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BFH: „Finanzielle Eingliederung“ bei qualifizierten Mehrheitserfordernissen

Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterver­sammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes zu erfüllen.

KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
AktG § 17 Abs. 2, § 133 Abs. 1
GmbHG § 47 Abs. 1 und Abs. 4

BFH-Urteil vom 9.8.2023, I R 50/20 (veröffentlicht am 14.12.2023)

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 24.11.2020, 6 K 3291/19 F = SIS 21 00 83

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob in den Jahren 2014 bis 2016 (Streitjahre) zwischen den Klägerinnen eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft be­stand.

Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.), eine GmbH, war in den Streitjahren zu 79,8 % an der Klägerin und Revisionsklägerin zu 2. (Klä­gerin zu 2.), ebenfalls eine GmbH, beteiligt. Die übrigen Anteile hielten zu 10,2 % C und zu 10 % D. Der Gesell­schaftsvertrag der Klägerin zu 2. enthielt unter anderem folgende Regelungen:

"§ 7 Einschränkung der Geschäftsführung
Der oder die Geschäftsführer haben in folgenden Fällen die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen:
a) bei allen Rechtsgeschäften, die einen einmaligen Aufwand von vor­aussichtlich mehr als DM 50.000,00 erfordern,
b) bei Verträgen, deren Vollzug durch Grundbucheintragung erfolgt,
c) bei Darlehensaufnahmen und Kreditgewährungen von mehr als DM 20.000,00.
§ 8 Gesellschafterversammlung/Gesellschafterbeschlüsse
[…]
4. Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn die erschie­nenen Gesellschafter 100 % des Stammkapitals vertreten. Kommt eine beschlussfähige Gesellschafterversammlung nicht zustande, so ist eine neue Versammlung einzuberufen, die dann ohne Rücksicht auf die Höhe des vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist; auf diesen Umstand ist bei der 2. Einberufung ausdrücklich hinzuweisen.
[…]
6. Beschlüsse der Gesellschaft bedürfen einer Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschafterversammlung anwesenden Stimmen, soweit nicht das Gesetz oder die Satzung eine höhere Mehrheit vorschreibt.
[…]"

Am 19.12.2013 schlossen die Klägerin zu 1. als Organträgerin und die Klägerin zu 2. als Organgesellschaft einen "Gewinnabführungsvertrag" (EAV), dem sämt­liche Gesellschafter der Klägerin zu 2. mit notarieller Urkunde vom gleichen Tag zustimmten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erließ für die Streitjah­re zunächst Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung des der Organträgerin zuzurechnenden Einkommens und sonstiger damit im Zu­sammenhang stehender Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 des Kör­perschaftsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (KStG). Im Anschluss an eine Außenprüfung hob das FA diese Bescheide auf und be­handelte die abgeführten Gewinne als verdeckte Gewinnausschüttungen, da die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht erfüllt seien. Die Einsprüche beider Klägerinnen blieben erfolglos.

Die hiergegen gerichteten Klagen, die zur gemeinsamen Verhandlung und Ent­scheidung verbunden wurden, wies das Finanzgericht (FG) Düsseldorf mit Ur­teil vom 24.11.2020 ‑ 6 K 3291/19 F (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 228) als unbegründet ab. Zwar seien die Klagen zulässig, da die Kläge­rinnen als Feststellungsbeteiligte klagebefugt seien und durch die Aufhebung der Feststellungsbescheide nach § 14 Abs. 5 KStG auch über das Nichtbeste­hen einer Organschaft entschieden worden sei. Die Klagen seien jedoch unbe­gründet, da keine finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG vorliege. Die finanzielle Eingliederung setze unter entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft voraus, dass der Organträger seinen Willen in der Gesellschafter­versammlung der Organgesellschaft durchsetzen könne. Wenn ‑‑wie im Streit­fall‑‑ die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterver­sammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vorsehe, reiche hierfür eine ein­fache Mehrheit der Stimmrechte nicht aus. Vielmehr hätte die Klägerin zu 1. über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit verfügen müssen. Diese Voraus­setzung liege nicht vor.

