BMF: Umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Erwerbs zahlungsgestörter Forderungen (sog. Non-Performing-Loans - NPL -)
Änderung der Verwaltungsauffassung;
EuGH-Urteil vom 27. Oktober 2011, C-93/10, GFKL und
BFH-Urteile vom 26. Januar 2012, V R 18/08, sowie vom 4. Juli 2013, V R 8/10
Bundesministerium der Finanzen 2. Dezember 2015, III C 2 - S 7100/08/10010 (DOK 2015/1021816)
Bezug: BMF-Schreiben vom 3. Juni 2004, IV B 7 - S 7104 - 18/04 (BStBl I S. 737 = SIS 04 21 91)
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 27. Oktober 2011, C-93/10, GFKL (BStBl 20XX II S. XXX = SIS 11 39 78) entschieden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der auf eigenes Risiko zahlungsgestörte Forderungen zu einem unter ihrem Nennwert liegenden Preis kauft, keine entgeltliche Dienstleistung im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie - MwStSystRL -) erbringt und keine in ihren Geltungsbereich fallende wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert dieser Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich mit Folgeurteilen vom 26. Januar 2012, V R 18/08, (BStBl 20XX II S. XXX = SIS 12 06 35), sowie vom 4. Juli 2013, V R 8/10, (BStBl 20XX II S. XXX = SIS 13 24 87) dieser Rechtsauffassung angeschlossen und u.a. ergänzend ausgeführt, dass dem Forderungserwerber mangels Entgeltlichkeit der Leistung aus den Eingangsleistungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug kein Vorsteuerabzugsrecht zusteht.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Erwerbs zahlungsgestörter Forderungen Folgendes:
I. Grundsätzliches
1. Abgrenzung der Forderungsübertragungen i.S.d. o.g. Rechtsprechung von anderen Fallgestaltungen beim Forderungskauf oder Forderungseinzug
Von den Forderungsübertragungen i.S.d. o.g. Rechtsprechung sind Forderungserwerbe zu unterscheiden, bei denen die Tätigkeit des Forderungserwerbers im Wesentlichen darin besteht, den Forderungsverkäufer von der Einziehung der Forderung zu entlasten. In diesen Fällen ist nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 3. Juni 2004 (BStBl 2004 I S. 737 = SIS 04 21 91) auch weiterhin regelmäßig von einer unternehmerischen Tätigkeit des Erwerbers auszugehen (vgl. Abschnitt 2.4 Abs. 1 und Abs. 4 UStAE).
Das Entgelt für die Leistung des Erwerbers, bestehend aus der Übernahme des Forderungseinzuges und ggf. des Ausfallrisikos, ist in derartigen Fällen grundsätzlich die Differenz zwischen dem Nennwert der dem Erwerber abgetretenen Forderungen und dem Betrag, den der Erwerber dem Verkäufer als Preis für diese Forderungen zahlt, abzüglich der in dem Differenzbetrag enthaltenen Umsatzsteuer (vgl. Abschnitt 2.4 Abs. 6 UStAE).
2. Übertragung zahlungsgestörter Forderungen i.S.d. o.g. Rechtsprechung
Auch bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos wird grundsätzlich ein Kaufpreis vereinbart, der (erheblich) vom eigentlichen Nennwert der Forderung abweicht. Im Gegensatz zu den unter Abschnitt I Nr. 1 dargestellten Sachverhalten, bei denen regelmäßig werthaltige Forderungen übertragen werden bzw. die Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber ausgeschlossen ist, besteht jedoch der wirtschaftliche Gehalt bei der Übertragung notleidender und damit zahlungsgestörter Forderungen i.S.d. o.g. Rechtsprechung (sog. Non-Performing-Loans - NPL -, vgl. nachfolgend unter 3.) gerade in der Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Erwerber und nicht in der Einziehung der Forderungen.
Die Differenz zwischen dem Nennwert der übertragenen Forderungen und deren Kaufpreis beruht vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit der Forderungen. Umstände, die mit der Einziehung der Forderungen durch den Erwerber zusammenhängen, sind für die Bemessung des Abschlages auf den Kaufpreis von nur untergeordneter Bedeutung, selbst wenn hierfür eine gesonderte Vergütung bzw. Abschlag vereinbart wurde. Da sich der vom Nennwert der Forderungen abweichende Kaufpreis nach dem für die jeweilige Forderung geschätzten Ausfallrisiko richtet, spiegelt dieser den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung wider.
