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BFH zu den Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 InsO

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum bargeschäftsähnlichen Leis­tungsaustausch und ihre Folgen für die Vermutung nach § 133 Abs. 1 Satz 2 der Insolvenzordnung (InsO) können nicht auf ein steuerrechtliches Drei-Per­sonen-Verhältnis übertragen werden, in dem das Finanzamt als Dritter Anfech­tungsgegner ist. Ob der Schuldner im Sinne von § 133 InsO mit Gläubigerbe­nachteiligungsvorsatz gehandelt und das Finanzamt diesen gekannt hat, ist daher im Einzelfall zu prüfen.

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133

BFH-Urteil vom 20.6.2023, VII R 22/19 (veröffentlicht am 2.11.2023)

Vorinstanz: FG Münster vom 25.1.2018, 6 K 1013/15 = SIS 18 05 65

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter des Nachlasses des im Jahr 2017 verstorbenen E (Schuldner).

Der Schuldner war Geschäftsführer und Gesellschafter der E GmbH (GmbH), deren Geschäftsbetrieb nach den Angaben des Schuldners seit 2005 ruhte. Fortan war er als eingetragener Kaufmann … tätig.

Seit dem Jahr 2005 gab der Schuldner für sein Einzelgewerbe keine Steuer­erklärungen mehr ab. Die Besteuerungsgrundlagen wurden seitdem gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt. In der letzten Bilanz des Einzelun­ternehmens von 2008 ist ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehl­betrag in Höhe von … € ausgewiesen. Zur Aufrechterhaltung des Be­triebs stellte die Ehefrau des Schuldners diesem aus ihrem Privatvermögen erhebliche Mittel zur Verfügung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte aufgrund einer im Jahr 2007 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung erhebliche Nachforde­rungen gegenüber der GmbH und dem Schuldner fest. Eine von der Deutschen Rentenversicherung durchgeführte Betriebsprüfung ergab ebenfalls eine Nach­forderung gegen den Schuldner.

Mit Beschluss vom 15.10.2007, zuletzt geändert durch Beschluss vom 26.01.2010, arrestierte das Amtsgericht U auf Antrag der Staatsanwaltschaft Steuererstattungsansprüche des Schuldners gegen das FA in Höhe von (zuletzt) … €. Im Zeitraum von Oktober 2007 bis Juli 2011 wurden die bei der Staatsanwaltschaft vom FA und den Sozialversicherungsträgern angemeldeten Forderungen mit den arres­tierten Umsatzsteuererstattungsansprüchen verrechnet.

[Im Jahr] 2012 beantragte der Schuldner selbst beim Amtsgericht ‑ Insol­venzgericht ‑ U die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Aktenzei­chen …). Dieses wurde [im Jahr] 2012 eröffnet und der Kläger (nach Versterben des ursprünglichen Insolvenzverwalters …) zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem der Schuldner [im Jahr] 2017 ver­storben war, leitete das Amtsgericht ‑ Insolvenzgericht ‑ U mit Beschluss vom … das Insolvenzverfahren über den Nachlass des Schuldners ein.

Das FA hatte im Zeitraum von April 2009 bis Oktober 2011 auf mehrfache Bit­te des Schuldners Aufrechnungen von fälligen Umsatzsteuererstattungsbeträ­gen mit Lohnsteuerforderungen vorgenommen. In der Folge kam es zu Auf­rechnungen in Höhe eines noch streitigen Betrags von … €.

Ab Mai 2013 machte der Kläger verschiedene Anfechtungsansprüche gegen­über dem FA geltend und wies darauf hin, dass die Aufrechnungen nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) unwirksam seien, weil das FA die Möglichkeit der Aufrechnung der Umsatzsteuererstattungsansprüche unter an­derem für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2011 mit seinen Lohnsteuer­forderungen gegen den Schuldner in nach § 133 InsO anfechtbarer Weise er­langt habe.

Das FA erließ am 19.08.2014 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, in dem es feststellte, dass die Umsatzsteuererstattungsansprüche mit den Lohnsteuerforderungen von März 2009 bis Dezember 2011 wirksam aufge­rechnet worden und deshalb erloschen seien.

