BFH zu den Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung
- Die Vorschriften für die Nacherhebung von Zoll im Sinne von Art. 105 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 des Unionszollkodex sind sinngemäß auf die Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden.
- Die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a des Umsatzsteuergesetzes kann grundsätzlich nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Identität des Erwerbers im Erwerbsmitgliedstaat feststeht. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung trägt derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft.
- Eine als indirekte Vertreterin ohne Vertretungsmacht aufgetretene Person ist Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer.
UZK Art. 105 Abs. 4
UStG § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a
MwStSystRL Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Art. 138, Art. 201
BFH-Urteil vom 21.11.2023, VII R 10/21 (veröffentlicht am 21.3.2024)
Vorinstanz: FG Hamburg vom 25.1.2021, 4 K 47/18 = SIS 21 02 62
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete mit Zollanmeldung vom 12.12.2016 als indirekte Vertreterin der B GmbH, Mitgliedstaat A, 100 Dokumententaschen mit einem Zollwert von 817,50 € bei einem Zollamt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unter Verwendung des Verfahrenscodes (VC) 42 zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender innergemeinschaftlicher steuerbefreiender Lieferung an. Hierbei gab sie die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt‑IdNr.) des Mitgliedstaats A der B GmbH und die von der drittländischen Verkäuferin C erstellte Handelsrechnung Nr. … vom 28.11.2016 sowie die Lieferbedingung DDP (delivered, duty paid) an.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) setzte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 12.12.2016 die Einfuhrabgaben auf 0 € fest. Der Bescheid war an die Klägerin und "als Vertreter für (für Rechnung)" die B GmbH gerichtet.
Am 19.12.2016 teilte die Klägerin dem HZA mit, dass die Ware nach deren Überlassung umdisponiert worden sei und ein anderer gewerblicher im Mitgliedstaat A ansässiger namentlich nicht benannter Abnehmer diese erhalten habe.
Daraufhin setzte das HZA mit Einfuhrabgabenbescheid vom 31.01.2017 gegen die Klägerin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 183,83 € fest, weil nach Auffassung des HZA die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (igL) gemäß § 6a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht vorlägen.
Nach Einspruchseinlegung übersandte die Klägerin einen von der D GmbH, Mitgliedstaat A, am 28.12.2016 quittierten Lieferschein des Logistikdienstleisters E GmbH des Mitgliedstaats A vom 27.12.2016 sowie ein Schreiben der B GmbH vom selben Tag, in dem diese mitteilte, dass sie eine Gelangensbescheinigung nicht ausstellen könne. Weiterhin übermittelte die Klägerin eine ihr von der C am 09.12.2016 erteilte Vollmacht zur Fiskalvertretung.
Die Klägerin beantragte gemäß Art. 173 Abs. 3 des Unionszollkodex (UZK) die Änderung der Zollanmeldung dahingehend, dass sie im Namen der C abzugeben gewesen sei, was das HZA ablehnte. Die Klage gegen die Ablehnung dieses Änderungsantrags blieb erfolglos.
Mit Bescheid vom 28.09.2017 nahm das HZA den auf 0 € lautenden Einfuhrabgabenbescheid vom 12.12.2016 gemäß Art. 27 UZK zurück, weil das angemeldete indirekte Vertretungsverhältnis zwischen der B GmbH und der Klägerin nicht bestanden habe.
Mit Einspruchsentscheidung vom 11.04.2018 wies das HZA den Einspruch der Klägerin gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 31.01.2017 über 183,83 € zurück.
Das FG urteilte, der Einfuhrabgabenbescheid sei rechtmäßig. Die Ermächtigungsgrundlagen für die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer seien Art. 101 Abs. 1, Art. 105 Abs. 4 und 3 UZK in ihren gemäß § 21 Abs. 2 Halbsatz 1 UStG entsprechend anwendbaren Fassungen. Die genannten Zollvorschriften verdrängten die Art. 27 f. UZK analog und §§ 131 f. der Abgabenordnung (AO). Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) stehe der nachträglichen Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuer nicht entgegen. Mit dem VC 42 werde in mehrwertsteuerrechtlicher Hinsicht ein eigenständiges Verfahren codiert, das allein mehrwertsteuerrechtliche Voraussetzungen habe. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung sei nach Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL antragsgebunden. Es handele sich bei diesem Vorgang um einen einfuhrumsatzsteuerrechtlichen Antrag auf eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 22 UZK analog. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 12.12.2016 sei, soweit darin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 0 € festgesetzt werde, eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 22 und Art. 5 Nr. 39 UZK analog.
Die Voraussetzungen der Nacherhebung lägen im Streitfall vor und das HZA sei dafür zuständig. Die Einfuhrumsatzsteuerschuld sei in der festgesetzten Höhe entstanden. Eine Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne liege jedenfalls dann vor, wenn eine Ware zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen worden sei und die Einfuhrabgaben gezahlt worden seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin werde die Besteuerungshoheit nicht auf den Bestimmungsmitgliedstaat verlagert.
Die Einfuhrumsatzsteuer sei im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung entstanden, auch wenn erst zu einem späteren Zeitpunkt festgestanden habe, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht erfüllt seien. Die Voraussetzungen einer igL im Sinne von § 4 Nr. 1 Buchst. b und § 6a UStG lägen nicht vor. Dafür müsse die Identität des Abnehmers feststehen, weil ansonsten die Ziele der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ‑‑unter anderem die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbräuchen‑‑ negiert würden. Im Streitfall sei jedoch die Identität des Abnehmers der Ware im Mitgliedstaat A ungeklärt. Die Lieferung könne auch nicht gemäß § 6a Abs. 4 UStG als steuerfreie igL angesehen werden, weil deren Voraussetzungen im Streitfall ebenfalls nicht erfüllt seien. Als Grenzspediteurin habe die Klägerin zudem zu keinem Zeitpunkt Verfügungsmacht über die Ware gehabt und daher die Lieferung nicht bewirken können. Die Klägerin sei als Vertreterin ohne Vertretungsmacht Steuerschuldnerin, sie schuldete aber auch als Vertreterin mit Vertretungsmacht die Einfuhrumsatzsteuer, weil die Voraussetzungen der igL nicht vorlägen.
