BFH zur ehrenamtlichen Tätigkeit des Vorstandes eines Sparkassenverbandes
- Ehrenamtlich werden u.a. jene Tätigkeiten ausgeübt, die in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als solche bezeichnet werden.
- Der zur Definition der ehrenamtlichen Tätigkeit verwendete Gesetzesbegriff ist enger als der des § 4 AO und umfasst keine Satzungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
- Bis zur Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 32/08 (BFHE 227 S. 207, BStBl 2010 II S. 88 = SIS 09 29 86, Rz 31) zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Aufsichtsratstätigkeit für Volksbanken kommt Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO in Betracht.
BFH-Urteil vom 17.12.2015, V R 45/14 (veröffentlicht am 9.3.2016)
UStG § 4 Nr. 26 Buchst. A
SSpkG § 40 Satz 2
AO § 4, § 176 Abs. 1 Nr. 3
Richtlinie 77/388/EWG Art. 4
Vorinstanz: FG des Saarlandes vom 4.8.2014, 1 K 1481/12 (EFG 2015, 339 = SIS 15 01 76)
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr (2006) Vorstands-Vorsitzender einer Sparkasse. Daneben übte er selbständig verschiedene Aufsichtsrats- und Vorstandstätigkeiten aus. Streitig sind vorliegend die Tätigkeiten für den Sparkassenverband X als Vorstandsmitglied und als Mitglied des "...ausschusses". Er erhielt hierfür im Streitjahr Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder, und zwar als Vorstandsmitglied ... € und als Ausschussmitglied ... €. Der Kläger erklärte diese sowohl in seiner Umsatzsteuererklärung vom 2.1.2008 als auch in seiner berichtigten Umsatzsteuererklärung vom 28.2.2011 als nach § 4 Nr. 26 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfrei. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst, setzte aber mit Umsatzsteuerbescheid vom 3.1.2012 Umsatzsteuer zunächst auf die Umsätze aus der Tätigkeit als Vorstandsmitglied und im Einspruchsverfahren nach vorheriger Anhörung im verbösernden Umsatzsteuerbescheid vom 16.11.2012 auf alle gegenüber dem Sparkassenverband X ausgeführten Umsätze Umsatzsteuer fest.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nach erfolglosem Vorverfahren mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 339 veröffentlichten Gerichtsbescheid statt.
Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, zu den nach § 4 Nr. 26 UStG steuerfreien ehrenamtlichen Tätigkeiten gehörten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) alle Tätigkeiten, die in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als solche genannt würden. Die Tätigkeit des Klägers werde in § 11 Abs. 5 der Satzung des Sparkassenverbandes X vom 7.4.1965 i.d.F. vom 25.11.2002 ausdrücklich als ehrenamtlich bezeichnet.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, die es auf Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 26 Buchst. a UStG) stützt. Ehrenamtlichkeit einer Tätigkeit kraft gesetzlicher Regelung liege nicht vor, wenn es sich - wie hier - bei der Regelung lediglich um eine Bestimmung handele, die im Bereich der Selbstverwaltung als Satzung erlassen worden sei. Im Sparkassengesetz (SSpkG) vom 17.12.1964 i.d.F. der Bekanntmachung vom 8.8.2006 sei die Tätigkeit hingegen nicht als ehrenamtlich bezeichnet. Zudem sei bei der Auslegung des § 4 Nr. 26 UStG zu beachten, dass die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.5.1977 (Richtlinie 77/388/EWG) keine Umsatzsteuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten vorsehe. Zwar eröffne eine Protokollerklärung zu Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit, die aus dem Jahr 1958 stammende Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten beizubehalten. Hierbei sei aber zu berücksichtigen, dass Art. 4 nicht die Befreiungsvorschriften betreffe, sondern den Begriff des "Steuerpflichtigen" regele.
Das FA beantragt, den Gerichtsbescheid des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des BFH sei eine Tätigkeit als ehrenamtlich anzusehen, wenn sie in einem Gesetz als solche bezeichnet werde. Da es sich bei der Satzung des Sparkassenverbandes X um ein Gesetz i.S. des § 4 der Abgabenordnung (AO) handle und die Vorstandsmitglieder nach § 11 Abs. 5 dieser Satzung ehrenamtlich tätig würden, seien die Anforderungen an eine ehrenamtliche Tätigkeit i.S. des § 4 Nr. 26 Buchst. a UStG erfüllt.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG ist zwar zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Tätigkeiten des Klägers als Vorstands- und Ausschussmitglied vom Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeit i.S. des § 4 Nr. 26 UStG umfasst werden. Das FG-Urteil erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).
