur Familie, so werden die Einkünfte desjenigen Ehegatten, für den Kindergeld begehrt wird, durch dessen Unterhaltsleistungen an sein ei­genes Kind grundsätzlich nicht gemindert (Senatsurteile vom 09.02.2012 ‑ III R 73/09, BFHE 236, 407, BStBl II 2012, 463, Rz 18 ff. zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. und vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20, 27).
- Eine mittelbare Berücksichtigung der Unterhaltslasten für Kinder ‑‑infolge ei­nes aufgrund der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten gemäß § 1609 BGB‑‑ geminderten Ehegattenunterhalts ist jedoch nicht ausgeschlossen (Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 30, 32).

b) Nach diesen Maßstäben ist zwar nicht zu beanstanden, dass das FG von der erheblichen Mitursächlichkeit der Behinderung für die mangelnde Selbstunter­haltsfähigkeit im Streitzeitraum ausgegangen ist, denn die geringen Lohner­satzleistungen während der Schwangerschaft sowie in der Elternzeit sind da­rauf zurückzuführen, dass die Klägerin zuvor behinderungsbedingt nur ein ge­ringes Arbeitsentgelt erzielen konnte.

Allerdings sind die Unterhaltslasten für das gemeinsame minderjährige Kind beziehungsweise für die gemeinsamen minderjährigen Kinder in die Berech­nung der Unterhaltsleistungen einzubeziehen, die der Ehemann im Streitzeit­raum an die Klägerin erbracht hat. Das FG, das das Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21 bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, weil es erst am 09.03.2023 veröffentlicht wurde, ist von einem ande­ren Rechtsmaßstab ausgegangen. Da der Senat die Unterhaltsleistungen an­hand der vom FG getroffenen Feststellungen nicht berechnen kann, kann er nicht selbst entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Das FG hat ‑‑von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend‑‑ keine Feststellun­gen zum Umfang der (vorrangigen) Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder getroffen und insbesondere einen etwaigen behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht ermittelt. Es erhält durch die Aufhebung des angefochtenen Urteils Gelegenheit, diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

c) Darauf, ob auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge durchgreift, kommt es nicht mehr an.

4. Zur Förderung des weiteren Verfahrens und ohne Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO weist der Senat darauf hin, dass der Unterhalt der Kinder und der Klägerin anhand der familienrechtlichen Grundsätze zu bestimmen ist.

a) Für die Prüfung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des Ehegatten der Klägerin können die für den Streitzeitraum maßgeblichen unterhaltsrechtli­chen Leitlinien der Familiensenate des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) he­rangezogen werden, die auch die Behandlung von Spesen und Wohngeld be­handeln. Zur Vereinfachung der Berechnung kann bei Einkommen aus nicht­selbständiger Arbeit von einem Jahresdurchschnitt ausgegangen werden (vgl. MüKoBGB/Langeheine, 9. Aufl., § 1603 Rz 15, unter Bezugnahme auf das Ur­teil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 04.07.2007 ‑ XII ZR 141/05, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 57, unter II.2., zum nachehelichen Unterhalt; OLG Dresden, Beschluss vom 15.01.2014 ‑ 20 WF 12/14, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht ‑‑FamRZ‑‑ 2014, 1471, Rz 3). Abzusetzen sind neben Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Sozialversicherungsbeiträgen (vgl. dazu Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 23 und 25, m.w.N.) auch berufsbedingte Aufwendungen. Insoweit be­stehen keine Einwände gegen das Vorgehen des FG, zur Vereinfachung für die berufsbedingten Aufwendungen einen Betrag in Höhe des Werbungskosten­pauschbetrags gemäß § 9a EStG in Ansatz zu bringen, soweit nicht höhere be­rufsbedingte Aufwendungen im Einzelnen nachgewiesen werden.

b) Es begegnet keinen Bedenken, die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder gegen den Ehegatten der Klägerin gemäß §§ 1601 ff. BGB mit Hilfe der in der Praxis der Familiengerichte zur Bemessung des Unterhalts verwendeten Düsseldorfer Tabelle zu ermitteln, die auch in die unterhaltsrechtlichen Leitlini­en des Thüringer OLG einbezogen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 34 zum Min­destunterhalt).

Zu den Tabellenbeträgen kann ein Sonderbedarf wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarfs (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder ein Mehrbe­darf für Positionen hinzutreten, die ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf einkalkuliert sind (BGH-Urteil vom 16.09.2020 ‑ XII ZB 499/19, BGHZ 227, 41, Rz 24). Hierzu gehört auch ein behinderungsbedingter Mehrbedarf (vgl. Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.09.2001 ‑ 5 UF 3/01, FamRZ 2002, 854, unter B.1.; Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 02.01.2007 ‑ 9 UF 159/06, FamRZ 2008, 174, unter C.III.1.; Beschluss des OLG Koblenz vom 21.10.2014 ‑ 11 UF 337/14, FamRZ 2015, 1811, Rz 14).

Die aufgrund des Einkommens des Unterhaltspflichtigen vorzunehmende Ein­gruppierung in die Einkommensstufen der Düsseldorfer Tabelle ist je nach An­zahl der Unterhaltsberechtigten durch Höher- oder Herabstufung zu korrigie­ren, ohne dass es dabei auf den Rang der weiteren Unterhaltsberechtigten an­kommt (vgl. Anm. 11.2 zur Thüringer Tabelle, Stand: 01.01.2016, 01.01.2017, 01.01.2018; vgl. auch BGH-Urteil vom 17.09.2008 ‑ XII ZR 72/06, BGHZ 178, 79, unter II.2.b).