Die Klägerin begründet ihre Revision wie folgt: Die Art. 101 ff. UZK könnten nicht nach § 21 Abs. 2 UStG auf eine (angeblich) fehlgeschlagene Lieferung angewendet werden. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL enthalte eine doppelte Steuerbefreiung, nämlich von der Einfuhrumsatzsteuer und der (inneren) Umsatzsteuer. Zollrecht gelte hier nicht. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG verhindere, dass im VC 42 die Einfuhrumsatzsteuer entstehe. Die Einfuhrumsatzsteuerfreiheit nach dieser Vorschrift sei mit der Einräumung von tariflichen oder außertariflichen Zollfreiheiten nicht vergleichbar und hänge von der Steuerfreiheit der igL nach § 6a UStG ab, die der Verzollung nachfolge.
Die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG beruhe auf einer antragsgebundenen nationalen Entscheidung, auf die grundsätzlich die Abgabenordnung anwendbar sei. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG sei zudem lex specialis zu § 21 Abs. 2 UStG, weshalb diese Vorschrift im VC 42 nicht anwendbar sei. Folge das Antragserfordernis aus Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL, sei es genauso wie die Steuerbefreiung nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL selbst umsatzsteuerrechtlicher Natur. Der Steuerbefreiungsantrag könne nicht in eine Zollanmeldung umgedeutet werden. Werde dem Anmelder oder dem indirekt Vertretenen die Steuerfreiheit eingeräumt, handele es sich um einen begünstigenden Steuerverwaltungsakt im Sinne von §§ 118, 130 Abs. 2 AO. Da die Einräumung der Steuerfreiheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht durch einen Steuerbescheid im Sinne von § 155 Abs. 1 AO erfolge, seien die Art. 101 ff. UZK nicht nach § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß anwendbar.
Der mit Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG verbundene Steuervorteil dürfe ausschließlich nach §§ 130, 131 AO oder besser wegen der Anwendung des Zollverfahrens 42 auf den Steuerbefreiungsantrag nach Art. 27, 28 UZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG korrigiert werden. Mit der Rücknahme der Steuerbefreiung entstehe die Einfuhrumsatzsteuer ex tunc nach Art. 77 UZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG. Eine Korrekturentscheidung nach Art. 27, 28 UZK liege jedoch nicht vor, weshalb der Nacherhebungsbescheid des HZA aufzuheben sei.
Die Klägerin als Grenzspediteurin habe die Steuerfreiheit nicht für ihr Unternehmen beanspruchen können, weil sie die Waren nicht aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat habe transportieren können. Im Übrigen sei sie auch schutzwürdig im Sinne von § 6a Abs. 4 UStG, weil zu erkennen gewesen sei, dass sie als Grenzspediteurin weder Importeurin noch Lieferer sei. Sie habe auf die Angaben von C vertrauen dürfen, deren Umdisponieren außerhalb ihres Verantwortungsbereichs gelegen habe.
Zum Einfuhrbegriff führt die Klägerin aus, dass jeglicher Einfuhrumsatz den Eingang in den Wirtschaftskreislauf voraussetze. In diesem Zusammenhang sei durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu klären, ob seine Einfuhrdefinition auch im Rahmen von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 MwStSystRL gelte. Der Begriff "Einfuhr" im Sinne der VC 42-Vorschriften meine die Abgabe der Einfuhranmeldung, also die aufgrund der Zollanmeldung erfolgte Überlassung der Nicht-Unionsware zum zollrechtlich freien Verkehr nach Art. 201 UZK. Der Eingang in den Wirtschaftskreislauf gehöre seit jeher zum Einfuhrbegriff. Einfuhr im Sinne von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 MwStSystRL i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG meine das Zollverfahren der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, nicht aber den Einfuhrumsatz im Sinne von Art. 30 MwStSystRL, der im Bestimmungsmitgliedstaat durch den Erwerb im Sinne von Art. 20, 21 MwStSystRL ausgeführt werde. Habe die Ware den Verzollungsmitgliedstaat in Richtung Bestimmungsmitgliedstaat verlassen, liege somit im Verzollungsmitgliedstaat keine Einfuhr vor, weshalb im Streitfall in Deutschland keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben werden dürfe. Stehe der Verbrauch im Bestimmungsmitgliedstaat fest, könne keine Einfuhrumsatzsteuer im Verzollungsmitgliedstaat erhoben werden, auch wenn die Steuerbefreiungsvoraussetzungen der igL nicht gegeben seien.
Der indirekte Vertreter des Importeurs tätige keinen warenbezogenen Einfuhrumsatz, sondern erbringe nur eine Dienstleistung, die keine Wareneinfuhr im Sinne von Art. 30 MwStSystRL sei und auf die keine Einfuhrumsatzsteuer erhoben werden dürfe. Der Anmelder, der nicht zugleich auch Verfügungsmacht über die Ware habe, könne nach § 21 Abs. 2 UStG nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer werden. Somit hätte das HZA der Klägerin die Steuerbefreiung schon von vorneherein mangels Eigenschaft eines Lieferers nicht gewähren dürfen. Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL gehöre nicht zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung, sondern stelle lediglich eine formelle Ordnungsvorschrift dar.
Da es im Umsatzsteuerrecht keine indirekte Stellvertretung gebe, sondern nur im Zollrecht, könne Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 UZK nicht nach § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß im Recht der Einfuhrumsatzsteuer angewandt werden. Der Fiskalvertreter helfe dem Importeur lediglich bei der Erfüllung der Grenzformalitäten nach Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL und stelle den Antrag auf Gewährung der Steuerbefreiung nicht im eigenen Namen, sondern nur für den Importeur. Nur der Importeur, der auch die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung tätige, könne die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen. Tue er das zu Unrecht, könne auch nur ein solcher Importeur die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 201 MwStSystRL schulden. Werde der Importeur durch einen vollmachtlosen Vertreter vertreten, könne nur der Importeur Steuerschuldner werden.
Da die Angabe der USt‑IdNr. im Streitfall lediglich ein formelles Kontrollinstrument sei, sei eine geänderte oder unbekannte Identität des Abnehmers kein Grund, die Steuerfreiheit zu versagen. Der EuGH folgere aus Art. 138 Abs. 1, Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL, welche die materiellen Steuerbefreiungsvoraussetzungen normierten, dass die Identität des Erwerbers materiell-rechtlich nicht erforderlich sei. Es gebe noch nicht einmal eine Pflicht zur Vergewisserung des Steuerpflichtigen, dass die von dem Erwerber transportierten Waren tatsächlich das Bestimmungsland erreicht hätten. Die ab 01.01.2020 geänderte Rechtslage sei im Streitfall nicht anwendbar.