1. Entgegen der Auffassung des FG fällt die Tätigkeit des Klägers nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 26 UStG. Danach ist die ehrenamtliche Tätigkeit steuerfrei, wenn sie für juristische Personen des öffentlichen Rechts ausgeübt wird (Buchst. a) oder wenn das Entgelt für die Tätigkeit nur in Auslagenersatz und einer angemessenen Entschädigung für Zeitversäumnis besteht (Buchst. b).
a) Da der Sparkassenverband X gemäß § 40 Satz 2 SSpkG eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, übt der Kläger seine Tätigkeit zwar für eine juristische Person des öffentlichen Rechts i.S. des § 4 Nr. 26 Buchst. a UStG aus. Es handelt sich aber um keine ehrenamtliche Tätigkeit. Beide Alternativen des § 4 Nr. 26 UStG, also auch die des Buchst. a setzen aber eine ehrenamtliche Tätigkeit voraus (BFH-Urteil vom 19.4.2012 V R 31/11, BFH/NV 2012, 1831).
b) § 4 Nr. 26 UStG definiert den Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht. Nach der Rechtsprechung des BFH werden ehrenamtlich jene Tätigkeiten ausgeübt, die in einem anderen Gesetz als dem UStG ausdrücklich als solche genannt werden, die man im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet oder die vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 1831; vom 20.8.2009 V R 32/08, BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88; vom 14.5.2008 XI R 70/07, BFHE 221, 517, BStBl II 2008, 912).
aa) Das FG hat zutreffend entschieden, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit weder im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet noch vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst wird. Auch die Beurteilung des FG, dass der materielle Begriff der Ehrenamtlichkeit das Fehlen eines eigennützigen Erwerbsstrebens, die fehlende Hauptberuflichkeit und den Einsatz für eine fremdnützig bestimmte Einrichtung voraussetzt (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 1831; in BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88; in BFHE 221, 517, BStBl II 2008, 912) und dass der Sparkassenverband keine fremdnützig bestimmte Einrichtung in diesem Sinne ist, trifft zu.
bb) Das FG ist aber zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit des Klägers in einem anderen Gesetz (als dem UStG) als ehrenamtlich erwähnt wird. Die Satzung des Sparkassenverbandes X vom 7.4.1965 i.d.F. vom 25.11.2002, in dessen § 11 Abs. 5 die Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlich bezeichnet wird, ist kein Gesetz im Sinne der Rechtsprechung zu § 4 Nr. 26 UStG.
Zwar handelt es sich bei der Satzung des Sparkassenverbandes X um eine autonome öffentlich-rechtliche Satzung, die von einer mit Satzungsautonomie ausgestatteten juristischen Person des öffentlichen Rechts für ihren Bereich erlassen wurde (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1959 2 BvF 1/58, BVerfGE 10, 20, 49 f.) und damit unter den Gesetzesbegriff des § 4 AO fällt.
Der von der Rechtsprechung zur Definition der ehrenamtlichen Tätigkeit verwendete Gesetzesbegriff ist aber enger als der des § 4 AO und umfasst jedenfalls keine Satzungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
c) Diese (enge) richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 26 UStG ist durch das Unionsrecht geboten. Lässt der Gesetzestext mehrere Auslegungen zu und ist nur eine mit dem Unionsrecht vereinbar, so ist der Auslegung der Vorzug zu geben, nach der die Norm nicht als unionsrechtswidrig zu beurteilen ist (z.B. BFH-Urteile vom 3.12.2015 V R 43/13; vom 15.2.2012 XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712, Rz 18, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 24.9.2014 V R 11/14, BFH/NV 2015, 528). Die richtlinienkonforme Auslegung ermöglicht es damit, zu weit gefasste Regelungen des nationalen Rechts im Rahmen des nach dem Wortlaut der Regelung Möglichen einschränkend auszulegen (BFH-Urteil vom 3.12.2015 V R 43/13).
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Steuerbefreiungen des § 4 UStG grundsätzlich eng auszulegen sind, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union DTZ Zadelhoff vom 5.7.2012 C-259/11, EU:C:2012:423; Nordea vom 28.7.2011 C-350/10, EU:C:2011:532). Außerdem sieht die Richtlinie 77/388/EWG überhaupt keine Steuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeiten vor. Lediglich eine Protokollerklärung zu Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG stellt es den Mitgliedstaaten frei, ehrenamtliche Leistungen von der Steuer zu befreien. Infolgedessen ist umstritten, inwieweit § 4 Nr. 26 UStG überhaupt im Einklang mit der Richtlinie 77/388/EWG steht (zweifelnd Kulmsee in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 26 Rz 11; bejahend Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 UStG Nr. 26 Rz 5; verneinend Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 26 Rz 4).