Die Klägerinnen machen mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragen, die Vorentscheidung sowie die Bescheide für 2014 bis 2016 über die Aufhebung der gesonderten und einheitlichen Feststellung des dem Organträger zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft und da­mit zusammenhängender anderer Besteuerungsgrundlagen nach § 14 Abs. 5 KStG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Klägerinnen ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht ent­schieden, dass in den Streitjahren eine körperschaftsteuerrechtliche Organ­schaft wegen fehlender finanzieller Eingliederung nicht bestand.

  1. Das FG hat die Klagen gegen die Aufhebung der Bescheide über die geson­derte und einheitliche Feststellung nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG zutreffend als zulässig angesehen. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt.

a) Zutreffende Klageart ist die von den Klägerinnen erhobene Anfechtungskla­ge (§ 40 Abs. 1 Variante 1 FGO). Denn die Klägerinnen begehren nicht den erstmaligen Erlass eines positiven Feststellungsbescheids nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG (vgl. hierzu Senatsurteil vom 11.07.2023 ‑ I R 36/20, zur amtli­chen Veröffentlichung bestimmt), sondern die Aufhebung eines negativen Feststellungsbescheids, mit dem das FA die ursprünglich positiven Feststel­lungsbescheide aufgehoben hatte. Unter diesen Umständen ist eine Anfech­tungsklage zulässig (BFH-Urteil vom 22.11.1994 ‑ VIII R 63/93, BFHE 177, 28, BStBl II 1996, 93; Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 40 Rz 59; zur Wirkung der Aufhebung eines Aufhebungsbescheids vgl. auch BFH-Urteil vom 03.07.2014 ‑ III R 53/13, BFHE 246, 437, BStBl II 2015, 282 und BFH-Beschluss vom 09.12.2004 ‑ VII R 16/03, BFHE 208, 37, BStBl II 2006, 346).

b) Die Klägerinnen sind zudem nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt. Sowohl Or­ganträgerin als auch Organgesellschaft sind Feststellungsbeteiligte des Verfah­rens nach § 14 Abs. 5 KStG, die von der Bindungswirkung der gesonderten und einheitlichen Feststellung betroffen sind; als solche sind sie klagebefugt.

Die Rechtsprechung hat dies (auch) für die Organgesellschaft bereits aus­drücklich erkannt (BFH-Urteil vom 01.07.2020 ‑ XI R 20/18, BFHE 269, 525, BStBl II 2021, 296, m.w.N., Verfassungsbeschwerde eingelegt, Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 926/21; bestätigt durch BFH-Urteil vom 18.08.2021 ‑ XI R 43/20, BFHE 274, 124). Im Streitfall kommt es auf den hierzu geführten Meinungsstreit aber im Ergebnis nicht an, da sich die Klagen gegen einen negativen Feststellungsbescheid richten, der zur Folge hat, dass die Organgesellschaft (Klägerin zu 2.) ihr Einkommen selbst versteuern muss. Unter diesen Umständen liegt in jedem Fall eine Beschwer vor (einschränkend aber Brühl, Deutsches Steuerrecht 2021, 313, 317 ‑ der dortige Verweis auf das Senatsurteil vom 30.01.2013 ‑ I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 [zu Bescheiden über die Feststellung des Bestands des steuerlichen Ein­lagekontos] könnte allerdings die Unterschiede bei den Feststellungsbeteiligten nicht ausreichend berücksichtigt haben). Aus § 352 der Abgabenordnung und § 48 FGO sind für den Streitfall keine Einschränkungen erkennbar.

  1. Darüber hinaus hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klagen unbe­gründet sind. Zwar ist die streitige Statusfrage des Bestehens oder Nichtbeste­hens einer Organschaft Gegenstand des angefochtenen Bescheids über die Aufhebung der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG (vgl. hierzu Senatsurteile vom 11.07.2023 ‑ I R 21/20 und vom 11.07.2023 ‑ I R 36/20, jeweils zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft lagen in den Streitjahren aber nicht vor, so dass die ursprünglich positiven Feststellungsbe­scheide aufzuheben waren.
a) Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Ein­kommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Trä­ger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Unter anderem muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG).