Dem hiergegen eingelegten Einspruch half das FA in Bezug auf die Umsatz­steuererstattungsansprüche für November 2011 und für Dezember 2011 ab und wies den Einspruch im Übrigen zurück (vergleiche Einspruchsentscheidung vom 27.02.2015).

Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Aufrechnungen durch das FA seien wirk­sam und der Abrechnungsbescheid daher rechtmäßig. Im Zeitpunkt der Auf­rechnungserklärungen durch das FA habe eine Aufrechnungslage bestanden. Die erklärten Aufrechnungen seien nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133 InsO unzulässig. Die anfechtbaren Rechtshandlungen seien vorliegend in der Inan­spruchnahme von umsatzsteuerpflichtigen (Dienst‑)Leistungen zu sehen, die beim Schuldner zu den Umsatzsteuererstattungsansprüchen geführt hätten. Infolge dieser Rechtshandlungen sei eine (jedenfalls mittelbare) objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO eingetreten. Das FA habe durch die Leistungserbringungen und die daraus folgenden Ansprüche auf Anrechnung von Vorsteuern die Möglichkeit zur Aufrechnung erhalten, so­dass die Umsatzsteuererstattungen nicht dem Schuldner zugutegekommen seien und sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger schlechter gestal­tet hätten.

Es könne dahinstehen, ob der Schuldner diese Rechtshandlungen mit dem Vorsatz vorgenommen habe, seine Gläubiger zu benachteiligen. Es spreche jedoch viel dafür, dass der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ausgeschlossen sei, weil die Voraussetzungen einer bargeschäftsähnlichen La­ge im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) angenommen werden müssten. Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte, zum Beispiel beste­hender Aufträge, könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldner im hier zu beurteilenden Zeitraum noch die berechtigte Erwartung gehabt habe, durch die Fortsetzung des Betriebs die eigene Insolvenz abzu­wenden, die vorhandenen Liquiditätslücken schließen oder einen anderen Nut­zen für die Gläubiger erzielen zu können.

Jedenfalls habe das FA keine Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gehabt. Im Fall des bargeschäftsähnlichen Leistungsaus­tauschs sei der Schluss von einer erkannten drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eine durch die angefochtene Rechts­handlung bewirkte Gläubigerbehandlung nach der Rechtsprechung des BGH nicht gerechtfertigt. Dem Anfechtungsgegner könne in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs trotz Kenntnis von der Zahlungsunfähig­keit des Schuldners die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Rechtshand­lung nicht bewusst geworden sein. Das FA habe zwar von der Zahlungsunfä­higkeit des Schuldners gewusst, aufgrund anderer Anhaltspunkte habe es je­doch davon ausgehen dürfen, dass die übrigen Gläubiger nicht benachteiligt würden.

Seine Revision begründet der Kläger folgendermaßen: Die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs sei unmittelbare Voraussetzung für das Entstehen der Um­satzsteuererstattungsansprüche und stelle eine Rechtshandlung im Sinne von § 133 InsO dar. Das FA habe von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und von den bereits gestellten Anträgen anderer Gläubiger gewusst. Es verstoße dann aber gegen Denkgesetze anzunehmen, dass das FA keine Kenntnis von einer defizitären Fortsetzung des Betriebs gehabt habe. Der Kläger habe vor dem FG umfassend zum defizitären Geschäftsbetrieb des Schuldners spätes­tens seit April 2009 vorgetragen. Aufgrund der Rechtsanwendung des FG wür­den die vom BGH aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen einer bar­geschäftsähnlichen Lage in unzulässiger Weise ausgehöhlt. Nach der Auffas­sung des FG käme es lediglich darauf an, dass eine kongruente Leistung, die zur Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners erforderlich sei, erbracht werde. Das Erfordernis einer Leistung Zug um Zug sowie die Voraus­setzung eines allgemeinen Nutzens für die übrigen Gläubiger würden jedoch wegfallen und der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch zur Regel in Fällen der kongruenten Deckung. Jedenfalls sei die Rechtsprechung des BGH zur bar­geschäftsähnlichen Situation auf den Streitfall nicht übertragbar, weil sich die­se nur auf ein Zwei-Personen-Verhältnis beziehe. Voraussetzung für einen bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch sei stets die Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung. Die Verpflichtung, die Umsatzsteuer, die mit Rechnungstellung fällig werde, abzuführen, und die Möglichkeit, Vorsteuer an­zumelden, hätten keinen Aussagegehalt im Hinblick auf die tatsächliche Zah­lung durch den Schuldner an seinen Vertragspartner.