§ 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 102 Abs. 3 Unterabs. 1 UZK könne zum Zweck der Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer bei einem Nichtvorliegen der Steuerbefreiungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 6a UStG bereits deshalb nicht angewandt werden, weil dem Zollrecht der Begriff der Lieferung fremd sei.Gegebenenfalls sei der EuGH anzurufen.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung sowie den Einfuhrabgabenbescheid vom 31.01.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2018 aufzuheben.
Das HZA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es schließt sich den Ausführungen des FG an und ergänzt, die zollrechtlichen Vorschriften über die Nacherhebung nach Art. 105 Abs. 4, Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 UZK seien über § 21 Abs. 2 UStG auf die Einfuhrumsatzsteuer anwendbar. Die Vorschriften der Mehrwertsteuersystemrichtlinie stünden einer Nacherhebung von Einfuhrumsatzsteuer nicht entgegen, weil es den Mitgliedstaaten überlassen sei, die Einzelheiten der Entrichtung der Mehrwertsteuer für die Einfuhr von Gegenständen festzulegen. Auch Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL sei kein Verbot der sinngemäßen Anwendung der Zollvorschriften über die Nacherhebung von Einfuhrabgaben zu entnehmen. Bei dem Antrag auf Gewährung der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG handele es sich um einen einfuhrumsatzsteuerrechtlichen Antrag auf eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 22 UZK analog. Bei dem im Rahmen der Abfertigung zum Verfahren 42 erteilten Einfuhrabgabenbescheid handele es sich folglich um eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 22 und Art. 5 Nr. 39 UZK analog, mit welcher dem Antrag auf Gewährung einer Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG entsprochen worden sei. Gleichzeitig sei der Klägerin damit die Höhe der zu entrichtenden Einfuhrumsatzsteuer (0 €) mitgeteilt worden. Aus nationaler Sicht handele es sich bei der durch Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer auf "Null" gewährten Steuerbefreiung zudem um einen Steuerbescheid im Sinne von § 155 AO, der nur nach Maßgabe der Art. 105 bzw. Art. 116 ff. UZK analog aufgehoben oder geändert werden könne. §§ 130 und 131 AO seien nicht anwendbar.
Die Voraussetzungen für die nachträgliche Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuer seien im Streitfall erfüllt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Einfuhr im Verfahren 42 erst im Bestimmungsmitgliedstaat erfolge. Zudem bedürfe es einer Steuerbefreiung nur insoweit, als eine Steuer bereits entstanden sei. Die antragsgebundene Steuerbefreiung des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 138 MwStSystRL mache rechtssystematisch nur dann Sinn, wenn eine grundsätzlich mehrwertsteuerpflichtige Einfuhr bereits im Mitgliedstaat der Überlassung in den freien Verkehr vorliege. Soweit die Klägerin auf das vom EuGH verwendete Tatbestandsmerkmal des Eingangs in den Wirtschaftskreislauf abstelle, sei anzumerken, dass die Urteile dazu allesamt Sachverhalte beträfen, in denen es aufgrund von Unregelmäßigkeiten in zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren zu einer Zollschuldentstehung gekommen sei. Ob auch eine zollrechtliche Pflichtverletzung zu einer mehrwertsteuerrechtlichen Einfuhr führe, sei durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht speziell geregelt. Im Gegensatz dazu beinhalte die Mehrwertsteuersystemrichtlinie für die hier relevanten mehrwertsteuerrechtlichen Folgen aus der Überlassung einer Ware zum zollrechtlich freien Verkehr durch Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL und Art. 29 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sehr wohl eine klare Regelung. Im Streitfall sei die Einfuhrumsatzsteuerschuld daher mit der Überlassung der Ware zum zollrechtlich freien Verkehr in Deutschland entstanden. Davon zu unterscheiden sei, ob diese entstandene Steuerschuld wegen einer zu gewährenden Steuerbefreiung auf 0 € festzusetzen sei.
Die tatsächliche Durchführung der igL sei eine weitere materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Dabei habe derjenige, der die Steuerbefreiung begehre, grundsätzlich den Nachweis für das Vorliegen dieser Voraussetzung zu erbringen.
Der Person des Abnehmers und seiner Identität kämen für die Steuerfreiheit der igL entscheidende Bedeutung zu, zumal der Abnehmerkreis der igL zu einem bestimmten Personenkreis gehören müsse. Darüber hinaus erscheine es bei einer nicht feststehenden Identität des Abnehmers bereits fraglich, ob überhaupt der mehrwertsteuerrechtliche Begriff einer Lieferung erfüllt sein könne, weil dieser die Verschaffung der Verfügungsmacht voraussetze. Komme der Unternehmer den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach oder erwiesen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestünden zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräume, sei die Lieferung steuerpflichtig. Im Übrigen habe die Klägerin mit der Einfuhrware mangels Verfügungsmacht ohnehin keine Lieferung bewirken können. Vertrauensschutz käme nur dann in Frage, wenn auch tatsächlich eine igL durchgeführt worden sei, was vorliegend nicht habe nachgewiesen werden können.
Die Klägerin habe vorliegend als Vertreterin ohne Vertretungsmacht gehandelt und sei damit Anmelderin und Steuerschuldnerin. Die Auffassung der Klägerin führte dazu, dass im Streitfall überhaupt kein Steuerschuldner existiere, der in Anspruch genommen werden könne.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das HZA hat zu Recht mit Einfuhrabgabenbescheid vom 31.01.2017 gegen die Klägerin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 183,83 € festgesetzt.
1. Das HZA hat den Einfuhrabgabenbescheid vom 31.01.2017 zu Recht auf Art. 105 Abs. 4 UZK gestützt. Ein gesonderter Widerruf der zunächst gewährten Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG war ‑‑entgegen der Ansicht der Klägerin‑‑ nicht erforderlich.
a) Die Rechtsgrundlage für die Nacherhebung von Einfuhrumsatzsteuer ist § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 105 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 UZK in sinngemäßer Anwendung. Danach sind Einfuhrabgaben nachzuerheben, wenn der zu entrichtende Einfuhrabgabenbetrag nicht oder mit einem geringeren Betrag als dem zu entrichtenden Betrag festgesetzt und buchmäßig erfasst wurde.
aa) Eine unmittelbare Anwendung dieser zollrechtlichen Vorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer ist nicht möglich, weil diese nicht zu den Einfuhrabgaben im Sinne von Art. 5 Nr. 20 UZK gehört (vgl. EuGH-Urteil U.I. (indirekter Zollvertreter) vom 12.05.2022 ‑ C‑714/20, EU:C:2022:374, Rz 48).
bb) Die Absätze 4 und 3 des Art. 105 UZK sind jedoch sinngemäß auf die Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden.
