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BFH: Ableitung des Anteilswerts einer Kapitalgesellschaft aus Verkäufen zwischen fremden Dritten

  1. Der Wert von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft ist nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) auf den Sub­stanzwert begrenzt, wenn eine Ableitung des (niedrigeren) gemeinen Werts aus Verkäufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG möglich ist.
  2. Zur Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG können solche Verkäufe nicht herangezogen werden, bei denen über Jahre hinweg regelmäßig derselbe Preis zugrunde ge­legt wird.

BewG § 9, § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3

BFH-Urteil vom 25.9.2024, II R 15/21 (veröffentlicht am 6.2.2025)

Vorinstanz: FG Münster vom 15.4.2021, 3 K 3724/19 F = SIS 21 08 69

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zu 1. ist eine GmbH und Familienholdinggesellschaft, die insbesondere Beteiligungen an anderen Gesellschaften hielt. Das Stammkapital der Klägerin zu 1. betrug … €. Die Kläger und Revisionskläger zu 2. und 3. (Kläger zu 2. und 3.) sind Erben ihrer am …11.2014 verstorbenen Mutter (M). M gehörten ca. 9,95 % der Anteile an der Klägerin zu 1. mit einem Nennbetrag von … €.

Bereits seit dem Jahr 2009 waren mehrfach Einziehungen von Teilgeschäfts­anteilen an der Klägerin zu 1. jeweils zu einem Einziehungskurs von 400 % des jeweiligen Nennka­pitals sowie ein Anteilsverkauf unter Gesellschaftern zu einem Veräußerungs­preis von 400 % des Nennkapitals erfolgt. Im Februar 2015 erfolgten zwei Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen an der Klägerin zu 1. mit einem Nennkapital von jeweils … € zu einem Einziehungskurs von 400 %. Die jeweils verbliebenen Anteile wurden verhältnismäßig aufgestockt. Im Jahr 2018 wurde ein weiterer Anteil an der Klägerin zu 1. unter Gesellschaftern zu einem Kurs von 380 % des Nennkapitals ver­kauft.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) stellte unter dem Vor­behalt der Nachprüfung mit Feststellungsbescheid vom 16.11.2015 den Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. erklärungsgemäß mit dem Vierfachen des Nominalwerts auf … € fest. Aufgrund einer Konzernbetriebsprüfung bei der Klägerin zu 1. änderte das FA die Wertfeststellung unter Ansatz des Substanzwerts und stellte den Wert des Anteils an der Klägerin zu 1. zuletzt mit Feststellungsbescheid vom 17.10.2019 auf … € fest. Der Be­scheid wurde der Klägerin zu 1. bekanntgegeben.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Be­gründung im Wesentlichen aus, dass der Wert des Anteils zutreffend anhand des Substanzwerts der Gesellschaft nach § 11 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungs­gesetzes (BewG) ermittelt worden sei. Es könne dahinstehen, ob die aufgrund in der Gesellschafterversammlung der Klägerin zu 1. am 07.02.2015 beschlos­senen Einziehungen zu einem Einziehungskurs von 400 % des Nennkapitals als Verkäufe unter fremden Dritten im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG an­gesehen werden könnten. Jedenfalls sei nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der Substanzwert stets als Mindestwert anzusetzen. Das Urteil des FG ist in Ent­scheidungen der Finanzgerichte 2021, 1177 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, dass abweichend von der Würdigung des FG der Substanzwert bei der Ableitung des Werts von Ge­sellschaftsanteilen aus Verkäufen unter fremden Dritten im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG nicht als Mindestwert anzusetzen sei. Vielmehr seien die streitgegenständlichen Gesellschaftsanteile an der Klägerin zu 1. aus dem Ein­ziehungskurs von 400 % des Nennkapitals abzuleiten. Die Einziehung sei ein relevanter Verkauf im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 BewG. Unerheblich sei, dass der Einziehungskurs nicht für jeden Fall der Einziehung einzeln aus­gehandelt und über Jahre aufgrund der gleichbleibenden Ausschüttungspraxis unverändert angewandt worden sei, ohne die veränderten Vermögensverhält­nisse der Gesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaften zu berücksichtigen. Dass die entsprechenden Gesellschafterbeschlüsse zur Einziehung erst am 07.02.2015 und somit nach dem Bewertungsstichtag, dem …11.2014, statt­gefunden hätten, sei unbeachtlich. Nach der Rechtsprechung des Bundes­finanzhofs (BFH) dürften auch solche Verkäufe nach dem Stichtag ausnahms­weise herangezogen werden, bei denen die Einigung über den Kaufpreis be­reits vorher herbeigeführt worden sei. Die Einigung über den Preis der einzu­ziehenden Teilgeschäftsanteile habe bereits am …11.2014, also wenige Tage vor dem Bewertungsstichtag, stattgefunden. Letztlich würden Verkäufe zwi­schen Gesellschaftern derselben Gesellschaft als im gewöhnlichen Geschäfts­verkehr zustande gekommen und als Verkäufe zwischen fremden Dritten im Sinne der Norm gelten.