Der Kläger beantragt,
das FA unter Aufhebung der Vorentscheidung zu verurteilen, den Abrech­nungsbescheid vom 19.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.02.2015 dahin zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basis­zinssatz seit dem …2012 festgestellt wird.

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Es liege bereits keine Rechtshandlung des Schuldners im Sinne von § 133 InsO vor. Anders als im Rahmen der Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 InsO müsse die Rechtshandlung im Sinne von § 133 InsO vom Schuldner vor­genommen worden sein. Hieran fehle es, wenn sich der Schuldner darauf be­schränke, die berechtigte Vollstreckung eines Gläubigers hinzunehmen, und sich angesichts einer bevorstehenden oder bereits eingeleiteten Vollstre­ckungsmaßnahme nicht anders verhalte, als er dies ohne die Vollstreckungs­maßnahme getan hätte.

Der Schuldner habe dem FA gegenüber auch nicht mit Gläubigerbenachteili­gungsvorsatz gehandelt. In der Fortführung der normalen Arbeitstätigkeit könne keine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung begründet liegen. Die Rechtsprechung des BGH zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch sei auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Liege ein bargeschäftsähnlicher Leistungsaustausch entweder objektiv vor oder sei ein solcher zumindest aus Sicht des Anfechtungsgegners anzunehmen, fehle es in jedem Fall an einer Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Das FG habe für den Bundesfi­nanzhof (BFH) bindend festgestellt, dass die ausgewiesenen Leistungen gleich­wertig und jeweils Zug um Zug in einem zeitlichen Zusammenhang von Leis­tung und Gegenleistung erbracht worden seien und daher unmittelbare Leis­tungsaustausche vorlägen. Es werde auch bestritten, dass es ‑‑das FA‑‑ Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Schuldners ge­habt habe. Es habe vielmehr seit 2005 keinen Überblick über die gesamte fi­nanzielle Situation des Schuldners gehabt.

II. Die Revision ist begründet und die Vorentscheidung daher aufzuheben. Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzge­richtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Ent­scheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO), weil der erkennende Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden kann. Das FG hat bislang keine ausreichenden Feststellungen zu einem eventuellen Gläu­bigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und einer Kenntnis des FA hier­von getroffen.

1. Bezüglich der Aufrechnung der Lohnsteuerforderungen gegen die Umsatz­steuererstattungsansprüche des Schuldners hat das FG zu Recht die allgemei­nen Voraussetzungen der Aufrechnung bejaht. Es ist allerdings zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsprechung des BGH zur bargeschäfts­ähnlichen Lage auf den Streitfall übertragen werden kann und der Aufrech­nung demnach kein Aufrechnungsverbot entgegenstand.

a) Gemäß § 218 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO ergeht unter anderem dann ein Abrechnungsbescheid, wenn die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) und ihr Erlöschen (§ 47 AO) durch Aufrech­nung (§ 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑) streitig sind (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18.02.2020 ‑ VII R 39/18, BFHE 268, 391, BStBl II 2023, 224, Rz 22, m.w.N.).

Im Streitfall hat das FA zu Recht einen Abrechnungsbescheid erlassen, weil (vorliegend noch) streitig ist, ob die Lohnsteuerforderungen des FA betreffend den Zeitraum März 2009 bis Oktober 2011 in Höhe von … € wirksam gegen Umsatzsteuererstattungsansprüche des Schuldners gemäß § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB aufgerechnet wurden und damit gemäß § 47 AO erlo­schen sind.

b) Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung gemäß § 226 AO i.V.m. § 387 ff. BGB waren erfüllt.

aa) Die sich gegenüberstehenden Forderungen waren gleichartig, weil es sich sowohl bei den Lohnsteuerforderungen als auch bei den Umsatzsteuererstat­tungsansprüchen um Geldforderungen handelte.

bb) Es handelte sich um gegenseitige Forderungen, weil sie im Verhältnis zwi­schen dem Schuldner und dem FA jeweils gegen den anderen gerichtet waren.