Gemäß § 21 Abs. 2 UStG gelten die Vorschriften für Zölle ‑‑bis auf hier nicht in Frage kommende Ausnahmen‑‑ für die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß. Dies bedeutet nicht ohne weiteres die Anwendbarkeit der Zollvorschriften, sondern erfordert eine eigene Prüfung, ob und inwieweit eine Zollvorschrift im Einklang mit Sinn und Zweck der Einfuhrumsatzsteuer steht (Senatsurteil vom 26.04.1988 ‑ VII R 124/85, BFHE 153, 463; vgl. auch Jatzke in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 21 Rz 27; Möller in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 21 Rz 83; Koch, eKomm Ab 01.01.2021, § 21 UStG Rz 11 [Stand: 15.01.2021]; Müller-Eiselt in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 21 Rz 12). Somit ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine sinngemäße Anwendung der genannten Vorschriften aus dem Zollschuldrecht zulässig ist.
Durch die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften soll insbesondere sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in einem Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden; dieser Zweck wird nur erreicht, wenn es regelmäßig zur Anwendung der Zollvorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer kommt (Senatsbeschluss vom 27.10.2022 ‑ VII R 1/20, Rz 38; Senatsurteil vom 06.05.2008 ‑ VII R 30/07, BFHE 221, 325, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‑‑ZfZ‑‑ 2008, 301, mit Verweis auf Senatsurteil vom 03.05.1990 ‑ VII R 71/88, BFHE 161, 260; vgl. auch Senatsurteile vom 25.10.2006 ‑ VII R 64/05, BFH/NV 2007, 527 und vom 23.05.2006 ‑ VII R 49/05, BFHE 213, 446, ZfZ 2006, 345; vgl. auch Koch, eKomm Ab 01.01.2021, § 21 UStG Rz 10 [Stand: 15.01.2021]; BeckOK UStG/Hamster, 38. Ed. [17.09.2023], UStG § 21 Rz 38; Jatzke in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 21 Rz 15).
Die Vorschriften zur Zollschuld (Art. 77, 79 UZK) sowie die Vorschriften über die Nacherhebung (Art. 105 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 UZK) kommen grundsätzlich für eine sinngemäße Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer in Betracht (vgl. Koch, eKomm Ab 01.01.2021, § 21 UStG Rz 16 [Stand:15.01.2021]; Müller-Eiselt in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 21 Rz 10; Bender in Offerhaus/Söhn/Lange, § 21 UStG Rz 511; Janzen in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand [139. Lfg. 08.2023] § 21 UStG Rz 7; Zimmermann in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 21 UStG Rz 179; BeckOK UStG/Hamster, 38. Ed. [17.09.2021] UStG § 21 Rz 57 und 71; Jatzke in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 21 Rz 62; einschränkend Harksen in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 21 Rz 339 ff.; vgl. Senatsbeschluss vom 27.10.2022 ‑ VII R 1/20, Rz 38; FG München, Urteil vom 20.10.2016 ‑ 14 K 1770/13, ZfZ Beilage 2017, Nr. 7, 35, Rz 38 ff.; FG Hamburg, Urteil vom 04.06.2021 ‑ 4 K 135/17, Zeitschrift für das Recht der Transportwirtschaft 2021, 444, Rz 25 und 28; FG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 16.04.2021 ‑ 4 K 473/19 Z, EU, Rz 17; Hessisches FG, Beschluss vom 26.06.2018 ‑ 7 V 2256/17, Außenwirtschaftsrechtliche Praxis 2018, 380, Rz 35). Dafür spricht auch, dass bestimmte zollrechtliche Vorschriften in § 21 Abs. 2 UStG von der sinngemäßen Anwendung ausgenommen werden, was der Gesetzgeber hinsichtlich der Vorschriften zur Zollschuld und zur Nacherhebung nicht getan hat.
Im Streitfall geht es um eine Steuerentstehung im Zusammenhang mit einer mehrwertsteuerrechtlichen Einfuhr und einer zu Unrecht in Anspruch genommenen Steuerbefreiung für eine igL, weshalb die Situation ‑‑aufgrund der Tatsache, dass die Voraussetzungen einer igL nicht erfüllt sind‑‑ im Ergebnis mit der Überlassung einer Ware zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne von Art. 77 Abs. 1 Buchst. a UZK beziehungsweise § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Buchst. a UZK vergleichbar ist. Besonderheiten des Umsatzsteuerrechts, die gegen eine sinngemäße Anwendung der Vorschriften über die Entstehung der Zollschuld sprechen könnten, wie zum Beispiel der Vorsteuerabzug, stehen im Streitfall deren sinngemäßer Anwendung nicht entgegen.
b) Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthält keine Vorschriften zur Nacherhebung, sondern überlässt die Einzelheiten der Entrichtung der Mehrwertsteuer im Falle der Einfuhr gemäß Art. 211 MwStSystRL den Mitgliedstaaten. Die korrekte und gleichmäßige Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer beziehungsweise Einfuhrmehrwertsteuer liegt, auch zum Erreichen von Wettbewerbsneutralität, im Interesse des Richtliniengebers (vgl. Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL; Erwägungsgründe 5 und 7 der MwStSystRL), sodass eine Nacherhebung bislang nicht festgesetzter Einfuhrumsatzsteuer dem Sinn und Zweck der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entspricht.
c) Die Vorschriften der §§ 130, 131 AO und der Art. 27, 28 UZK stehen der Nacherhebung nicht entgegen.
Die Steuerbefreiung gemäß § 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL setzt zwar voraus, dass der Importeur den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats gegenüber bestimmte Angaben macht. Dies geschieht in der Weise, dass der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer der Zollverwaltung durch die Wahl des VC 42 in der Zollanmeldung mitteilen muss, dass er die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG wünscht (Wäger in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 5 Rz 54; Hillek/Müller in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 5 Rz 355; BeckOK UStG/Hamster, 38. Ed [17.09.2023], UStG § 5 Rz 27.1 spricht von einem Antrag auf Gewährung der Steuerbefreiung). Diese Mitteilung beziehungsweise dieser Antrag führt allerdings nicht dazu, dass neben der eigentlichen Abgabenfestsetzung eine gesonderte Verbescheidung über die beantragte Steuerbefreiung zu erfolgen hat. Vielmehr wird die Steuerbefreiung durch die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer auf 0 € im Einfuhrabgabenbescheid gewährt.
