BFH: Kindergeld - Keine Übertragung des Kinderfreibetrags sowie des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines minderjährigen Kindes
Allein der Umstand, dass ein sorgeberechtigter Elternteil, der sein minderjähriges Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat, für sich und sein Kind Leistungen nach dem SGB II bezieht, rechtfertigt nicht die Übertragung des diesem für sein Kind zustehenden Kinderfreibetrags und des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf den anderen Elternteil, der den Barunterhalt für das gemeinsame Kind leistet.
BFH-Urteil vom 15.6.2016, III R 18/15 (veröffentlicht am 21.9.2016)
EStG § 32 Abs. 6 Sätze 1, 6 und 8
Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 14.7.2015, 4 K 4233/14 (EFG 2015 S. 1814 = SIS 15 22 23)
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die im Streitjahr (2013) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin ist die leibliche Mutter der im September 1996 geborenen Tochter J. Für diese leistete sie im Streitjahr Barunterhalt. Die ledige J lebte im Streitjahr im Haushalt des sorgeberechtigten Vaters S; sie war dort polizeilich gemeldet. S bezog für sich und J Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit ihrer für das Streitjahr abgegebenen gemeinsamen Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger für J den Abzug des doppelten Freibetrags für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und des doppelten Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA-Freibetrag) i.S. des § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte in dem Einkommensteuerbescheid für 2013 die beantragte Übertragung der Freibeträge des S ab.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 22.9.2014 als unbegründet zurück. S sei seiner Verpflichtung zum Unterhalt nachgekommen, weil er J in seinen Haushalt aufgenommen und dadurch Betreuungsunterhalt geleistet habe, der dem von der Klägerin geleisteten Barunterhalt gleichwertig gegenüberstehe.
Mit der dagegen beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage begehrten die Kläger die Berücksichtigung weiterer Freibeträge für J in Höhe von insgesamt 3.504 €. Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1814 veröffentlichten Urteil ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, eine Übertragung des Kinderfreibetrags scheitere daran, dass S unstreitig seiner Verpflichtung zur Leistung von Betreuungsunterhalt nachgekommen sei; eine Verletzung der Unterhaltspflicht liege nicht vor. Deshalb scheide auch die Übertragung des Kinderfreibetrags wegen fehlender Leistungsfähigkeit aus. Eine Übertragung des Betreuungsfreibetrags komme nicht in Betracht, weil J nicht in der Wohnung der Klägerin gemeldet gewesen sei; zudem habe S die Tochter J im Streitjahr nicht nur unerheblich betreut.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision eine Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen sinngemäß, das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 14.7.2015 4 K 4233/14 und die Einspruchsentscheidung vom 22.9.2014 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 7.8.2014 dahingehend abzuändern, dass der weitere auf den anderen Elternteil entfallende Kinder- und BEA-Freibetrag für die Tochter J in Höhe von insgesamt 3.504 € berücksichtigt wird und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Voraussetzungen für die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Alternative 1, Satz 6 EStG (dazu unter 1.) sowie des BEA-Freibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Alternative 2, Satz 8 EStG (dazu unter 2.) auf die Kläger nicht vorliegen.
1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.
a) Die Unterhaltspflicht i.S. dieser Vorschrift bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB; z.B. Senatsurteil vom 24.3.2006 III R 57/00, BFH/NV 2006, 1815, unter II.1., zu § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der für das Jahr 1987 gültigen Fassung). Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung. Der andere, nicht betreuende Elternteil hat den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12.3.2014 XII ZB 234/13, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 2014, 1958, unter B.II.2.a). Liegt das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht i.S. des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. BGH-Urteil vom 28.2.2007 XII ZR 161/04, NJW 2007, 1882, unter 2.b).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG zu Recht entschieden, dass der Kinderfreibetrag des S nicht nach § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG auf die Kläger zu übertragen ist, da S seine Unterhaltspflicht im Streitjahr durch die Leistung von Betreuungsunterhalt erfüllt hat.