cc) Die Lohnsteuerforderungen waren gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) am zehnten Tag nach Ablauf des jeweiligen Lohnsteuer-Anmeldezeitraums ‑‑vorliegend der Kalendermonat nach § 41a Abs. 2 Satz 1 EStG‑‑ fällig.

dd) Die Umsatzsteuererstattungsansprüche waren erfüllbar, weil das FA diesen gemäß § 168 AO zugestimmt hatte. Die Umsatzsteuer entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit Ablauf des Vor­anmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt wurden.

c) Das FG hat jedoch zu Unrecht die Voraussetzungen einer bargeschäftsähnli­chen Lage bejaht und unter Anwendung dieser Grundsätze angenommen, dass der Aufrechnung das Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht entgegenstand.

aa) Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein In­solvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Vorschrift verfolgt das Ziel, den Anfechtungs­vorschriften der Insolvenzordnung (§§ 129 ff. InsO) im Hinblick auf eine von einem Insolvenzgläubiger erklärte Aufrechnung in dem Sinne Geltung zu ver­schaffen, dass einer etwaigen Aufrechnungserklärung die Rechtswirkung ge­nommen und dadurch eine anderenfalls etwa notwendige Anfechtung der be­treffenden Rechtsvorgänge seitens des Insolvenzverwalters überflüssig wird (vgl. Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 96 Rz 45 f.; Uhlenbruck/Sinz, In­solvenzordnung, 16. Aufl., § 96 Rz 46). Sie ist dahin zu verstehen, dass der Erwerb der Möglichkeit der Aufrechnung zugunsten eines späteren Insolvenz­gläubigers erfolgt sein muss, dieser also nicht etwa bereits beim Erwerb dieser Möglichkeit Insolvenzgläubiger, mithin das Insolvenzverfahren beim Erwerb noch nicht anhängig gewesen sein muss. Vielmehr schränkt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO gerade § 94 InsO ein, der grundsätzlich eine vor Verfahrenseröffnung eingetretene Aufrechnungslage während des Insolvenzverfahrens fortbestehen lässt und die Abgabe einer Aufrechnungserklärung während desselben zulässt (Karsten Schmidt/Thole, InsO, 20. Aufl., § 96 Rz 12; Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 19, m.w.N.).

bb) Im Streitfall liegen die in § 129 InsO geregelten allgemeinen Vorausset­zungen der Insolvenzanfechtung vor.

(1) Das FA ist Insolvenzgläubiger der Lohnsteuerforderungen, weil diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens [im Jahr] 2012 (Akten­zeichen …) begründet worden waren und noch nicht beglichen wor­den sind (§ 38 InsO).

(2) Im Streitfall liegen anfechtbare Rechtshandlungen vor.

(a) Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO ist weit aus­zulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Er­werb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, das heißt ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermö­gen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, Höchstrichterliche Finanzrecht­sprechung ‑‑HFR‑‑ 2010, 413, unter II.2.b aa, m.w.N.; vgl. auch BGH-Urteil vom 20.04.2017 ‑ IX ZR 252/16, BGHZ 214, 350, Rz 28, m.w.N.). Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst (BGH-Urteile vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, HFR 2010, 413, unter II.2.b aa; vom 14.12.2006 ‑ IX ZR 102/03, BGHZ 170, 196, unter II.3.a, zum Einbringen ei­ner Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt und vom 09.07.2009 ‑ IX ZR 86/08, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ‑‑ZIP‑‑ 2009, 1674, unter II.2.c aa, m.w.N., zum Brauen von Bier, welches die Biersteuer und die Sach­haftung des Bieres entstehen lässt). Dass die Rechtswirkungen (unabhängig vom Willen der Beteiligten) kraft Gesetzes eintreten, ist dabei unbeachtlich (vgl. Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20 f., unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Senatsur­teil vom 16.11.2004 ‑ VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193).