Die Kläger beantragen,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Feststellungsbescheide jeweils vom 17.10.2019 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2019 dahingehend zu ändern, dass der Wert des Anteils an der Klägerin zu 1. auf … € festgestellt wird.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA verweist zur Begründung auf R B 11.3 Abs. 1 Satz 2 der Erbschaft­steuer-Richtlinien (ErbStR) 2011, BStBl I 2011, Sondernr. 1/2011; R B 11.3 Abs. 2 Satz 3 und R B 11.5 Abs. 1 ErbStR 2019, BStBl I 2019, Sonder­nr. 1/2019. Im Übrigen seien im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG nur solche Verkäufe maßgeblich, die innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungs­stichtag unter fremden Dritten abgeschlossen worden seien. Diese Vorausset­zungen seien im vorliegenden Fall sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht nicht erfüllt. Belaufe sich der Substanzwert ‑‑wie hier‑‑ auf ein Vielfa­ches des vereinbarten Preises, so begründe dies zumindest den Anscheinsbe­weis eines Geschäfts, bei dem sich die Beteiligten nicht wie fremde Dritte ge­genüberstehen.

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2, 4 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen.

Zwar ist das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG als Untergrenze auch auf einen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG abgeleiteten Wert aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten Anwendung findet (dazu unter 1.). Das Urteil des FG stellt sich indes aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Eine Ableitung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zu 1. nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus zeitnahen Verkäufen unter Heranziehung eines Einziehungskurses von 400 % des Nennwerts kommt nicht in Betracht. Die im Feststellungsbe­scheid vom 17.10.2019 vorgenommene Bewertung der Anteile an der Klägerin zu 1. nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG mit dem Substanzwert ist danach recht­mäßig und verletzt die Kläger zu 2. und 3. nicht in ihren Rechten (dazu unter 2.).

1. Das FG hätte nicht dahinstehen lassen dürfen, ob die in der Gesellschafter­versammlung der Klägerin zu 1. am 07.02.2015 beschlossenen Einziehungen zu einem Einziehungskurs von 400 % des Nennkapitals als Verkäufe unter fremden Dritten im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG angesehen werden könnten. Denn anders als das FG meint, findet der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG als Untergrenze auf einen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten abgeleiteten Wert keine An­wendung.

a) Nach § 12 Abs. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) sind Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Wert nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG festzustellen ist, mit dem auf den Bewertungsstich­tag (§ 11 ErbStG) festgestellten Wert anzusetzen. Nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG ist der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 11 Abs. 2 BewG gesondert festzustellen (§ 179 der Abgabenordnung), wenn die Werte für die Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Gemäß § 151 Abs. 1 Satz 2 BewG trifft das für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige Fi­nanzamt die Entscheidung über eine Bedeutung für die Besteuerung und damit über die Feststellung dem Grunde nach (BFH-Urteil vom 26.07.2023 ‑ II R 35/21, BFHE 281, 131, BStBl II 2024, 118, Rz 15, m.w.N.).

b) Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, die ‑‑wie hier‑‑ nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen, da sie am Stichtag nicht an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Ver­käufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so erfolgt die Bewertung der Anteile nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG unter Be­rücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer ande­ren anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwer­ber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG darf die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanz­wert) der Gesellschaft nicht unterschritten werden; die §§ 99 und 103 BewG sind anzuwenden.

c) § 11 Abs. 2 BewG ist dahingehend auszulegen, dass eine Begrenzung mit dem Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG dann nicht erfolgt, wenn eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG möglich ist.

