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BFH: Einstweiliger Rechtsschutz bei Versagung der formellen Satzungsmäßigkeit

Beantragt eine steuerbegünstigte Körperschaft gemäß § 60a Abs. 2 Nr. 1 AO die Feststellung der Satzungsmäßigkeit, um Zuwendungsbestätigungen nach § 63 Abs. 5 AO i.V.m. § 50 Abs. 1 EStDV ausstellen zu können, ist einstweiliger Rechtsschutz nicht durch AdV (§ 69 FGO), sondern durch einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu gewähren.

AO §§ 60a Abs. 1 und Abs. 2, 63 Abs. 5
FGO §§ 69, 114
EStDV § 50 Abs. 1

BFH-Beschluss vom 2.12.2020, V B 25/20 (AdV) (veröffentlicht am 4.2.2021)

Vorinstanz: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 21.4.2020, 3 V 185/20 (EFG 2020 S. 1580 = SIS 20 14 40)

I.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) stellte mit Bescheid vom 06.03.2019 über die Ablehnung einer gesonderten Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) fest, dass der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller), ein eingetragener Verein, mit seiner Satzung in der Fassung vom 04.05.2017 nicht die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO erfüllte. Die Mitgliederversammlung des Antragstellers beschloss daraufhin am 10.03.2019 eine Änderung der Satzung, die am 15.03.2019 in das Vereinsregister eingetragen wurde (Änderung des § 13 Abs. 2 der Satzung zur Verwendung des Vereinsvermögens bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke).

Gegen den Bescheid vom 06.03.2019 legte der Antragsteller am 14.03.2019 Einspruch ein und beantragte auch für die geänderte Satzung die Feststellung der Satzungsmäßigkeit gemäß § 60a AO.

Mit Bescheid vom 10.12.2019 über die Ablehnung einer gesonderten Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 AO stellte das FA fest, dass auch mit der geänderten Satzung die Voraussetzungen der §§ 51, 59, 60 und 61 AO nicht erfüllt würden. Dem Antrag vom 14.03.2019 auf Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO wurde damit nicht entsprochen.

Auch hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Schreiben vom 27.01.2020 lehnte das FA diesen Antrag ab.

Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Bescheides vom 10.12.2019 mit der Maßgabe auszusetzen, dass der Antragsteller beginnend mit dem Kalenderjahr 2020 bis zur bestandskräftigen Veranlagung 2020 (längstens für drei Jahre seit Zugang des Bescheides) zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen i.S. des § 50 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) berechtigt ist, hilfsweise den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, vorläufig festzustellen, dass der Antragsteller berechtigt ist, beginnend mit dem Kalenderjahr 2020 bis zur bestandskräftigen Veranlagung 2020 (längstens für drei Jahre seit Zugang des Bescheides) Zuwendungsbestätigungen i.S. des § 50 Abs. 1 EStDV auszustellen.

Der Antrag hatte Erfolg. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2020, 1580 veröffentlichten Beschluss setzte das FG die Vollziehung des Bescheides über die Ablehnung einer gesonderten Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 AO vom 10.12.2019 mit der Maßgabe aus, dass bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 10.12.2019, längstens bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch vom 06.01.2020, vorläufig davon auszugehen ist, dass der Antragsteller mit der Satzung vom 10.03.2019 die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO einhält.

Das FG begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei einem Bescheid über die Ablehnung einer gesonderten Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 AO um einen vollziehbaren Verwaltungsakt handelt, gegen den einstweiliger Rechtsschutz durch AdV gewährt werden könne. Gegen die Satzungsmäßigkeit habe das FA keine Einwendungen erhoben. Entgegen der Auffassung des FA komme es auf die tatsächliche Geschäftsführung nicht an.

Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde.

Der Antrag auf AdV hätte als unzulässig verworfen werden müssen. Auch die tatsächliche Geschäftsführung sei zu berücksichtigen.

Das FA beantragt,
den Beschluss des FG aufzuheben und die Anträge abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antrag sei zulässig. Das FA habe keine Einwendungen gegen die formelle Satzungsmäßigkeit vorgebracht.

II.

