BFH: Für Klauenpflege kein ermäßigter Steuersatz
Klauenpflege ist keine Leistung, die unmittelbar der Förderung der Tierzucht dient.
BFH-Urteil vom 16.1.2014, V R 26/13 (veröffentlicht am 26.2.2014)
UStG § 12 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4
MwStSystRL Art. 98 i.V.m. Anhang III Nr. 11
Vorinstanz: FG München vom 16.4.2013, 2 K 990/10 (EFG 2013 S. 1179 = SIS 13 23 64)
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erbringt Leistungen als Klauenpfleger. In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (2007) versteuerte er diese Umsätze nach dem ermäßigten Steuersatz.
Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) davon aus, dass die Leistungen bei der Klauenpflege dem Regelsteuersatz unterlägen und erließ am 27.10.2008 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerjahresbescheid. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) begründete dies in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1179 veröffentlichten Urteil damit, dass § 12 Abs. 2 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) nicht anwendbar sei. Die Klauenpflege diene nicht unmittelbar den dort bezeichneten Zwecken. Dass es sich um eine Maßnahme zur Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere handele, reiche nicht aus. Es handele sich nur um eine allgemeine Gesundheitsmaßnahme im Rahmen der Nutztierhaltung. Auch eine Berufung auf das Unionsrecht führe nicht zu einem anderen Ergebnis.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Ein Antrag auf Beweiserhebung sei zu Unrecht abgelehnt und nicht einmal protokolliert worden. Die Klauenpflege diene unmittelbar der Milchwirtschaft und der Tierzucht. Zudem gelte in Österreich eine günstigere Beurteilung. Anwendbar sei auch § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG, da auch eine Leistung zur Tierpflege vorliege. Ziel der Tierzucht sei die Leistungssteigerung in Bezug auf Milch- und Fleischertrag. Hierfür sei eine umfassende Tierpflege und dabei auch die Klauenpflege unerlässlich. Ohne Klauenpflege vermindere sich der Bestand. Für die Tierzucht sei auch die Leistungsprüfung Klaue unerlässlich, um die sog. Klauentracht und damit die Höhe der Klauen festzustellen. Die Leistungsprüfung Klaue diene der genetischen Auslese. Ohne die Klauenpflege könne diese Leistungsprüfung nicht durchgeführt werden. Ermäßigt zu besteuern seien auch die Leistungen an Tieren, die an dieser Leistungsprüfung nicht teilnehmen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Klauenpflege fördere anders als die Leistungsprüfung Klaue nur mittelbar die Tierzucht.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klauenpflege unterliegt nicht dem ermäßigten Steuersatz.
1. § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG ist nicht anwendbar. Danach unterliegt "die Aufzucht und das Halten von Vieh, die Anzucht von Pflanzen und die Teilnahme an Leistungsprüfungen für Tiere" dem ermäßigten Steuersatz. Die Klauenpflege gehört als Leistung zur allgemeinen Tierpflege entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu den in dieser Vorschrift benannten Leistungen.
2. Die Leistungen sind auch nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ermäßigt zu besteuern.
a) Ermäßigt zu besteuern sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG die Leistungen, die unmittelbar der Vatertierhaltung, der Förderung der Tierzucht, der künstlichen Tierbesamung oder der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft dienen.
Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 18.12.1996 XI R 19/96 (BFHE 181, 544, BStBl II 1997, 334, unter II.1.) entschieden hat, bezieht § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG die Voraussetzung "unmittelbar ... dienen" auf alle Tatbestände dieser Vorschrift.
Die Unmittelbarkeit setzt dabei nach diesem Urteil voraus, dass die von der Vorschrift begünstigten Zwecke durch die jeweilige Leistung selbst gefördert oder begünstigt werden. Leistungen, die demgegenüber nicht selbst den begünstigten Zweck erreichen, sondern eine hierauf gerichtete Leistung erst vorbereiten oder lediglich begünstigen, reichen nicht aus, da sie nicht zwingend zur Erfüllung des begünstigten Zwecks erforderlich sind und den begünstigten Zweck nur indirekt und mittelbar fördern. Entscheidend ist, dass derartige Leistungen zwar dem Förderungszweck zugutekommen, aber der Förderungszweck gleichwohl nicht im Vordergrund steht.
b) Im Streitfall hat das FG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 181, 544, BStBl II 1997, 334 zu Recht entschieden, dass die Klauenpflege nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ermäßigt zu besteuern ist.
Die Leistung dient nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht, sondern als allgemeine Gesundheitsmaßnahme - wie im Übrigen auch eine hinreichende Ernährung - der Nutztierhaltung. Tierhaltung ist aber nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, sondern nur nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG begünstigt.
Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Auch wenn die Leistungsprüfung Klaue unmittelbar der Förderung der Tierzucht dient, ermöglicht es die Klauenpflege demgegenüber nur, diese Leistungsprüfung vorzunehmen, so dass von einer bloß mittelbaren Förderung der Tierzucht auszugehen ist. Überdies werden auch die Klauen der nicht für die Tierzucht vorgesehenen Tiere gepflegt.
Es handelt sich auch nicht um eine Leistung zur Vatertierhaltung, zur künstlichen Tierbesamung oder zur Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft.
3. Der Kläger kann sich auch nicht auf einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts berufen.
a) Unionsrechtlich beruht § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG auf Art. 98 der Richtlinie des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) in Verbindung mit Anhang III Nr. 11 zu dieser Richtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die "Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden" anwenden.
b) Zwar steht es dem nationalen Gesetzgeber danach frei, weiter gehend als nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG einen ermäßigten Steuersatz für (fast) alle sonstigen Leistungen i.S. von § 3 Abs. 9 UStG und damit für alle Dienstleistungen (Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL) "die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind", anzuordnen, wozu auch die Klauenpflege gehört.
Zu beachten ist aber, dass für die Mitgliedstaaten keine Verpflichtung, sondern nur das Recht besteht, auf die im Anhang III zur MwStSystRL genannten Leistungen einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden und dass für die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des ermäßigten Steuersatzes zudem die Befugnis besteht, die in Anhang III zur MwStSystRL aufgeführten Ermächtigungen auch nur selektiv auszuüben und auf einzelne konkrete und spezifische Aspekte der jeweiligen Kategorie von Dienstleistungen zu beschränken, sofern dabei der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (EuGH-Urteil vom 6.5.2010 C-94/09, Kommission/ Frankreich, Slg. 2010, I-4261 Rdnrn. 28 ff.).
c) Den sich aus der EuGH-Rechtsprechung ergebenden Anforderungen für eine nur selektive Ausübung der Befugnis zur Schaffung eines ermäßigten Steuersatzes genügt § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, indem er die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur auf bestimmte Leistungen anordnet, die für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind und dabei den Kreis der begünstigten Leistungen nach eindeutigen Kriterien umschreibt.
d) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerrechtlichen Neutralität darin, dass im grenznahen Österreich für dieselbe Leistung der dort geltende ermäßigte Steuersatz anzuwenden sein soll. Zum einen richtet sich der Neutralitätsgrundsatz bei der Gesetzgebung nur an den jeweiligen Mitgliedstaat, so dass unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Regelungen, die auf in der Richtlinie vorgesehenen Ermächtigungen für die Mitgliedstaaten beruhen, keinen Neutralitätsverstoß bewirken.
Zum anderen kann es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht durch die Tätigkeit in Österreich ansässiger Klauenpfleger für Landwirte im Inland zu einer Wettbewerbsgefährdung kommen. Denn nach der im Streitjahr geltenden Fassung von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG wurden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen am Ort der Tätigkeit erbracht. Zu diesen körperlichen Gegenständen gehören auch Tiere (Studie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3a Rz 413). Leistungen, die österreichische Klauenpfleger an im Inland ansässige Landwirte auf deren Höfen erbringen, unterliegen daher dem Regelsteuersatz des deutschen UStG. Im Hinblick auf derartige Leistungen sind auch keine Vollzugsdefizite zu befürchten, da gemäß § 13b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 UStG in seiner im Streitjahr geltenden Fassung der inländische Landwirt Steuerschuldner für derartige Leistungen ausländischer Klauenpfleger ist. Der Übergang der Steuerschuld setzt in der Person des Leistungsempfängers nur dessen Unternehmereigenschaft voraus, so dass auch Landwirte, die für ihre Umsätze § 24 UStG anwenden, Steuerschuldner sind (zutreffend Abschn. 182a Abs. 1 Satz 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2005 und Abschn. 13b.1 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses).
4. Es liegt auch kein hinreichend dargelegter Verfahrensfehler vor. Das Vorbringen des Klägers genügt nicht den Anforderungen an die Geltendmachung eines Verfahrensmangels. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung der Prozessbeteiligte verzichten kann. Der Kläger hätte vortragen müssen, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt worden oder weshalb die Rüge nicht möglich gewesen sei. Aus dem Protokoll des FG vom 16.4.2013 ergibt sich weder, dass der Kläger das Übergehen des Beweisantrags gerügt hätte, noch, dass er eine Protokollierung der Rüge verlangt und - im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen - eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO i.V.m. den §§ 160 Abs. 4, 164 der Zivilprozessordnung beantragt hätte (BFH-Beschlüsse vom 11.8.2006 VIII B 322/04, BFH/NV 2006, 2280; vom 20.4.2006 VIII B 33/05, BFH/NV 2006, 1338, und vom 19.12.2012 V B 71/12, nicht veröffentlicht).
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