Sofern sich ‑‑wie im Streitfall‑‑ eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in ei­nem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (und damit auch eine inländische GmbH wie die Klägerin zu 2.) wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen, so gelten nach § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Vor­aussetzungen des § 17 (Abs. 1) Satz 2 (und Abs. 2) KStG zu berücksichtigen.

b) Das FG hat zu Recht entschieden, dass im Streitfall die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 (Abs. 1) Satz 1 KStG nicht erfüllt war.

aa) Für die finanzielle Eingliederung ist auf die "Mehrheit der Stimmrechte" ab­zustellen. Da es insofern auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen ankommt (so zutreffend Herlinghaus, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2000, 1105, 1111), reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmrechte aus (§ 133 Abs. 1 des Aktiengesetzes ‑‑AktG‑‑, § 47 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesell­schaften mit beschränkter Haftung ‑‑GmbHG‑‑). Sofern dies nicht mit einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verbunden ist, wird die erforderliche Stimmenmehrheit grundsätzlich auch nicht durch schuldrechtliche Vereinba­rungen über die Stimmrechte wie Stimmbindungsverträge und Stimmrechts­vollmachten beeinflusst (vgl. Senatsurteil vom 10.05.2017 ‑ I R 51/15, BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30). Dies folgt insbesondere daraus, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes allein die Stimmrechte "aus den Anteilen" maßgebend sind (vgl. auch Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 81a; Rode, FR 2021, 151, 153).

bb) Sieht die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafter­versammlung eine (höhere) qualifizierte Mehrheit vor, muss der Organträger aber zumindest in denjenigen Fällen, in denen die qualifizierte Mehrheit gene­rell erforderlich ist, nicht nur über eine einfache Mehrheit, sondern über eine entsprechend qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfügen, um die Voraus­setzung der finanziellen Eingliederung zu erfüllen (BeckOK KStG/Ebber, § 14 Rz 330; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Müller in Mössner/Oellerich/Valta, Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 14 Rz 163; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 131; ähnlich auch Streck/Olbing, KStG, 10. Aufl., § 14 Rz 21 "für allgemeine Beschlüsse"; a.A. Walter in Bott/Walter, KStG § 14 Rz 274 [einfache Mehrheit maßgebend, so­lange es Beschlüsse gibt, für die eine einfache Mehrheit genügt]; Rödder, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2012/2013, 125, 126 [einfache Mehrheit ohne Einschränkungen maßgebend]).

(1) Zwar könnte der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG ("Mehrheit der Stimmrechte") dafür sprechen, entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Grundnormen (§ 133 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG) in jedem Fall eine ein­fache Mehrheit der Stimmrechte ausreichen zu lassen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber aber bewusst auf die Mehrheit der Stimmrechte und nicht auf die Mehrheit der Anteile abgestellt, da es bei dem Kriterium der finanziellen Eingliederung um eine kapitalmäßige Verflechtung zwischen Organträger und Organgesellschaft gehe, die den Organträger in die Lage versetze, tatsächlich das Geschehen in der Organgesellschaft zu bestim­men (BTDrucks V/3882, S. 2 f.).

Vor diesem Hintergrund hat das FG zutreffend die Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft herangezogen. Dort setzt die finanzielle Eingliederung grundsätzlich voraus, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein muss, dass er seinen Willen in der Gesellschaf­terversammlung durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 22.11.2001 ‑ V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167; vom 15.12.2016 ‑ V R 14/16, BFHE 256, 562, BStBl II 2017, 600, m.w.N.). Auch der Senat hat in dem Urteil vom 10.05.2017 ‑ I R 51/15 (BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30) für die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft darauf ab­gestellt, ob der Organträger durch die Stimmrechte seinen auf die Organge­sellschaft bezogenen Geschäftsleitungswillen durchsetzen kann. Demnach sind auch von den Mehrheitserfordernissen des § 133 Abs. 1 AktG und des § 47 Abs. 1 GmbHG abweichende Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen.

Die neuere Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft, wonach eine Willensdurchsetzung auch bei nur 50 % der Stimmrechte möglich sei (BFH-Urteil vom 18.01.2023 ‑ XI R 29/22 (XI R 16/18), BFHE 279, 320), beruht dagegen auf einer Gesamtbetrachtung von finanzieller, organisatori­scher und wirtschaftlicher Eingliederung, die nicht auf die körperschaftsteuer­rechtliche Organschaft übertragbar ist.