In der Folge ist generell davon auszugehen, dass bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber der vereinbarte Kaufpreis dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert dieser Forderungen entspricht.
3. Begriff der "Zahlungsstörung"
Eine Forderung (bestehend aus Rückzahlungs- und Zinsanspruch) ist insgesamt zahlungsgestört, wenn sie, soweit sie fällig ist, ganz oder zu einem nicht nur geringfügigen Teil seit mehr als 90 Tagen nicht ausgeglichen wurde. Eine Forderung ist auch zahlungsgestört, wenn die Kündigung erfolgt ist oder die Voraussetzungen für eine Kündigung vorliegen.
II. Beurteilung des Forderungserwerbers
1. Tätigkeit des Forderungserwerbers
Da der vereinbarte Kaufpreis dem tatsächlichen Wert der Forderung entspricht, stellt die Differenz zwischen Nennwert und Kaufpreis der Forderung keine Vergütung dar, mit der unmittelbar eine vom Käufer erbrachte Dienstleistung entgolten werden soll. Der Forderungserwerber übt daher keine wirtschaftliche Tätigkeit aus (EuGH-Urteil vom 27. Oktober 2011, C-93/10, a.a.O.). Dies gilt selbst dann, wenn der Erwerber den Verkäufer von der weiteren Verwaltung und Vollstreckung der Forderung entlastet (BFH-Urteil vom 4. Juli 2013, V R 8/10, a.a.O.) oder die Beteiligten dem Forderungseinzug bei der Bemessung des Abschlages auf den Kaufpreis oder durch Vereinbarung einer gesonderten Vergütung eine nicht nur untergeordnete Bedeutung beimessen (vgl. Abschnitt I Nr. 2).
Soweit nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 3. Juni 2004 (BStBl I S. 737 = SIS 04 21 91) von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Erwerbers bei der Übertragung zahlungsgestörter Forderungen unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber ausgegangen wurde, wird hieran nicht mehr festgehalten.
2. Vorsteuerabzug des Forderungserwerbers
Der Einzug von Forderungen, die der Erwerber nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erworben hat, erfolgt ebenso wie der eigentliche Erwerb nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Der Forderungserwerber ist daher nicht zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug berechtigt (BFH-Urteil vom 26. Januar 2012, V R 18/08, a.a.O. = SIS 12 06 35).
Werden sowohl zahlungsgestörte als auch nicht zahlungsgestörte Forderungen in einem Portfolio übertragen, ist das Gesamtpaket für Zwecke des Vorsteuerabzuges entsprechend aufzuteilen. Auf die Grundsätze der BMF-Schreiben vom 2. Januar 2012 (BStBl 2012 I S. 60 = SIS 12 01 40) sowie vom 2. Januar 2014 (BStBl 2014 I S. 119 = SIS 14 04 32) wird hingewiesen (vgl. auch Abschnitt 15.2b ff. UStAE).
III. Beurteilung des Forderungsverkäufers
Bei Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber erbringt der Verkäufer mit der Veräußerung und Abtretung einer zahlungsgestörten Forderung eine nach § 4 Nr. 8 Buchstabe c UStG steuerfreie Leistung im Geschäft mit Forderungen an den Erwerber. Soweit wegen Rückbeziehung der übertragenen Forderung auf einen zurückliegenden Stichtag der Forderungsverkäufer noch die Forderung verwaltet, liegt hierin eine unselbständige Nebenleistung zum steuerfreien Forderungsverkauf, die das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilt (BFH-Urteil vom 4. Juli 2013, V R 8/10, a.a.O.).
IV. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 12. November 2015, III C 3 - S 7160-h/12/10001 (2015/1014392), BStBl I S. 887, geändert worden ist, wird in Abschnitt 2.4 wie folgt geändert:
1. In Absatz 1 wird nach Satz 3 folgender Satz 4 angefügt:
"4Zur Übertragung zahlungsgestörter Forderungen mit Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber vgl. jedoch Absatz 8."
2. In Absatz 4 wird am Ende des Satzes 4 vor dem Punkt folgender Klammerzusatz eingefügt:
"(vgl. BFH-Urteil vom 15. 5. 2012, XI R 28/10, BStBl 20XX II S. XXX = SIS 12 22 06)".
3. Die Zwischenüberschrift vor Absatz 7 wird wie folgt gefasst:
"Übertragung zahlungsgestörter Forderungen".