Die Beschwerde des FA ist begründet. Der angefochtene Beschluss des FG ist aufzuheben. Der Antrag, die Vollziehung des Ablehnungsbescheides vom 10.12.2019 zur Feststellung der Satzungsmäßigkeit nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AO mit der Maßgabe auszusetzen, dass der Antragsteller beginnend mit dem Kalenderjahr 2020 bis zur bestandskräftigen Veranlagung 2020, längstens für drei Jahre seit Zugang des Bescheides, zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen i.S. des § 50 Abs. 1 EStDV berechtigt ist, ist abzulehnen. Da das FG über den Hilfsantrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Feststellung zur Berechtigung, Zuwendungsbestätigungen auszustellen, bislang nicht entschieden hat, ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.

1. Beantragt eine steuerbegünstigte Körperschaft gemäß § 60a Abs. 2 Nr. 1 AO die Feststellung der Satzungsmäßigkeit, um Zuwendungsbestätigungen nach § 63 Abs. 5 AO i.V.m. § 50 Abs. 1 EStDV ausstellen zu können, ist einstweiliger Rechtsschutz nicht durch AdV (§ 69 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), sondern durch einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu gewähren.

a) Die Abgrenzung der beiden Rechtsschutzarten nach §§ 69, 114 FGO richtet sich danach, welche Klage in einem Hauptsacheverfahren zu erheben wäre. Handelt es sich um eine Anfechtungsklage, ist vorläufiger Rechtsschutz durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu gewähren, bei einer Verpflichtungsklage ist demgegenüber eine einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu erlassen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23.04.2012 - III B 183/11, BFH/NV 2012, 1173, und vom 21.12.2012 - III B 41/12, BFH/NV 2013, 549).

Die beiden Klagearten unterscheiden sich durch ihr Rechtsschutzziel. Nach § 40 Abs. 1 FGO ist die Anfechtungsklage auf eine Änderung eines Verwaltungsakts und die Verpflichtungsklage auf den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts gerichtet. Dabei dient die Anfechtungsklage der Abwehr hoheitlicher Eingriffe, während die Verpflichtungsklage als Sonderfall der Leistungsklage im Gegensatz hierzu darauf gerichtet ist, den eigenen Rechtskreis zu erweitern (vgl. hierzu z.B. Braun in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 40 FGO Rz 44, 74).

b) Nach allgemeiner Auffassung ist bei der erstmaligen Ablehnung einer gesonderten Feststellung nach § 60a AO in einem Hauptsacheverfahren Verpflichtungsklage zu erheben (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl., Rz 7.9; Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 60a Rz 10; Seer in Tipke/Kruse, § 60a AO Rz 16; Unger in Gosch, AO § 60a, Rz 16).

Auf dieser Grundlage soll vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO erfolgen (z.B. Seer, ebenda; Koenig/Koenig, a.a.O., § 60a Rz 11; so wohl auch Hüttemann, ebenda). Dies entspricht der bisherigen BFH-Rechtsprechung vor Inkrafttreten von § 60a AO (BFH-Beschlüsse vom 23.09.1998 - I B 82/98, BFHE 186, 433, BStBl II 2000, 320, und vom 11.06.2001 - I B 30/01, BFH/NV 2001, 1223).

c) Dem schließt sich der beschließende Senat für den hier vorliegenden Fall einer Antragstellung nach § 60a Abs. 2 Nr. 1 AO an.

aa) Nach § 60a Abs. 2 AO erfolgt die Feststellung der Satzungsmäßigkeit auf Antrag der Körperschaft (Nr. 1) oder von Amts wegen bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer, wenn bisher noch keine Feststellung erfolgt ist (Nr. 2).