Davon ausgehend handelt es sich bei der Gewährung der Steuerbefreiung nicht um einen eigenständigen, neben dem Steuerbescheid stehenden Verwaltungsakt, der nach §§ 130, 131 AO oder nach Art. 27, 28 UZK zurückgenommen oder widerrufen werden müsste, um eine nachträgliche Änderung der Einfuhrumsatzsteuer zu ermöglichen.
Abgesehen davon gelten die §§ 130, 131 AO und die Art. 27, 28 UZK nicht im Bereich der Steuerfestsetzung und werden durch die spezielleren Vorschriften über Steuerbescheide beziehungsweise Einfuhrabgabenbescheide verdrängt (vgl. dazu Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz 3; Szymczak in eKomm [23.06.2020], § 130 AO, Rz 4; von Wedelstädt in Gosch, AO § 130 Rz 12; Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 155 Rz 1a; Witte/Alexander, Zollkodex der Union, 8. Aufl., Vor Art. 27 Rz 3; Roth in Dorsch, Zollrecht, Art. 27 Rz 5; vgl. auch Craig in Wolffgang/Jatzke, UZK, Art. 27 Rz 4 bezüglich der Verdrängung von § 130 AO durch Art. 27 UZK).
2. Die Einfuhrumsatzsteuer ist gemäß § 13 Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 UZK mit der Annahme der Zollanmeldung in Deutschland entstanden.
a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG unterliegt die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den in der Vorschrift aufgeführten österreichischen Gebieten der Einfuhrumsatzsteuer und stellt somit einen steuerbaren Umsatz dar.
Der Begriff der Einfuhr wird im Umsatzsteuergesetz selbst nicht definiert. Allerdings lässt sich der Begriff anhand von Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL bestimmen, der die Einfuhr eines Gegenstands als die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Art. 24 des Vertrags (jetzt Art. 29 AEUV) befindet, in die Gemeinschaft (Art. 5 Abs. 1 MwStSystRL) definiert. Nach Art. 60 MwStSystRL erfolgt die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird.
Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt (Art. 70 MwStSystRL). Der EuGH stellt im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen bei der Einfuhr zusätzlich auf die Überführung des Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten ab (vgl. EuGH-Urteil Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 ‑ C‑26/18, EU:C:2019:579, Rz 41).
Unterliegen Gegenstände vom Zeitpunkt ihrer Verbringung in die Gemeinschaft einem Verfahren oder einer sonstigen Regelung im Sinne der Art. 156, 276 und 277 MwStSystRL, der Regelung der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben oder dem externen Versandverfahren, treten Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Gegenstände diesem Verfahren oder dieser sonstigen Regelung nicht mehr unterliegen. Unterliegen die eingeführten Gegenstände Zöllen, landwirtschaftlichen Abschöpfungen oder im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben gleicher Wirkung, treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem Tatbestand und Anspruch für diese Abgaben entstehen (Art. 71 Abs. 1 MwStSystRL).
b) Davon ausgehend liegt im Streitfall eine Einfuhr der Dokumententaschen in Deutschland vor, weil sie hier als in das Gebiet der Gemeinschaft verbracht anzusehen sind.
Die Waren befanden sich rein physisch in Deutschland und wurden hier am 12.12.2016 zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen. Damit unterlagen sie nicht mehr einem Verfahren im Sinne des Art. 71 MwStSystRL, weil sich die Waren weder in einem externen Unionsversandverfahren T1 (Art. 226 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. a UZK) noch in der vorübergehenden Verwahrung (Art. 144 UZK, vgl. auch Art. 156 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) befanden. Dementsprechend wurden die Waren wie Inlandswaren behandelt. Art. 71 Abs. 1 MwStSystRL verschiebt die Erfüllung des Steuertatbestands und die Entstehung des Steueranspruchs auf den Zeitpunkt, in dem etwaige zollrechtliche Vorverfahren beendet werden.
Der vorliegende Streitfall liegt insofern anders als der Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 ‑ C‑26/18, EU:C:2019:579 zugrunde lag, weil dort die Waren unter Verletzung der Gestellungspflicht in das Zollgebiet der Union verbracht, ohne Überführung in ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren und damit unter unerlaubter Entfernung vom Verwahrungsort in einen anderen Mitgliedstaat befördert sowie nach Beendigung des externen Versandverfahrens unerlaubt vom Verwahrungsort entfernt wurden (Rz 21 f. sowie 42). Somit war zu klären, ob aufgrund dieser Pflichtverletzungen ein Eingang in den Wirtschaftskreislauf in Deutschland bejaht werden konnte, obwohl die Waren tatsächlich nach Griechenland weiterbefördert wurden. Im vorliegenden Streitfall wurde jedoch das der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr vorausgehende zollrechtliche Verfahren ordnungsgemäß beendet.
Darüber hinaus besteht insofern ein wesentlicher Unterschied des Streitfalls zu dem EuGH-Urteil Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung vom 10.07.2019 ‑ C 26/18, EU:C:2019:579, als die Einfuhrmehrwertsteuer nach dem Vortrag der Klägerin dort in Griechenland entrichtet wurde (Rz 24), während im vorliegenden Streitfall eine Besteuerung im Mitgliedstaat A nicht erfolgt ist. Außerdem hatte die Klägerin in dem vom EuGH entschiedenen Fall nachgewiesen, dass die Waren in Griechenland verbraucht wurden (Rz 51), während vorliegend offen ist, was mit den Waren nach ihrer Ankunft im Mitgliedstaat A weiter geschehen ist. Abgesehen von einem möglichen Verbleib und einer möglichen Verwendung im Mitgliedstaat A ist ebenso denkbar, dass die Dokumententaschen in einen weiteren Mitgliedstaat befördert oder aus der Gemeinschaft ausgeführt wurden.
c) Das von der Klägerin angesprochene Vorabentscheidungsverfahren des FG Hamburg vom 06.12.2022 ‑ 4 K 1/18 (Rechtssache C‑791/22) hat für den Streitfall keine Bedeutung, weil es auf eine entsprechende Anwendung von Art. 215 Abs. 4 des Zollkodex vorliegend nicht ankommt.