Aus dem Umstand, dass ein Elternteil keinen Barunterhalt - sondern Betreuungsunterhalt - leistet, ergibt sich kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags. Wird nur Betreuungsunterhalt geschuldet (vgl. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB), ist die Erfüllung dieser Pflicht entscheidend, da der Gesetzgeber von der Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistung durch Zahlung von Geldbeträgen und durch persönliche Betreuung ausging. Dies hat der Senat bereits zu § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 1 EStG in der für das Jahr 2001 geltenden Fassung (ab dem Veranlagungszeitraum 2002: Satz 6) entschieden (Senatsurteil vom 27.9.2007 III R 71/06, Entscheidungssammlung zum Familienrecht - EzFamR -, EStG §§ 33, 33a, 33b, 33c Nr. 43, unter II.3., m.w.N.). Hieran hält der Senat auch für § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG fest. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Kindsvater S, der J im Streitjahr in seinen Haushalt aufgenommen hatte, seiner Verpflichtung zur Leistung von Betreuungsunterhalt nachgekommen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
c) Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, dass die Übertragung des Kinderfreibetrags auf die Kläger nach § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG aus den unter II.1.b dargestellten Gründen ebenfalls ausscheidet.
Mit der Änderung von § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass nach damaliger Rechtslage eine Übertragung des Kinderfreibetrags des einen Elternteils nicht in Betracht kam, wenn dieser Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig gegenüber dem Kind war (vgl. BTDrucks 17/6146, S. 14; zu der diesbezüglichen Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25.7.1997 VI R 107/96, BFHE 184, 60, BStBl II 1998, 329; vom 27.10.2004 VIII R 11/04, BFH/NV 2005, 343, unter II.1.a, m.w.N., und Senatsbeschluss vom 8.12.2009 III B 227/08, BFH/NV 2010, 639, Rz 6, m.w.N.). Die Neufassung des Satzes 6 soll in diesen Fällen die Übertragung des Kinderfreibetrags ermöglichen, um den Elternteil, der gezwungenermaßen allein für den Unterhalt des Kindes aufkommt, auch allein zu entlasten (BTDrucks 17/6146, S. 14).
Der sorgeberechtigte Kindsvater S schuldete im Streitjahr jedoch Unterhalt; er erfüllte seine Unterhaltspflicht auch unstreitig durch die Leistung von Betreuungsunterhalt. Die Kläger sind somit nicht allein für den Unterhalt des Kindes J aufgekommen. Damit ergibt sich im Streitfall - anders als die Kläger meinen - allein aus dem Umstand, dass S für sich und J Leistungen nach dem SGB II bezog, kein Anspruch auf Übertragung des Kinderfreibetrags.
2. Bei minderjährigen Kindern wird nach § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, wenn bei dem Elternpaar die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen.
Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Übertragung des BEA-Freibetrags auf die Kläger im Streitfall zutreffend verneint. Denn ausweislich der bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG war J im Streitjahr nicht bei den Klägern gemeldet, sondern unter der Adresse des S. Die Kläger waren somit schon nicht antragsberechtigt i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG.
3. Dieses Ergebnis ist auch nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden.
Insbesondere ist - entgegen der Ansicht der Kläger - eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Elternpaaren, die nicht die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung erfüllen, gegenüber zusammen veranlagten Ehegatten nicht zu erkennen. Denn zusammen veranlagte Ehegatten erhalten keinen höheren Kinderfreibetrag oder BEA-Freibetrag als die Elternpaare, welche die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht erfüllen.
Nach der Rechtsprechung des BFH besteht zudem kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, dass nicht zusammenlebende Elternteile im Rahmen ihrer Veranlagung zur Einkommensteuer bei der steuerlichen Entlastung wegen eines unterhaltberechtigten Kindes in der Summe betragsmäßig genauso oder etwa gar besser gestellt werden, als würden sie zusammen mit dem anderen Elternteil zur Einkommensteuer veranlagt werden (BFH-Urteil vom 26.2.2002 VIII R 90/98, BFH/NV 2002, 1137, unter 3.b). Den verfassungsrechtlichen Vorgaben ist genügt, wenn sichergestellt ist, dass jeder Elternteil im Rahmen seiner Veranlagung zur Einkommensteuer die ihm unter Berücksichtigung der Höhe seines Einkommens verfassungsrechtlich zustehende Entlastung wegen des für sein Kind geleisteten Unterhalts erhält (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1137, unter 3.b, und Senatsurteil in EzFamR, EStG §§ 33, 33a, 33b, 33c Nr. 43, unter II.3.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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