Da der Kindesunterhalt nach den zivilrechtlichen Regelungen zu bestimmen ist, ist auch das Kindergeld bei der Bemessung des Anspruchs auf Kindesun­terhalt entsprechend der Zivilrechtslage (§ 1612b BGB) zu berücksichtigen (of­fengelassen im Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 35 f). Im Streitfall dürfte hieraus folgen, dass die Hälfte des Kindergelds für die minderjährigen Kinder der Klägerin und ihres Eheman­nes zur Deckung des Bedarfs der Kinder zu verwenden ist.

c) Die Rangfolge der Unterhaltsberechtigten bestimmt sich nach § 1609 BGB (vgl. Senatsurteil vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 33). Die Verpflichtung zum Unterhalt der minderjährigen Kinder geht danach im Mangelfall der Verpflichtung zum Unterhalt des Ehegatten vor (§ 1609 Nr. 1 und 2 BGB), so dass die Klägerin von ihrem Ehemann keinen Unterhalt beanspruchen kann, soweit dessen Einkommen nicht zur Erfüllung aller Unterhaltsverpflichtungen ausreicht und für den Unterhalt der gemeinsa­men Kinder verwendet werden muss.

d) Der Anspruch der Klägerin auf Familienunterhalt gemäß §§ 1360, 1360a BGB bemisst sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Er kann, obwohl er nach seiner Ausgestaltung nicht auf die Gewährung einer ‑‑frei verfügbaren‑‑ laufenden Geldrente für den jeweils anderen Ehegatten, sondern als gegensei­tiger Anspruch der Ehegatten darauf gerichtet, dass jeder von ihnen seinen Beitrag zum Familienunterhalt entsprechend seiner nach dem individuellen Ehebild übernommenen Funktion leistet, im Fall der Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen in Geldbeträgen veranschlagt werden (vgl. BGH-Urteile vom 19.02.2003 ‑ XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, unter 5.b aa und vom 21.01.2009 ‑ XII ZR 54/06, FamRZ 2009, 762, unter B.III.5.a).

aa) Der Anspruch besteht grundsätzlich in Höhe der Hälfte des beiderseitigen Einkommens der Ehegatten, soweit dieses die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hat und nicht zur Vermögensbildung verwandt worden ist (BGH-Urteil vom 19.02.2003 ‑ XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, unter 6.a). Ein Erwerbstä­tigenbonus (1/7 Erwerbsanreiz) des allein oder mehr verdienenden Ehegatten ist nicht in Abzug zu bringen (vgl. BGH-Urteile vom 20.03.2002 ‑ XII ZR 216/00, FamRZ 2002, 742, unter 1. und vom 12.12.2012 ‑ XII ZR 43/11, BGHZ 196, 21, Rz 40).

bb) Das der Klägerin gezahlte Elterngeld ist nach Maßgabe von § 11 des Bun­deselterngeld- und Elternzeitgesetzes in der im Streitzeitraum gültigen Fas­sung vom 27.01.2015 aufgrund der geringen Höhe des Betrags bei der Ermitt­lung des Familienunterhalts (§ 1360 Satz 1 BGB) als Einkommen nicht zu be­rücksichtigen, das ElterngeldPlus lediglich soweit es den Betrag von 150 € übersteigt.

Elterngeld und ElterngeldPlus sind allerdings ‑‑wie das FG zutreffend erkannt hat‑‑ als Bezug der Klägerin in die zur Ermittlung ihrer Selbstunterhaltsfähig­keit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nötige monatsbezogene Vergleichs­rechnung einzustellen (vgl. Senatsurteil vom 05.02.2015 ‑ III R 31/13, BFHE 249, 144, BStBl II 2015, 1017, Rz 16).

Es bestehen keine Einwände gegen das Vorgehen des FG, für anfallende Kos­ten (zum Beispiel Kontoführungsgebühren) zur Vereinfachung jeweils pauschal einen Betrag in Höhe von 15 € pro Monat in Abzug zu bringen.

cc) Der Halbteilungsgrundsatz gilt beim Anspruch auf Familienunterhalt aller­dings nur dann uneingeschränkt, wenn dem unterhaltsverpflichteten Ehegat­ten nach Abzug der vorrangigen Ansprüche auf Kindesunterhalt ein verfügba­res Einkommen in Höhe des steuerlichen Existenzminimums verbleibt (vgl. Se­natsurteile vom 23.11.2011 ‑ III R 76/09, BFHE 236, 79, BStBl II 2012, 413, Rz 10; vom 11.04.2013 ‑ III R 24/12, BFHE 241, 255, BStBl II 2013, 866, Rz 17 und vom 20.10.2022 ‑ III R 13/21, BFHE 278, 444, BStBl II 2023, 655, Rz 20; BFH-Urteil vom 25.02.2015 ‑ XI R 14/13, BFH/NV 2015, 836, Rz 17, jeweils für den Fall der kinderlosen Ehe). Ist dies nicht der Fall, verringert sich der Anspruch auf Familienunterhalt entsprechend.

5. Der Senat hält es für zweckmäßig, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a Abs. 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).

6. Aufgrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung wird dem FG gemäß § 143 Abs. 2 FGO die Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren (einschließlich des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechts­streits) übertragen.

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