3. Die Einfuhrumsatzsteuer wurde im Streitfall fälschlicherweise zunächst auf 0 € festgesetzt, indem eine Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG gewährt wurde, deren Voraussetzungen tatsächlich nicht erfüllt waren.
a) Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG ist die Einfuhr der Gegenstände steuerfrei, die von einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) verwendet werden.
aa) Eine igL (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (Nr. 1), der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (Nr. 2 Buchst. a), eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat (Nr. 2 Buchst. b), oder bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber (Nr. 2 Buchst. c) und der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (Nr. 3). Diese Voraussetzungen müssen vom Unternehmer nachgewiesen werden (§ 6a Abs. 3 Satz 1 UStG).
Die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung wird in der Zollanmeldung durch Angabe des VC 42 beantragt. Infolge des Codes 42 und der beantragten innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung werden die Waren unter Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt (EuGH-Urteil Vetsch Int. Transporte vom 14.02.2019 ‑ C‑531/17, EU:C:2019:114, Rz 14). In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass sich die Rechtsgrundlagen für die beantragte Steuerbefreiung, eine etwaige Steuerentstehung und Steuerschuldnerschaft ausschließlich aus den gesetzlichen Grundlagen ergeben, während es auf die informationstechnische Abbildung der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer sowie auf Verfahrensanweisungen dazu nicht ankommt.
Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung trägt derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft (EuGH-Urteil Enteco Baltic vom 20.06.2018 ‑ C‑108/17, EU:C:2018:473, Rz 67). Demnach hat der Unternehmer (Steuerpflichtige) die Voraussetzungen der igL nachzuweisen (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17.02.2011 ‑ V R 30/10, BFHE 233, 341, Rz 18 und vom 22.07.2015 ‑ V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914, Rz 40, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 02.07.2021 ‑ XI R 40/19, Rz 21).
bb) Die Voraussetzungen für eine igL im Sinne von § 6a UStG sind im Streitfall nicht erfüllt.
(1) Zunächst ist schon unklar, ob der Abnehmer der Waren tatsächlich ein Unternehmer im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist. Nach den für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG ist im Streitfall die Identität des Abnehmers der Ware im Mitgliedstaat A ungeklärt (FG-Urteil, S. 31/unten). Damit ist unklar und wurde von der Klägerin somit nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem Abnehmer um einen Unternehmer handelt. Die B GmbH, die zunächst als Abnehmerin angegeben worden war, hat die Waren jedenfalls unstreitig nicht erhalten, weil die C nach der Überlassung der Waren zum zollrechtlich freien Verkehr in Deutschland umdisponiert hat.
(2) Darüber hinaus hatte die Klägerin keine Verfügungsmacht über die Waren.
Die igL gemäß § 6a UStG setzt eine Lieferung im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG voraus, die wiederum die Verschaffung der Verfügungsmacht verlangt. Nach den Feststellungen des FG hatte die Klägerin als Grenzspediteurin jedoch keine Verfügungsmacht über die Waren (FG-Urteil, S. 33, erster Absatz), weshalb sie die Lieferung nicht ausführen konnte.
(3) Zu Recht weist das FG auch darauf hin, dass die Lieferung der Waren in den Mitgliedstaat A nicht von einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ausgeführt worden ist, wie von § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG verlangt wird.
Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer ist im Streitfall die Klägerin gemäß § 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 3 Satz 1 UZK analog. Diese hat als indirekte Vertreterin (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Alternative 2 UZK) der B GmbH die Zollanmeldung abgegeben und ist somit Anmelderin (Art. 5 Nr. 15 UZK) geworden. Mangels Verfügungsmacht hat die Klägerin ‑‑wie bereits festgestellt‑‑ die igL jedoch nicht ausführen können [s. unter (2)].
Ein anderes Unternehmen kommt nicht als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer in Betracht. Die B GmbH hatte der Klägerin keine Vollmacht erteilt, weshalb die Klägerin insofern als Vertreterin ohne Vertretungsmacht aufgetreten und gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Alternative 2 UZK als im eigenen Namen handelnd anzusehen ist.
Die Vollmacht der C zur Fiskalvertretung hat die Klägerin nicht zur Abgabe der Zollanmeldung und zur Beantragung der Steuerbefreiung für die igL ermächtigt. Denn gemäß § 22b UStG beinhaltet die Fiskalvertretung lediglich verschiedene steuerliche Melde‑, Erklärungs- und Aufzeichnungspflichten wie zum Beispiel die Abgabe einer Steuererklärung oder einer Zusammenfassenden Meldung (vgl. Liegmann in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 22b Rz 7; Heuermann in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 22b Rz 6; Püschner, eKomm, § 22b UStG Rz 6 ff. [Stand: 29.01.2020]).
b) Die Vorschrift des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ist auf den Streitfall nicht anwendbar, weil die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nicht auf unrichtigen Angaben des Abnehmers (weder von der B GmbH noch von einem unbekannten Abnehmer) beruht.
Im Übrigen gehört der Spediteur, der als vollmachtloser Vertreter mit der Zollanmeldung den Antrag auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gestellt hat, nicht zum geschützten Personenkreis des § 6a Abs. 4 UStG. Die Bestimmung dient ihrem eindeutigen Wortlaut nach dem Schutz des liefernden Unternehmers, der bei innergemeinschaftlichen Lieferungen weitgehend auf die Angaben des Abnehmers angewiesen ist. Mit der Regelung soll das Risiko einer Täuschung durch den Abnehmer zwischen dem gutgläubigen Unternehmer und dem Staat angemessen verteilt werden (FG München, Urteil vom 20.10.2016 ‑ 14 K 1770/13, Rz 78 mit Verweis auf EuGH-Urteile Teleos u.a. vom 27.09.2007 ‑ C‑409/04, EU:C:2007:548, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2007, 774 und Netto Supermarkt vom 21.02.2008 ‑ C‑271/06, EU:C:2008:105, UR 2008, 508).
4. Dass die Beförderung der Dokumententaschen von Deutschland in den Mitgliedstaat A unter den Umständen des Streitfalls als steuerfreie igL zu behandeln ist, ergibt sich auch nicht aus den unionsrechtlichen Vorgaben.
a) Die Regelungen zur innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung beruhen auf Art. 143 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 138 MwStSystRL, wonach eine zwingende Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung zu gewähren ist, sofern die Lieferung der Gegenstände durch den gemäß Art. 201 MwStSystRL als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Art. 138 MwStSystRL befreit ist. Die Bestimmung des Steuerschuldners bei der Einfuhr wird gemäß Art. 201 MwStSystRL den Mitgliedstaaten überlassen.