Unter anderem hat der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem BGH und der allgemein vertretenen Auffassung die Leistungserbringung im Umsatz­steuerrecht als eine Rechtshandlung im Sinne des § 129 InsO angesehen (vgl. Senatsurteile vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20 f. und vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 25; Probst in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, VIII.4.3.3 Rz 190; Kirch in eKomm (Stand 22.02.2023), § 251 AO, Rz 57; Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 251 AO Rz 266). Die Umsatzsteuer entsteht zwar von Gesetzes wegen, das Entstehen von Umsatzsteuer bezie­hungsweise Vorsteuer setzt jedoch voraus, dass eine Leistung erbracht wird (Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 20). Auch der XI. Senat hat entschieden, dass Handlungen des Schuldners oder Dritter, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine Rechtshandlung darstellen, durch die das Schuldnervermögen belastet wird (BFH-Urteil vom 03.08.2022 ‑ XI R 44/20, BFHE 277, 46, Rz 27). Nach dem erkennenden Senat ist diese Rechtsprechung auch auf die Lohnsteuer anzuwenden (Senatsurteil vom 18.04.2023 ‑ VII R 35/19, zur Veröffentlichung bestimmt); auf den Umstand, dass die Lohnsteuer kraft Gesetzes durch Erfül­lung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG mit Zahlung des Arbeitslohns entsteht und nicht durch die Rechtshandlung selbst, kommt es nicht an.

Darüber hinaus hat der erkennende Senat auch die Herstellung einer Aufrech­nungslage durch Rechtshandlungen als eigenständige Rechtshandlung angese­hen und ihre selbständige Anfechtbarkeit bejaht (vgl. Senatsurteil vom 18.02.2020 ‑ VII R 39/18, BFHE 268, 391, BStBl II 2023, 224, Rz 37; vgl. auch BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, HFR 2010, 413). Die Her­stellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen wirkt grundsätzlich gläubigerbenachteiligend im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO, da sich die Befriedi­gungsmöglichkeiten der übrigen Insolvenzgläubiger durch eine wirksame Auf­rechnung eines Insolvenzgläubigers verschlechtern (vgl. BGH-Urteil vom 22.10.2009 ‑ IX ZR 147/06, HFR 2010, 413, unter II.2.a; Senatsurteil vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 22 ff.).

Dass die Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig vom Hinzutreten etwai­ger weiterer Umstände (zum Beispiel Abgabe einer Steueranmeldung) eine Aufrechnungslage zum Entstehen bringen müsste, setzt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht voraus. Er verlangt lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sie irgendeine Voraussetzung für die Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzschuldners geschaffen hat und die Insolvenzgläubiger benachteiligt (Senatsurteile vom 02.11.2010 ‑ VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl II 2011, 439, Rz 21 und vom 02.11.2010 ‑ VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Rz 26, m.w.N.).

(b) Im Streitfall hat der Schuldner drei Rechtshandlungen vorgenommen.

(aa) Zunächst hat der Schuldner von seinen Lieferanten Lieferungen und Leis­tungen gegen Entgelt bezogen. Infolgedessen ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums Umsatz­steuer entstanden.

(bb) Eine weitere Rechtshandlung liegt in der Zahlung der Arbeitslöhne, wo­durch gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG im Zeitpunkt des Zuflusses des jewei­ligen Arbeitslohns Lohnsteuer entstanden ist.

(cc) Schließlich ist auch die Herstellung einer Aufrechnungslage als Rechts­handlung anzusehen (siehe oben).

(c) Zumindest die Überweisung der Löhne und die Herstellung einer Aufrech­nungslage haben zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt. Denn durch die Überweisung der Löhne ist beim Schuldner insofern eine Verschlech­terung der Vermögenssituation eingetreten, als er infolgedessen für die Ent­richtung der Lohnsteuer einzustehen hatte. Wie bereits aufgezeigt, entsteht die Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Zwar ist gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Der Arbeitgeber haftet je­doch gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Der Haftungsanspruch entsteht (§ 38 AO), sobald die ein­zubehaltende Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht an das FA abgeführt wird (Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 42d Rz 10). Dadurch besteht ‑‑zu­mindest mittelbar‑‑ die Möglichkeit, dass das Vermögen des Schuldners be­einträchtigt wird.

Ob auch die Beziehung von Lieferungen und Leistungen zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt hat, ist zumindest insofern zweifelhaft, als der Schuldner dadurch Umsatzsteuererstattungsansprüche erworben hat.

cc) Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO ver­neint.

Nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah­rens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachtei­ligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vor­satz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

(1) Die oben genannten Rechtshandlungen wurden innerhalb von zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen. Dieser Antrag ist [im Jahr] 2012 beim Amtsgericht ‑ Insolvenzgericht ‑ U ein­gegangen.