4. Absatz 7 wird wie folgt gefasst:
"(7) 1Eine Forderung (bestehend aus Rückzahlungs- und Zinsanspruch) ist insgesamt zahlungsgestört, wenn sie, soweit sie fällig ist, ganz oder zu einem nicht nur geringfügigen Teil seit mehr als 90 Tagen nicht ausgeglichen wurde.2Eine Forderung ist auch zahlungsgestört, wenn die Kündigung erfolgt ist oder die Voraussetzungen für eine Kündigung vorliegen."
5. Absatz 8 wird wie folgt gefasst:
"(8) 1Bei der Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber besteht der wirtschaftliche Gehalt in der Entlastung des Verkäufers vom wirtschaftlichen Risiko und nicht in der Einziehung der Forderung. 2Da die Differenz zwischen dem Nennwert der übertragenen Forderung und deren Kaufpreis vorrangig auf der Beurteilung der Werthaltigkeit der Forderung beruht, stellt diese keine Vergütung dar, mit der unmittelbar eine vom Käufer erbrachte Dienstleistung entgolten werden soll. 3Der Forderungserwerber erbringt daher keine wirtschaftliche Tätigkeit (EuGH-Urteil vom 27. 10. 2011, C-93/10, GFKL, BStBl 20XX II S. XXX = SIS 11 39 78). 4Dies gilt selbst dann, wenn der Erwerber den Verkäufer von der weiteren Verwaltung und Vollstreckung der Forderung entlastet (BFH-Urteil vom 4. 7. 2013, V R 8/10, BStBl 20XX II S. XXX = SIS 13 24 87) oder die Beteiligten dem Forderungseinzug bei der Bemessung des Abschlages auf den Kaufpreis oder durch Vereinbarung einer gesonderten Vergütung eine nicht untergeordnete Bedeutung beimessen. 5Der Forderungserwerber ist nicht zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug berechtigt (BFH-Urteil vom 26. 1. 2012, V R 18/08, BStBl 20XX II S. XXX = SIS 12 06 35). 6Werden sowohl zahlungsgestörte als auch nicht zahlungsgestörte Forderungen in einem Portfolio übertragen, ist das Gesamtpaket für Zwecke des Vorsteuerabzuges entsprechend aufzuteilen; auf die Abschnitte 15.2b ff. wird hingewiesen. 7Der Verkäufer erbringt mit der Abtretung oder Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung unter Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber eine nach § 4 Nr. 8 Buchstabe c UStG steuerfreie Leistung im Geschäft mit Forderungen an den Erwerber. 8Soweit wegen Rückbeziehung der übertragenen Forderung auf einen zurückliegenden Stichtag der Forderungsverkäufer noch die Forderung verwaltet, liegt hierin eine unselbständige Nebenleistung zum steuerfreien Forderungsverkauf, die das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilt (BFH-Urteil vom 4. 7. 2013, a.a.O.). 9Im Falle der Übertragung einer zahlungsgestörten Forderung ohne Übernahme des Ausfallrisikos durch den Erwerber liegt eine wirtschaftliche Tätigkeit des Erwerbers vor, wenn dieser den Forderungseinzug übernimmt (vgl. Absatz 1 Satz 3; zur Bemessungsgrundlage vgl. Absatz 6)."
V. Anwendung
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Soweit die Ausführungen dieses Schreibens den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 3. Juni 2004 (BStBl 2004 I S. 737 = SIS 04 21 91) entgegenstehen, wird hieran nicht mehr festgehalten.
Es wird jedoch für vor dem 1. Juli 2016 ausgeführte Forderungsübertragungen nicht beanstandet, wenn die Beteiligten übereinstimmend entsprechend den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 3. Juni 2004 (BStBl 2004 I S. 737 = SIS 04 21 91) verfahren sind. Für Übertragungen, die auf Grundlage eines vor diesem Stichtag abgeschlossenen Kaufvertrages über den regelmäßigen Erwerb zahlungsgestörter Forderungen erfolgen und vor dem 1. Januar 2019 ausgeführt werden, gilt dies entsprechend. Gehen danach die Beteiligten einvernehmlich von einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Forderungserwerbers aus, erfolgt der Erwerb sowie der Einzug der Forderungen im Rahmen dieser wirtschaftlichen Tätigkeit. In der Folge steht dem Erwerber aus den Eingangsleistungen für den Forderungserwerb und den Forderungseinzug insoweit das Vorsteuerabzugsrecht zu. Dies gilt auch für nach dem Stichtag bezogene Leistungen, soweit sie mit dieser wirtschaftlichen Tätigkeit des Erwerbers im Zusammenhang stehen.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
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