(2) Nach diesen Maßgaben fehlte der Klägerin zu 1. die für eine finanzielle Ein­gliederung erforderliche qualifizierte Stimmenmehrheit. Zwar hielt sie nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) 79,8 % der Anteile an der Klägerin zu 2., so dass ihr die einfache Mehrheit der Stimmrechte zu­stand. Nach § 8 des Gesellschaftsvertrags war für Beschlüsse der Gesellschaf­terversammlung aber generell eine Mehrheit von 91 % aller in der Gesellschaf­terversammlung anwesenden Stimmen erforderlich. Über diese qualifizierte Mehrheit verfügte die Klägerin zu 1. nicht.

(3) Die von den Klägerinnen hiergegen erhobenen Einwendungen haben kei­nen Erfolg.

Insbesondere können sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Maß­geblichkeit einer qualifizierten Mehrheit dem Ziel der Steuervereinfachung durch Verzicht auf die Voraussetzungen der organisatorischen und wirtschaftli­chen Eingliederung widerspreche und den Beherrschungsgedanken der organi­satorischen Eingliederung in die finanzielle Eingliederung hineinlese. Hierfür ist entscheidend, dass die finanzielle Eingliederung allein die Möglichkeit der Ge­sellschafter zur Durchsetzung ihres Geschäftsleitungswillens betrifft, während es bei der organisatorischen Eingliederung um die Sicherstellung der tatsächli­chen Einflussnahme auf die Geschäftsführung geht. Letzteres geht über die Durchsetzbarkeit des Geschäftsleitungswillens durch Ausübung der Gesell­schafterrechte in der Gesellschafterversammlung hinaus, so dass es nicht zu einer Wiedereinführung des Gedankens der organisatorischen Eingliederung kommt, wenn im Rahmen der finanziellen Eingliederung auf die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte abgestellt wird.

Auch der Verweis der Klägerinnen auf das Aktienrecht führt zu keinem ande­ren Ergebnis. Insofern ist zu berücksichtigen, dass § 17 Abs. 2 AktG für den Fall der Mehrheitsbeteiligung eine Abhängigkeit lediglich vermutet. Diese Ver­mutung kann unter anderem durch qualifizierte Mehrheitserfordernisse in der Satzung widerlegt werden (MüKoAktG/Bayer, 5. Aufl., § 17 Rz 99; Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 17 Rz 24; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 17 Rz 54). Außerdem reicht es für die Durchsetzbarkeit des Geschäftsleitungswil­lens bei der Organgesellschaft nicht aus, (nur) denjenigen Geschäftsführer ab­berufen zu können, der gleichzeitig Minderheitsgesellschafter ist und damit der Stimmrechtsbeschränkung des § 47 Abs. 4 GmbHG unterliegt. Dies gilt jeden­falls dann, wenn ‑‑wie im Streitfall‑‑ zwei Minderheitsgesellschafter vorhanden sind, deren Stimmen aufgrund des qualifizierten Mehrheitserfordernisses je­weils allein ausreichen, um einen Gesellschafterbeschluss zu verhindern. Denn die Stimmrechtsbeschränkung des § 47 Abs. 4 GmbHG betrifft lediglich die Stimmberechtigung des jeweils abzuberufenden Gesellschafter-Geschäftsfüh­rers. Schließlich gelten die gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu den Stimmrechten der Gesellschafter der Organgesellschaft ‑‑entgegen der Auffas­sung der Klägerinnen‑‑ auch während der Laufzeit des EAV.

cc) Da die Satzung der Klägerin zu 2. für Beschlüsse der Gesellschafterver­sammlung generell eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, kann dahingestellt bleiben, ob und in welchen Konstellationen für die finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG auch dann die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte erforderlich ist, wenn diese nur für einen Teil der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung geregelt ist. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die besondere Bedeutung von Beschlüssen, die die Ergebnisabführung be­treffen, aus Gründen der Praktikabilität dazu führen kann, im Zweifel allein auf die Mehrheitserfordernisse dieser Beschlüsse abzustellen (so Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 81; Beinert/M. Marx in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Rz 12.6; Rode, FR 2021, 151, 152; Brühl/Weiss, Die Unternehmensbesteuerung 2021, 198, 202; ähnlich auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 254 "insbesondere"), oder ob das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend ist (so Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 179; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 111). Jedenfalls dürften satzungsmä­ßige qualifizierte Mehrheitserfordernisse für außerordentliche Beschlüsse (z.B. Satzungsänderungen oder Umwandlungen) grundsätzlich keine Rolle spielen (vgl. auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 254; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 210; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 131).

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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