(2) Weiterhin muss der Schuldner die Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorge­nommen haben, seine Gläubiger zu benachteiligen.

(a) Nach der BGH-Rechtsprechung handelt ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in der Regel mit Benachteiligungsvor­satz. In diesem Fall weiß er, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen (BGH-Urteile vom 12.02.2015 ‑ IX ZR 180/12, Wert­papier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht ‑‑WM‑‑ 2015, 591, Rz 16 und vom 17.11.2016 ‑ IX ZR 65/15, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2016, 2958, Rz 13, jeweils m.w.N.). In Fällen kongruenter Leistungen hat der BGH allerdings anerkannt, dass der Schuldner trotz der Indizwirkung einer erkann­ten Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise nicht mit Gläubigerbenachteiligungs­vorsatz handelt, wenn er seine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortfüh­rung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt. Der subjektive Tatbestand kann hiernach entfallen, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der potentiell anfecht­baren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich einem Bargeschäft stattfindet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass dem Schuldner in diesem Fall infolge des gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eingetretene mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein kann (BGH-Urteile vom 12.02.2015 ‑ IX ZR 180/12, WM 2015, 591, Rz 22; vom 17.12.2015 ‑ IX ZR 61/14, WM 2016, 172, Rz 36 und vom 17.11.2016 ‑ IX ZR 65/15, WM 2017, 51, Rz 31, jeweils m.w.N.). Für das Vorliegen einer bargeschäftsähnlichen Lage hat der BGH den unmittelbaren Austausch zwi­schen Leistung und Gegenleistung als wesentlich angesehen (BGH-Urteil vom 12.02.2015 ‑ IX ZR 180/12, WM 2015, 591, Rz 24, m.w.N.). Auch im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs wird sich der Schuldner der eintretenden mittelbaren Gläubigerbenachteiligung allerdings dann bewusst werden, wenn er weiß, dass er trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und deshalb bei der Fortführung seines Ge­schäfts mittels der durch bargeschäftsähnliche Handlungen erworbenen Ge­genstände weitere Verluste anhäuft, die die Befriedigungsaussichten der Gläu­biger weiter mindern, ohne dass auf längere Sicht Aussicht auf Ausgleich be­steht (BGH-Urteil vom 04.05.2017 ‑ IX ZR 285/16, DB 2017, 1378, Rz 7, m.w.N.).

(b) Ob der Schuldner die Rechtshandlungen mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, hat das FG ausdrücklich offengelassen.

Die Würdigung der wesentlichen Umstände des Einzelfalls obliegt dem FG (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21.06.2022 ‑ VI R 20/20, BFHE 277, 338, BStBl II 2023, 87, Rz 14, m.w.N.), weshalb eine abschließende Entscheidung des er­kennenden Senats nicht möglich ist.

(c) Schließlich setzt eine Anfechtbarkeit im Sinne von § 133 InsO voraus, dass der andere Teil zur Zeit der Handlung den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte.

(1) Die nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderliche Kenntnis des Anfechtungs­gegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners muss sich, da Gegen­stand dieses Vorsatzes die vom Schuldner veranlasste gläubigerbenachteili­gende Rechtshandlung ist, auch darauf erstrecken, dass die Gläubigerbenach­teiligung durch eine vom Schuldner ausgehende Rechtshandlung verursacht worden ist. Die Voraussetzungen einer solchen Kenntnis dürfen nicht über­spannt werden. Der Anfechtungsgegner muss nicht alle Einzelheiten kennen, aus denen sich das Vorliegen einer Schuldnerhandlung ergibt. Es genügt, dass er einen solchen Sachverhalt im Allgemeinen erkannt hat. Dies ist der Fall, wenn er sich der Kenntnis nicht verschließen konnte, dass sein Vermögenser­werb auf einer die Gläubigergesamtheit benachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners beruhte (BGH-Urteil vom 01.06.2017 ‑ IX ZR 48/15, ZIP 2017, 1281, Rz 25, m.w.N.).