Der Sinn von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL besteht darin, dass aufgrund der Steuerbefreiung der Einfuhr der andernfalls gegebene Vorsteuerabzug hinsichtlich der ansonsten anfallenden Einfuhrumsatzsteuer entfallen kann (EuGH-Urteil Vetsch Int. Transporte vom 14.02.2019 ‑ C‑531/17, EU:C:2019:114, Rz 40).
Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL beinhaltet zwei Befreiungen, nämlich erstens eine Befreiung von der Mehrwertsteuer, die gemäß Art. 201 MwStSystRL normalerweise bei der Einfuhr geschuldet wird, und zweitens eine Befreiung aufgrund der im Anschluss an diese Einfuhr erfolgenden igL oder Verbringung. Sind die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL normierten Voraussetzungen erfüllt, wird die Mehrwertsteuer auf aus einem Drittland in die Union versandte oder beförderte Gegenstände grundsätzlich zum ersten Mal nicht in dem Mitgliedstaat geschuldet, in den sie zuerst eingeführt wurden, sondern in dem Mitgliedstaat, in dem die Versendung oder Beförderung endet (EuGH-Urteil Vetsch Int. Transporte vom 14.02.2019 ‑ C‑531/17, EU:C:2019:114, Rz 39 f.).
b) Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL schreibt für die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung vor, dass der Importeur den zuständigen Behörden seine im Einfuhrmitgliedstaat erteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer oder diejenige seines Vertreters sowie die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, an den die Gegenstände gemäß Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL geliefert werden, mitteilt. Außerdem hat er den Nachweis zu erbringen, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden.
Mit seinem Urteil Enteco Baltic vom 20.06.2018 ‑ C‑108/17, EU:C:2018:473, Rz 54 f. und 58 hat der EuGH klargestellt, dass es sich bei dem Erfordernis der Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers nach Art. 143 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL nicht um eine materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung handelt und diese nicht allein deshalb abgelehnt werden darf, weil die Waren an einen anderen Erwerber als den, dessen Nummer zum Zeitpunkt der Einfuhr angegeben wurde, geliefert wurden, sofern dargetan wird, dass auf die Einfuhr tatsächlich eine igL folgt, die die in Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt, und dass der Importeur die zuständige Behörde immer ordnungsgemäß über die Änderungen der Identität der Erwerber informiert hat.
Anders verhält es sich jedoch unter anderem dann, wenn der Verstoß gegen eine formelle Anforderung den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (EuGH-Urteil Enteco Baltic vom 20.06.2018 ‑ C‑108/17, EU:C:2018:473, Rz 59, 61). Dem hat sich auch der BFH angeschlossen und den Nachweis der materiellen Anforderungen der begehrten Steuerbefreiung für wesentlich erachtet (vgl. BFH-Urteil vom 12.03.2020 ‑ V R 20/19, BFHE 268, 452, BStBl II 2020, 608, Rz 17).
Dass die Mitteilung der zutreffenden USt‑IdNr. seit dem 01.01.2020 eine materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung ist (Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL n.F.; vgl. Richtlinie (EU) 2018/1910 des Rates vom 04.12.2018 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems zur Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, Amtsblatt der Europäischen Union 2018, Nr. L 311, 3; vgl. dazu Suabedissen in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 6a UStG Rz 22), ist für den vorliegenden Streitfall nicht von Bedeutung, weil die streitgegenständliche Lieferung bereits im Dezember 2016 durchgeführt wurde.
c) Die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Anschlusslieferung kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn den zuständigen Behörden die Identität des neuen Erwerbers bekannt ist. Dies ergibt sich aus dem EuGH-Urteil Enteco Baltic vom 20.06.2018 ‑ C‑108/17, EU:C:2018:473, Rz 58 und 61, in dem der EuGH ein Fortbestehen der Steuerbefreiung davon abhängig gemacht hat, dass der Importeur die zuständige Behörde immer ordnungsgemäß über Änderungen der Identität der Erwerber informiert und er den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats sämtliche Informationen über die Identität des neuen Erwerbers mitgeteilt hat. Der Identität des Erwerbers misst der EuGH also, wie das FG richtig erkannt hat, entscheidende Bedeutung bei. Dies ist insofern nachvollziehbar, als die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer bei der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung auf den Bestimmungsmitgliedstaat verlagert wird und somit feststehen muss, wer als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer in Betracht kommt (so auch BFH-Urteil vom 17.02.2011 ‑ V R 30/10, BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769, Rz 15). Dies ist gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG der Erwerber. Ein Verzicht auf die Identität des Empfängers würde die Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs der eingeführten Gegenstände mit sich bringen und daher den Zielen einer gleichmäßigen Besteuerung (s. Erwägungsgrund 7 der MwStSystRL) und der Wettbewerbsneutralität zuwiderlaufen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit besteht, Steuerpflichtige selbst zu ermitteln oder im Wege der gegenseitigen Amtshilfe in einem anderen Mitgliedstaat ermitteln zu lassen.
Auf die Identität des Erwerbers bei einer igL kann auch nicht deshalb verzichtet werden, weil der EuGH im Zusammenhang mit einer Ausfuhr von Waren nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL entschieden hat, dass diese Steuerbefreiung nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass der Empfänger identifiziert wird (EuGH-Urteil Unitel vom 17.10.2019 ‑ C‑653/18, EU:C:2019:876, Rz 24 f., 32). Denn im Fall einer tatsächlich durchgeführten Ausfuhr findet im Gebiet der Gemeinschaft keine Steuererhebung statt, während bei einer innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung die Besteuerung lediglich in den Bestimmungsmitgliedstaat verlagert wird, sodass nach den unionsrechtlichen Vorgaben eine Erwerbsbesteuerung sicherzustellen ist. Demgegenüber besteht bei der Ausfuhr keine aus dem Befreiungstatbestand ableitbare Korrespondenz zwischen der Steuerfreiheit und der Ausfuhrlieferung mit der Folge der Besteuerung im Drittstaat. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung nicht allgemein, sondern nur erwerbsbezogen und damit "ad personam" zu gewähren, wenn der Erwerb des gelieferten Gegenstands beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (BFH-Urteil vom 12.03.2020 ‑ V R 20/19, BFHE 268, 452, BStBl II 2020, 608, Rz 23). Im Übrigen hat der EuGH im vorgehend zitierten Urteil klargestellt, dass die Steuerbefreiung für die Ausfuhr dann abgelehnt werden kann, wenn aufgrund fehlender Identifizierung des tatsächlichen Empfängers nicht nachgewiesen werden kann, dass eine Ausfuhrlieferung vorliegt (EuGH-Urteil Unitel vom 17.10.2019 ‑ C‑653/18, EU:C:2019:876, Rz 31).
d) Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen sind die unionsrechtlichen Voraussetzungen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung im Streitfall nicht erfüllt.