Vor diesem Hintergrund gibt es keine Veranlassung, eine Tätigkeit, die weder im allgemeinen Sprachgebrauch herkömmlicherweise als ehrenamtlich bezeichnet noch vom materiellen Begriff der Ehrenamtlichkeit umfasst wird, nur deshalb als ehrenamtlich anzusehen, weil eine Körperschaft des öffentlichen Rechts diese an sie ausgeführte Tätigkeit in ihrer Satzung als ehrenamtlich bezeichnet. Das gilt umso mehr, als die Körperschaft andernfalls allein durch entsprechende Behandlung in der Satzung selbst über die Steuerbefreiung der an sie ausgeführten Tätigkeiten entscheiden könnte.
2. Die Tätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied und Mitglied des Ausschusses fällt aus diesen Gründen zwar nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 26 UStG, gleichwohl unterliegt die Tätigkeit des Klägers im Streitjahr im Ergebnis nicht der Umsatzbesteuerung, weil ihm Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO zusteht. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist, geändert hat. Damit werden die Fälle umfasst, in denen sich die Rechtsprechung erst nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids, aber vor Erlass des Änderungsbescheids geändert hat. In diesem Fall ist der Steuerpflichtige so zu behandeln, wie er ohne die Rechtsprechungsänderung gestanden hätte (vgl. BFH-Urteil vom 25.4.2013 V R 2/13, BFHE 241, 304, BStBl II 2013, 844, 1. Leitsatz).
a) Der Senat hat mit Urteil vom 27.7.1972 V R 33/72 (BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844) die Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern von Genossenschaftsbanken als nach § 4 Nr. 26 UStG steuerfrei behandelt. Die Verwaltung hat im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 21.5.1975 (BStBl I 1975, 684) die Wirkungen des BFH-Urteils in BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844 auf Verwaltungsratsmitglieder von Sparkassen ausgedehnt. Zwar ist das BMF-Schreiben vom 21.5.1975 aufgrund des BMF-Schreibens vom 21.1.1985 VV DEU BMF 1985-01-21 IV A 3-S 7015-1/85 (BStBl I 1985, 55) zunächst auf Umsätze nach dem 31.12.1984 nicht mehr angewandt und durch das BMF-Schreiben zur Eindämmung der Normenflut vom 7.6.2005 VV DEU BMF 2005-06-07 IV C 6-O 1000-86/05 (BStBl I 2005, 717) ganz aufgehoben worden. Es besteht aber Einvernehmen zwischen den Beteiligten, dass die Verwaltung gleichwohl die Vergütungen von Aufsichtsräten und Verwaltungsratsmitgliedern auch von Sparkassen weiterhin als steuerfrei behandelt hat. Daher ist davon auszugehen, dass das BFH-Urteil in BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844 in der bisherigen Steuerfestsetzung in Gestalt der als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 AO) geltenden Steuererklärung vom 2.1.2008 angewandt worden ist. Der Anwendungsbereich des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO umfasst auch Steueranmeldungen, die gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (BFH-Urteil vom 2.11.1989 V R 56/84, BFHE 159, 266, BStBl II 1990, 253, 1. Leitsatz).
b) Mit Urteil in BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88, Rz 31 hat der Senat seine Rechtsprechung zur Steuerfreiheit der Aufsichtsratstätigkeit für Volksbanken geändert und die Tätigkeit nunmehr der Umsatzsteuer unterworfen. Diese Rechtsprechungsänderung durfte in den Umsatzsteuerbescheiden vom 3.1.2012 und vom 16.11.2012 nicht zuungunsten des Klägers berücksichtigt werden. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seine Steuererklärung am 28.2.2011 zuvor selbst berichtigt hatte, weil er auch darin seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied und Mitglied des Ausschusses als umsatzsteuerfrei behandelt hat.
c) Der Kläger ist deshalb so zu stellen, wie er ohne die Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in BFHE 227, 207, BStBl II 2010, 88 gestanden hätte. Ohne die Rechtsprechungsänderung hätte die Verwaltung weiterhin das BFH-Urteil in BFHE 106, 479, BStBl II 1972, 844 auf die Tätigkeit des Klägers angewandt und diese steuerfrei belassen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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