Im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs ist dieser Schluss von erkannter drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Schuld­ners auf eine durch die angefochtene Zahlung bewirkte Gläubigerbenachteili­gung nicht gerechtfertigt. Insofern gilt für die Kenntnis des Anfechtungsgeg­ners nichts anderes als für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Dem Gläubiger kann in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs ebenso wie dem Schuldner trotz Kenntnis von dessen Zahlungsunfähigkeit die gläubigerbenachteiligende Wirkung der an ihn bewirkten Leistung nicht be­wusst geworden sein. Die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO greift dann nicht ein. Der zweite Teil des Vermutungstatbestands ist nicht er­füllt. Anders liegt es nur, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass der Schuld­ner unrentabel arbeitet und bei der Fortführung seines Geschäfts weitere Ver­luste erwirtschaftet. Dann weiß er auch, dass der bargeschäftsähnliche Leis­tungsaustausch den übrigen Gläubigern des Schuldners keinen Nutzen, son­dern infolge der an den Anfechtungsgegner fließenden Zahlungen Nachteile bringt (vgl. BGH-Urteil vom 04.05.2017 ‑ IX ZR 285/16, DB 2017, 1378, Rz 9).

(2) Die Rechtsprechung des BGH zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaus­tausch ist allerdings nicht auf ein Drei-Personen-Verhältnis ‑‑wie im Streitfall‑‑ übertragbar.

Wie bereits erwähnt, ist das wesentliche Kriterium für ein Bargeschäft die Ver­knüpfung von Leistung und Gegenleistung ("do ut des"). Da dieses Merkmal nur zwischen den konkreten Vertragsparteien bestehen kann, kann die Recht­sprechung zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch denknotwendig nicht gegenüber Dritten gelten.

Das FA ist im Streitfall jedoch Dritter. Denn im Zusammenhang mit den Lohn­steuerforderungen des FA besteht ein vertragliches Verhältnis nur zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung und der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Lohns (§ 611 BGB).

Auch wenn der Arbeitnehmer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer ist, wird dadurch kein Gegenleistungsverhältnis zum FA begründet, weil dieses seinerseits keine Leistung gegenüber dem Arbeitnehmer zu erbrin­gen hat. Auch ein Zurückbehaltungsrecht für den Fall der Nichtzahlung der Lohnsteuer steht dem FA nicht zu.

Es besteht ferner kein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zwischen dem Schuldner als Arbeitgeber und dem FA. Die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzu­führen hat, steht nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung. Vielmehr setzt die Haftung eine Steuerschuld des Arbeitneh­mers voraus und ist damit akzessorisch (Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 42d Rz 2).

Auch in der Literatur wird die Übertragung der BGH-Rechtsprechung zum bar­geschäftsähnlichen Leistungsaustausch auf Drei-Personen-Verhältnisse bezie­hungsweise die Verpflichtung zur Abführung von Lohnsteuer abgelehnt (vgl. Frotscher, Betriebs-Berater 2006, 353 ff.; Boeker in HHSp, § 69 AO Rz 32e ff.; vgl. auch Jatzke in Gosch, AO § 69 Rz 46).

Soweit der erkennende Senat mit Beschlüssen vom 21.12.1998 ‑ VII B 175/98 (BFH/NV 1999, 745) und vom 11.08.2005 ‑ VII B 244/04 (BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201) im Zusammenhang mit der Zahlung des laufend arbeits­vertraglich geschuldeten Lohns entschieden hat, dass die vom Arbeitgeber an das FA abzuführenden Lohnsteuerbeträge zum Arbeitslohn gehören und Ent­gelt für die von den Arbeitnehmern erbrachte Arbeitsleistung darstellen, wird daran nicht mehr festgehalten. Aufgrund dessen hatte der Senat die Gläubi­gerbenachteiligung verneint, sodass damit auch die Kenntnis des FA von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht entfiele (offengelassen in Senatsbeschluss vom 09.12.2005 ‑ VII B 124‑125/05, BFH/NV 2006, 897, unter II.3.d cc).

Schließlich war das FA auch an der Beziehung des Schuldners zu seinen Liefe­ranten nicht beteiligt.

Das FG ist in der angefochtenen Vorentscheidung zu Unrecht davon ausgegan­gen, dass die Rechtsprechung des BGH zum bargeschäftsähnlichen Leistungs­austausch auch auf das vorliegende Drei-Personen-Verhältnis übertragen wer­den kann und aufgrund dessen eine Kenntnis des FA vom (eventuellen) Gläu­bigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen ist.

2. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die Voraussetzungen der § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 133 InsO und insbesondere den Gläubigerbenachteiligungsvor­satz unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut zu prüfen haben.

Außerdem wird das FG klären müssen, ob das FA einen eventuellen Gläubiger­benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte. Dabei ist die Rechtsprechung des BGH zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch außer Acht zu lassen und sind die Umstände des vorliegenden Einzelfalls zu würdigen.

3. Sollte das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis gelangen, dass die Aufrechnung aufgrund eines Aufrechnungsverbots gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig war und die Umsatzsteuererstattungsansprüche daher nicht gemäß § 47 AO erloschen sind, wird das FG über eine Verzinsung des Erstat­tungsanspruchs zu entscheiden haben.

a) Zunächst wird das FG das Klagebegehren des Klägers ermitteln müssen. Dabei ist der Antrag des Klägers auszulegen. Möglicherweise macht der Kläger den insolvenzrechtlichen Zinsanspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 818 Abs. 4, §§ 819, 291, 288 Abs. 1 BGB geltend.

Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BFH-Urteile vom 12.06.1997 ‑ I R 70/96, BFHE 183, 465, BStBl II 1998, 38, unter II.1., m.w.N. und vom 27.01.2011 ‑ III R 65/09, Rz 10). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung ver­nünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteil vom 29.04.2009 ‑ X R 35/08, BFH/NV 2009, 1777, m.w.N.). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung (BFH-Urteil vom 27.01.2011 ‑ III R 65/09, Rz 10, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 21.10.2020 ‑ VII B 121/19, Rz 24).

Eine Auslegung findet ihre Grenze in dem erklärten Willen des Klägers. Ist der Klageantrag schon dem Wortlaut nach eindeutig gestellt und wird dieser Wort­laut durch die Ausführungen des Klägers im Übrigen gestützt, so ist für eine Auslegung durch das Gericht kein Raum mehr (Senatsurteil vom 13.12.1994 ‑ VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697, unter II.).

Allerdings unterscheidet § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zwischen dem Klagebegehren und der "Fassung der Anträge" und stellt dabei letztlich auf das Klagebegehren ab. Daraus folgt, dass, wenn das FG auf die wörtliche Fassung des Klagean­trags abstellt, obwohl dieser dem erkennbaren Klageziel des Klägers nicht ent­spricht, dies einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO begründet (vgl. BFH-Urteile vom 14.09.2017 ‑ IV R 34/15, Rz 16 und vom 04.09.2008 ‑ IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335, unter II.3.a, m.w.N.; BFH-Be­schlüsse vom 27.06.2017 ‑ X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 ‑ V B 26/15, Rz 18, jeweils m.w.N.).

Maßgeblich ist letztlich stets das materielle Ziel der Klage und nicht dessen Formalisierung durch einen Antrag (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.06.2017 ‑ X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 ‑ V B 26/15, Rz 18; vgl. auch Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 177; Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz 97).

b) Die allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Insbesondere ist die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens nach § 44 FGO nicht er­forderlich (vgl. auch BFH-Urteile vom 14.04.2021 ‑ X R 25/19, BFHE 272, 319, Rz 23 und vom 19.04.2012 ‑ III R 85/09, BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19, Rz 10, m.w.N.; Senatsurteil vom 18.04.2023 ‑ VII R 35/19, zur Veröffentli­chung bestimmt).

c) Der Zinssatz des insolvenzrechtlichen Zinsanspruchs beträgt gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Im Fall eines negativen Basiszinssatzes verringert sich der Zinssatz entsprechend und liegt unter fünf Prozent. Negativ kann ein Zins jedoch nicht werden (vgl. BGH-Urteil vom 09.05.2023 ‑ XI ZR 544/21, Rz 26).

Bislang hatte der Kläger vor dem FG einen Zinssatz von fünf Prozent und vor dem BFH einen Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz be­antragt. Auch insoweit hat das FG den Antrag des Klägers auszulegen bezie­hungsweise auf dessen Konkretisierung durch den Kläger hinzuwirken.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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