Nach den Feststellungen des FG sind die Waren zwar in den Mitgliedstaat A gelangt, aber der Empfänger der Waren im Mitgliedstaat A ist unbekannt (FG-Urteil S. 35/dritter Absatz). Deshalb ist offen, ob es sich bei diesem um einen Steuerpflichtigen im Sinne von Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL handelt [s. dazu bereits II.3.a bb (1)] und ob die Ware endgültig im Mitgliedstaat A verblieben ist. Die unterbliebene Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer führt daher im Streitfall dazu, dass nicht nachvollzogen werden kann, ob die Voraussetzungen einer steuerbefreiten igL vorliegen. Die Klägerin ist ihrer Nachweispflicht insoweit nicht nachgekommen.
Es liegt auch nicht der Fall vor, dass dem Empfänger zwar die Möglichkeit verschafft wurde, wie ein Eigentümer über die Ware zu verfügen, aber die Lieferung nicht genau an die Adresse des Erwerbers befördert wurde (vgl. EuGH-Urteil Enteco Baltic vom 20.06.2018 ‑ C‑108/17, EU:C:2018:473, Rz 70). Vielmehr ist der Empfänger im Streitfall gänzlich unbekannt, weshalb die Rechtsauffassung der Klägerin im Ergebnis dazu führte, dass die Einfuhrumsatzsteuer in keinem Mitgliedstaat festgesetzt und erhoben würde und damit die Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs bestünde.
Die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer zu Lasten der Klägerin beruht auch nicht allein auf einem Betrug des Erwerbers, was der Rechtsprechung des EuGH in seinem Urteil Bozicevic Jezovnik vom 25.10.2018 ‑ C‑528/17, EU:C:2018:868 widersprechen würde. Vielmehr hatte die Klägerin in der Zollanmeldung einen falschen Vertretenen angegeben, während sie eine Vollmacht der C nicht vorgelegt hat. Zudem war der Erwerber der Waren im Mitgliedstaat A unbekannt, was ebenfalls der Steuerfreiheit der igL entgegensteht. Die Klägerin kann daher nicht mit einem gutgläubigen Lieferer, der alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können (EuGH-Urteil Bozicevic Jezovnik vom 25.10.2018 ‑ C‑528/17, EU:C:2018:868, Rz 37, m.w.N.), gleichgestellt werden.
5. Die Klägerin ist gemäß § 13a Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG, Art. 77 Abs. 3 UZK Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer geworden, weil sie als indirekte Vertreterin der B GmbH und damit als Zollanmelderin aufgetreten ist. Zugleich hat sie in dieser Weise die steuerbefreite innergemeinschaftliche Anschlusslieferung beantragt.
Mit dem Verweis in § 21 Abs. 2 UStG auf das Zollrecht hat der deutsche Gesetzgeber von der Befugnis des Art. 201 MwStSystRL Gebrauch gemacht, wonach bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet wird, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt (vgl. auch FG München, Urteil vom 20.10.2016 ‑ 14 K 1770/13, ZfZ Beilage 2017, Nr. 7, 35, Rz 64). § 21 Abs. 2 UStG ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt, weil durch die Inbezugnahme der Zollvorschriften und damit auch der zollschuldrechtlichen Vorschriften der Kreis der möglichen Steuerschuldner eindeutig festgelegt ist.
Es spricht auch nicht gegen die Steuerschuldnerschaft der Klägerin, dass sie als vollmachtlose Vertreterin gehandelt hat, weil die Klägerin nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Alternative 2 UZK so gestellt wird, als hätte sie in eigenem Namen gehandelt. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der EuGH in seinem Urteil U.I. (indirekter Zollvertreter) vom 12.05.2022 ‑ C‑714/20, EU:C:2022:374, Rz 57 entschieden hat, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, zur Durchführung von Art. 201 MwStSystRL vorzusehen, dass auch die Zollschuldner die Einfuhrmehrwertsteuer schulden und dass insbesondere der indirekte Zollvertreter mit der Person, die ihm eine Vertretungsvollmacht erteilt hat und die er vertritt, gesamtschuldnerisch für die Zahlung dieser Steuer haftet.
6. Da die Höhe der Steuer zwischen den Beteiligten bislang nicht im Streit stand und sich auch aus den vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Steuerbetrag falsch berechnet worden ist, sieht der Senat diesbezüglich von weiteren Ausführungen ab.
Das HZA hat der Besteuerung nicht ‑‑wie die Klägerin behauptet‑‑ die Erbringung der Verzollungsdienstleistung zugrunde gelegt, sondern die Lieferung der Dokumententaschen. Denn es hat als Bemessungsgrundlage für die Steuer deren Warenwert herangezogen.
7. Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht nicht, weil der erkennende Senat die hier zu beurteilenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Einfuhr und der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung durch die oben genannten EuGH-Entscheidungen als geklärt ansieht (vgl. EuGH-Urteile CILFIT u.a. vom 06.10.1982 ‑ C‑283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415, Rz 16 und Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799, Amtsblatt der Europäischen Union 2021, Nr. C 481, 11, ZfZ 2022, 12).
Insbesondere hat der EuGH mit seinem Urteil U.I. (indirekter Zollvertreter) vom 12.05.2022 ‑ C‑714/20, EU:C:2022:374 entschieden, dass der indirekte Zollvertreter als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen werden kann. Im Übrigen wird auf die oben angeführte EuGH-Rechtsprechung zur innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung und zur Identität des Erwerbers verwiesen.
Im Übrigen ist die Klägerin als Vertreterin ohne Vertretungsmacht im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Alternative 2 UZK aufgetreten und gilt damit als in eigenem Namen und in eigener Verantwortung handelnd. Der Wortlaut und der Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift sind eindeutig und geben keinen Anlass für eine Prüfung durch den EuGH.
Die hier einschlägigen Bestimmungen des nationalen Umsatzsteuerrechts sind einer Vorlage an den EuGH nicht zugänglich.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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