Diese Auslegung ist aus teleologischen, systematischen und verfassungsrecht­lichen Gründen geboten und entspricht der weit überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. Dannecker/Rudolf/Risse, Der Betrieb 2015, 1615, 1616; Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 11 Rz 26 und 39; Erb/Regierer/Vosseler/Herbst, Be­wertung bei Erbschaft und Schenkung, 3. Kap., Rz 239; Eisele, Neue Wirt­schaftsbriefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht ‑‑NWB‑‑ 2011, 2782, 2787 f.; Grootens in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 145.01. Lfg. 09/2024, § 11 BewG Rz 61; Hecht/von Cölln, Betriebs-Berater ‑‑BB‑‑ 2009, 2061, 2062; Immes in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 11 BewG Rz 50, Stand 10/2024; Kahle/Hiller/Vogel, Finanz-Rundschau 2012, 789, 796; Kappenberg, Unternehmensbewertung im Erbschaftsteuerrecht, 2012, S. 140; Kohl/König/Möller, BB 2013, 555, 556; Krause, NWB Beraterbrief Erben und Vermögen 2011, 416; Kreutziger/Jacobs in Kreutziger/Schaffner/Stephany, BewG, 5. Aufl., § 11 Rz 90; Lorenz, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2016, 2453; derselbe, Unter­nehmensbewertung im Erbschaftsteuerrecht, 2015, S. 171; Mannek in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 11 BewG Rz 127 f. und 188 f.; derselbe in von Oertzen/Loose/Stalleiken, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 3. Aufl., § 11 BewG Rz 90; Pawelzik, Die Unternehmensbesteuerung ‑‑Ubg‑‑ 2010, 883; Schröder, Unternehmensbe­wertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer, 2014, S. 128 und 283; Piltz, DStR 2008, 745, 747; Riedel in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, 4. Aufl., § 11 BewG Rz 36; S. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 7. Aufl., § 11 BewG Rz 8 und 82; a.A. Horn in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 8. Aufl., § 12 Rz 301; Hübner, Ubg 2009, 1, 4; Wollny, Unternehmensbewertung für die Erbschaft­steuer, 2012, Rz 1377) sowie der Ansicht der Finanzverwaltung (R B 11.5 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019).

aa) Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Aus­druck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers. Dessen Feststellung dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Ausle­gung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entste­hungsgeschichte (historische Auslegung); zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleich­zeitig und nebeneinander bedienen. Insbesondere bei der Auslegung einer Norm aus ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von meh­reren anerkannten Auslegungsmethoden ist, zu denen ‑‑wie ausgeführt‑‑ auch die systematische Auslegung zählt. Nach Letzterer ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gebracht hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch mitei­nander vereinbar sind. Ziel jeder Auslegung ist die Feststellung des Inhalts einer Norm, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang er­gibt, in den sie hineingestellt ist (BFH-Urteil vom 13.09.2023 ‑ II R 49/21, BFHE 282, 313, BStBl II 2024, 566, m.w.N., Rz 17).

bb) Aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung) ergibt sich zu­nächst nicht eindeutig, ob der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG als Untergrenze auch auf eine Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Ver­käufen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 BewG Anwendung findet (so auch Bauer/Wartenburger, MittBayNot 2010, 435, 440; a.A. Hübner, Ubg 2009, 1, 4; Leingärtner/Krumm, Besteuerung der Landwirte, Kap. 49 Rz 40; Piltz, DStR 2008, 745, 747). § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG enthält weder eine eindeutige entsprechende Einschränkung, noch eine klare Aussage dahin­gehend, dass der Substanzwert als Mindestwert auch bei einer Bewertung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 BewG anzuwenden ist. Der Wortlaut der Norm lässt beide Auslegungen zu.