Die Feststellung auf Antrag gemäß § 60a Abs. 2 Nr. 1 AO --vor der Veranlagung-- bildet die Grundlage für die Berechtigung zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen nach § 63 Abs. 5 AO i.V.m. § 50 Abs. 1 EStDV (Musil in HHSp, § 60a AO Rz 30). Begehrt eine steuerbegünstigte Körperschaft die Feststellung der Satzungsmäßigkeit zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen, wehrt sie --anders als im Anfechtungsfall-- keinen Eingriff in ihre Rechte ab, sondern erstrebt wie in der Verpflichtungssituation (s. oben II.1.a) eine ihr bislang nicht zustehende Begünstigung. Einstweiliger Rechtsschutz hierfür ist nur im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) zu gewähren.

bb) Dem steht das sich aus § 60a Abs. 1 Satz 2 AO ergebende zweistufige Besteuerungsverfahren nicht entgegen. Danach ist die Feststellung der Satzungsmäßigkeit für die Besteuerung der Körperschaft und der Steuerpflichtigen, die Zuwendungen in Form von Spenden und Mitgliedsbeiträgen an die Körperschaft erbringen, bindend.

(1) Das FG hat hierzu zwar im Grundsatz zutreffend auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 14.04.1987 - GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) hingewiesen. Danach muss der vorläufige Rechtsschutz hinsichtlich der Berücksichtigung von Besteuerungsgrundlagen in zweistufigen Besteuerungsverfahren in dem gleichen Umfang und daher unter den gleichen Voraussetzungen gewährt werden wie in einstufigen Besteuerungsverfahren. Da negative Gewinnfeststellungsbescheide in zweistufigen Besteuerungsverfahren ergehen, ist vorläufiger Rechtsschutz gegen sie wie gegen Steuerbescheide durch AdV zu gewähren (BFH-Beschluss in BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637, unter C.II.; zur Kritik s. Gosch in Gosch, FGO § 69 Rz 51).

Auf dieser Grundlage kann es --ohne dass der beschließende Senat hierüber nach den Verhältnissen des Streitfalles abschließend zu entscheiden hat-- in Betracht kommen, im Umfang der sich aus § 60a Abs. 1 Satz 2 AO ergebenden Bindungswirkung der gesonderten Feststellung einstweiligen Rechtsschutz nach § 69 FGO zu gewähren, soweit es um die Beurteilung der satzungsmäßigen Voraussetzungen für einen gegenüber der steuerbegünstigten Körperschaft zu erlassenden Steuerbescheid geht.

(2) Im Streitfall ist indes bislang nicht hinreichend berücksichtigt, dass auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über das konkrete Rechtsschutzziel des Antragstellers zu entscheiden ist. Dabei ist die eindeutige Erklärung eines rechtskundigen Prozessvertreters auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes rechtsschutzgewährender Auslegung nicht abweichend von ihrem tatsächlichen Inhalt auszulegen (z.B. BFH-Beschluss vom 19.07.2010 - I B 207/09, BFH/NV 2011, 48).

Wenn aber mit dem konkreten Antrag des fachkundig vertretenen Antragstellers ausdrücklich das Ziel verfolgt wird, einstweiligen Rechtsschutz zur Ausstellung von Zuwendungsbestätigungen aufgrund eines nach § 60a Abs. 2 Nr. 1 AO gestellten Antrags zu erlangen, begehrt der Antragsteller eine Erweiterung seines bisherigen Rechtskreises und macht damit ein Verpflichtungsbegehren (s. oben II.1.a) geltend, so dass vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu gewähren ist. Insoweit kommt es aber auf die aus § 60a Abs. 1 Satz 2 AO folgende Bindungswirkung nicht an. Denn für das Begehren, Zuwendungsbestätigungen ausstellen zu dürfen, fehlt es an einem zweistufigen Besteuerungsverfahren, das dem BFH-Beschluss in BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637 zugrunde liegt.

2. Da auf dieser Grundlage im Streitfall der Antrag auf AdV unzulässig ist, ist nunmehr über den Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entscheiden. Dies erfordert tatsächliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 114 FGO. Diese Feststellungen nachzuholen ist Aufgabe des FG. Deshalb verfährt der Senat gemäß §§ 132, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung analog. Dies entspricht für entsprechende Fallkonstellationen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Beschlüsse vom 27.03.1991 - I B 187/90, BFHE 164, 173, BStBl II 1991, 643, unter II.2., und vom 04.03.2020 - I B 57/18, BFH/NV 2020, 1236; vgl. auch Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 995). Das FG wird seine Entscheidung über den Antrag nach § 114 FGO unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen BFH-Rechtsprechung (z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 186, 433, BStBl II 2000, 320, und in BFH/NV 2001, 1223) treffen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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