cc) Auch aus der Gesetzesbegründung (historische Auslegung) lässt sich ‑‑anders als die Kläger und das FG jeweils für ihre Auffassung meinen‑‑ keine eindeutige Aussage zum Verhältnis des Substanzwerts zur Ableitung des ge­meinen Werts aus zeitnahen Verkäufen entnehmen. Die Gesetzesbegründung ist insoweit widersprüchlich. Einerseits enthält sie die Aussage, dass der ge­meine Wert nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften in erster Linie der Preis sei, der bei einer Veräußerung unter fremden Dritten vereinbart wurde. Dabei solle unwiderlegbar vermutet werden können, dass zeitnahe Verkäufe in der Vergangenheit den zutreffenden Marktwert zum Bewertungsstichtag richtig widerspiegeln (BTDrucks 16/7918, S. 38). Unabhängig davon, dass sich eine solche unwiderlegbare Vermutung aus dem Gesetzestext nicht ergibt, steht diese Aussage im Widerspruch zu der weiteren Aussage in der Gesetzesbe­gründung, dass die Untergrenze stets der Substanzwert als Mindestwert sei, den ein Steuerpflichtiger am Markt erzielen könnte (BTDrucks 16/7918, S. 38). Weitere diesen Widerspruch auflösende Ausführungen enthält die Ge­setzesbegründung nicht.

dd) Dass der Mindestwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG keine Anwendung bei der Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten findet, ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Norm, den gemeinen Wert der Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu ermitteln (teleologische Ausle­gung) und aus der inneren Systematik (systematische Auslegung).

§ 11 Abs. 2 Satz 1 BewG enthält das Bewertungsziel des Gesetzgebers und entspricht § 9 Abs. 1 BewG sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, nach denen die einzelnen Vermögensgegen­stände wegen der zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzge­bers bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem Annäherungswert an den gemeinen Wert zu bewerten sind (Beschluss des Bundesverfassungsge­richts ‑‑BVerfG‑‑ vom 07.11.2006 ‑ 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, Leitsatz 2.a). Ist die Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen zwischen fremden Dritten möglich und damit das verfassungsrecht­lich gebotene Bewertungsziel nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG erreicht, ist kein Grund ersichtlich den durch Ableitung aus zeitnahen Verkäufen gefundenen gemeinen Wert durch einen anderen, namentlich höheren Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG zu ersetzen.

Die vom FG vorgenommene Auslegung der Norm widerspricht auch dem ver­fassungsrechtlichen Gebot, alle Vermögensgegenstände in einem Annähe­rungswert an den gemeinen Wert zu bewerten. Sie ist nicht zulässig, wenn ‑‑wie hier‑‑ eine nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist (verfassungskon­forme Auslegung). Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung ver­langt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfas­sungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (ständige Rechtspre­chung, vgl. BVerfG-Beschluss vom 28.11.2023 ‑ 2 BvL 8/13, BVerfGE 168, 1, m.w.N., Rz 193).

2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung an das FG, da sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 126 Abs. 4 FGO).

Ein Ansatz der Anteile an der Klägerin zu 1. mit einem Einziehungskurs in Hö­he von 400 % des Nennkapitals als Ableitung des gemeinen Werts aus zeitna­hen Verkäufen unter fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kommt nicht in Betracht, so dass nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der Substanzwert als Mindestwert anzusetzen ist.

a) Maßgebend für die Ableitung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Ka­pitalgesellschaft nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 BewG ist der Preis, der bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (§ 9 Abs. 2 Satz 1 BewG) tatsächlich erzielt wurde (BFH-Urteil vom 22.01.2009 ‑ II R 43/07, BFHE 224, 272, BStBl II 2009, 444, m.w.N., unter II.1.a). Gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Ver­tragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung sei­ner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 14.10.2020 ‑ II R 7/18, BFHE 271, 190, BStBl II 2021, 665, m.w.N., Rz 28).

b) Ob die Parteien einen Preis vereinbart haben, der demjenigen im gewöhnli­chen Geschäftsverkehr entspricht, ist nach ständiger Rechtsprechung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Heranziehung objektiver Wert­maßstäbe zu entscheiden, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören. Bei der Ableitung des gemeinen Werts sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BewG). Auszuklammern sind dabei solche preisbildenden Faktoren, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben (BFH-Urteil vom 14.07.2009 ‑ IX R 6/09, BFH/NV 2010, 397, m.w.N., unter II.1.a). Ungewöhn­liche oder persönliche Verhältnisse sind außer Acht zu lassen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG).

c) Wie der Senat bereits für § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG a.F. entschieden hat, können zur Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten solche Verkäufe nicht herangezogen werden, bei denen regelmäßig derselbe Preis (insbesondere der Nominalwert) zugrunde gelegt wird. Ein sol­cher Ansatz zeigt, dass die Beteiligten den Preis gerade nicht unter den Bedin­gungen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektiver Wert­maßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussich­ten gehören, gebildet haben (vgl. BFH-Urteil vom 15.07.1998 ‑ II R 23/97, BFH/NV 1998, 1463, m.w.N., unter II.1.). Dies gilt auch, wenn ein Preis re­gelmäßig gleichbleibend angesetzt wird, der sich als ein Vielfaches des Nomi­nalwerts darstellt.

d) Nach diesen Grundsätzen kommt eine Ableitung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zu 1. aus dem Einziehungskurs in Höhe von 400 % des Nennkapitals nicht in Betracht.

aa) Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und die Kläger selbst vortragen, wurde der Einziehungskurs nicht für jeden Einzelfall einzeln ausgehandelt, sondern über Jahre hinweg aufgrund der unveränderten Ausschüttungspraxis der Klägerin zu 1. gleichbleibend angesetzt, ohne die veränderten Vermögens­verhältnisse der Gesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaften zu berück­sichtigen.

bb) Dass sich der Kaufpreis nicht an den veränderten Vermögensverhältnissen orientiert hat, folgt auch aus dem aus objektiven Gründen nicht erklärbaren erheblichen Missverhältnis zu dem das Gesamtvermögen der Gesellschaft ab­bildenden Substanzwert. Der Substanzwert der Klägerin zu 1. liegt mehr als das 6‑fache über dem sich aus dem Einziehungskurs ergebenden Wert.

cc) Anders als die Kläger meinen, kann die Nichtberücksichtigung der Vermö­gensverhältnisse der Klägerin zu 1. auch nicht deshalb in den Hintergrund tre­ten, weil eine Zwangslage bei den freiwilligen Einziehungen der Anteile an der Klägerin zu 1. nicht erkennbar gewesen sei. Dass die Beteiligten im gewöhnli­chen Geschäftsverkehr ohne Zwang und nicht aus Not gehandelt haben, son­dern freiwillig in Wahrung ihrer eigenen Interessen zu handeln in der Lage sein müssen, stellt nur eine Voraussetzung für die Annahme einer freien Preisbil­dung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr dar. Hinzutreten muss ein Handel, bei dem sich der Preis nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektiver Wertmaßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören, gebildet hat, was vorliegend gerade nicht der Fall war.

dd) Da eine Ableitung des gemeinen Werts aus dem Einziehungskurs von 400 % des Nennkapitals der Klägerin zu 1. nicht in Betracht kommt, kann dahingestellt bleiben, ob die Einigung zu den Einziehungen vom 07.02.2015 rechtzeitig und zwischen fremden Dritten erfolgte.

e) Der Ansatz des Substanzwerts nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG verletzt die Kläger zu 2. und 3. jedenfalls im Ergebnis nicht in ihren Rechten. Ist eine Ab­leitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten, die we­niger als ein Jahr zurückliegen, nicht möglich, so ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Ka­pitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Ge­schäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln. Ob der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG eine andere im Geschäftsver­kehr anerkannte Methode im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist (vgl. dazu "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" des Instituts der Wirtschaftsprüfer Standard 1 i.d.F. 2008, Rz 6; Mannek in von Oertzen/Loose/Stalleiken, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 3. Aufl., § 11 BewG Rz 76; Wollny, DStR 2012, 766, 769, m.w.N.), kann da­hinstehen. Jedenfalls darf ein nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ermittelter Wert den Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht unterschreiten. Ein nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ermittelter Wert könnte daher nur gleich hoch oder höher sein als der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG. Der An­satz eines höheren Werts als der festgestellte Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. ist wegen des im gerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots jedoch nicht möglich (vgl. BFH-Urteil vom 05.12.2019 ‑ II R 41/16, BFHE 267, 275, BStBl II 2020, 741, Rz 21).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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